Leitsatz (amtlich)

1. Die bei mehreren Verkäufen von Aktien erzielten Preise beruhen nicht deshalb auf ungewöhnlichen Verhältnissen, weil der Nennwert der umgesetzten Aktien im Verhältnis zum Grundkapital der Gesellschaft sehr gering ist.

2. Zum Begriff des geregelten Freiverkehrs.

 

Normenkette

BewG 1965 § 9 Abs. 2, § 11 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) veranlagte den Kläger und Revisionskläger (Kläger) zum 1. Januar 1966 zur Vermögensteuer. Dabei bewertete das FA die zum sonstigen Vermögen des Klägers gehörenden Aktien mit dem im BStBl I 1966, 452 vom BdF veröffentlichten Kurs von 272 v. H. Der Kläger ist aufgrund eines Privatgutachtens der Meinung, der zutreffende Kurs betrage 237,01 v. H..

Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger im Klageverfahren geltend, die vom Freiverkehrsausschuß Berlin bekanntgegebenen Preise, auf denen die Veröffentlichung des BdF beruhe, seien nicht in einem geregelten Freiverkehr ermittelt worden. Das FG wies die Klage ab.

Die Revision des Klägers rügt Verletzung materiellen Rechts und der Sachaufklärungspflicht.

Die zu bewertenden Aktien seien an einer westdeutschen Börse weder zum Börsenhandel zugelassen noch in den geregelten Freiverkehr einbezogen. Die Notierungen des Freiverkehrsausschusses Berlin seien keine Kurse im geregelten Freiverkehr i. S. des § 11 Abs. 1 des BewG. Der Berliner Freiverkehrsausschuß erfülle z. T. eine gewisse politische Funktion, um auch dem "kleinsten Kleinaktionär" die Gelegenheit zu geben, Aktien von früher ostdeutschen Gesellschaften zu veräußern.

Der Kläger trägt weiter vor, er habe in das finanzgerichtliche Verfahren eine Auskunft eingeführt, die der Berliner Freiverkehrsausschuß dem beklagten FA erteilt habe. Danach sei die Kursnotierung dieses Ausschusses für eine Bewertung zum Zweck der Vermögensteuererhebung nicht geeignet, denn von dem Aktienkapital der AG von 3,4 Mio. DM würden nur jährlich 200 DM bis 700 DM an Aktien umgesetzt. Das FG hätte deshalb ermitteln müssen, welche Unterschiede in tatsächlicher Hinsicht zwischen dem Berliner Freiverkehr und dem Freiverkehr an den westdeutschen Börsen bestehen.

Dem FG sei aber auch ein Subsumtionsfehler unterlaufen, denn der geregelte Freiverkehr i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 3 BewG setze voraus, daß für die Einbeziehung von Wertpapieren ein ähnliches Verfahren stattfinde, wie bei der Zulassung zum amtlichen Börsenhandel. Der Freiverkehrsausschuß Berlin habe dem FG mitgeteilt, daß er Aktien auch unabhängig vom Antrag eines Emittenten in die Preisfeststellungen einbeziehe. Bei den Preisen des Berliner Freiverkehrsausschusses handele es sich um Zufallspreise.

Die angefochtene Entscheidung könne auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß die Preise nach § 11 Abs. 2 BewG Bewertungsgrundlage seien, von Bestand bleiben. Aus den Akten ergebe sich, daß in den Jahren vor und nach dem Stichtag nur ein paar 100 DM Aktien nominal gehandelt worden seien. Umsätze dieser Größenordnung seien als vereinzelte Verkäufe i. S. der Rechtsprechung zu werten und deshalb als Bewertungsmaßstab nicht geeignet.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Vermögensteuer in der Höhe anzusetzen, die sich ergibt, wenn die Aktien mit 237,1 v. H. bewertet werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BewG sind Wertpapiere, die zum amtlichen Börsenhandel zugelassen sind, mit dem niedrigsten Kurs zu bewerten, der am Stichtag notiert wurde. Dasselbe gilt für Wertpapiere, die in den geregelten Freiverkehr einbezogen sind.

a) § 43 des Börsengesetzes (BörsG) schreibt vor, daß Geschäfte über Wertpapiere, die zum amtlichen Börsenhandel nicht zugelassen sind, von der Benutzung der Börseneinrichtungen ausgeschlossen sind, daß sie von Kursmaklern nicht vermittelt werden dürfen und daß für sie weder eine amtliche Preisfeststellung noch eine Veröffentlichung von Kurszetteln zulässig ist. Der Zweck dieser Vorschrift ist, den Handel in nicht zum Börsenhandel zugelassenen Wertpapieren zu erschweren. Dieses Ziel der gesetzlichen Regelung ist jedoch nicht erreicht worden; denn an den deutschen Börsen hat sich während der Börsenzeit ein bedeutender Handel in Wertpapieren entwickelt, die nicht zum Börsenhandel zugelassen sind. Dieser Wertpapierhandel wird als geregelter Freiverkehr bezeichnet (vgl. Schwark, Börsengesetz, 1976, § 43 Anm. 1). Er wird von Freiverkehrsausschüssen durchgeführt, die privatrechtliche Einrichtungen des Wertpapierhandels nach Art einer Interessengemeinschaft sind (Schwark, a. a. O., Anm. 2). Die Zulassung von Wertpapieren zum geregelten Freiverkehr ist in den Richtlinien des an der jeweiligen Börse bestehenden Freiverkehrsausschusses geregelt. Das Verfahren ist dem Zulassungsverfahren zum amtlichen Börsenhandel nachgebildet (vgl. Schwark, a. a. O., Anm. 1).

b) Die Zulassung von Aktien zum amtlichen Börsenhandel kann nur von einer "öffentlichen Bankanstalt, Privatbank oder Bankfirma" beantragt werden, die im Auftrag des Emittenten der Aktien handelt (vgl. §§ 5 und 9 der Bekanntmachung betreffend die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel vom 4. Juli 1910, RGBl 1910, 917, abgedruckt auch bei Schwark, a. a. O. S. 552).

Das FG hat festgestellt, daß in Berlin in den geregelten Freiverkehr Aktien auch dann eingezogen werden können, wenn der Antrag nicht im Auftrag des Emittenten, sondern lediglich von einer Händlerfirma gestellt wird, die die für eine Börsenzulassung erforderlichen Auskünfte (vgl. §§ 36 ff. BörsG) nicht erteilen kann. Daraus könnten sich in der Tat die von dem Kläger vorgetragenen Bedenken ableiten lassen, ob die im Freiverkehr an der Berliner Börse erzielten Preise als Kurse i. S. des § 11 Abs. 1 Satz 3 BewG angesehen werden können. Der Senat braucht diese Frage jedoch nicht zu entscheiden. Denn die Bewertung der Aktien des Klägers mit 272 v. H. ist, wie das FG zutreffend entschieden hat, jedenfalls nach § 11 Abs. 2 BewG gerechtfertigt. Damit kann auch unentschieden bleiben, ob die zeitliche Beschränkung durch § 11 Abs. 1 BewG i. d. F. vom 26. September 1974 (BGBl I 1974, 2369, BStBl I 1974, 862), nach der nur Kurse berücksichtigt werden können, die innerhalb von 30 Tagen vor dem Bewertungsstichtag notiert wurden, nur zu einer Verdeutlichung der bisher schon bestehenden oder zu einer Änderung der Rechtslage führte.

2. Anteile an Kapitalgesellschaften, die weder zum amtlichen Börsenhandel noch zum Handel im geregelten Freiverkehr zugelassen sind, werden mit dem gemeinen Wert angesetzt. Der gemeine Wert wird durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 BewG). Dieser Preis ist für Gattungswaren der Marktpreis, der für Wirtschaftsgüter gleicher Art und Güte erzielt wurde. Deshalb schreibt § 11 Abs. 2 BewG vor, daß der gemeine Wert von nichtnotierten Anteilen an Kapitalgesellschaften in erster Linie aus Verkäufen dieser Anteile abzuleiten ist. Dabei kommen grundsätzlich nur Verkäufe in Betracht, die vor dem Bewertungsstichtag abgeschlossen wurden (Entscheidung des BFH vom 30. Januar 1976 III R 74/74, BFHE 118, 234, BStBl II 1976, 280).

Das FG hat unangefochten festgestellt, daß im Kalenderjahr 1965 über den Freiverkehrsausschuß in Berlin 10 Verkaufsfälle von Anteilen an der AG abgewickelt wurden, bei denen Aktien im Nominalwert von 100 DM bis 1 000 DM, insgesamt im Nennwert von 5 500 DM umgesetzt wurden. Die Entwicklung der Preise war nicht sprunghaft, sondern stetig, wenn auch mit fallender Tendenz. Zu Beginn des Jahres 1965 wurden für 100 DM Nennkapital 340 DM gezahlt, bei dem letzten für die Bewertung zum 1. Januar 1966 maßgebenden Verkauf Ende Oktober 1965 immerhin noch 290 DM. In keinem der festgestellten Verkaufsfälle lag der Verkaufspreis unter dem vom FG gebilligten Wert von 272 DM für 100 DM Nennkapital.

a) Der Kläger wendet gegen die Bewertung seiner Aktien auf der Grundlage dieser Verkäufe zunächst ein, das FG habe die Sachaufklärungspflicht verletzt, denn es hätte aufgrund seines Vortrags feststellen müssen, daß der Freiverkehrsausschuß Berlin dem Betriebs-FA der AG die Auskunft erteilt habe, seine Notierungen dürften für Zwecke der Vermögensteuer nicht verwendbar sein; bei einem Grundkapital der AG von 3,4 Mio DM seien nur jeweils einige 100 DM umgesetzt worden, so daß es sich um Zufallspreise handle.

Der Senat kann zugunsten des Klägers unterstellen, daß diese Auskunft tatsächlich erteilt wurde; denn sie würde der Ermittlung des gemeinen Werts der Aktien des Klägers anhand dieser Verkäufe nicht entgegenstehen. Zwar kann die Börse mittelbar entscheiden, ob ein im amtlichen Börsenhandel oder im geregelten Freiverkehr notierter Kurs ein geeigneter Bewertungsmaßstab ist. Er scheidet als solcher nämlich aus, wenn er nach Börsenrecht aufgehoben oder gestrichen werden muß (vgl. BFH-Entscheidung vom 26. Juli 1974 III R 16/73, BFHE 113, 59, BStBl II 1974, 656). Hat der Börsenvorstand den Kurs, weil er der "wirklichen Geschäftslage des Verkehrs an der Börse" entspricht (vgl. § 29 Abs. 3 BörsG), weder gestrichen noch aufgehoben, so entzieht es sich seiner Beurteilung, ob dieser Kurs steuerliche Bewertungsgrundlage sein kann oder nicht. Dasselbe gilt, wenn man die vom Freiverkehrsausschuß Berlin festgestellten Veräußerungspreise mit dem Kläger nicht als Kurse i. S. des § 11 Abs. 1 BewG erachtet, sondern als Verkaufspreise, die zwischen den Parteien des Verkaufs ausgehandelt wurden. Haben die Verkäufe auf Vermittlung des Freiverkehrsausschusses Berlin zu den festgestellten Preisen stattgefunden, so hat die Beurteilung dieses Ausschusses, ob die Preise für die steuerliche Bewertung verwendet werden können, nur die Bedeutung einer für die Finanzverwaltung und für die FG unverbindlichen Meinungsäußerung einer am Verfahren nicht beteiligten Stelle.

b) Der Kläger meint weiter, bei den festgestellten Verkäufen handle es sich um Minimalumsätze, die als Einzelverkäufe i. S. der Rechtsprechung zu werten seien und damit, weil sie auf außergewöhnlichen Verhältnissen beruhen, außer Betracht bleiben müßten.

Es ist richtig, daß Preise aufgrund von Verkäufen, die auf ungewöhnliche Verhältnisse zurückzuführen sind, bei der Ermittlung des gemeinen Werts nicht berücksichtigt werden dürfen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG). Es trifft auch zu, daß der Senat dem Urteil vom 14. Oktober 1966 III 281/63 (BFHE 87, 218, BStBl III 1967, 82) den Leitsatz voranstellte, für die Ableitung des gemeinen Werts von Aktien aus Verkäufen müsse es sich um mehrere Verkäufe der zu bewertenden Aktien im gewöhnlichen Geschäftsverkehr handeln. Die Entscheidung III 281/63 betraf jedoch einen Sonderfall, nämlich vinkulierte Namensaktien an einer Zuckerfabrik, die von zuckerrübenbauenden Landwirten zur Sicherung des Absatzes der Zukkerrübenernte gehalten und regelmäßig nur zusammen mit dem Hof übertragen wurden. Außerdem wurde im damaligen Entscheidungsfall kein einziger Verkaufspreis für die zu bewertenden Aktien nachgewiesen, so daß es nicht darauf ankam, ob nur ein einzelner oder mehrere Verkäufe stattgefunden haben. Der Senat braucht deshalb nicht dazu Stellung zu nehmen, ob er an der Aussage über die Bedeutung einzelner Verkäufe für die Ableitung des gemeinen Werts von Aktien uneingeschränkt festhalten könnte; denn die Entscheidung III 281/63 kann nicht ohne weiteres auf die Bewertung von Inhaberaktien übertragen werden und außerdem sind im vorliegenden Streitfall, wie ausgeführt, für das Jahr vor dem Bewertungsstichtag 10 Verkaufsfälle festgestellt worden. Die festgestellten Verkäufe und die bei diesen Verkaufsfällen erzielten Preise beruhen nicht deshalb auf ungewöhnlichen Umständen, weil im Verhältnis zum Grundkapital der AG von damals 3,4 Mio. DM nur Aktien im Nennwert von insgesamt 5 500 DM umgesetzt wurden. Denn für den Geschäftsverkehr an den deutschen Börsen ist es kennzeichnend, daß im Verhältnis zum Grundkapital der Gesellschaften, deren Aktien zum Börsenhandel zugelassen sind, die Nominalumsätze sehr gering sind. Wenn es aber für den typischen Markt des Wertpapierhandels charakteristisch ist, daß der "Marktpreis" der Aktien großenteils aufgrund sehr geringer Umsätze zustande kommt, dann können für die Ableitung des gemeinen Werts von Aktien aus freien Verkäufen i. S. des § 11 Abs. 2 BewG nicht ungewöhnliche Verhältnisse angenommen werden, weil der Nennwert der umgesetzten Papiere nur einen geringen Bruchteil des Grundkapitals der Gesellschaft ausmacht. Der Senat hat überdies in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 1975 III R 30/74 (BFHE 118, 66, BStBl II 1976, 238) darauf hingewiesen, daß sich auf die Börsenkurse nicht nur die Verhältnisse der Gesellschaft auswirken, deren Aktien umgesetzt werden, sondern auch allgemeine politische und wirtschaftspolitische Entwicklungen, Tendenzen und Erwartungen sowie Spekulationen. Deshalb könnten, falls sich derartige Umstände auf die im Streitfall festgestellten Verkaufspreise ausgewirkt haben sollten, auch diese nicht als ungewöhnlich ausgeschieden werden, weil sie für den Wertpapiermarkt typisch sind.

Der Senat muß auch offenlassen, wie zu entscheiden wäre, wenn die Preise der festgestellten Verkäufe innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine sprunghafte Entwicklung mit stark voneinander abweichenden Preisen genommen hätte, wie dies nach dem Vortrag des Klägers in früheren Jahren der Fall gewesen sein soll. Denn die für die Bewertung zum 1. Januar 1966 herangezogenen Verkaufspreise liegen, wie oben näher dargelegt wurde, zueinander in einer Spanne, die keinerlei Hinweise gibt, es hätten außergewöhnliche Verhältnisse auf die Preisgestaltung eingewirkt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72376

BStBl II 1977, 626

BFHE 1978, 334

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