Leitsatz (amtlich)

Ist bei einer GmbH kein Gesellschafter vorhanden, der aufgrund seines Geschäftsanteils allein die Mehrheit der Stimmen für die Beschlußfassung in der Gesellschafterversammlung besitzt, so kann auch ein Gesellschafter mit einem Geschäftsanteil von rd. 18 v. H. nicht ohne Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft sein (Anschluß an Urteil vom 23. Juli 1976 III R 79/74, BFHE 119, 496, BStBl II 1976, 706).

 

Normenkette

BewG 1965 § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war an den Feststellungszeitpunkten 31. Dezember 1966, 31. Dezember 1967, 31. Dezember 1968 und 31. Dezember 1971 mit 18,67 v. H. am Stammkapital der GmbH beteiligt. Neben dem Kläger hatte diese GmbH noch acht weitere Gesellschafter. Die Beteiligungsverhältnisse stellten sich zu den einzelnen Feststellungszeitpunkten wie folgt dar:

31. Dezember 31. Dezember 1967,

1966 1968 und 1971

Gesellschafter 1: 34,47 v. H. 27,13 v. H.

Gesellschafter 2:

= Vater des Klägers 34,39 v. H. 34,39 v. H.

Gesellschafter 3:

der Kläger 18,67 v. H. 18,67 v. H.

Gesellschafter 4: 0,51 v. H. 7,85 v. H.

Gesellschafter 5: 5,63 v. H. 5,63 v. H.

Gesellschafter 6: 3,58 v. H. 3,58 v. H.

Gesellschafter 7: 1,79 v. H. 1,79 v. H.

Gesellschafter 8: 0,77 v. H. 0,77 v. H.

Gesellschafter 9: 0,19 v. H. 0,19 v. H.

100,00 v. H. 100,00 v. H.

Geschäftsführer der GmbH ist der Gesellschafter 4. Dem Aufsichtsrat der GmbH gehören neben zwei Vertretern des Gesellschafters 1 die Gesellschafter 2 und 7 an, letzterer als Vorsitzender, Herr X und seit 1967 auch der Kläger. Dem Aufsichtsrat obliegt u. a. die Feststellung des Jahresabschlusses, die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer sowie die Zustimmung zu bestimmten Handlungen der Geschäftsführer. Die Gesellschafterversammlung beschließt über die Änderung des Gesellschaftsvertrags, die Auflösung der GmbH, die Verwendung des Reingewinns, die Bestellung, Abberufung und Entlastung des Aufsichtsrats, die Bestellung von Wirtschaftsprüfern und die Entlastung der Geschäftsführung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den gemeinen Wert der Anteile an der GmbH für je 100 DM Stammkapital wie folgt fest:

31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember 31. Dezember

1966 1967 1968 1971

Für Gesellschafter 1, 2

und den Kläger 350 DM 357 DM 234 DM 342 DM

für die Gesellschafter 4 mit 9 280 DM 285 DM 210 DM 304 DM

Das FA behandelte somit die Beteiligung des Klägers als eine solche, die nicht ohne Einfluß auf die Geschäftsführung sei. Der Kläger ist dagegen der Meinung, seine Beteiligung gewähre keinen Einfluß auf die Geschäftsführung.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

Mit der Revision beantragt der Kläger, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und den Wert seiner Anteile für je 100 DM Stammkapital niedriger festzustellen.

Der Kläger rügt, das Finanzgericht (FG) habe verkannt, daß der gemeine Wert seiner Anteile niedriger sei als der der Anteile mit Beteiligungscharakter; denn im Veräußerungsfalle könnte er nicht den Preis erzielen, den die Hauptgesellschafter 1 und 2 erzielen würden. Die Entscheidung der Frage, ob Anteile an einer GmbH Einfluß auf die Geschäftsführung hätten, müsse danach getroffen werden, ob für einen bestimmten Anteilsbesitz ein höherer Preis zu erzielen sei als für einen Anteilsbesitz mit geringerer Beteiligung Gehe man hiervon aus, so könnte ein bestimmter Anteilsbesitz nur dann höher bewertet werden als andere Beteiligungen, wenn er die Macht verleihe, unliebsame Entscheidungen durch die Gesellschafterversammlung zu verhindern und eigene Zielvorstellungen durchzusetzen. Letzten Endes müsse der Anteil seinem Besitzer eine gewisse Beherrschung der Gesellschaft ermöglichen. Diese Möglichkeit sei nicht einmal dann gegeben, wenn der Anteilsbesitzer eine Sperrminorität habe. Könne aber mit Hilfe einer Sperrminorität kein Einfluß auf die Geschäftsführung ausgeübt werden, so sei dies bei einer Beteiligung von weniger als 25 v. H. überhaupt nicht möglich.

Die Revision rügt weiter, das FG habe die Verhältnisse des Einzelfalles nicht berücksichtigt. Es habe insbesondere nicht untersucht, in welchem Umfang die Befugnisse der Gesellschafterversammlung auf den Aufsichtsrat übertragen worden seien. Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags der GmbH sei der Gesellschafterversammlung jede Einflußnahme auf die Geschäftsführung entzogen; was ihr belassen wurde, sei unwesentlich und habe nur formalen Charakter. Die Tatsache, daß der Kläger dem Aufsichtsrat angehöre, ändere daran nichts, daß ihm seine Beteiligung an der GmbH keinen Einfluß auf deren Geschäftsführung vermittle. Im übrigen habe seine Eigenschaft, Aufsichtsrat zu sein, als persönlicher Umstand bei der Bewertung außer Betracht zu bleiben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Für den Geschäftsanteil des Klägers an der GmbH ist der gemeine Wert festzustellen. Verkäufe, aus denen dieser Wert abgeleitet werden könnte, liegen nicht vor; deshalb ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der GmbH zu schätzen (§ 11 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes - BewG -).

Es entspricht der Lebenserfahrung, daß der Wert der Anteile an einer Kapitalgesellschaft von den Möglichkeiten der Einflußnahme auf die Geschäftspolitik der Gesellschaft abhängt. Hieraus folgt, daß der gemeine Wert einer Beteiligung, die Einfluß auf die Geschäftsführung vermittelt, grundsätzlich höher ist als der Wert von Anteilen, die keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren. Deshalb hat der Senat mit Urteil vom 23. Juli 1976 III R 79/74 (BFHE 119, 496, BStBl II 1976, 706) entschieden, daß die Verwaltungsanweisung in Abschn. 80 der Vermögensteuer-Richtlinien (VStR) der durch die §§ 9 und 11 Abs. 2 BewG gegebenen Rechtslage entspricht. Nach dieser für die Gerichte nicht verbindlichen Anweisung wird bei der Schätzung des gemeinen Werts von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft der Umstand, daß sie keinen Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren, durch einen erhöhten Abschlag vom Vermögenswert berücksichtigt und weiter dadurch, daß bei der Ermittlung des Ertragshundertsatzes nicht auf die ausschüttungsfähigen Erträge der Gesellschaft, sondern auf die tatsächlich ausgeschütteten Dividenden abgestellt wird. Der Senat hat in der Entscheidung III R 79/74 weiter klargestellt, daß als Geschäftsführung im vorstehenden Sinn nicht die Willensbildung der Vertretungsorgane der Gesellschaft und das Auftreten nach außen verstanden werden könne, sondern die Mitwirkung in dem Organ, in dem die Gesellschafter ihre Rechte in Angelegenheiten der Gesellschaft ausüben; das ist bei der GmbH die Gesellschafterversammlung (§§ 45, 46 ff. des Gesetzes betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung - GmbHG -).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind für die Entscheidung, ob eine Beteiligung Einfluß auf die Geschäftsführung in dem oben dargestellten Sinn gewährt, die Verhältnisse des Einzelfalles maßgebend (vgl. Urteil vom 24. Januar 1975 III R 4/73, BFHE 115, 58, BStBl II 1975, 374). Dabei können jedoch nur solche Verhältnisse berücksichtigt werden, die die Beschaffenheit der Beteiligung kennzeichnen und damit den gemeinen Wert im Sinne des § 9 Abs. 2 BewG beeinflussen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse müssen außer Betracht bleiben

a) Die Beschaffenheit eines Geschäftsanteils an einer GmbH wird einerseits durch die Rechte bestimmt, die mit dem Anteil objektiv verbunden sind und andererseits durch die Beteiligungsverhältnisse, die an der konkreten Gesellschaft bestehen. Einflußmöglichkeiten, die über die quotenmäßige Beteiligung hinaus bestehen, aber dem Geschäftsanteil nicht anhaften, müssen aufgrund der Begriffsbestimmung des gemeinen Werts in § 9 Abs. 2 BewG außer Betracht bleiben. Deshalb kann entgegen der Auffassung des Klägers bei der Schätzung des gemeinen Werts eines Geschäftsanteils im Rahmen des § 11 Abs. 2 BewG nicht berücksichtigt werden, ob der konkrete Inhaber dieses Anteils in gutem Einvernehmen mit anderen Gesellschaftern steht und deshalb durch Absprachen über die Stimmrechtausübung seinen Einfluß erhöhen kann oder ob dies nicht der Fall ist. Auch muß unberücksichtigt bleiben, ob andere Gesellschafter Absprachen über die Stimmrechtausübung getroffen haben und damit einen dritten Gesellschafter in eine Stellung zurückdrängen können, die seiner quotenmäßigen Beteiligung nicht gerecht wird. § 9 Abs. 2 BewG schließt es auch aus, daß aus der Persönlichkeit des Inhabers eines bestimmten Geschäftsanteils Schlüsse gezogen werden, ob ein bestimmter anderer Inhaber eines Geschäftsanteils Einfluß oder keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft haben kann. Der Senat räumt allerdings ein, daß solche persönlichen Verhältnisse im Verkaufsfall neben objektiven Verhältnissen des Geschäftsanteils unabgrenzbar und unausscheidbar in die Bemessung des Kaufpreises eingehen können, der nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG der primäre Bewertungsmaßstab für nichtnotierte Anteile an Kapitalgesellschaften ist. Liegt jedoch, wie im Streitfall, ein solcher Verkaufspreis nicht vor, so können für die Schätzung des gemeinen Werts nur objektive Umstände der Beschaffenheit des Anteils berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber will damit ausschließen, daß für diese Schätzung in die persönlichen Verhältnisse der Gesellschafter eingedrungen werden muß. Er gibt damit einer generellen, weil objektivierbaren Gerechtigkeit, der sog. Typengerechtigkeit, den Vorrang vor einer individuellen Gerechtigkeit, die in einem Massenbewertungsverfahren nicht allgemein durchgesetzt werden könnte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - III R 4/73 mit weiteren Nachweisen). Damit ist es entgegen der Meinung des Klägers nicht möglich, bei der Schätzung des gemeinen Werts von Geschäftsanteilen an einer GmbH dem tatsächlichen Prozeß der Entscheidungsbildung in der Gesellschaft nachzugehen und dabei die tatsächliche Stimmrechtausübung durch die Gesellschafter in der Zeit vor dem Bewertungsstichtag zu berücksichtigen.

b) Die GmbH, an der der Kläger mit 18,67 v. H. beteiligt ist, hat keinen Gesellschafter, der einen Geschäftsanteil von mehr als 50 v. H. des Stammkapitals besitzt. Damit ist kein Gesellschafter vorhanden, der seine Zielvorstellungen in der Gesellschaftspolitik allein durchsetzen könnte (vgl. § 47 GmbHG). Die für die Beschlußfassung erforderliche Mehrheit der Stimmen kann nur durch Abstimmung der Interessen mehrerer Gesellschafter erreicht werden. Der Senat verkennt nicht, daß sich zunächst wohl die beiden Hauptgesellschafter 1 und 2, die 1966 rund 69 v. H. der Stimmen und ab 1967 immerhin noch rund 62 v. H. der Stimmen aufbrachten, über die Gesellschaftspolitik verständigen werden. Eine Einigung dieser beiden Gesellschafter wäre aber nur dann stets erforderlich, wenn der Rest des Stammkapitals aus Streubesitz bestehen würde, so daß eine andere Mehrheitsbildung praktisch nicht möglich erschiene. Hier wird bedeutsam, daß neben den beiden Hauptgesellschaftern noch ein dritter Gesellschafter vorhanden ist, nämlich der Kläger, mit dem auf die Dauer jedenfalls der Gesellschafter 2, aber auch die Gesellschafter 1 und 4 ihre Geschäftspolitik verwirklichen könnten. Hinzu kommt, daß der Gesellschafter 1 sich ohne den Kläger gegen den Gesellschafter 2 überhaupt nicht durchsetzen könnte. Außerdem kam ab 1967 für eine Beschlußfassung, die einer 3/4-Mehrheit der Stimmen bedarf, nur der Kläger als ernsthafter Partner für eine Absprache über die Stimmrechtausübung in Betracht. Hieraus folgt, daß der Kläger aufgrund der Höhe seiner Beteiligung und unter Berücksichtigung der Höhe der Beteiligungen der übrigen Gesellschafter sich in Fragen der Gesellschaftspolitik Gehör verschaffen und deshalb nicht als Inhaber eines Anteils angesehen werden kann, der keinen Einfluß auf die Geschäftsführung vermittelt. Der Senat stimmt dem Kläger durchaus zu, daß eine ähnliche Sachlage auch bei einer aus drei Gesellschaftern bestehenden GmbH für einen Zwerganteilsbesitzer mit 2 v. H. Geschäftsanteil entstehen könnte, wenn die beiden weiteren Gesellschafter je 49 v. H. Geschäftsanteil halten. Indessen verbietet es hier die absolute Höhe der Beteiligung, einen Geschäftsanteil von 2 v. H. als einen solchen anzusehen, der nicht ohne Einfluß auf die Geschäftsführung ist.

Das FG hat zu Recht auf die dem Geschäftsanteil des Klägers anhaftende objektivierte Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung abgestellt, während alle übrigen Überlegungen (z. B. soziale und psychologische Komponenten, Vorbildung, Mentalität, Engagement der Anteilsinhaber und ihre persönliche Stellung in der Gesellschaft) als subjektive Umstände des Einzelfalles, die zudem nur schwer oder gar nicht feststellbar wären, aus den oben dargelegten Gründen für die bewertungsrechtliche Anteilsbewertung außer Betracht bleiben müssen (vgl. auch Bierle, Die steuerliche Anteilsbewertung S. 169).

3. Der Kläger macht geltend, die Gesellschafter und insbesondere er selbst hätten deshalb keinen Einfluß auf die Geschäftsführung der Gesellschaft, weil wichtige Aufgaben, die üblicherweise von der Gesellschafterversammlung wahrgenommen werden (wie z. B. die Feststellung des Gewinns und die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer), bei der GmbH aufgrund des Gesellschaftsvertrags dem Aufsichtsrat zugewiesen seien. Dieser Einwand greift indessen nicht durch; denn die Mitglieder des Aufsichtsrats werden durch die Gesellschafterversammlung berufen (§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 101 des Aktiengesetzes), so daß jeder Gesellschafter mit dem Stimmgewicht, das er bei der Abstimmung in der Gesellschaftsversammlung aufgrund seiner Beteiligung schlechthin hat, auch auf die Besetzung des Aufsichtsrats Einfluß nehmen kann. Daß der Kläger auf die Bildung des Aufsichtsrats Einfluß gehabt haben muß, beweist seine Berufung in dieses Gremium. In dem aus sechs Personen bestehenden Aufsichtsrat hat keiner der Gesellschafter die Mehrheit, so daß kein Gesellschafter seine Vorstellungen allein durchsetzen kann. Der Kläger ist im Aufsichtsrat bei einer von sechs Stimmen quotal mit 16,67 v. H. vertreten; dies entspricht in etwa einer Beteiligung am Stammkapital der GmbH von 18,67 v. H. Hinzu kommt aber noch, daß die Gesellschafter 1 und 2, die in der Gesellschafterversammlung zusammen immerhin die Mehrheit der Stimmen haben, im Aufsichtsrat nur 50 v. H. der Stimmen aufbringen und damit ohne Abstimmung mit einem weiteren Aufsichtsratmitglied ihre Vorstellungen nicht durchsetzen können. Schon allein daraus ergibt sich, daß der Wert der Beteiligung des Klägers an der GmbH nicht dadurch gemindert sein kann, daß die Gesellschaft einen fakultativen Aufsichtsrat hat, durch den die Gesellschafterversammlung gegenüber der gesetzlichen Regelung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung in ihren Rechten beschränkt wird. Es ist damit kein Mangel des finanzgerichtlichen Urteils, daß es sich nicht näher mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob durch die Gestaltung des Aufsichtsrats der GmbH der Geschäftsanteil des Klägers in seinem Wert gemindert werde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72936

BStBl II 1979, 6

BFHE 1979, 66

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