Entscheidungsstichwort (Thema)

'"Bornholmer Uhr" als Sammlungsstück von geschichtlichem Wert im Sinne des Zolltarifs

 

Leitsatz (NV)

1. Unterläßt das FG die (von der Partei nicht beantragte) Einholung eines Sachverständigengutachtens, so verletzt es damit die Aufklärungspflicht nur, wenn sich die Notwendigkeit einer Begutachtung aufgedrängt hat.

2. Zu den Voraussetzungen für die Anerkennung als (zollfreies) Sammlungsstück von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert (,,Bornholmer Uhr"-18. Jh.).

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1; GZT Tarifnr. 99.05; GZT Tarifnr. 99.06

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ließ eine Standuhr aus Dänemark zum freien Verkehr abfertigen, für die der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) Einfuhrumsatzsteuer nach dem vollen Satz erhob. Das mit dem Einspruch verfolgte Begehren des Klägers, den ermäßigten Einfuhrumsatzsteuersatz anzuwenden, weil es sich um ein steuerbegünstigtes Sammlungsstück handele, wies das HZA zurück.

Die von einem Händler erworbene Uhr mit der Nummer ,,. . ." ist zwischen 1755 und 1760 in Bornholm von dem dortigen Uhrmacher Otto Arboe (1719-1773) gefertigt worden. Gleichartige Uhren desselben - in der Fachliteratur erwähnten - Uhrmachermeisters befinden sich im Nationalmuseum Kopenhagen und in den Museen Roenne/Bornholm und Aarhus. Nach Auskunft des D ist die eingeführte Uhr von verhältnismäßig hohem Wert und ein seltenes Objekt; sie werde in einem öffentlichen Museum als Belegstück eines bemerkenswerten Zweiges der Uhrmacherkunst mit kultur- und kunsthistorischer Bedeutung dienen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (Urteil vom 11. Februar 1986 VII 9/84, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 580).

Mit der Revision macht das HZA geltend, die Voraussetzung eines geschichtlichen Werts sei im Streitfall nicht gegeben. Der Kläger habe nicht dargetan, daß die eingeführte Uhr objektive Merkmale und Eigenschaften aufweise, die einen bestimmten Abschnitt der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften veranschaulichten. D habe sich auf die Anfrage des FG nur allgemein und nicht zur Frage eines geschichtlichen oder völkerkundlichen Werts - nämlich des charakteristischen Entwicklungsschritts (technische oder äußere stilmäßige Elemente) - erklärt. Insoweit habe es das FG unterlassen, eine Sachverständigenäußerung gerade zu dieser wesentlichen Teilfrage einzuholen. Das FG habe nicht angegeben, welche Tatsachen den maßgebenden Wert begründeten und welche Erkenntnisse dazu geführt hätten, der eingeführten Uhr diesen Wert beizumessen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG konnte aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangen, daß die eingeführte Uhr ein nach § 12 Abs. 2 Nr. 1, Anlage Nr. 47 des Umsatzsteuergesetzes 1980 in Verbindung mit Tarifnr. 99.05 des gemeinsamen Zolltarifs (GZT) steuerermäßigtes Sammlungsstück von geschichtlichem Wert ist. Die Feststellungen des FG sind für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), denn die Verfahrenssrüge des HZA greift nicht durch. Auch die Sachrüge ist nicht begründet.

Der Umstand, daß die Uhr an sich die Voraussetzungen für eine Zuweisung zu Tarifnr. 99.06 - Antiquitäten, mehr als 100 Jahre alt - erfüllt, steht der Anwendung der Tarifnr. 99.05 GZT - Sammlungsstücke von geschichtlichem Wert - nicht entgegen. Das ergibt sich aus dem Vorrang der Tarifnr. 99.05 (vgl. Vorschrift 4b zu Kapitel 99 GZT). Nach den Feststellungen der Vorinstanz kann davon ausgegangen werden, daß diese Tarifnummer anwendbar ist.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die zolltariflichen Erfordernisse für die Anerkennung als Sammlungsstück (zu ihnen Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 10. Oktober 1985 Rs. 200/84 - Oldtimer - und Rs. 252/84 - Pistolen -, EuGHE 1985, 3377, 3382 f. und 3388, 3392 f.; Senat, Urteile vom 29. Oktober 1986 VII R 110/82, BFHE 148, 90, 92, vom 2. April 1987 VII R 105/84, BFHE 150, 97, und vom 20. Oktober 1987 VII K 16, 21-23/87, BFHE 151, 266) vorliegen. Daß dieses Sammlungsstück auch den erforderlichen (geschichtlichen) Wert aufweist, hat das FG beanstandungsfrei entschieden.

Entgegen der Annahme der Revision hat das FG seine Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht verletzt. Das HZA hat - wiewohl fachkundig beraten - keinen Beweisantrag gestellt, den das FG übergangen hätte. Selbst in der mündlichen Verhandlung, also zu einem Zeitpunkt, als die vom FG verwertete Äußerung des D bereits vorlag, ist ein Beweisantrag des HZA zur Frage des geschichtlichen oder völkerkundlichen Werts der Uhr unterblieben. Auch von Amts wegen brauchte das FG die vom HZA vermißte sachverständige Äußerung nicht einzuholen. Die Entscheidung über die Hinzuziehung von Sachverständigen steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts; die Nichteinholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens stellt sich nur dann als Verletzung der Aufklärungspflicht dar, wenn sich das Erfordernis einer (weiteren) Begutachtung dem Gericht aufdrängen mußte (vgl. Gräber, FGO, 1977, § 76 Anm. 2; Gräber/von Groll, FGO, 2. Aufl. 1987, § 76 Anm. 22 mit Nachweisen). Ein solcher Fall war hier nicht gegeben.

Das FG hat sich der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeschlossen, nach der ein Sammlungsstück mit Bezug zu den menschlichen Errungenschaften - einschließlich derjenigen auf dem Gebiet der Technik - von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert im Sinne der Tarifnr. 99.05 GZT sein kann, wenn es einen charakteristischen Schritt in der Entwicklung der menschlichen Errungenschaften dokumentiert oder einen Abschnitt dieser Entwicklung veranschaulicht (vgl. EuGH in EuGHE 1985, 3377, 3383 und 3388, 3394). Es ist davon ausgegangen, daß ein ,,charakteristischer Schritt" auch in der technischen Entwicklung eines Gegenstandes verkörpert sein kann, und hat das Vorliegen dieser Voraussetzung im Streitfalle bejaht. Der rechtliche Ausgangspunkt des FG ist, bezogen auf technische - (kunst) handwerkliche - Gegenstände, zutreffend. Das FG hat den Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen die Uhr sich als Zeugnis eines ,,charakteristischen Schrittes" darstellt - Bornholmer Uhren im 18. Jahrhundert - und es damit an der vom HZA vermißten Präzisierung nicht fehlen lassen. Seine Folgerung, die Uhr erfülle die Voraussetzungen eines Sammlungsstücks von geschichtlichem oder völkerkundlichem Wert, ist nachvollziehbar, auch wenn berücksichtigt wird, daß bei einem technischen Gegenstand nicht jede Neu- oder Weiterentwicklung notwendig einen ,,charakteristischen Schritt" verkörpert (Senat in BFHE 148, 90, 94 - Oldtimer -). Das FG hat sich für seine Folgerung darauf berufen, daß die Uhr den hohen Entwicklungsstand des Bornholmer Uhrmacherhandwerks im 18. Jahrhundert veranschauliche, und dies mit der Museumseignung der Uhr, der Äußerung des D (,,bemerkenswerter Zweig der Uhrmacherkunst") und der Darstellung von Arboe-Uhren im Fachschrifttum begründet. Auch diese Beweiswürdigung gehört zur Tatsachenfeststellung, die den Senat bindet, weil sie möglich ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Anm. 23, 29, 40). Die Beweiswürdigung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Museumseignung für sich noch nicht belegt, daß es sich um ein Sammlungsstück von . . . Wert im zolltariflichen Sinne handelt (Senat in BFHE 151, 266, 269 - Fossilien -). Im Einzelfall kann - revisionsrechtlich unangreifbar - aus der Einstellung entsprechender Stücke in wissenschaftliche Sammlungen öffentlicher Museen der Schluß auf den für die Anwendung der Tarifnr. 99.05 GZT erforderlichen Wert eines entsprechenden Gegenstandes gezogen werden (vgl. auch die - nur die Verwaltung bindende - Dienstanweisung in Vorschriftensammlung Bundesfinanzverwaltung Z 8212-1 Abs. 95 Nr. 2). Abgesehen davon hat das FG weitere ,,Beweisanzeichen" berücksichtigt, die seine Würdigung stützen. Jedenfalls in ihrer Gesamtheit sind die vom FG festgestellten Merkmale und Umstände und ihre Bewertung geeignet, die Zuweisung der Uhr zu Tarifnr. 99.05 GZT zu begründen. Weitere Feststellungen - etwa über technische oder äußere stilmäßige Elemente der Uhr - waren dazu im Gegensatz zur Meinung der Revision nicht erforderlich, auch nicht die Einholung einer weiteren Äußerung des D oder eines anderen Sachverständigengutachtens.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416155

BFH/NV 1989, 475

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