Leitsatz (amtlich)

Ein Grundstück mit nur einer Wohnung, das in nahezu gleichem räumlichen Umfang zu freiberuflichen wie zu Wohnzwecken genutzt wird, ist als Einfamilienhaus zu bewerten, wenn der Wohncharakter dem Grundstück das Gepräge gibt.

 

Normenkette

BewG 1965 § 75 Abs. 4, 5 Sätze 1, 4, § 96

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) errichteten in den Jahren 1972/1973 auf einem 1 858 m2 großen Grundstück ein Gebäude, das aus zwei annähernd gleichgroßen eingeschossigen Baukörpern besteht, die durch einen Zwischenbau miteinander verbunden sind und in stumpfem Winkel zueinander stehen. Das Gesamtgebäude, das sich von Westen nach Osten erstreckt, weist die gleiche Fassaden- und Dachgestaltung auf. Der östliche Gebäudeteil, in dem sich die Heizungsanlage mit Kamin und eine überdachte, nach Südwesten zum Garten hin offene Terrasse befinden, ist an die Hanglage angepaßt und liegt etwa 1 m höher. Auf der nördlichen Grundstücksgrenze steht neben dem Gartentor eine Doppelgarage, die ebenso wie das Gesamtgebäude voll unterkellert und die mit dem Untergeschoß des westlichen Gebäudeteils verbunden ist.

Vom Gartentor, an dem zwei elektrische Klingeln mit Sprechanlage und der Beschriftung "X ..." und "Büro" angebracht sind, gelangt man auf einem Plattenweg zum Hauseingang im Verbindungsbau. Unmittelbar hinter dem Gartentor führt rechter Hand eine Treppe in einen Lichthof des Untergeschosses. An dem Metallgeländer hängt ein Schild mit Pfeil und der Aufschrift "Büro". Ein weiterer Hinweis auf das Büro der Kläger befindet sich an dem Zaun der Südwestecke des Grundstücks. Hier sind angebracht ein weißes Schild mit der Aufschrift: "X ..., Bauingenieur und Architekt", und daneben ein größeres gelbes Schild mit der Aufschrift: "Firma X ..., technische Beratung für Wohn- und Industriebau".

Das Erdgeschoß des gesamten Gebäudes wird von der Familie der Kläger bewohnt. Im westlichen Teil liegen die Schlafräume von ca. 61 m2 sowie eine Schwimmhalle mit Vorraum von ca. 73 m2; im östlichen Teil die Wohnräume von ca. 104 m2 sowie eine überdachte Terrasse von ca. 23 m2.

Zu den Räumen des Untergeschosses führt eine Treppe rechts vom Gartentor. Sie sind über einen Lichthof erreichbar und werden überwiegend für die freiberufliche Tätigkeit des Klägers genutzt. Die freiberuflich genutzte Fläche beträgt nach den Berechnungen des Finanzgerichts (FG) 247,17 m2. Außerdem befinden sich dort noch ein Raum für die Filteranlage des Schwimmbades, der Heizraum für das Gesamtgebäude, ein Gästezimmer von ca. 16 m2 mit danebenliegender Dusche mit WC, ein Waschkeller, ein Abstellkeller und der Öllagerraum. Ein Teil der im Untergeschoß liegenden Räume erhält Licht durch Lichthöfe. Die Räume im Untergeschoß sind mit den Wohnräumen durch eine im Verbindungsbau liegende Treppe verbunden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) bewertete das Grundstück auf den 1. Januar 1973 als unbebautes Grundstück. Auch bei der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1974 (Bescheid vom 11. Januar 1974) ging das FA noch von einem unbebauten Grundstück aus. Im Januar 1976 ging jedoch beim FA eine Baufallanzeige ein, nach der die Kläger in den Jahren 1972/1973 auf dem Grundstück ein Gebäude mit Wohn- und Büroräumen errichtet hatten. Daraufhin berichtigte das FA den Bescheid nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO). Es bewertete das Grundstück als Einfamilienhaus und stellte den im Sachwertverfahren ermittelten Einheitswert auf ... DM fest. Auf den Einspruch der Kläger erhöhte es nach Hinweis auf die Möglichkeit einer Verböserung den Einheitswert auf ... DM.

Das FG wies die Klage, die sich nur gegen die Artfeststellung, nicht auch gegen die Höhe des Einheitswerts richtete, ab. Es kam nach einer Ortsbesichtigung zu dem Ergebnis, daß das Grundstück der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) über die Abgrenzung von Einfamilienhäusern und gemischtgenutzten Grundstücken als Einfamilienhaus zu beurteilen sei.

Mit der Revision tragen die Kläger vor:

1. Eine Berichtigung des Einheitswertbescheides vom 11. Januar 1974 nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO sei nicht zulässig gewesen. Das FA habe nicht erst nach Erlaß dieses Bescheids Kenntnis von der Bebauung im Feststellungszeitpunkt erlangt, sondern es sei bereits mit Schreiben vom 15. September 1973 vom Baubeginn und von der Bezugsfertigkeit des Gebäudes unterrichtet worden.

2. Das FG habe ferner einen wesentlichen Verfahrensmangel bei der Bewertung nicht berücksichtigt. In der Schlußbesprechung am 10. Februar 1976 habe der Betriebsprüfer dargelegt, daß die Bewertungsstelle das Grundstück zum 1. Januar 1974 als Einfamilienhaus bewertet habe. Die Bewertung sei jedoch erst am 14. Juni 1976 durchgeführt worden. Dabei habe sich die Bewertungsstelle an die Darlegungen des Betriebsprüfers in der Schlußbesprechung gebunden gefühlt.

3. Der Charakter des Gebäudes als Einfamilienhaus sei wesentlich beeinträchtigt, da flächenmäßig die freiberufliche Nutzung überwiege. Das FG habe sowohl die freiberuflich genutzte als auch die Wohnfläche falsch berechnet. Nach der Zweiten Berechnungsverordnung i. d. F. vom 26 Mai 1972 (BGBl I 1972, 857) betrage die Wohnfläche nicht - wie vom FG angenommen - 262 m2, sondern 255,06 m2, die freiberuflich genutzte Fläche nicht 247 m2, sondern 260,38 m2.

Sowohl nach dem äußeren Erscheinungsbild als auch nach der inneren Gestaltung weise das Grundstück keinen Einfamilienhauscharakter auf. Das äußere Erscheinungsbild werde mitgeprägt von den um das Haus gruppierten Lichthöfen, die ausschließlich für die Büroräume benötigt würden. Wegen ihrer Größe (63,03 m2) bestimmten sie auch die innere Gestaltung. Außerdem habe das FG die Beeinträchtigung des Grundstücks zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung (4. August 1977) und nicht zum Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1974 berücksichtigt. Am Bewertungsstichtag seien nämlich 15 Angestellte beschättigt gewesen, und es habe ein erheblich stärkerer Kundenverkehr als am 4. August 1977 geherrscht. Ein objektiver Betrachter habe daher zu dem Ergebnis kommen müssen, daß am Bewertungsstichtag ein gemischtgenutztes Grundstück vorgelegen habe.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und den Feststellungsbescheid aufzuheben, hilfsweise, unter Änderung des Feststellungsbescheids die Grundstücksart "gemischtgenutztes Grundstück" festzustellen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Die verfahrensrechtlichen Einwendungen gegen den Berichtigungsbescheid beruhen auf Tatsachen, die die Kläger erstmals im Revisionsverfahren vorgetragen haben. Diese Einwendungen können schon deshalb keinen Erfolg haben, weil neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden kann.

2. Ohne Rechtsirrtum ist das FG davon ausgegangen, daß das Grundstück durch die freiberufliche Mitbenutzung in seiner Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 des Bewertungsgesetzes 1965 - BewG -) und somit als Einfamilienhaus und nicht als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten ist (§ 75 Abs. 4 BewG).

a) Nach § 75 Abs. 4 BewG kann ein Grundstück nicht in die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück eingeordnet werden, wenn es die Merkmale eines Einfamilienhauses erfüllt. Einfamilienhäuser sind Wohngrundstücke, die nur eine Wohnung enthalten (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG). Auch ein Grundstück, das zu gewerblichen oder, was dem gleichsteht, zu freiberuflichen Zwecken (vgl. § 96 BewG) mitbenutzt wird, gilt als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG).

Ob die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird, ist unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu entscheiden. Unter der Verkehrsauffassung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die gerichtsbekannte Anschauung zu verstehen, die urteilsfähige und unvoreingenommene Bürger von einer Sache haben oder gewinnen, wenn sie mit ihr befaßt werden (vgl. BFH-Urteile vom 7. Dezember 1973 III R 158/72, BFHE 111, 264, BStBl II 1974, 195, und vom 23. September 1977 III R 18/77, BFHE 124, 73, BStBl II 1978, 188). Dabei ist auf das äußere Erscheinungsbild des Grundstücks und die innere Gestaltung des Gebäudes abzustellen (vgl. BFH-Urteil III R 18/77). Weiterhin ist für die Beurteilung der (personelle und räumliche) Umfang der Nutzung von Bedeutung. Eine besonders intensive freiberufliche Nutzung kann den Einfamilienhauscharakter u. U. wesentlich beeinflussen (vgl. BFH-Urteil III R 18/77). Es ist indes zu berücksichtigen, daß der Einfamilienhauscharakter eines Gebäudes durch eine Mitbenutzung für freiberufliche Zwecke grundsätzlich weniger beeinträchtigt wird als durch eine solche für gewerbliche Zwecke. Denn dem Vorstellungsbild des Staatsbürgers widerspricht es regelmäßig nicht, daß ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Architekt usw. seine Praxis bzw. sein Büro in seinem Einfamilienhaus unterhält (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1970 III R 65/68, BFHE 99, 493, BStBl II 1970, 678). Daher wird in der Regel eine freiberufliche Nutzung aus räumlicher Sicht nur dann der Beurteilung als Einfamilienhaus entgegenstehen, wenn die Nutzung als Wohnung und die freiberufliche Nutzung wenigstens gleichen Umfangs sind (vgl. BFH-Urteil III R 18/77). Wird ein Grundstück in nahezu gleichem räumlichen Umfang zu freiberuflichen wie zu Wohnzwecken benutzt, so kommt es entscheidend darauf an, ob der Wohncharakter trotz der freiberuflichen Nutzung dem Grundstück noch das Gepräge gibt (vgl. BFH-Urteil III R 18/77). Der räumliche Umfang ist kein ausschließliches Beurteilungsmerkmal, sondern nur ein Anhaltspunkt, der im Zusammenhang mit weiteren Merkmalen, insbesondere dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks und der inneren Gestaltung des Gebäudes, zu beurteilen ist.

b) Diese Grundsätze hat das FG seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Auf Grund einer Ortsbesichtigung hat es unangefochten festgestellt, daß das Grundstück sich in seiner Bebauung und Gartengestaltung nicht wesentlich von den Wohngrundstücken der Umgebung unterscheidet. Nur die Schilder an der Umzäunung, am Gartentor und am Treppengeländer ließen erkennen, daß nicht nur Wohnräume vorhanden seien. Der Charakter des Gebäudes werde von den Räumen im Erdgeschoß bestimmt. Demgegenüber träten die Büroräume auf Grund der geschickten architektonischen Gestaltung in den Hintergrund. Im Innern des Gebäudes werde dadurch, daß die Büroräume im Untergeschoß untergebracht seien und über einen eigenen Zugang verfügten, der Wohncharakter ebenfalls nicht wesentlich beeinflußt.

c) Auf Grund dieses Sachverhalts ist das FG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus durch die freiberufliche Mitbenutzung nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Soweit die Entscheidung über die Rechtsanwendung hinaus eine Würdigung des Sachverhalts enthält, läßt sie keinen Verstoß gegen die Denkgesetze oder gegen Erfahrungssätze erkennen. Trotz des - auch nach Berechnung der Kläger - fast gleichen räumlichen Umfangs der Nutzung zu Wohn- und zu freiberuflichen Zwecken gibt der Wohncharakter dem Grundstück noch das Gepräge.

d) Der Einwand der Kläger, das äußere Erscheinungsbild werde mitgeprägt von den um das Haus gruppierten Lichthöfen, die ausschließlich für die Büroräume benötigt werden, ist nicht geeignet, die Wertung des FG in Frage zu stellen. Lichthöfe sind bei Einfamilienhäusern, die in Bungalow-Bauweise errichtet sind, nicht ungewöhnlich, da bei derartigen Häusern häufig das Untergeschoß ausgebaut wird. Sie deuten nicht zwingend darauf hin, daß die ausgebauten Räume als Büroräume verwendet werden. Zudem hat das FG ausdrücklich festgestellt, daß die Lichthöfe in die Gartenanlage miteinbezogen seien und ein wesentliches gestalterisches Element bildeten.

e) Der Vortrag der Kläger im Revisionsverfahren, daß am Bewertungsstichtag 15 Angestellte beschäftigt gewesen seien und somit eine besonders intensive personelle Nutzung vorgelegen habe, auf Grund deren der Einfamilienhauscharakter wesentlich beeinträchtigt werde, kann als neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigt werden. Verfahrensrügen i. S. des § 118 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) haben die Kläger aber nicht erhoben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73252

BStBl II 1979, 726

BFHE 1979, 397

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