Leitsatz (amtlich)

Mindestanforderungen an die Revisionsbegründung.

 

Normenkette

FGO § 120 Abs. 2 S. 2

 

Gründe

Aus den Gründen:

Eine Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. Art. 124, 125 GG) oder, nach Maßgabe der aufgrund des § 118 Abs. 1 Satz 2 FGO ergangenen Landesgesetze, auf der Verletzung von Landesrecht beruhe. Eine Rechtsverletzung in diesem revisionsrechtlichen Sinne (anders Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und § 40 Abs. 2 FGO) liegt nur vor, wenn auf den festgestellten Sachverhalt oder bei Feststellung des Sachverhalts oder sonst in bezug auf das Verfahren eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist (§ 550 ZPO). Den Rechtsnormen im förmlichen Sinne stehen die Denkgesetze als allgemeine Regeln formal richtigen Denkens und diejenigen Obersätze des richterlichen Syllogismus gleich, an denen die im Einzelfall feststellbaren Tatsachen gemessen werden (Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 9. Aufl. 1961, § 140 III 1a, S. 700), also die allgemeinen (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 99 S. 70 [71] - RGZ 99, 70 [71] -; RGZ 105, 417 [419 f.]) - nicht aber die besonderen - Erfahrungssätze.

Auf die Behauptung, daß tatsächliche Feststellungen des angefochtenen Urteils - im besonderen dessen Beweiswürdigung - falsch seien, kann die Revision nicht gestützt werden. Die Beweiswürdigung und die tatsächlichen Feststellungen können nur mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, daß sie entweder ein nach den Denkgesetzen oder unzweifelhaften allgemeinen Erfahrungssätzen unmögliches Ergebnis festhielten - im besonderen in sich widersprüchlich seien -, oder daß in bezug auf das Verfahren bei der Bildung der richterlichen Überzeugung eine Rechtsnorm oder eine ihr gleichstehende Norm nicht oder nicht richtig angewendet worden sei und das festgestellte Ergebnis möglicherweise auf diesem Mangel beruhe (vgl. auch § 119 FGO). Dementsprechend bindet § 118 Abs. 2 FGO den BFH an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind (vgl. § 561 Abs. 2 ZPO). Daraus folgt die in § 115 Abs. 2 (vgl. §§ 116, 119) und § 118 Abs. 3 FGO wiederkehrende Unterscheidung zwischen den materiellrechtlichen Revisionsgründen und den Verfahrensrügen (vgl. § 288 AO a. F.).

Diese Unterscheidung hat § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO bei den Anforderungen an die Revisionsbegründung aufgenommen. Nach dieser - zwar nicht von § 290 Abs. 1, wohl aber von § 290 Abs. 2 AO a. F. grundsätzlich abweichenden - Vorschrift muß die - befristete (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) - Revisionsbegründung oder die Revision u. a. die verletzte Rechtsnorm und soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (vgl. § 554 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Ist bei statthafter (§ 115 Abs. 1 FGO), form- und fristgerecht eingelegter Revision auch nur eine Rechtsrüge innerhalb der Begründungsfrist schriftlich erhoben (§ 120 Abs. 1 FGO), so ist die Revision - bei mehreren teilbaren Streitpunkten bezüglich des gerügten (RGZ 113, 166 [168]) - zulässig (Wieczorek, Zivilprozeßordnung und Nebengesetze, Bd. III, 1957, § 554 Anm. C 1, C III f) und in den Grenzen des § 118 FGO zu prüfen und sachlich zu bescheiden. Fehlt es aber an der durch § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO geforderten Angabe des Revisionsgrundes, so ist die Revision nicht in der gesetzlichen Form begründet worden (§ 124 Satz 1 FGO), demzufolge unzulässig (§ 124 Satz 2 FGO) und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). An einer sachlichen Prüfung ist das Revisionsgericht in diesem Falle selbst dann gehindert, wenn das angefochtene Urteil offenbare Rechtsmängel enthält. Nur bei zulässiger Revision können wegen § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO unter Umständen materiellrechtliche Rügen nachgeschoben und gegebenenfalls noch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht werden (Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Aufl., 1966, § 554 Anm. 4 B; Wieczorek, a. a. O., § 554 Anm. C I a).

Mindestanforderung des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO ist (neben dem Revisionsantrag) die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm. Tatsächliche Rügen machen demnach die Revision in keinem Falle zulässig, sofern sie nicht als Verfahrensrügen verstanden werden können und den an diese gestellten (schärferen) Anforderungen genügen, insbesondere die Tatsachen genannt sind, die den behaupteten Mangel ergeben (vgl. RGZ 87, 5). Da die verletzte Rechtsnorm zu bezeichnen ist (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO), genügt - anders als nach § 344 Abs. 2 StPO - nicht die allgemeine Rüge einer Verletzung des materiellen Rechts (RGZ 123, 38 zu § 554 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe a ZPO; vgl. Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 13 S. 183 - BVerwGE 13, 183 - zu § 139 Abs. 2 Satz 2 VwGO) oder der Fehlerhaftigkeit des Urteils (Wieczorek, a. a. O., § 554 Anm. C III c 2). Andererseits braucht die erhobene Rechtsrüge nicht unbedingt durch Angabe eines bestimmten Paragraphen gekennzeichnet zu werden (Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bd. 4 S. 294 - BAGE 4, 294 -), zumal allgemeine Rechtsregeln, Gewohnheitsrecht und abgeleitete Rechtsnormen einer solchen Benennung nicht zugänglich wären. In jedem Falle muß aber eindeutig erkennbar sein, welche Norm der Revisionskläger für verletzt hält (RGZ 117, 168 [171]). Der Zweck des in den wesentlichen Punkten mit § 554 Abs. 3 Nr. 2 ZPO übereinstimmenden § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, das Revisionsgericht zu entlasten (RGZ 126, 245 [249]) und den Inhalt des Revisionsangriffs von vornherein klar herauszustellen, fordert, daß auch den sachlich-rechtlichen Revisionsrügen eine sorgfältige, über ihren Umfang und Zweck keinen Zweifel lassende Begründung zuteil wird (RGZ 117, 168 [170]). Wenn auch im Einzelfall die Angabe eines bestimmten Paragraphen - z. B. beim Streit um die Verjährung des § 145 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a AO a. F. - den Revisionsangriff erschöpfend kennzeichnen kann (weil § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO für die materielle Rüge nur die Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm fordert), so kann doch eine Revision auf die Verletzung allgemeiner Prinzipien - Denkgesetze, Erfahrungssätze, Treu und Glauben - nur dann zulässig gestützt werden, wenn diejenige Ausprägung des allgemeinen Gedankens angegeben wird, die verletzt sein soll. Andernfalls wäre unter diesen Ausdrücken die unsubstantiierte Rüge der Fehlerhaftigkeit zulässig, die § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO gerade ausschließt, indem er die Bezeichnung einer bestimmten Rechtsnorm fordert. Je weniger klar die Bezeichnung der Norm den Umfang des Revisionsangriffs erkennen läßt, um so mehr wird die Angabe der Tatsachen erforderlich, in denen die Verletzung einer Norm gesehen wird (Wieczorek, a. a. O., § 554 Anm. C III b 2).

Diese Tatsachen müssen bei einer materiellrechtlichen Rüge dem festgestellten Sachverhalt angehören. Denn soweit gegen den festgestellten Sachverhalt keine zulässige und begründete Verfahrensrüge vorgetragen ist, kann das Revisionsgericht nur an Hand des festgestellten Sachverhalts prüfen (§ 118 Abs. 2 FGO), ob die Entscheidung auf richtiger oder falscher Anwendung des Gesetzes beruht (vgl. § 550 ZPO, § 288 Nr. 1, § 296 Abs. 1 AO a. F.). Zwar ist es ein materieller Mangel eines angefochtenen Urteils, wenn dessen tatsächliche Feststellungen nicht ausreichen, die daran geknüpfte Rechtsfolge zu dekken (BFH-Urteil II R 36/67 vom 5. März 1968, BFH 92, 416, BStBl II 1968, 610); auch diese materielle Rüge macht aber die Revision nur dann zulässig, wenn zugleich die Rechtsnorm bezeichnet wird, welche durch die ohne ausreichende tatsächliche Feststellungen getroffene Entscheidung verletzt wird (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dabei wird indessen der Fehler des angefochtenen Urteils gerade aus dem - unzureichend - festgestellten Sachverhalt abgeleitet. Die sachlich-rechtliche Rüge versagt dagegen, wenn sich die materielle Unrichtigkeit der Entscheidung nur damit begründen läßt, daß nicht festgestellte Tatsachen vorgetragen werden. Das Fehlen solcher - selbst unbestrittener - Feststellungen kann nur mit einer Verfahrensrüge bemängelt werden. Eine solche liegt aber auch (vgl. § 118 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 FGO) im Sinne des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO nur vor, wenn die Tatsachen bezeichnet sind, die den Mangel ergeben. Sind diese Tatsachen nicht angegeben, so ist die Verfahrensrüge unzulässig (RGZ 87, 5; 95, 68 [72]; 126, 245 [248 f]; Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 14 S. 205 [209] - BGHZ 14, 205 [209]). Fehlen die Angaben, so muß die Umdeutung einer materiellrechtlichen Rüge auch dann scheitern, wenn ihr im übrigen der Vorwurf einer Verletzung der Ermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) entnommen werden könnte (vgl. Wieczorek, a. a. O., § 554 Anm. C III g 1).

Für die Rüge eines Verfahrensmangels genügt es somit nicht, ihn als solchen rechtlich zu bezeichnen. Vielmehr müssen bereits in der Revisionsbegründung die Tatsachen angegeben werden, die den gerügten Mangel ergeben (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO; vgl. § 554 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b ZPO, § 290 Abs. 1 AO a. F.). Nur die in dieser Weise gerügten Mängel unterliegen der Prüfung des Revisionsgerichts (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO; vgl. § 559 ZPO, § 296 Abs. 2 Satz 1 AO a. F.); ob davon abweichend Mängel, welche die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen würden (§ 134 FGO), noch nach Ablauf der Begründungsfrist (§ 120 Abs. 1 FGO) geltend gemacht werden können, kann dahingestellt bleiben. Ist die Revision nicht in anderer Weise zulässig begründet worden, so macht sie die Rüge eines Verfahrensmangels nur dann zulässig, wenn zugleich die Tatsachen bezeichnet werden, aus denen sich dieser Mangel ergibt (RGZ 87, 5). Das sind diejenigen Prozeßvorgänge, die mangelhaft sind (falsches Verhalten des Gerichts) oder die den Mangel im Urteil ergeben (z. B. ein später übergangener Beweisantrag oder die aktenmäßige Evidenz eines aufklärungsbedürftigen Punktes). Sie sind genau zu beschreiben. Der Revisionskläger darf sich nicht darauf verlassen, daß sie das Gericht den Akten entnehmen könne (RGZ 126, 245 [248 f]; BGHZ 14, 205 [209 f]). Die Revisionsrüge muß vielmehr in sich geschlossen und verständlich sein, obschon sie, um die Zulässigkeit der Revision zu begründen, weder schlüssig noch gar begründet zu sein braucht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68367

BStBl II 1969, 84

BFHE 1969, 116

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