Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält nach nochmaliger Prüfung an der Auffassung fest, daß der Begriff des Wirtschaftsguts in § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen ist.

 

Normenkette

UStG 1967 § 30 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt in ... den Einzelhandel mit Lebensmitteln sowie ein Hotel und eine Gaststätte. Im Jahre 1970 errichtete er zur Unterbringung einer Kegelbahn einen Anbau (Herstellungskosten ...DM). Dieses Bauwerk ruht auf eigenen Fundamenten. Es verfügt über eigene Außenmauern und einen eigenen Eingang und ist mit einer Ecke seiner dem bisherigen Gebäudebestand zugewandten Schmalseite an einer Ecke des Gaststättensaales - seitlich versetzt und schräg von ihm fortführend - angebaut. In seinem Inneren befinden sich neben der Kegelbahn ein mit Tischen und Stühlen ausgestatteter Aufenthaltsraum sowie Umkleideräume, Duschen und Toiletten für Damen und Herren. An der Berührungsstelle zwischen Anbau und Saal wurde ein Durchbruch geschaffen, der den unmittelbaren Zugang vom Saal zum Aufenthaltsraum des Anbaues ermöglicht. Vom Saal aus führt außerdem eine Türe zu den im Kegelbahnanbau liegenden Räumen der Herrentoilette.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) nahm nach einer Betriebsprüfung an, daß der Kläger mit der Inbetriebnahme des Kegelbahnanbaues im Jahre 1970 ein neues Wirtschaftsgut der Verwendung oder Nutzung als Anlagevermögen zugeführt habe und setzte daher im Umsatzsteuerbescheid für 1970 vom ... auch insoweit Selbstverbrauchsteuer fest. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das Urteil des FG ist in den EFG 1974, 183 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt der Kläger insbesondere die Verletzung materiellen Rechts (§ 30 Abs. 2 UStG 1967) und trägt dazu im wesentlichen vor: Der Begriff des Wirtschaftsguts richte sich entgegen der Ansicht des FG nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen. Danach würden durch aktivierungspflichtigen Herstellungsaufwand bei Gebäuden keine selbständigen Wirtschaftsgüter entstehen. Mit dieser Begründung lehne die Finanzverwaltung Sonderabschreibungen nach § 1 der Ersten Verordnung über steuerliche Konjunkturmaßnahmen vom 10. Februar 1967 - Konjunktur-VO - (BGBl I 1967, 190, BStBl I 1967, 19) ab. Es würde einen Verstoß gegen Treu und Glauben bedeuten, wenn sie diesen Grundsatz nicht auch bei der Anwendung des § 30 Abs. 2 UStG 1967 gelten lasse. Die Aufwendungen für den Kegelbahnanbau seien danach aktivierungspflichtig. Das Entstehen eines selbständigen Wirtschaftsguts könne jedoch nicht angenommen werden. Auch nach der Verkehrsauffassung stelle der Anbau kein selbständiges Gebäude dar. Er sei mit dem Altgebäude verschachtelt. Vom Saal aus führe je ein Durchgang zu den vom Anbau aus nicht betretbaren Herrentoiletten und zum Aufenthaltsraum der Kegelbahn sowie den Damentoiletten. Der Anbau könne nur vom Altbau aus bewirtschaftet werden. Eine eigene Energieversorgung fehle. Dem Vorhandensein einer besonderen Eingangstüre für den Kegelbahnanbau könne keine Bedeutung beigemessen werden. Diese Türe sei grundsätzlich geschlossen. Nur bei größeren Veranstaltungen werde sie geöffnet. Sie habe als Notausgang geschaffen werden müssen. Altbau und Neubau seien in ihrer Nutzung aufeinander abgestimmt. Dies spreche für die Unselbständigkeit des Anbaues. Für die Annahme, daß durch den Anbau ein neues Wirtschaftsgut unter Einbeziehung des bisherigen Gebäudebestandes geschaffen worden sei, bestünden keine Anhaltspunkte. Auch sei darauf hinzuweisen, daß nach dem Beschluß des BFH vom 26. November 1973 GrS 5/71 (BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132) ein unselbständiger Gebäudebestandteil angenommen werden müsse.

Im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils werde dargestellt, daß im Aufenthaltsraum des Kegelbahnanbaues sich ein Tresen und ein Speisenwarmhalter befänden. Dies sei unzutreffend. Es sei rätselhaft, wie das FG diese Einrichtungsgegenstände habe "unterschieben" können.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Umsatzsteuer 1970 um ...DM niedriger festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat im Ergebnis zutreffend die Selbstverbrauchsteuerpflicht bejaht.

1. Nach § 30 Abs. 2 UStG 1967 liegt Selbstverbrauch vor, wenn ein Unternehmer ein körperliches Wirtschaftsgut, das der Abnützung unterliegt und dessen Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften im Jahre der Anschaffung oder Herstellung nicht in voller Höhe als Betriebsausgaben abgesetzt werden können, im Inland der Verwendung der Nutzung als Anlagevermögen zuführt.

Der Senat hat in ständiger und gefestigter Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 1. Oktober 1970 V R 49/70, BFHE 100, 272, BStBl II 1971, 34; vom 19. August 1971 V R 18/71, BFHE 103, 282, BStBl II 1972, 75; vom 19. August 1971 V R 48/71, BFHE 103, 286, BStBl II 1972, 76; vom 21. Oktober 1971 V R 53/71, BFHE 103, 291, BStBl II 1972, 79; vom 23. März 1972 V R 104/71, BFHE 105, 409, BStBl II 1972, 681; vom 22. März 1973 V R 63/72, BFHE 109, 87, BStBl II 1973, 604, und vom 9. August 1973 V R 37/73, BFHE 110, 150, BStBl II 1973, 834), welcher die Finanzverwaltung sowie weitgehend auch das Schrifttum und die FG gefolgt sind, entschieden, daß sich der Begriff des Wirtschaftsguts in § 30 Abs. 2 Satz 1 UStG 1967 nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen bestimme. Nach erneuter Überprüfung hält der Senat, auch im Interesse der Rechtssicherheit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, an dieser Rechtsprechung fest. Hiervon ist bei der Rechtsanwendung des § 30 UStG 1967 auszugehen.

2. Nach der Rechtsansicht des Senats (vgl. insbesondere Urteil vom 13. April 1972 V R 151/71, BFHE 105, 198, BStBl II 1972, 654) kann bei einem Anbau an ein bereits stehendes Gebäude der Tatbestand des Selbstverbrauchs nur erfüllt sein, wenn der Anbau als selbständiges, neben das bisherige Gebäude tretendes Wirtschaftsgut anzusehen ist oder wenn er zur Schaffung eines neuen Wirtschaftsguts unter Einbeziehung des bisherigen Bauwerks geführt hat.

Das FG hat angenommen, daß auch bei einkommensteuerrechtlicher Betrachtungsweise die Zuführung des Kegelbahnanbaues zur Nutzung oder Verwendung als Anlagevermögen der Steuer für den Selbstverbrauch unterliege, weil der Anbau wirtschaftlich von Bedeutung sei und, etwa bei einer Veräußerung, als Einzelheit ins Gewicht falle (d. h. - wenn auch nur als Kalkulationsfaktor - greifbar sei). Dabei komme der Frage, ob und in welchem Umfang die einzelnen Gebäudeteile aus Gründen der Versorgung mit elektrischer Energie, Wasser oder Wärme voneinander abhängig seien, keine Bedeutung zu. Dies berühre allein die selbständige Nutzungsfähigkeit, die nicht zu den Begriffsvoraussetzungen des Wirtschaftsguts gehöre. Damit hat das FG den hier maßgeblichen ertragsteuerrechtlichen Begriff des Wirtschaftsguts verkannt. Es hat rechtlich unzutreffend allein aus der Tatsache, daß der Anbau bei einer etwaigen Veräußerung des Grundstücks als Preisfaktor ins Gewicht fallen werde, seine Selbständigkeit als Wirtschaftsgut angenommen. Ein Wirtschaftsgut, dessen wirtschaftlicher Wert als Einzelheit von Bedeutung und bei einer Veräußerung greifbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 9. Juli 1969 I R 38/66, BFHE 96, 559, BStBl II 1969, 744, und vom 28. Januar 1954 IV 255/53 U, BFHE 58, 516, BStBl III 1954, 109) kann jedoch dann nicht angenommen werden, wenn es mit einem anderen Wirtschaftsgut derart verbunden ist, daß es nur in der Gesamtheit mit dem anderen Wirtschaftsgut, als dessen Teil es sich darstellt, bewertungsfähig ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. September 1965 I 93/63 U, BFHE 83, 488, BStBl III 1965, 674). Bei Anbauten an ein bereits bestehendes Gebäude ist die Annahme einer derartigen Verbindung gerechtfertigt, wenn Anbau und Gebäude in starkem Maße miteinander verschachtelt sind (vgl. BFH-Urteil V R 104/71), wobei eine aufeinander abgestimmte Nutzung der alten und neuen Gebäudeteile für die Einheitlichkeit sprechen kann.

3. Dies hat das FG nicht beachtet. Gleichwohl ist seine Entscheidung aufrechtzuerhalten, weil sie aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend ist (§ 126 Abs. 4 FGO).

Die vom FG zur baulichen Verbindung zwischen Neubau und bisherigem Gebäudebestand getroffenen Feststellungen (Durchgang vom Saal zum Aufenthaltsraum und den Damentoiletten im Kegelbahnanbau, Zugang zu den Herrentoiletten vom Saal aus) reichen nicht aus, um eine bauliche Verschachtelung annehmen zu können. Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 9. August 1973 V R 41/73, BFHE 110, 152, BStBl II 1973, 874) führt erst eine Mehrzahl baulicher Verbindungen zu einer Verschachtelung und damit zur Entstehung eines einheitlichen Gebäudes. Erst durch eine Reihe solcher Verbindungen entsteht ein Bauwerk, dessen Teile bei einem etwaigen Verkauf nicht ohne erhebliche Bauaufwendungen voneinander getrennt werden können (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1965 VI 62/65 U, BFHE 84, 234, BStBl III 1966, 86). Bei eigenen Fundamenten, eigenen Mauern und einem eigenen Eingang, wie sie hier bei dem Anbau vorliegen, können die vom FG festgestellten baulichen Verbindungen die Annahme einer derartigen Verschachtelung nicht begründen. Fehlt es aber an einer ausreichenden baulichen Verschachtelung, so bildet der Anbau ein selbständiges Wirtschaftsgut. Auf die Wert- und Größenverhältnisse der Alt- und Neubauteile kommt es dann nicht mehr an (vgl. insbesondere BFH-Urteil V R 37/73). Auch eine aufeinander abgestimmte wirtschaftliche Nutzung der Gebäudeteile und die gemeinsame Versorgung mit elektrischer Energie, Wasser und Wärme können demgegenüber nicht zur Annahme eines einheitlichen Gebäudes führen.

4. Der Hinweis der Revision auf die Auslegung des Begriffs Wirtschaftsgut im Rahmen des § 1 Konjunktur-VO durch die Finanzverwaltung und auf den Beschluß des BFH GrS 5/71 kann eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen.

Die Finanzverwaltung nimmt aktivierungspflichtigen, nicht zur Entstehung eines selbständigen Wirtschaftsguts führenden Herstellungsaufwand im Rahmen des § 1 Konjunktur-VO nur an, wenn ein bereits vorhandenes Wirtschaftsgut lediglich erweitert oder verbessert wird, wenn der Aufwand sich also als nachträglicher Herstellungsaufwand auf ein bereits vorhandenes Gebäude darstellt. Wenn jedoch, wie hier, durch die Baumaßnahme ein selbständiges, wegen fehlender ausreichender Verschachtelung vom bisherigen Baubestand unabhängiges Gebäude geschaffen wird, geht die Finanzverwaltung auch bei Anwendung des § 1 Konjunktur-VO vom Vorliegen eines selbständigen Wirtschaftsguts aus (vgl. Uelner, BB 1967, 280 ff.). Ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben ist daher nicht ersichtlich.

Der BFH untersucht in seinem Beschluß GrS 5/71 lediglich, ob und ggf. welche Teile eines einheitlichen Gebäudes gesondert bilanziert und abgeschrieben werden können. Daß nach den bisherigen Grundsätzen der Rechtsprechung als selbständige Gebäude zu behandelnde Anbauten mit dem bereits vorhanden gewesenen Baubestand eine wirtschaftliche und bewertungsrechtliche Einheit bildeten, läßt sich daraus nicht ableiten.

5. Die Rüge des Klägers, das FG habe den Sachverhalt unzutreffend dargestellt, kann nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, daß das Ergebnis der Entscheidung anders hätte lauten können oder müssen, wenn das FG nicht davon ausgegangen wäre, daß im Aufenthaltsraum des Kegelbahnanbaues ein Tresen und ein Speisenwarmhalter eingerichtet worden seien (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71300

BStBl II 1975, 344

BFHE 1975, 295

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