Entscheidungsstichwort (Thema)

Ferngasleitungsnetz als einheitliches Wirtschaftsgut i. S. § 30 Abs. 2 UStG 1967

 

Leitsatz (NV)

Die Einrichtung zusätzlicher Leitungen, die lediglich der Verbindung und Entlastung des bestehenden Leitungsnetzes einer Ferngasversorgungsanlage dienen, ohne neue Abnehmergebiete zu erschließen, löst als Erweiterung und Verbesserung eines vorhandenen einheitlichen Wirtschaftsguts keine Selbstverbrauchsteuer aus.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30

 

Tatbestand

Die Klägerin betreibt eine überregionale Ferngasversorgung. Sie beliefert ausschließlich Großabnehmer (Industrieunternehmen und Gemeinden) mit Gas zum Weiterverkauf bzw. zum Endverbrauch. Der Gastransport zu den Abnehmern erfolgt durch ein Rohrleitungsnetz, das im Hochdrucksystem (Druck zwischen 5 und 6 atü) betrieben wird. Die Industrieunternehmen und die Ortsnetze der örtlichen Gasversorgungsunternehmen sind durch Anschlußleitungen der Klägerin mit deren Verteilungsnetz verbunden. Die einzelnen Transport-, Verteilungs- und Anschlußleitungen sind untereinander verbunden und werden an mehreren Stellen aus der zentralen Fernleitung des Gaslieferanten N, einer Leitung, die nicht der Klägerin gehört, gespeist. In die Gasleitungen sind Anlagen und Einrichtungen für die Steuerung, Druckregelung und Messung der Gasmengen eingebaut. Der gesamte Gasfluß in den Leitungen wird zentral . . . computergesteuert.

Die Klägerin hatte die Anschluß-, Verbindungs- und Verstärkungsleitungen als selbständige Wirtschaftsgüter mit den Anschaffungs- und Herstellungskosten bilanziert und zunächst in den Umsatzsteuererklärungen 1968 bis 1970 die Inbetriebnahme dieser Leitungen, als selbstverbrauchsteuerpflichtig behandelt.

Nach einer Betriebsprüfung setzte das Finanzamt durch Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1968 bis 1971 für die Inbetriebnahme neu errichteter Rohrleitungen im Leitungsnetz der Klägerin in diesen Jahren Selbstverbrauchsteuer fest.

(In diesen Beträgen nicht enthalten ist die zwischen den Beteiligten nicht streitige Selbstverbrauchsteuer auf die Zuführung von Meß- und Regelanlagen für das Leitungssystem).

Die Umsatzsteuerbescheide hat die Klägerin mit der Zustimmung des Finanzamts ohne Vorverfahren unmittelbar mit der Klage angefochten.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat die Klägerin neben Leitungen zur unmittelbaren Verbindung bereits bestehender Leitungsstränge des eigenen Netzes auch die Leitungen a), b) und c) mit direktem Anschluß an die Fernleitung der N in Betrieb genommen. Keine dieser drei Leitungen hat ein neues Versorgungsgebiet für die Klägerin erschlossen. Die neuen Leitungen haben vielmehr der Entlastung des infolge raschen Anstiegs der Erdgasabgabe überlasteten alten Leitungen gedient. Mit Leitung a) wird einerseits zusätzliches Erdgas im Bereich der Zentrale in D eingespeist, andererseits aber auch in Entlastung der nördlich gelegenen alten Leitung V/W der Gasbezug der bestehenden Anschlüsse W und B sichergestellt. Wesentliche Funktion der neuen Leitung war nicht der Anschluß neuer Bezugsgebiete, sondern die Verstärkung und Sicherstellung des bereits bestehenden Versorgungsnetzes, das ursprünglich aus dem Ferngaswerk H als Zentrum für die Gasversorgung der nördlichen Versorgungsgebiete mit Kokereigas beschickt worden war. In gleicher Weise ist auch die Leitung b) nicht zum Anschluß neuer Gasbezugsgebiete erstellt worden, sondern zur Entlastung der alten Kokereigasleitung (Westleitung), die die gestiegene Gasnachfrage im Bereich des Großraums K nicht mehr befriedigen konnte. Der Eigentumsanteil der Klägerin an dieser Leitung beträgt 61,5 v. H. bis zur Stadtgrenze K und 43,2 v. H. ab Stadtgrenze.

Das Finanzgericht hat der Klage stattgegeben und die Umsatzsteuerfestsetzungen 1968 bis 1971 in Höhe der Selbstverbrauchsteuerbeträge für das Leitungsnetz herabgesetzt.

Mit der Revision rügt das Finanzamt Verletzung des § 30 UStG 1967. Es hält daran fest, nach dem einkommensteuerrechtlich geprägten Begriff des Wirtschaftsguts im Sinne des § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 sei das Leitungsnetz der Klägerin eine aus mehreren Wirtschaftsgütern zusammengesetzte Anlage, und die in den Jahren 1968 bis 1971 zugeführten Leitungen seien jeweils selbständige Wirtschaftsgüter. Wenn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs Gebäudeanbauten oder Gebäudeerweiterungen nur bei intensiver baulicher Verbindung und Verschachtelung als unselbständig angesehen würden, so müsse dies erst recht bei einem Verbund beweglicher Wirtschaftsgüter gelten. Die technischen Zusammenhänge bzw. Einrichtungen des Systems der Gasverteilung, insbesondere die zentrale Computersteuerung, gewährleiste zwar ein besonders gutes Funktionieren der Anlage. Das ändere aber nichts daran, daß der technische Zusammenhang auflösbar sei, ohne daß damit die einzelnen Teile der Gesamtanlage ihren wirtschaftlichen Bestand und ihre Nutzbarkeit einbüßten. Bei den neuen Hauptleitungen a) sowie b) sei keine Verbindung feststellbar, welche die technische Selbständigkeit dieser Leitung in Frage stellen könnte. Die Leitungen seien an die Fernleitung der N angeschlossen und führten das Erdgas dem bestehenden Leitungsnetz der Klägerin zu. Aufgrund der technischen Einrichtungen sei ein selbständiger Betrieb dieser Leitung nach Verbindung mit der Hauptleitung (Zulieferer) möglich. Leitungen dieser Ausstattung und Kapazität gewährleisteten eigenständig und für einen Raum von selbständiger wirtschaftlicher Bedeutung über die Transportmöglichkeit hinaus den Anschluß weiterer Einspeise- und Entnahmestationen sowie von Zweigleitungen.

Schließlich stehe der Annahme eines einheitlichen Wirtschaftsguts ,,Rohrnetz" entgegen, daß die Zulieferleitung der N nicht der Klägerin zugerechnet werden könne. Ferner sei die Verbindung b) eine Gemeinschaftsleitung mit der X AG und der G. Wenn das Finanzgericht meine, die zivilrechtliche Seite sei bedeutungslos, das Leitungsnetz sei eine Betriebsvorrichtung, bei der die Zurechnung anders als im Zivilrecht vorgenommen werden könne, unterliege es einem Denkfehler. Der Begriff ,,Betriebsvorrichtung" sei bewertungsrechtlicher Art; seine Bedeutung erschöpfe sich in der Abgrenzung beweglicher und unbeweglicher Wirtschaftsgüter. Zudem gebe es - nach Auffassung des Finanzamts - keine Zurechnung dergestalt, daß ein Teil eines Wirtschaftsguts in vollem Eigentum einer Person und ein anderer Teil desselben Wirtschaftsguts in vollem Eigentum einer anderen Person stehe.

Es widerspreche auch der Zielsetzung des § 30 UStG 1967, die Investition der Klägerin nicht der Selbstverbrauchsteuer zu unterwerfen. Denn die Vorschrift habe erreichen sollen, für eine Übergangszeit von fünf Jahren den Vorsteuerabzug auf Investitionen der Unternehmer im Ergebnis auszuschließen.

Das Finanzamt beantragt, das Urteil des Finanzgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie trägt unter anderem ergänzend vor, die Beurteilung eines ,,Fernwärmenetzes" als einheitliches Wirtschaftsgut nach ertragsteuerrechtlichen Grundsätzen komme auch im Investitionszulagengesetz zum Ausdruck. Durch die Neuregelung des § 4 a des Investitionszulagengesetzes im Jahre 1978 könne auch die Erweiterung eines bereits bestehenden einheitlichen Wirtschaftsguts ,,Fernwärmenetz" begünstigt werden (Hinweis auf Zitzmann, Der Betriebsberater 1978, Seite 1567; Söffing, Finanz-Rundschau 1978, Seite 445-454).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Finanzamts ist unbegründet.

Selbstverbrauch liegt nach § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 vor, wenn ein Unternehmer körperliche Wirtschaftsgüter, die der Abnutzung unterliegen und deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach den einkommensteuerrechtlichen Vorschriften im Jahr der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zuführt.

Die Auffassung des Finanzgerichts, die Klägerin habe mit den in den Jahren 1968 bis 1971 errichteten zusätzlichen Rohrleitungen keine selbständigen Wirtschaftsgüter im Sinne der Vorschrift dem Anlagevermögen zugeführt, sondern nur das bestehende Rohrnetz als einheitliches Wirtschaftsgut erweitert, hält der Revision stand.

Der Bundesfinanzhof hat den Begriff des Wirtschaftsguts im Sinne des § 30 Abs. 2 UStG 1967 in ständiger Rechtsprechung nach einkommensteuerrechtlichen Gesichtspunkten bestimmt (vgl. Urteile vom 5. Dezember 1974 V R 30/74, BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344; und vom 15. Dezember 1977 V R 59/77, BFHE 124, 250, BStBl II 1978, 246, jeweils mit Nachweisen). Der Begriff des Wirtschaftsguts setzt die selbständige Bewertungsfähigkeit, welche die Einzelbewertung ermöglicht, voraus (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 1961 I 13/61 U, BFHE 73, 318, BStBl III 1961, 383). Am selbständigen wirtschaftlichen Wert eines Gegenstands fehlt es, wenn er mit einem anderen Wirtschaftsgut derart verbunden ist, daß er nur in der Gesamtheit mit dem anderen Wirtschaftsgut, als dessen Teil er sich darstellt, bewertungsfähig ist (BFHE 114, 295, BStBl II 1975, 344).

Ob ein selbständiges Wirtschaftsgut vorliegt, ist nach objektiven Maßstäben zu entscheiden. Maßgeblich ist, ob nach außen ein einheitliches Ganzes in Erscheinung tritt; bedeutsam dafür ist die betrieblich bedingte Art und Dauer der Verbindung sowie die Abstimmung der verbundenen Gegenstände aufeinander und die betriebliche Zweckbestimmung, insbesondere ein etwaiger Funktions- und Nutzungszusammenhang mit anderen Gegenständen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. November 1973 GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132; BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 I R 32/73, BFHE 115, 238, BStBl II 1975, 443).

Wie der Senat im Urteil vom 19. August 1971 V R 18/71 (BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75) zur Wasserversorgungsanlage einer Dorfgemeinde ausgeführt hat, ist deren Wasserrohrnetz als ein Wirtschaftsgut anzusehen, so daß eine Erweiterung dieses Netzes, auch wenn aktivierungspflichtiger Anschaffungs- oder Herstellungsaufwand anfällt, nicht zum Selbstverbrauch führt. Das Leitungsnetz wurde als eine nicht mehr teilbare Einheit angesehen, die gegenüber anderen Wirtschaftsgütern solcher Versorgungsanlagen (z. B. Pumpwerke, Hochbehälter, Quellen- und Brunnenanlagen) selbständig ist. Mit dem Finanzgericht hält der Senat diese Beurteilung auch auf das Leitungsnetz der Klägerin für übertragbar. Die Beurteilung des bestehenden Leitungsnetzes der Klägerin als einheitliche Anlage wird von den Feststellungen des Finanzgerichts getragen: Das gesamte Leitungsnetz wird im Hochdruckbereich betrieben, enthält also keinen Niederdruckbereich der unter Umständen eine selbständige Leitungseinheit bilden könnte; die Leitungen der von der Klägerin versorgten Gebiete sind miteinander ,,vernetzt" und dienen dem einheitlichen Zweck, das Erdgas an die Großabnehmer zu leiten. Die einheitliche, zentrale Steuerung und Überwachung der Anlage bestätigt diese Beurteilung. Damit besteht eine betriebliche und technische Verbindung und Abstimmung des Leitungssystems, aufgrund der die Leitungen sich als Teile einer Gesamtheit darstellen und in ihrer Gesamtheit bewertungsfähig sind. Dieses bestehende Leitungssystem wird durch die in den Jahren 1968 bis 1971 geschaffenen Leitungen der Klägerin lediglich unselbständig ergänzt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts, wie sie durch die zeichnerische Darstellung des Leitungsnetzes bestätigt werden, dient ein großer Teil dieser nachträglich in Betrieb genommenen Leitungen der Verbindung bereits bestehender Leitungen der Klägerin untereinander. Soweit die Leitungen a), b) und c) zusätzlich an die Hauptleitung der N angeschlossen sind, ergibt sich keine andere Beurteilung. Der Senat hatte im Urteil vom 16. Mai 1974 V R 109/72 (insoweit in BFHE 113, 72, BStBl II 1974, 649 nicht veröffentlicht, aber teilweise in Der Betrieb - DB - 1974, 2336 und im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 14. Dezember 1977 III 307/75, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1978, 246, wiedergegeben) über den Fall zu entscheiden, daß die seit Jahren bestehenden Leitungsnetze zweier Stadtteile nachträglich durch zwei Versorgungsleitungen an andere als die bisherigen Hochbehälter angeschlossen worden waren. Der Senat hat die Selbstverbrauchsteuerpflicht verneint, weil durch die neuen Leitungen lediglich an den jeweiligen Netzen der beiden Stadtteile Baumaßnahmen durchgeführt worden seien; damit seien auf keinen Fall neue, als selbständige Wirtschaftsgüter zu behandelnde Versorgungsnetze für einen Stadtteil geschaffen worden, sondern lediglich die den Stadtteilen dienenden Anlagen verbessert worden. Die neuen Anschlußleitungen dürften auch nicht als Teile der neuen Hochbehälter und damit Teile eines anderen Wirtschaftsguts als das des Versorgungsnetzes angesehen werden. Diese Abgrenzungsmerkmale hält der Senat auf die vorliegende Fallgestaltung für übertragbar. Durch die Verbindungsleitungen zur Hauptgasleitung hat die Klägerin nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Finanzgerichts die eigenen, bereits bestehenden Rohrnetze dadurch verbessert, daß die gestiegene Nachfrage nach Erdgas in den jeweiligen Regionen durch das bestehende Netz erfüllt werden kann. Neue Versorgungsgebiete hat die Klägerin durch die neuen Leitungen nach den Feststellungen des Finanzgerichts nicht erschlossen. Die Möglichkeit, die neuen Leitungen als eigenständige regionale Versorgungsleitungen und damit als selbständige Wirtschaftsgüter anzusehen, hat das Finanzgericht zutreffend verneint.

Unentschieden bleiben kann, ob das gesamte Versorgungsnetz der Klägerin möglicherweise in mehrere abgrenzbare Versorgungsregionen aufgeteilt werden kann, und die entsprechenden Netzteile insoweit als eigenständige Wirtschaftsgüter angesehen werden müßten. Die angesprochenen Verbindungsleitungen zur Hauptgasleitung erfassen jeweils nur bestimmte Regionen der Klägerin und verbinden nicht mehrere Regionen miteinander, wodurch sie möglicherweise als selbständige Wirtschaftsgüter oder als Investition - zur Zusammenfügung der Regionen - zu einem einheitlichen Wirtschaftsgut angesehen hätten werden können.

Die Aufteilung des Leitungsnetzes der Klägerin in mehrere Wirtschaftsgüter (soweit dies im vorliegenden Fall für die Beurteilung der zugeführten Leitungen von Bedeutung sein könnte) kann nicht daraus gefolgert werden, daß das Leitungsnetz der Klägerin durch die Hauptleitung des N gespeist wird. Der Anschluß des Leitungsnetzes an diesen Hauptstrang kann ebensowenig zu einer anderen Beurteilung führen, wie im Rahmen eines örtlichen Versorgungsnetzes der Anschluß an Hauptleitungen oder Hochbehälter und ähnliches, die ihrerseits selbständige Wirtschaftsgüter gegenüber dem Leitungsnetz sind. Auch der Umstand, daß unter anderem die in den Streitjahren in Betrieb genommene Verbindungsleitung b) nur im Miteigentum der Klägerin steht, führt nicht zu einer Auflösung der Einheit des Leitungsnetzes nach seinem Nutzungs- und Funktionszusammenhang. Zudem ist entgegen der Auffassung des Finanzamtes der Klägerin ihr Anteil an der Leitung zuzurechnen. Wie der Bundesfinanzhof im Urteil vom 26. Januar 1978 IV R 160/73, BFHE 124, 335, BStBl II 1978, 299, mit Hinweis unter anderem auf § 39 AO 1977 ausgeführt hat, sind Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen; beim Miteigentum erfolgt die Zurechnung insofern anteilig. Entsprechend ist die Sache mit ihrem (ideellen) Teil zu bilanzieren.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61244

BFH/NV 1986, 374

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