Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Umsatzsteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob Zuschüsse für Zahnersatz, die zunächst gem. § 4 Ziff. 11 UStG als steuerfrei behandelt waren, nach Bekanntwerden des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. Juli 1954 (Slg. Bd. 59 S. 157, BStBl 1954 III S. 269) noch gem. § 222 AO durch Berichtigungsveranlagung zur Umsatzsteuer herangezogen werden können.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1, § 222/2; UStG § 4 Ziff. 11

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) hat in seinen Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1950 bis 1953 steuerfreie Beträge gemäß § 4 Ziff. 11 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) aus Kassenpraxis geltend gemacht. In diesen als steuerfrei geltend gemachten Beträgen waren, ohne daß dies aus den Erklärungen ersichtlich war, auch Zuschüsse von Krankenkassen für Zahnersatz enthalten. Das Finanzamt hat den Bf. nach seinen Erklärungen veranlagt (1950) bzw. die Umsatzsteuer (1951 bis 1953), da der Bf. auf einen Steuerbescheid und auf die Einlegung von Rechtsmitteln verzichtet hatte, seinen Angaben entsprechend festgesetzt und zum Soll gestellt. Die Umsatzsteuern 1950 bis 1953 waren rechtskräftig geworden.

Durch eine Betriebsprüfung am 6. und 7. September 1955 wurde die Tatsache festgestellt, daß in den gemäß § 4 Ziff. 11 UStG als steuerfrei geltend gemachten Beträgen auch Zuschüsse von Krankenkassen für Zahnersatz enthalten waren.

Das Finanzamt hat die auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuern 1950 bis 1953 durch Berichtigungsveranlagungen gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) nachgefordert, weil sie nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs V 25/52 S vom 22. Juli 1954 (Slg. Bd. 59 S. 157, Bundessteuerblatt - BStBl - 1954 III S. 269) nicht steuerfrei sind.

 

Entscheidungsgründe

Der Einspruch war erfolglos; ebenso die Berufung. Auch der Rechtsbeschwerde (Rb.) war der Erfolg zu versagen.

Streitig ist allein, ob das Finanzamt gemäß § 222 AO berechtigt war, die nichtversteuerten Zuschüsse zum Zahnersatz durch Berichtigungsveranlagungen nachzufordern. Dies haben die Vorinstanzen zu Recht bejaht.

§ 222 Abs. 2 AO hindert im Streitfalle die Berichtigungsveranlagungen darum nicht, weil das Finanzamt die Berichtigung nicht auf eine Entscheidung gestützt hat, in der eine geänderte höchstrichterliche Rechtsauffassung ausgesprochen wäre; vielmehr hat das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. Juli 1954 nur den Rechtsstandpunkt des Urteils des Reichsfinanzhofs V 175/39 vom 3. Januar 1941 (Reichssteuerblatt - RStBl - 1942 S. 484), daß die Kassenzuschüsse zum Zahnersatz nicht steuerfrei seien, bestätigt.

Die Berichtigungsveranlagungen waren nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zulässig, weil die Tatsache, daß der Bf. auch die Zahnersatzzuschüsse in seinen Umsatzsteuererklärungen für 1950 bis 1953 als steuerfrei gemäß § 4 Ziff. 11 UStG erklärt hatte, dem Finanzamt erst durch die Betriebsprüfung bekannt geworden ist; denn aus den Erklärungen des Bf. ergab sich diese Tatsache nicht. Dem Finanzamt war bei der Veranlagung 1950 und den Steuerfestsetzungen 1951 bis 1953 allerdings bekannt, daß der Bf. Kassenpraxis ausübte. Das folgt daraus, daß der Bf. ab 1950 sich für die geltend gemachte Steuerfreiheit auf § 4 Ziff. 11 UStG berufen hat. Es ergab sich hieraus für das Finanzamt aber lediglich die Vermutung, daß wahrscheinlich ein Teil der Einnahmen 1950 bis 1953 des Bf. aus Zuschüssen der Krankenkassen für Zahnersatz bestanden haben werde, wenn auch weder die Tatsache noch die Höhe solcher Beträge aus den Steuererklärungen ersichtlich war. Es fragt sich aber, ob das Finanzamt aus einer solchen Vermutung zur Zeit der Festsetzung der Steuerbeträge logischerweise folgern mußte, daß etwaige Kassen zuschüsse für Zahnersatz in den vom Bf. als gemäß § 4 Ziff. 11 UStG steuerfrei erklärten Beträgen enthalten seien, oder ob es auch der Meinung sein konnte, dies sei nicht der Fall. Nach Auffassung des Senats war das letztere zur damaligen Zeit durchaus möglich. Der Reichsfinanzhof hatte im Urteil V 175/39 vom 3. Januar 1941 (RStBl 1942 S. 484) ausgesprochen, daß Zuschüsse der Krankenkassen zum Zahnersatz nicht nach § 4 Ziff. 11 UStG 1934 umsatzsteuerfrei sind. Hieran hat das UStG 1951 nichts geändert. In diese für Rechtsprechung und Verwaltungspraxis klare Lage hat erst das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 30. Oktober 1951 (FG I 77/51) Unklarheit hineingebracht, indem es das vorgenannte Urteil des Reichsfinanzhofs zu Unrecht als überholt ansah, weil sich die Rechtslage durch den Prothetikvertrag vom 14. Juni 1949 geändert habe. Diese rechtsirrige Auffassung ist durch den Bescheid des erkennenden Senats vom 26. Mai 1954 und anschließend durch das Urteil in gleicher Sache V 25/52 S vom 22. Juli 1954 (Slg. Bd. 59 S. 157, BStBl 1954 III S. 269) beseitigt und die Rechtslage im Sinne des Urteils des Reichsfinanzhofs vom 3. Januar 1941 wieder klargestellt worden. Hiernach ergibt sich, daß das Finanzamt bei der Steuerfestsetzung für die streitigen Steuerabschnitte durchaus nicht annehmen mußte, der Bf. habe solche Zuschüsse vereinnahmt und als steuerfrei behandelt. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Finanzamt gemäß § 204 AO verpflichtet gewesen wäre, die Frage, ob der Bf. Zahnersatzzuschüsse von Krankenkassen vereinnahmt und bejahendenfalls die Zuschüsse als steuerfrei behandelt habe, vor der Steuerfestsetzung zu klären. Selbst wenn man dies bejahen wollte, hat doch die unterlassene Aufklärung nicht die Wirkung, daß dem Finanzamt eine ungewisse Tatsache als bekannt unterstellt werden könnte. Demnach ist dem Finanzamt die Tatsache, daß der Bf. Zahnersatzzuschüsse vereinnahmt und sie in seinen Umsatzsteuererklärungen 1950 bis 1953 als steuerfrei behandelt hat, erst durch die Betriebsprüfung zweifelsfrei bekannt geworden. Das Finanzamt war demnach gemäß § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO zum Erlaß der berichtigten Steuerbescheide berechtigt.

Die Rb. war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 307 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408637

BStBl III 1957, 61

BFHE 64, 162

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