Entscheidungsstichwort (Thema)

Lehrtätigkeit und Forschungstätigkeit einer emeritierten Professorin: Einkünfte, Werbungskostenabzug, Steuererlaß

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine emeritierte Professorin bezieht nicht Einkünfte i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG für eine gegenwärtige Beschäftigung im öffentlichen Dienst, sondern Einkünfte aus früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs.1 Nr.2 und Abs.2 EStG. Sie kann Aufwendungen für eine gegenwärtig ausgeübte Forschungstätigkeit nicht als Werbungskosten bei diesen Einkünften geltend machen.

2. Soweit einer emeritierten Professorin Aufwendungen dadurch entstehen, daß sie auf Ersuchen der Hochschule dort eine Lehrtätigkeit ausübt, kann die Versagung des Werbungskostenabzugs und die Erhebung der entsprechend höheren Steuer insoweit als unbillig i.S. des § 163 Abs.1 AO 1977 erscheinen, als die Höhe der Aufwendungen nicht in einem evidenten Mißverhältnis zu dem Umfang der Lehrtätigkeit steht.

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 9 Abs. 1 S. 1; AO 1977 § 163 Abs. 1; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 20.10.1992; Aktenzeichen 8 K 4276/87)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war als ordentliche Professorin mit vollen Rechten und Pflichten an einer Universität tätig. Seit 1982 ist sie gemäß § 224 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) i.V.m. § 119 Abs.1 des Gesetzes über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes NRW entpflichtet (emeritiert). Sie erhielt im Streitjahr 1985 die vollen Bezüge nach der Besoldungsgruppe H 4 des Bundesbesoldungsgesetzes, gekürzt um die Kolleggeldgarantie. Die Klägerin machte bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Werbungskosten in Höhe von insgesamt 2 404,02 DM geltend.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19.Juni 1974 VI R 37/70 (BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23) ab.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage im wesentlichen statt. Es vertrat die Auffassung, die Emeritenbezüge eines nach altem Hochschulrecht entpflichteten Hochschullehrers (Professors) seien in vollem Umfang Dienstbezüge. Der Hochschullehrer könne seinen Beruf partiell weiter ausüben. Die mit der partiellen Berufsfortführung in Zusammenhang stehenden Aufwendungen, denen keine kostendeckenden Erträge gegenüberstünden, seien "durch den Beruf veranlaßt" und damit als Werbungskosten abziehbar. Das Urteil ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1993, 373 veröffentlicht.

Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung des § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 19 EStG und macht geltend: Das FG stelle darauf ab, daß ein emeritierter Professor nach den beamtenrechtlichen Vorschriften weiterhin "Dienstbezüge" im Gegensatz zu "Versorgungsbezügen" erhalte. Der BFH habe indessen entschieden, daß von solchen Dienstbezügen generell ein nach § 19 Abs.3 EStG 1965 zu berechnender Betrag (Versorgungsfreibetrag) steuerfrei zu belassen sei. Deshalb sei für steuerliche Zwecke davon auszugehen, daß es sich weitgehend um Bezüge handele, die Versorgungsbezügen gleichzustellen seien. Für die Berücksichtigung von Werbungskosten gemäß § 9 EStG fehle es an der erforderlichen finalen Kausalität der Ausgaben mit steuerpflichtigen Einkünften. Der nach der Rechtsprechung des BFH erforderliche Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und dem Beruf bestehe im Streitfall nicht.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Das FG hat die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen zu Unrecht als Werbungskosten (§ 9 Abs.1 Satz 1 EStG) bei deren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) berücksichtigt.

1. Die der Klägerin in der Zeit nach ihrer Entpflichtung (Emeritierung) und mithin im Streitjahr gewährten Bezüge sind solche aus früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs.1 Nr.2 EStG. Es handelt sich dabei zwar nicht um ein Ruhegehalt aufgrund beamtenrechtlicher Vorschriften, wohl aber um einen "gleichartigen Bezug" aus früheren Dienstleistungen i.S. des § 19 Abs.2 EStG in der im Streitjahr 1985 gültigen Fassung (vgl. dazu das BFH-Urteil in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23, 24). Der entscheidende Grund dafür, daß die nach der Entpflichtung erhaltenen Bezüge Einkünfte i.S. des § 19 Abs.1 Nr.2 EStG und nicht solche i.S. der Nr.1 der Vorschrift sind, liegt nach der Rechtsprechung des Senats darin, daß die emeritierten Professoren mit Erreichen der Altersgrenze von ihren amtlichen Verpflichtungen entbunden werden, also zur Erbringung von Dienstleistungen nicht mehr verpflichtet sind. Damit fehlt den Dienstbezügen entpflichteter Professoren das wesentliche Merkmal der in § 19 Abs.1 Nr.1 EStG genannten Bezüge, daß sie nämlich die Gegenleistung für Dienstleistungen darstellen, die im gleichen Zeitraum geschuldet und erbracht werden. Die Emeritenbezüge werden gewährt, obwohl Dienstleistungen nicht erbracht werden oder zu ihrer Erbringung jedenfalls keine Verpflichtung besteht (vgl. BFH in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23, 24, zu 2.). Über die --zumindest teilweise-- Zuordnung der Emeritenbezüge zu § 19 Abs.1 Nr.2 EStG besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Denn die Klägerin hat nicht beanstandet, daß bei der Steuerfestsetzung für das Streitjahr der Versorgungs-Freibetrag in Höhe von 4 800 DM gemäß § 19 Abs.2 EStG, der das Vorliegen von Versorgungsbezügen voraussetzt, berücksichtigt worden ist.

Der Senat hat seine in dem Urteil in BFHE 113, 281, BStBl II 1975, 23 unter Nr.2 der Entscheidungsgründe gegebene Begründung dafür, daß es sich bei den Emeritenbezügen nicht um Einkünfte i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG handeln kann, in seinen weiteren Ausführungen unter Nr.3 dahingehend eingeschränkt, daß die Emeritenbezüge jedenfalls zum weitaus überwiegenden Teil für frühere Dienstleistungen gewährt werden. Soweit dies dahin zu verstehen wäre, daß ein bestimmter --geringerer-- Teil der Emeritenbezüge doch als Bezüge i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG zu beurteilen sei, könnte daran nicht festgehalten werden. Wenn nämlich die steuerliche Zuordnung zu den Einkünften nach § 19 Abs.1 Nr.2 EStG ungeachtet der beamtenrechtlichen Bezeichnung dieser Bezüge zutreffend damit begründet worden ist, daß sie auch ohne Erbringung von Gegenleistungen in derselben Höhe gezahlt worden wären, dann kann keine andere steuerliche Zuordnung erfolgen, falls tatsächlich Leistungen erbracht worden sind. Denn diese haben auf die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Bezüge gezahlt worden sind, keinen Einfluß. Der Umstand, daß tatsächlich erbrachte Leistungen des emeritierten Professors mit den Bezügen als abgegolten betrachtet werden, die er auch ohne die Leistung erhalten hätte, rechtfertigt nicht die Beurteilung, daß diese Bezüge die Gegenleistung für die tatsächlich erbrachte Leistung sind.

2. Die Aufwendungen eines entpflichteten Professors für seine Forschungs- und Lehrtätigkeit sowie für seine allgemeine Fortbildung können nicht als Werbungskosten im Rahmen der Einkünfte nach § 19 Abs.1 Nr.2 EStG berücksichtigt werden. Nach der Rechtsprechung des BFH liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen Einkunftsart ein Veranlassungszusammenhang besteht (vgl. z.B. BFH-Beschluß vom 4.Juli 1990 Grs 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, 823, zu C II.2. m.w.N.). Nach dem Regelungsziel des EStG sind Aufwendungen dann als durch eine Einkunftsart veranlaßt anzusehen, wenn sie hierzu in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgeblich dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die --wertende-- Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen "auslösenden Moments", zum anderen die Zuweisung dieses maßgeblichen Bestimmungsgrundes zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (vgl. BFH in BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817, 823, zu C II.2.b bb). Die Annahme, Aufwendungen seien durch eine Einkunftsart veranlaßt, setzt auf jeden Fall eine auf die Erzielung von positiven Einkünften und mithin von Einnahmen gerichtete Tätigkeit voraus (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25.Juni 1984 GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 766, Abschn.C IV.3.c aa)(1); Urteile vom 7.Oktober 1986 IX R 93/82, BFHE 148, 495, BStBl II 1987, 330; vom 11.August 1987 IX R 143/86, BFH/NV 1988, 292, 293). Dementsprechend hat der Senat einen Aufwand nur dann als durch den Beruf veranlaßt angesehen, wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Aufwand und der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit besteht (vgl. Urteile vom 1.Oktober 1982 VI R 192/79, BFHE 136, 488, BStBl II 1983, 17; vom 21.Oktober 1983 VI R 198/79, BFHE 139, 524, BStBl II 1984, 106, 107).

Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht zwischen den Aufwendungen des entpflichteten Hochschulprofessors für Forschungszwecke und seinen Bezügen nach § 19 Abs.1 Nr.2 EStG kein steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang. Der nämliche Gesichtspunkt, der bei wertender Beurteilung dazu geführt hat, die Emeritenbezüge ungeachtet der anderen beamtenrechtlichen Bezeichnung steuerrechtlich als Versorgungsbezüge mit der begünstigenden Rechtsfolge des Freibetrages von 4 800 DM jährlich (§ 19 Abs.2 EStG) zu behandeln, spricht dafür, steuerrechtlich einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Aufwendungen für Forschungszwecke und den Bezügen aus dem früheren Dienstverhältnis abzulehnen. Denn ebenso wie ein in den Ruhestand versetzter Beamter erhält ein entpflichteter Professor seine Bezüge unabhängig davon, ob er eine Tätigkeit ausübt oder nicht. Seine freiwillig ausgeübten Tätigkeiten sind nicht auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet.

3. Der Senat verkennt nicht, daß der entpflichtete Professor rechtlich eine Zwischenstellung zwischen dem aktiven, also mit einem Amt betrauten und zu dessen Ausübung verpflichteten Beamten, und einem Ruhestandsbeamten einnimmt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den wesentlichen Unterschied des Rechtsstatus des entpflichteten Professors gegenüber demjenigen des Ruhestandsbeamten in dem verbliebenen Recht auf Ausübung der Lehrtätigkeit, d.h. darin gesehen, Vorlesungen abhalten zu dürfen. Allein das Recht zu lehren unterscheide den entpflichteten Professor von dem Ruhestandsbeamten (BGH-Beschluß vom 15.Januar 1973 AnwZ (B) 12/72, BGHZ 60, 152, 156). Der Senat hält diese Beurteilung, die entscheidend auf die Lehrtätigkeit und nicht auf die isoliert ausgeübte Forschungsarbeit abstellt, für zutreffend. Denn das Recht, auf eigene Kosten zu forschen, ist anders als das Recht, Vorlesungen an einer Universität zu halten, nicht ein Privileg des entpflichteten Professors, sondern steht jedem Bürger zu, also auch dem Ruhestandsbeamten oder dem Angestellten mit Rentenbezügen, der während seines aktiven Dienstes mit Forschungsaufgaben betraut war und diese danach fortführen möchte.

Soweit ein Professor nach seiner Entpflichtung oder Versetzung in den Ruhestand tatsächlich auf Ersuchen der Hochschule dort Vorlesungen hält oder eine sonstige Lehrtätigkeit ausübt und ein Werbungskostenabzug der damit zusammenhängenden Aufwendungen nach den vorstehenden Ausführungen nicht in Betracht kommt, könnte die Versagung des Werbungskostenabzugs und die Erhebung der entsprechend höheren Steuer insoweit als unbillig i.S. des § 163 Abs.1 der Abgabenordnung (AO 1977) erscheinen, als die Aufwendungen unmittelbar mit der Lehrtätigkeit im Zusammenhang stehen und ihre Höhe nicht in einem evidenten Mißverhältnis zu dem Umfang der Lehrtätigkeit steht.

4. Die Vorentscheidung ist von anderen rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klage ist aus den angeführten Gründen abzuweisen. Die Dienstbezüge sind der Klägerin unabhängig von ihren Aufwendungen für Reisen, Mitgliedschaften in Berufsverbänden und Tagungsbeiträge in der Zeit nach ihrer Entpflichtung zugeflossen. Es handelt sich auch bei keiner der von der Klägerin geltend gemachten Positionen um Aufwendungen, die als nachträgliche Werbungskosten (vgl. dazu Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 12.Aufl., § 9, Anm.2 j; Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, § 24, Anm.8 e) aus den früheren Einkünften der Klägerin i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG anzuerkennen wären. Denn die Aufwendungen der Klägerin hängen nicht damit zusammen, daß vor ihrer Entpflichtung übernommene Lehraufgaben, z.B. die Betreuung von Doktoranden, abgewickelt worden wären.

Ungeachtet dessen, daß auch das insoweit erforderliche Beschwerdeverfahren (vgl. §§ 348 Abs.1 Nr.2, 349 AO 1977) nicht durchgeführt worden ist, lägen die Voraussetzungen einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 Abs.1 AO 1977) im Streitfall nicht vor. Das FG hat nicht festgestellt, daß die Klägerin im Streitjahr noch Vorlesungen an der Universität abgehalten hat; die geltend gemachten Aufwendungen lassen ihrer Art nach auch keinen Bezug zu einer Lehrtätigkeit an der Universität erkennen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 64601

BFH/NV 1994, 19

BStBl II 1994, 238

BFHE 172, 478

BFHE 1994, 478

BB 1994, 207

BB 1994, 207 (L)

DB 1994, 310 (LT)

DStR 1994, 318 (K)

DStZ 1994, 183 (KT)

HFR 1994, 205-206 (LT)

StE 1993, 47 (K)

WPg 1994, 324 (L)

StRK, WK R.169 (LT)

FR 1994, 124 (K)

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