Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Disposition über die Höhe eines Haftungsanspruchs

 

Leitsatz (NV)

1. Der Tatbestand des Urteils des Finanzgerichts muß ein klares und vollständiges Bild des Streitstoffes enthalten. Fehlt es daran, so hat das Revisionsgericht diesen Mangel ohne ausdrückliche Rüge zu berücksichtigen.

2. Die Höhe des Haftungsanspruchs steht grundsätzlich nicht zur Disposition der Finanzbehörde. Auch wenn der Haftungsanspruch außergewöhnlich hoch ist, braucht die Finanzbehörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung im Regelfall keine Erwägungen darüber anzustellen, ob diese Höhe dem Grad des Verschuldens entspricht.

3. Der Verzicht auf mündliche Verhandlung kann nicht wegen Irrtums angefochten und grundsätzlich auch nicht wiederrufen werden.

 

Normenkette

FGO § 90 Abs. 2, § 105 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3; AO 1977 §§ 69, 191

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war neben Z Geschäftsführer einer inzwischen im Konkurs befindlichen GmbH, die zur X-Gruppe gehörte und in A ein Steuerlager betrieb. Mit Steuerhaftungsbescheid . . . in der Fassung der Einspruchsentscheidung nahm der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) den Kläger nach §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftenden für . . . DM in Anspruch mit der Begründung, er habe die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt, indem auf seine Veranlassung für aus dem Steuerlager entnommenes Mineralöl die Mineralölsteuer zu den Fälligkeitsterminen nicht entrichtet worden sei. Das Unvermögen des Klägers zur Steuerzahlung zum Fälligkeitszeitpunkt habe darauf beruht, daß er die eingeflossenen Steuergelder zur anderweitigen Finanzierung verwendet habe. Bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte der Kläger das erkennen müssen. Das gelte insbesondere deswegen, weil er die Verkaufsgeschäfte ausschließlich mit Firmen getätigt habe, die der X-Gruppe angehört und von X selbst beherrscht worden seien. Der Kläger habe damit rechnen müssen, daß Liquiditätsschwierigkeiten entstehen und die Steuern künftig nicht entrichtet werden könnten. Er habe grob fahrlässig gehandelt. In der Inanspruchnahme des Klägers sei kein Ermessensfehler zu sehen. Zur Tilgung der Steuerrückstände stehe für die GmbH nur die Konkursmasse zur Verfügung, die zur vollen Tilgung der rückständigen Mineralölsteuer nicht ausreiche. Deswegen sei der Kläger als der für die GmbH verantwortliche Geschäftsführer dem Grunde nach und auch in der Höhe der noch nicht entrichteten Mineralölsteuer zu Recht und ermessensfehlerfrei in Anspruch genommen worden.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Aufhebung des Steuerhaftungsbescheids in der Fassung der Einspruchsentscheidung. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und ließ die Revision zu.

Es führte im wesentlichen aus:

Der Kläger habe seine Pflicht nach § 34 Abs. 1 AO 1977, für die Zahlung der Steuern zu sorgen, durch die Nichtzahlung nicht schuldhaft verletzt. Ein Steuerlagerinhaber habe die Pflicht, die auf die verkauften Mengen entfallenden Steueranteile jeweils so zu verwalten, daß sie zum Fälligkeitszeitpunkt dem Steuerpflichtigen liquide für die Zahlung der Steuern zur Verfügung stünden. Das bedeute aber nicht, daß die mit den Verkaufserlösen einfließenden Steuergelder separiert bis zum Fälligkeitstage verfügbar gehalten werden müßten. Ein Geschäftsführer verletze aber seine Pflicht, für die Steuerzahlung zu sorgen, wenn er sich außerstande setze, eine bereits entstandene, aber erst künftig fällig werdende Steuerforderung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu tilgen. Eine derartige Pflicht habe der Kläger aber nicht verletzt. Sie könne nicht daraus hergeleitet werden, daß die GmbH nahezu ausschließlich Mineralöl an Unternehmen der X-Gruppe verkauft habe. Aus den Ausführungen zur Begründung der angefochtenen Bescheide ergebe sich, daß erst durch die Zahlungsunfähigkeit der B und der übrigen Unternehmen der X-Gruppe besondere Umstände eingetreten seien, durch die der Kläger daran gehindert worden sei, die Mineralölsteuer pünktlich zu zahlen, und daß die vom HZA aufgezeigten und angeblich seit Jahren bestehenden schwierigen finanziellen Verhältnisse der B und der übrigen Unternehmen der X-Gruppe auf die Zahlung der Mineralölsteuer bis dahin keine Auswirkungen gehabt hätten. Der Kläger habe unwidersprochen vorgetragen, er habe die fälligen Mineralölsteuern bis dahin und damit bis zu dem Monat, in dem Konkurs eröffnet worden sei, stets pünktlich und vollständig bezahlt; dementsprechend sei auch B ihren Zahlungsverpflichtungen im gleichen Umfange nachgekommen.

Zwar könne auch in der Duldung von Mineralölverkäufen an nur einen Abnehmer, dessen finanzielle Lage sich ständig verschlechtere, eine kontinuierliche Verletzung der Pflichten nach § 34 AO 1977 liegen. So liege der Fall hier aber nicht. Aus dem Betriebsprüfungsbericht vom . . . ergebe sich zwar aus den einseitigen Mineralölverkäufen an B und C eine abstrakte Gefährdung, die sich jedoch im Jahre . . . nicht durch besondere Umstände zu einer konkreten Gefährdung, die bestimmte Maßnahmen erforderlich gemacht hätte, verdichtet habe. Außerdem habe der Bundesminister der Finanzen (BMF) . . . die Mineralölsteuern der X-Unternehmen gestundet. Das sei nur zulässig, wenn der Anspruch nicht gefährdet erscheine (§ 222 Satz 1 AO 1977).

Eine schuldhafte Pflichtverletzung liege auch nicht darin, daß die GmbH, vertreten durch den Kläger, . . . einem sog. Verrechnungsabkommen beigetreten sei. Eine Pflichtverletzung könne zwar vorliegen, wenn ein Steuerlagerinhaber einem anderen gestatte, die Verkaufserlöse im eigenen Namen und für eigene Rechnung einzuziehen. Der Lagerinhaber dürfe sich nicht in eine Lage bringen, in der er nicht mehr eigenverantwortlich für die Bereitstellung der Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer im Fälligkeitszeitpunkt sorgen könne (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. März 1986 VII R 38/81, BFHE 146, 336, BStBl II 1986, 577). Das sei hier aber nicht der Fall. Es treffe zwar zu, daß die Verrechnungsabkommen das Mineralölsteueraufkommen aller diesem Abkommen beigetretenen Firmen in gewissem Maße gefährdet hätten. Selbst wenn aber in der Duldung des Weiterverkaufs des Mineralöls im Jahre . . . eine Pflichtverletzung des Klägers gelegen hätte, fehle es an dem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dieser und der nicht rechtzeitigen Entrichtung der Mineralölsteuer. Denn die Zahlung sei unterblieben, weil die Unternehmen der X-Gruppe im Juli 1979 zahlungsunfähig geworden seien, und nicht, weil ein Abnehmer der GmbH eine diese schädigende Verrechnung aufgrund des Verrechungsabkommens vorgenommen habe.

Mit der weiteren Tatsache, daß auf der zweiten Entscheidungsstufe weder der Haftungsbescheid noch die Einspruchsentscheidung ausreichende Ausführungen zum Auswahl- und Entschließungsermessen enthielten und der Haftungsbescheid auch aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft sei, brauche sich das FG daher nicht mehr auseinanderzusetzen.

Seine Revision begründet das HZA im wesentlichen wie folgt:

Das FG werte zu Unrecht die Tatsache, daß der Kläger auf Weisung des alleinigen Gesellschafters der GmbH, X, die Erlöse aus dem Steuerlagergeschäft der GmbH an die zur X-Gruppe gehörende D zu dem Zwecke abgeführt habe, um weitere Wareneinkäufe zu tätigen, nicht als grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. des § 69 A0 1977. Die Gewinne aus dem Handel mit unversteuertem Mineralöl, die von der D in Schiffspartien angekauft und unversteuert im Streckengeschäft an X-Firmen weiterverkauft worden seien, hätten nicht ausgereicht, um die Mineralölsteuerverbindlichkeiten aus dem Lagergeschäft zu decken. Die GmbH sei also zu den Fälligkeitsterminen stets darauf angewiesen gewesen, von den anderen Firmen der X-Gruppe mit liquiden Mitteln versorgt zu werden. Dieses Geschäftsgebaren des Klägers sei als grob fahrlässig zu beurteilen, zumal die GmbH und damit der Kläger den Bericht der Betriebsprüfungsstelle Zoll, aus dem die finanziellen Schwierigkeiten der X-Gruppe erkennbar gewesen seien, gekannt habe.

Zumindest hätte das FG es als grob fahrlässige Pflichtverletzung ansehen müssen, daß der Kläger selbst nach Kenntnis der schwierigen finanziellen Lage der X-Gruppe die riskante Verwendung der Geldmittel der GmbH, die zur Begleichung der Mineralölsteuer bereitzuhalten gewesen seien, nicht aufgegeben habe, ohne dafür Sorge zu tragen, daß der GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit die zur Begleichung der Mineralölsteuer notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten.

Eine fahrlässige Pflichtverletzung hätte das FG auch darin sehen müssen, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH weiterhin nahezu ausschließlich Mineralöl an Unternehmen der X-Gruppe verkaufen ließ, obwohl die GmbH einem Verrechnungsabkommen der X-Gruppe beigetreten sei, durch das der GmbH als Steuerlagerinhaberin die Mittel zur Zahlung der Mineralölsteuer hätten entzogen werden können, ohne daß sie sich dagegen hätte wehren können. Mit seiner Auffassung, es fehle insoweit an der Kausalität, übersehe das FG, daß eine Sicherung der Forderungen der GmbH gegen ihre Abnehmer in der X-Gruppe nicht nur gegen eine schädigende Verrechnung, sondern auch gegen Zahlungsunfähigkeit der Abnehmer Schutz geboten hätte. Für eine Sicherung zu sorgen, sei der Kläger als Geschäftsführer der GmbH verpflichtet gewesen, da er ein Verrechnungsabkommen, durch das der GmbH die Mittel zur Mineralölsteuerzahlung entzogen werden konnten, ohne daß sie sich dagegen hätte wehren können, nicht habe dulden dürfen. Nach dem Urteil in BFHE 146, 336, BStBl II 1986, 577 sei es dem Kläger aber nicht gestattet gewesen, sich in eine Lage zu bringen, in der er nicht mehr eigenverantwortlich für die Bereitstellung der Mittel zur Entrichtung der Mineralölsteuer am Fälligkeitszeitpunkt habe sorgen können. Der Kläger hätte die Außenstände der GmbH in einer Form sichern müssen, die die finanziellen Mittel der GmbH der Disposition der Teilnehmer des Verrechnungsabkommens entzogen hätte, sei es durch Pfandrechte, Bürgschaften eines Dritten, verlängerten Eigentumsvorbehalts oder dergleichen. Notfalls hätte der Kläger seine Geschäftsführertätigkeit aufgeben müssen.

Die als grob fahrlässig zu wertenden Pflichtverletzungen des Klägers seien zumindest für einen Mineralölsteuerausfall der GmbH in Höhe von . . . DM ursächlich gewesen. Denn wenn der Kläger seine Pflichten ordentlich erfüllt hätte, hätte er, wenn schon nicht eine 100 %ige, so doch mindestens eine 50 %ige Sicherung der Außenstände der GmbH herbeiführen müssen und können. Das FG hätte daher in seinem Urteil bestätigen müssen, daß der Kläger für 50 % von . . . DM ausgefallene Mineralölsteuer habe in Anspruch genommen werden können.

Das HZA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet zurückzuweisen, soweit der Kläger durch den Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung in Höhe von . . . DM in Anspruch genommen worden ist.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er macht u. a. geltend:

Das HZA verweise jetzt erstmals auf einen ,,nur" 50 %igen Pflichtenverstoß. Das FG habe indes insoweit in eine Überprüfung des Ermessens nicht eintreten können, weil das HZA eine entsprechende Ermessensentscheidung nicht rechtzeitig getroffen habe. Da der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung keine Erwägungen zur Ermessensbestätigung sowohl hinsichtlich des Umfangs der Haftung als auch der Schuldnerauswahl enthielten, könnten die Verwaltungsentscheidungen keinen Bestand haben. Das HZA habe nicht berücksichtigt, daß er, der Kläger, erst neun Monate als Geschäftsführer der GmbH tätig gewesen sei und die Verwaltung der Mineralölsteuer nicht zu seinem Aufgabenbereich gehört hätte.

Das HZA verkenne mit seiner Argumentation den Begriff der adäquaten Kausalität. Die völlig überraschende Steuerstundung für die gesamte X-Gruppe einschließlich der GmbH sowie der nachfolgende Widerruf der Stundung mit unmittelbar folgendem Zusammenbruch der X-Gruppe seien außergewöhnliche Ereignisse gewesen, auf die allein die Nichtentrichtung der Steuer durch die GmbH zurückzuführen sei. Für die GmbH habe sich der Zusammenbruch kurzfristig im Juli 1979 angekündigt mit der Folge, daß die GmbH zu den Fälligkeitsterminen die Steuer nicht habe zahlen können. Bei Betätigung innerhalb eines Firmenverbundes wie dem der X-Firmen stelle es ein ganz außergewöhnliches Ereignis dar, wenn die Spitze des Verbundes, hier X, mit amtsbekannt, raffinierten Methoden Steuerhinterziehungen begehe.

Zumindest aber habe er, der Kläger, nicht grob fahrlässig gehandelt. Zu keiner Zeit sei aus seiner Sicht die Entrichtung der Mineralölsteuer durch die GmbH gefährdet gewesen. Mineralölan- und -verkäufe durch verbundene Firmen seien in der Mineralölwirtschaft weitgehend die Regel.

Die Pflicht zur Abzahlung der hohen Steuersumme würde ihn, den Kläger, über seine Verhältnisse und auf Lebenszeit hinaus belasten. Diese Belastung wäre ferner im Vergleich zur Behandlung anderer Geschäftsführer der X-Gruppe völlig unverhältnismäßig.

 

Entscheidungsgründe

Das HZA greift die Vorentscheidung nur teilweise an. Es ist, wie sich aus seinem Revisionsantrag ergibt, der Auffassung, daß das FG die angefochtenen Bescheide nur insoweit hätte aufheben dürfen, als mit ihnen der Kläger als Haftender für einen höheren Betrag als . . . DM in Anspruch genommen worden ist. Die Vorentscheidung ist daher teilweise rechtskräftig geworden, d. h. soweit sie die angefochtenen Bescheide für den überschießenden Betrag aufgehoben hat.

Die Revision des HZA ist, soweit ihr Angriff geht, begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Vorentscheidung entspricht nicht den Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Urteils gestellt werden müssen. Es fehlt an der hinreichenden Darstellung des Tatbestandes (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Diesen Mangel hat das Revisionsgericht ohne ausdrückliche Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 21. Januar 1981 I R 153/77, BFHE 133, 33, 35, BStBl II 1981, 517, 518; vgl. auch Senatsurteile vom 17. März 1988 VII R 69/85, BFH /NV 1988, 717, 718, und vom 25. Oktober 1988 VII R 17/85, BFH / NV 1989, 464, 465).

Die Vorentscheidung enthält in ihrem mit ,,Tatbestand" überschriebenen Abschnitt außer der Feststellung, daß der Kläger Geschäftsführer der GmbH war, sowie daß die GmbH zur X-Gruppe gehörte und in . . . ein Steuerlager betrieb, nur Prozeßgeschichte. Einige verstreute Ausführungen des FG im Abschnitt ,,Entscheidungsgründe" sind als Feststellungen zu werten. Andere Ausführungen in diesem Abschnitt - wie Wiedergaben des Inhalts eines Betriebsprüfungsberichts oder von Äußerungen der Beteiligten - lassen nicht erkennen, ob das FG Feststellungen entsprechend dem Inhalt dieser Äußerungen treffen wollte. Manche Hinweise - z. B. auf ,,B", ,,X-Gruppe", ,,C", ,,Verrechnungsabkommen" - setzen zum Verständnis Kenntnisse voraus, die die Ausführungen der Vorentscheidung nicht vermitteln. Die Vorentscheidung erfüllt daher nicht die Voraussetzungen, die § 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 FGO an den Tatbestand eines Urteils stellt.

Der Tatbestand eines Urteils muß in sich verständlich sein. Die Darstellung muß ein knapp gehaltenes, klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffes in logischer Folge und unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten enthalten. Gibt der Tatbestand eines angefochtenen Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis seines Inhalts erforderlichen Sach- und Streitstand nicht hinreichend wieder, so bildet die Entscheidung keine Grundlage für deren sachliche Nachprüfung durch das Revisionsgericht (BFHE 133, 33, 34 ff., BStBl II 1981, 517, 518). Im vorliegenden Fall mußte sich dem FG die Notwendigkeit, den Streitstoff in der angegebenen Weise darzustellen, besonders aufdrängen. Denn die sachliche Überprüfung der Auffassung des FG, der Kläger habe seine Pflichten nach § 34 Abs. 1 AO 1977 nicht schuldhaft verletzt oder es fehlte zumindest an einem adäquaten Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und der Steuerverkürzung, ist - wie die Revisionsbegründung und -erwiderung zeigen - dem Senat nur möglich anhand einer ausreichenden Schilderung des Sachverhalts. Daran hat es das FG fehlen lassen.

2. Dennoch bedürfte es keiner Zurückverweisung der Sache an das FG, wenn sich aus besonderen, vom Revisionsgericht zu beachtenden Gründen ergäbe, daß die Klage Erfolg haben muß und daher die Vorentscheidung im Ergebnis richtig ist. Solche besonderen Gründe lägen vor, wenn die Feststellungen der Vorentscheidung ausreichten für die Entscheidung, daß die angefochtene Bescheide Ermessensfehler aufwiesen, die ihre Aufhebung rechtfertigten. Das ist jedoch nicht der Fall.

a) Das FG hat entschieden, daß ,,weder der Haftungsbescheid noch die Einspruchsentscheidung ausreichende Ausführungen zum Auswahl- und Entschließungsermessen enthalten und der Haftungsbescheid auch aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft ist" (S. 11/12 der Vorentscheidung). Es hat für diese - von seinem Rechtsstandpunkt aus gesehen nicht tragende - Rechtsauffassung keine Begründung gegeben. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, welche Ermessensfehler das FG für gegeben hielt. Das Urteil entspricht insoweit nicht den Anforderungen des § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO und ermöglicht dem Revisionsgericht seine Überprüfung nicht.

b) Entgegen der Auffassung des Klägers ergeben sich Ermessensfehler nicht aus der nur eingeschränkten Anfechtung der Vorentscheidung durch das HZA im Revisionsverfahren. Die Entscheidung der Verwaltung über die Inanspruchnahme eines Haftenden ist zweigliedrig. Das HZA hat zunächst die Rechtsentscheidung zu treffen, ob die Voraussetzungen der §§ 34, 69 AO 1977 für die Inanspruchnahme gegeben sind, bevor es in der zweiten Entscheidungsstufe die aufgrund der Kann-Bestimmung des § 191 Abs. 1 AO 1977 erforderliche Ermessensentscheidung trifft (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508). Zur Rechtsentscheidung gehört die Frage, ob der Betroffene seine Pflichten schuldhaft verletzt hat und ob diese Pflichtverletzung kausal für eine Steuerverkürzung geworden ist. Zu diesem Bereich gehört das Vorbringen des HZA im vorliegenden Revisionsverfahren, mit dem es seine Einschränkungen des Revisionsantrags begründet. Es geht nämlich davon aus, daß der Kläger ,,nur" eine Pflicht hatte, die Außenstände der GmbH zu mindestens 50 % zu sichern. Der Ermessensbereich der Entscheidung ist dadurch ebensowenig berührt wie etwa durch entsprechende Entscheidungen bei der Geschäftsführerhaftung für die Umsatzsteuer, wenn die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung aller Schulden ausreichten (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 16. März 1988 I R 129/83, BFH / NV 1989, 409).

c) Ermessensentscheidungen hat die Finanzbehörde zu begründen; sonst sind sie in der Regel fehlerhaft (vgl. Senatsurteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl I 1981, 493).

Die Begründung muß spätestens in der Einspruchsentscheidung gegeben werden (vgl. § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977). Die Einspruchsentscheidung des HZA im vorliegenden Fall enthält eine solche Begründung in ausreichendem Umfang; deswegen ist es im vorliegenden Verfahren auch ohne Bedeutung, daß - wie der Senat mit Urteil vom 8. November 1988 VII R 141/85 (BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219) entschieden hat - für die nach der AO 1977 zu beurteilende Haftung des Geschäftsführers bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung anders als nach früherem Recht nicht mehr ohne weiteres von einer Vorprägung der Ermessensentscheidung des FA ausgegangen werden kann. Nach der Begründung der Einspruchsentscheidung war sich das HZA darüber im klaren, daß die Entscheidung über das ,,Ob" der Inanspruchnahme (Entschließungsermessen) als auch über die Auswahl der Haftenden und die Höhe der Haftungssumme in sein Ermessen gestellt war. Es hat deutlich gemacht, daß es sein Ermessen ausübte, indem es den Kläger in der angegebenen Höhe als Haftenden neben dem zweiten Geschäftsführer der GmbH in Anspruch nahm.

d) Einer weiteren Begründung hätte die Ermessensentscheidung dann bedurft, wenn davon auszugehen wäre, daß wegen der Höhe der Haftungssumme (lt. Einspruchsentscheidung . . . DM) die entsprechende Inanspruchnahme nur unter besonderen Umständen unter Anstellung entsprechender Erwägungen gerechtfertigt gewesen wäre. Das ist jedoch nicht der Fall.

Wie der V. Senat des BFH entschieden hat, ist die Höhe des Haftungsanspruchs grundsätzlich nicht in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt (Urteil vom 7. Juli 1983 V R 197/81, BFHE 139, 310, 312, BStBl II 1984, 70). Der Senat folgt für den Regelfall dieser Auffassung. Andernfalls würde den Finanzbehörden bei der Inanspruchnahme eines Haftenden die Pflicht auferlegt, im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung besondere - unter Umständen weitreichende - Ermittlungen anzustellen darüber, wie es um die etwaige Zahlungsfähigkeit des Inanspruchgenommenen steht und ob dessen Verschulden im richtigen Verhältnis zur Haftungssumme steht. Von einer solchen Pflicht könnte nur ausgegangen werden, falls man den Haftungstatbestand des § 69 AO 1977 als eine Art von Sanktion für ein bestimmtes Fehlverhalten qualifiziert, bei der - ähnlich einer Strafe - die Höhe der Haftungssumme im angemessenen Verhältnis zum Maß des Verschuldens stehen muß. Diese Auffassung entspricht schon deswegen nicht dem Sinn des § 69 AO 1977, weil dieser - wie der Senat mehrfach entschieden hat - Schadensersatzcharakter hat (vgl. z. B. Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BFHE 153, 512, 514, BStBl II 1988, 859). Zu den Eigenheiten einer Schadensersatznorm gehört es aber, daß das ,,Ob" der Inanspruchnahme nur davon abhängig ist, ob die Tatbestandsmerkmale der Haftungsnorm (hier: schuldhafte Pflichtverletzung) erfüllt sind, während sich die Höhe der Haftung unabhängig vom Maß des Verschuldens daraus ergibt, inwieweit die Pflichtverletzung ursächlich für den Schaden (hier: die Steuerverkürzung) geworden ist (vgl. zur Frage der Kausalität auch das Urteil in BFH / NV 1989, 409, 410). Der erkennende Senat hat daher bisher in entsprechenden Fällen - allerdings ohne besondere Begründung - bei der Inanspruchnahme eines Geschäftsführers als Haftender für Mineralölsteuer in Millionenhöhe, die durch Auslagerung aus einem Mineralölsteuerlager entstanden ist, aus der Höhe der Haftungssumme allein nicht auf Ermessensfehler des HZA geschlossen (Senatsurteile vom 20. Oktober 1987 VII R 6/84, BFH / NV 1988, 428 - Haftungssumme 2,6 Mio. DM -, und vom 2. Februar 1988 VII R 90/86, BFH /NV 1988, 487 - Haftungssumme 2,3 Mio. DM -).

Das Senatsurteil vom 8. November 1988 VII R 78/85 (BFHE 155, 17, BStBl II 1989, 118) steht dieser Auffassung nicht entgegen. Der Senat hat den dort entschiedenen Fall ausdrücklich als besonders gelagerten Ausnahmefall bezeichnet. Die Besonderheit dieses Falles sah der Senat - ausgehend vom grundsätzlichen Schadensersatzcharakter der Haftungsnorm (dort § 71 AO 1977) - darin, daß dem Steuergläubiger trotz des Eintritts einer Steuerverkürzung (,,aus formalen Gründen") nach ,,der steuerrechtlich bedeutsamen Lage" kein oder nur ein geringerer ,,Schaden" entstanden sei, weil das dort den Gegenstand einer Steuerhehlerei bildende Mienralöl letztlich der steuerbegünstigten Zweckbestimmung, dem Verheizen, zugeführt worden sei. Das ist ein mit dem vorliegenden nicht vergleichbarer Fall.

3. Die Vorentscheidung ist aus den in Nr. 1 genannten Gründen aufzuheben. Da der Senat mangels ausreichender Feststellungen des FG nicht in der Sache selbst entscheiden kann, wird die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG wird bei seiner neuerlichen Entscheidung von den Grundsätzen auszugehen haben, die der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Feststellung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Haftung des Geschäftsführers eines Mineralölsteuerlagerbetriebs entwickelt hat (vgl. zuletzt Urteil vom 2. Februar 1988 VII R 90/86, BFH / NV 1988, 487, 489, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Senats; vgl. auch Urteile des Senats vom 20. Oktober 1987 VII R 6/84, BFH / NV 1988, 428, und vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491). Ferner wird das FG die obigen Ausführungen zur Frage der Ermessensbetätigung des HZA zu beachten haben. Mit diesen hat der Senat freilich die Frage nicht endgültig entschieden, ob die Ermessensentscheidung des HZA rechtsfehlerfrei ist; er konnte das angesichts des fehlerhaften Tatbetands der Vorentscheidung nicht tun.

4. Der Senat hält es für angebracht, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden; das Einverständnis der Beteiligten liegt vor (§ 90 Abs. 2 FGO). Auch der Kläger hat sich durch den Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 21. Oktober 1988 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Zwar hat der Kläger im Schriftsatz vom . . . ausdrücklich beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, und darauf hingewiesen, daß er Wert auf Teilnahme an der mündlichen Verhandlung lege, um zu Sachverhalten persönlich Stellung nehmen zu können, die ihn nach Auffassung des HZA belasteten. Diese Erklärung hat jedoch keine rechtliche Wirkung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann die Einverständniserklärung nicht wegen Irrtums angefochten und grundsätzlich auch nicht widerrufen werden (vgl. Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 90 Anm. 13, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Ein Ausnahmefall (wesentliche Änderung der Prozeßlage, vgl. Gräber / Koch, a.a.O., Anm. 14) liegt nicht vor.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416624

BFH/NV 1990, 348

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