Leitsatz (amtlich)

Die Beteiligung eines Energieversorgungsunternehmens an einem anderen Energieversorgungsunternehmen dient auch dann nicht unmittelbar der Erzeugung, Lieferung oder Verteilung von Strom, wenn sie einen entscheidenden Einfluß auf das Beteiligungsunternehmen ermöglicht.

 

Normenkette

BewG 1965 § 117 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen (EVU) im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes vom 13. Dezember 1935 (RGBl I 1935, 1451), das in Form der AG betrieben wird. Die Anteile an der Klägerin befinden sich ausschließlich im Eigentum öffentlich-rechtlicher Gebietskörperschaften.

Die Klägerin besaß am 1. Januar 1966 eine Beteiligung an der X-AG mit einem Stimmrecht in Höhe von 17 v. H. Der Klägerin stehen aufgrund von Pool- und Konsortialverträgen mit den beiden Hauptaktionären besondere Mitwirkungsrechte in den Organen dieser Gesellschaft zu.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) rechnete bei der Vermögensteuer-Veranlagung zum 1. Januar 1966 u. a. diese Beteiligung nicht dem unmittelbar der Stromversorgung dienenden Vermögen zu.

Der Einspruch war insoweit erfolglos.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Seine Entscheidung ist in den EFG 1972, 55 abgedruckt.

Die Revision der Klägerin rügt, das FG habe zu Unrecht entschieden, daß das Beteiligungsvermögen eines EVU nicht unmittelbar der öffentlichen Energieversorgung diene. Es sei verfehlt, aus dem Wort "unmittelbar" in § 117 BewG 1965 die Notwendigkeit einer rechtlichen Beziehung zwischen dem Vermögensinhaber und den der Stromerzeugung dienenden Anlagen herzuleiten. Denn die aus elektrizitätswirtschaftlichen Gründen erworbene Beteiligung an einem EVU als solche diene unmittelbar den begünstigten Zwecken. § 117 BewG 1965 habe den wirtschaftspolitischen Sinn, all diejenigen zu begünstigen, die im Rahmen des von ihnen verfolgten Geschäftszwecks ihr Kapital gezielt und gebunden für die öffentliche Versorgung einsetzen, damit die Energiepreise niedrig gehalten werden können. Die Besorgnis des FG, die Auffassung der Klägerin könnte dazu führen, daß jeder Aktionär eines EVU mit seinem Anteil die Begünstigung des § 117 BewG 1965 genieße, sei nicht berechtigt, denn zwischen einem Kapitalanleger und einem Unternehmen wie dem der Klägerin gebe es genügend Abgrenzungsmerkmale. So handle es sich z. B. bei den streitigen Aktien um solche, die im freien Handel überhaupt nicht erhältlich seien.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und (sinngemäß) den Anteilsbesitz als begünstigtes Vermögen im Sinne des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 zu behandeln.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

1. Gewerbebetriebe von Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts, mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten, waren bis zum 31. Dezember 1961 von der Vermögensteuer subjektiv befreit. Dieses Vermögensteuer-Privileg galt ungeachtet der Rechtsform, in der diese Unternehmen betrieben wurden. Bei Unternehmen, die in der Form einer Körperschaft betrieben wurden, mußten die Anteile ausschließlich im Eigentum der öffentlichen Hand stehen (vgl. § 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 3 VStG in der bis zum 31. Dezember 1961 geltenden Fassung).

Aufgrund einer Initiative von Abgeordneten des Deutschen Bundestages wurde das Vermögensteuer-Privileg der Gewerbebetriebe im Eigentum der öffentlichen Hand durch das StÄndG 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, BStBl I 1961, 444) aus Gründen des Wettbewerbs mit gemischtwirtschaftlichen Betrieben und der Privatwirtschaft eingeschränkt (vgl. den Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses des Bundestags vom 28. April 1961 zu Bundestagsdrucksache 2706, S. 9 Nr. 56). Gesetzestechnisch erfolgte diese Einschränkung in der Weise, daß alle Gewerbebetriebe von juristischen Personen des öffentlichen Rechts der Vermögensteuer unterworfen wurden und solche Gruppen von Unternehmen der öffentlichen Hand, die unbeschadet ihres gewerblichen Charakters vermögensteuerfrei bleiben sollten, in einem besonderen Befreiungskatalog aufgeführt wurden (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. g in Verbindung mit § 3a VStG in der Fassung des Art. 11 Nr. 1 und 3 StÄndG 1961). In den Beratungen des Bundestags kam zum Ausdruck, daß damit das Wettbewerbsproblem zwischen Gewerbebetrieben der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft nicht gelöst, sondern nur gemildert sei. Dies geht auch aus dem Einleitungssatz des § 3a VStG hervor, in dem, für die Gesetzessprache ungewöhnlich, davon die Rede ist, daß die durch diese Vorschrift angeordnete Vermögensteuer-Befreiung "bis auf weiteres" gelte. Nach § 3a Nr. 3 VStG 1961 waren u. a. bis auf weiteres Betriebe im Eigentum von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften mit dem Vermögen von der Vermögensteuer befreit, "das der öffentlichen Versorgung mit ... Strom" diente.

Aus der Mitte des Bundestages erfolgte bald eine erneute Initiative zur Herstellung der völligen Wettbewerbsgleichheit zwischen Gewerbebetrieben der öffentlichen Hand und der Privatwirtschaft, und zwar im Zusammenhang mit einer Änderung des UStG (s. Antrag vom 4. März 1964, Bundestagsdrucksache IV/2012; Entwurf vom 22. Dezember 1964, Bundestagsdrucksache IV/2874 und Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses vom 19. Januar 1965 zu Bundestagsdrucksache IV/2874 in Verbindung mit dem Schriftlichen Bericht von demselben Tag zu Bundestagsdrucksache IV/2873). Das Ziel war, auf dem Gebiet der Energieversorgung eine gleichheitliche steuerliche Belastung der öffentlich-rechtlichen, der gemischtwirtschaftlichen und der privaten Unternehmen herzustellen. Für die Vermögensbesteuerung wurde dies dadurch erreicht, daß § 73c durch das Gesetz zur Änderung des BewG und des VStG vom 24. März 1965 (BGBl I 1965, 153, BStBl I 1965, 102) in das BewG 1965 eingefügt und die Befreiungsvorschrift des § 3a Nr. 3 VStG in der Fassung des StÄndG 1961 gestrichen wurde. § 73c BewG 1965 wurde als § 117 unverändert in das BewG 1965 übernommen.

Diese Entstehungsgeschichte erscheint dem Senat für das Verständnis der auf den vorliegenden Streitfall anzuwendenden Vorschrift des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 deshalb von Bedeutung, weil sie zeigt, daß durch das Gesetz vom 24. März 1965 (a. a. O.) das Vermögensteuerprivileg der öffentlichen Hand u. a. auf dem Gebiet der Energieversorgung endgültig beseitigt und dafür eine allgemeine Begünstigungsvorschrift für bestimmtes der Energieversorgung dienendes Vermögen geschaffen wurde. Die Regelung des § 117 BewG 1965 ist zwar zeitlich das Ende einer Entwicklung, die auf ein bestimmtes Ziel gerichtet war; sachlich stellt sie eine völlig neue Begünstigungsvorschrift dar, die nicht im Zusammenhang mit dem bis dahin bestehenden zunächst umfassenden und später eingeschränkten Vermögensteuerprivileg der Gewerbebetriebe der öffentlichen Hand gesehen werden darf.

2. Nach § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 wird u. a. das Betriebsvermögen, das unmittelbar und nicht nur vorübergehend der Erzeugung, Lieferung und Verteilung von Strom zur öffentlichen Versorgung dient, nur mit 50 v. H. des Einheitswerts oder des darauf entfallenden Teils des Einheitswerts angesetzt. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob diese Vorschrift nur auf Versorgungsunternehmen anwendbar ist, was aus der Überschrift geschlossen werden könnte, oder auch auf Unternehmen, die neben einer anderen gewerblichen Tätigkeit nur nebenbei auch die öffentliche Energieversorgung betreiben. Denn die Klägerin ist eindeutig ein Energieversorgungsunternehmen. Das in der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung verkörperte Vermögen der Klägerin dient jedoch nicht unmittelbar der Stromversorgung.

Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß Äußerungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder ihrer Mitglieder über die Bedeutung einer Vorschrift unbeachtlich sind, wenn sie in dem Gesetzeswortlaut und in dem Sinnzusammenhang, in den eine Vorschrift hineingestellt ist, keinen Ausdruck finden (Entscheidungen des BVerfGE 1, 299 [312]). Der Senat hat anhand der Entstehungsgeschichte des § 117 BewG 1965 nachgewiesen, daß aus dem eingeschränkten Vermögensteuerprivileg der öffentlichen Hand, wie es für Energieversorgungsunternehmen in § 3a Nr. 3 VStG in der Fassung des StÄndG 1961 geregelt war, für den Umfang der nunmehrigen sachlichen Begünstigung von Vermögen, das unmittelbar der Energieversorgung dient, Folgerungen nicht gezogen werden können. Aus diesem Grund kann der gelegentlich der Beratung des Gesetzes vom 24. März 1965 (a. a. O.) im Bundestag erfolgten Äußerung des Abgeordneten Jacobi, er gehe davon aus, daß sich für EVU an der bisherigen Rechtslage nichts ändere (vgl. Niederschrift über die 159. Sitzung des Deutschen Bundestags vom 27. Januar 1965 S. 7847, 7848), keine rechtserhebliche Bedeutung beigemessen werden.

Die Verwendung des Wortes "unmittelbar" in § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 hat den Regelungsbereich dieser Vorschrift im Vergleich zur Befreiungsvorschrift des § 3a Nr. 3 VStG i. d. F. des StÄndG 1961 eingeengt. Der Senat stimmt der Klägerin zwar darin zu, daß eine rechtliche Bindung zwischen dem Vermögensträger und dem begünstigten Zweck dergestalt, daß der Eigentümer mit dem begünstigten Vermögen den begünstigten Zweck selbst verfolgen müsse, aus § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 nicht unbedingt herzuleiten ist. Er braucht indessen diese Frage nicht zu vertiefen, denn die Klägerin weist selbst zu Recht darauf hin, die zu entscheidende Rechtsfrage sei nicht, ob der Anteilsbesitz der Klägerin deshalb begünstigt werden müsse, weil das Vermögen der Beteiligungsgesellschaft unmittelbar der Energieversorgung dient, sondern vielmehr, ob die Klägerin mit der Beteiligung, die sie an einem anderen EVU hält, unmittelbar der Erzeugung, Lieferung und Verteilung von Strom dient.

Ein Wirtschaftsgut dient nach Auffassung des Senats nur dann dem begünstigten Zweck unmittelbar, wenn es ohne die funktionelle Zwischenschaltung anderer Vermögensgegenstände für die öffentliche Stromversorgung in der von § 117 BewG 1965 verlangten Weise eingesetzt ist. Der Senat hat allerdings für die Befreiung von Grundbesitz von der Grundsteuer entschieden, das Erfordernis der unmittelbaren Nutzung für einen begünstigten Zweck schließe nicht aus, auch unentbehrliche Hilfsmaßnahmen und Hilfsmittel in den Kreis der begünstigten Aufgaben einzubeziehen (vgl. BFH-Entscheidung III 379/60 U vom 11. Oktober 1963, BFH 77, 686 -, BStBl III 1963, 571). Diese Rechtsauffassung vertritt der Senat auch für die Anwendung des § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965. Voraussetzung für die Begünstigung von Vermögen als unentbehrliches Hilfsmittel zur Erzielung des begünstigten Zwecks ist aber, daß ohne die funktionelle Wirkung dieses Vermögens der begünstigte Zweck mit dem für die begünstigte Zielsetzung unmittelbar eingesetzten Vermögen nicht zu erreichen wäre. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß nur Vermögen begünstigt ist, ohne das die Erzeugung, Lieferung und Verteilung von Strom mit dem dafür unmittelbar eingesetzten Vermögen nicht möglich wäre. Das ist bei der Beteiligung eines Energieversorgungsunternehmens an einem anderen Energieversorgungsunternehmen oder an einem Stromabnehmer nicht der Fall. Der Senat verkennt nicht, daß gesellschaftsrechtliche Verflechtungen zwischen Betrieben derselben Erzeugerstufe oder zwischen Stromerzeugern, Stromverteilern und Stromabnehmern energiewirtschaftlich sinnvoll und vielleicht sogar notwendig sein können. Hierauf kommt es jedoch für die vermögensteuerliche Begünstigung nicht an, weil derartige Verflechtungen allenfalls mittelbar der Stromversorgung im weiteren Sinne dienen, als sie § 117 Abs. 1 Nr. 1 BewG 1965 erfaßt. Der Senat kann sich im Hinblick auf den Wortsinn dieser Vorschrift der Auffassung des FA nicht verschließen, daß die Klägerin mit dem Anteilsbesitz Strom weder unmittelbar erzeugt noch unmittelbar liefert noch unmittelbar verteilt noch daß die gesellschaftsrechtliche Verflechtung eine unentbehrliche Hilfsmaßnahme für die unmittelbar begünstigten Zwecke ist. Dies gilt auch dann, wenn der Anteilsbesitz einen entscheidenden Einfluß auf die Geschäftsführung des Unternehmens ermöglicht, an dem die Beteiligung besteht. Denn die Unmittelbarkeit der Verwendung für die begünstigten Zwecke wird auch nicht dadurch hergestellt, daß der Anteilsbesitz eine Beherrschung des Unternehmens ermöglicht, das selbst unmittelbar Strom erzeugt, liefert und verteilt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70230

BStBl II 1973, 41

BFHE 1973, 227

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