Leitsatz (amtlich)

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, der dem Klagebegehren des Steuerpflichtigen entspricht, erklärt er aber gleichwohl den Rechtsstreit in der Hauptsache nicht für erledigt, hat das Gericht über die Erledigung der Hauptsache zu befinden und sie im gegebenen Falle ausdrücklich festzustellen. Der Senat schließt sich insoweit dem Beschluß des BFH III 142/65 vom 25. Oktober 1968 (BFH 94, 302, BStBl II 1969, 167) an.

 

Normenkette

FGO §§ 40, 68

 

Tatbestand

Die Revisionsklägerin zu 1 betreibt eine Gastwirtschaft; ihr Ehemann, der Revisionskläger zu 2, ist Geschäftsführer in ihrem Betrieb. Den Revisionsklägern (Steuerpflichtigen) war zu Händen ihrer Steuerbevollmächtigten für die Abgabe ihrer Steuererklärungen 1965 bis zum 31. März 1967 Frist gewährt worden. Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist forderte der Revisionsbeklagte (das FA) sie mit Schreiben vom 20. Juni 1967 unmittelbar zur Abgabe ihrer Steuererklärungen auf. Den Antrag (vom 24. Juni 1967), die Frist mit Rücksicht auf verschiedene Krankheitsfälle der Steuerpflichtigen erneut bis Ende September 1967 zu verlängern, lehnte das FA ab und setzte Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer nach geschätzten Besteuerungsgrundlagen mit Bescheiden vom 16. August 1967 fest.

Mit ihrem Einspruchsschreiben vom 15. September 1967 sicherten die Steuerpflichtigen die Vorlage ihrer Steuererklärungen nebst Bilanz zum 31. Dezember 1965 in etwa 14 Tagen zu. Nach fruchtlosem Ablauf der mit Verfügung vom 6. November 1967 bis zum 15. November 1967 gesetzten Begründungsfrist für die Einsprüche wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Gegen die Einspruchsentscheidungen erhoben die Steuerpflichtigen Klage zum FG. Im Laufe des Verfahrens reichten sie dem FA im April 1968 die Steuererklärungen 1965 und die Bilanz zum 31. Dezember 1965 ein. Dieses änderte die angefochtenen Bescheide durch Veranlagung der Steuerpflichtigen nach Erklärung, wobei es - nach einem Aktenvermerk: mit Einverständnis der Steuerbevollmächtigten der Steuerpflichtigen - geringfügig von den Erklärungen abwich (Steuerbescheide vom 5. September 1968). Mit Schriftsatz vom 11. September 1968 erklärte es dem FG gegenüber den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt; die Kosten seien nach § 137 FGO den Steuerpflichtigen aufzuerlegen. Die Steuerpflichtigen gaben trotz mehrfacher Aufforderung durch das FG keine Erklärung ab. Darauf setzte das FG Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. November 1968 an, zu dem die Steuerpflichtigen ordnungsmäßig getrennt geladen wurden, indes nicht erschienen. Gemäß dem Antrag des FA wies das FG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus:

Die Klage sei unzulässig, da den Steuerpflichtigen im maßgebenden Zeitpunkt, dem Schluß der (letzten) mündlichen Verhandlung, die Klagebefugnis gefehlt habe. Sie hätten nicht substantiiert dargetan, daß sie durch die angefochtenen - inzwischen durch die Bescheide vom 5. September 1968 ersetzten - Verwaltungsakte (Steuerbescheide vom 16. August 1967) in ihren Rechten verletzt seien. Einen Antrag nach § 68 FGO, die Bescheide vom 5. September 1968 an Stelle der Bescheide vom 16. August 1967 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen, hätten sie nicht gestellt, so daß nach Fortfall der ursprünglichen (angefochtenen) Steuerbescheide die Klage mangels Beschwer unzulässig und damit abzuweisen gewesen sei (Urteil des BFH I 238/65 vom 9. November 1966, BFH 87, 288, BStBl III 1967, 129).

Es könne dahingestellt bleiben, ob mit dem Erlaß eines Berichtigungsbescheides nach § 94 Abs. 1 Nr. 2 AO der ursprüngliche Bescheid fortfalle und der neue an seine Stelle trete oder ob der ursprüngliche Bescheid nur seinem Inhalt nach geändert werde. Im ersten Falle seien die Steuerpflichtigen durch die angefochtenen, jetzt indes nicht mehr existierenden Bescheide objektiv nicht mehr beschwert; im zweiten Falle fehle es an der Geltendmachung einer Beschwer gegenüber den Berichtigungsbescheiden. Durch die Abweisung der Klage als unzulässig werde die Existenz der berichtigten Bescheide nicht berührt.

Gegen diese Entscheidung haben die Steuerpflichtigen Revision eingelegt. Zu ihrer Begründung führen sie aus, sie hätten ihr Klagebegehren als in der Hauptsache für erledigt angesehen, nachdem das FA nach Vorlage der Bilanz die angefochtenen Steuerbescheide geändert und in den neuen Bescheiden ausdrücklich erwähnt habe, daß damit der von ihnen eingelegte Rechtsbehelf in der Hauptsache erledigt sei. Sie seien deshalb bei Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung, in der der Vermerk "Ihr persönliches Erscheinen ist angeordnet" ausdrücklich gestrichen gewesen sei, davon ausgegangen, daß nur noch über die Kosten entschieden werden würde.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist - gemäß der vom FG ausgesprochenen Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache - zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, so wird dieser (andere) Verwaltungsakt auf Antrag des Klägers Gegenstand des Verfahrens (§ 68 FGO). Die Steuerpflichtigen haben nach Erhalt der Steuerbescheide vom 5. September 1968 und nach Kenntnis von der Erledigungserklärung des FA im Schriftsatz vom 11. September 1968 einen Antrag aus § 68 FGO nicht gestellt, weil sie einmal angesichts der Bescheide vom 5. September 1968 keinen Anlaß sahen, einen Antrag nach § 68 FGO zu stellen, diese Bescheide vielmehr ihren Vorstellungen über den Umfang ihrer Steuerpflicht für das Streitjahr (1965) entsprachen, und weil sie - wie sie vortragen - nach Erhalt der Bescheide vom 5. September 1968 mit dem FA den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt hielten und vom FG nur noch eine Entscheidung über die Kosten erwarteten. Der Senat braucht deshalb zu den sich aus § 68 FGO ergebenden Rechtsfragen im vorliegenden Falle keine Stellung zu nehmen (siehe zu der vom FG angeschnittenen Frage des Fortbestands oder des Wegfalls der ursprünglichen Bescheide: Woerner, Deutsches Steuerrecht 1965 S. 408; Söhn, Steuer und Wirtschaft 1969 Sp. 217; BFH-Urteil IV 162/65 vom 29. Januar 1970, BFH 98, 157, BStBl II 1970, 623; zur Frage der Bedeutung des Antrags als einer Klageänderung: Urteil des BFH II 113/65 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 27, BStBl II 1968, 210, ebenso Urteil des FG Hamburg I 131/67 vom 25. November 1968, EFG 1969, 186; anderer Meinung - obiter dictum - Urteil des BFH IV R 110/67 vom 28. Mai 1968, BFH 92, 322, BStBl II 1968, 541).

2. Entspricht jedoch der den angefochtenen (ursprünglichen) Steuerbescheid ändernde oder ersetzende Steuerbescheid dem Klagebegehren, so kann der Kläger dem FG die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklären. Nur bei Vorliegen zweier übereinstimmender Erledigungserklärungen des Klägers und des Beklagten kann das Gericht das Verfahren als in der Hauptsache erledigt ansehen (Beschluß des BFH V B 46/67 vom 15. Februar 1968, BFH 91, 514, BStBl II 1968, 413); andernfalls hat das Gericht über die tatsächliche Erledigung der Hauptsache zu befinden und die Erledigung im gegebenen Falle ausdrücklich festzustellen (BFH-Beschluß III 142/65 vom 25. Oktober 1968, BFH 94, 302, BStBl II 1969, 167), wenn das FA mit der Änderung oder Ersetzung des angefochtenen (ursprünglichen) Steuerbescheides im Sinne des Klagebegehrens den Kläger klaglos gestellt hat.

Demgemäß hat das FG die Steuerpflichtigen im Streitfall mit Verfügung vom 17. September 1968 bei Übersendung des Schriftsatzes des FA vom 11. September 1968 aufgefordert, sich zu äußern, ob sie den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären und welche Kostenanträge sie stellen wollten. Wenn die Steuerpflichtigen diese Aufforderung trotz Erinnerung unbeachtet gelassen haben, so haben sie übersehen, daß ein Rechtsstreit keineswegs durch einseitiges Handeln oder einseitige Erklärungen eines der Beteiligten - wie hier des FA - seine Erledigung finden kann, daß vielmehr das mit der Klageerhebung zwischen den Verfahrensbeteiligten begründete Prozeßrechtsverhältnis seinem ganzen Umfang nach nur durch eine seiner Begründung entsprechende dispositive Maßnahme (Klagerücknahme), seiner Hauptsache nach nur durch eine übereinstimmende Erklärung beider Beteiligten (Erklärung des Rechtsstreits für in der Hauptsache erledigt) oder durch einen Spruch des Gerichts beendet werden kann.

3. Dennoch haben die Steuerpflichtigen im endgültigen Ergebnis keinen Rechtsnachteil erlitten, da sie die Kosten auch im Falle der Abgabe einer Erledigungserklärung zu tragen gehabt hätten, weil sie die Tatsachen, die zur Änderung der angefochtenen (ursprünglichen) Steuerbescheide führten (Nachweis von Umsatz, Gewinn aus Gewerbebetrieb und Einkommen durch Abgabe der Steuererklärungen und der Bilanz zum 31. Dezember 1965), bereits früher hätten geltend machen können und sollen (§ 137 FGO). Daß sie trotz Aufforderung ihre Mitwirkungspflicht im Besteuerungsverfahren (§§ 166 ff. AO) nicht erfüllten, ist ihnen als Verschulden im Sinne der Vorschrift des § 137 FGO zuzurechnen (vgl. dazu Beschluß des BFH V B 12/66 vom 14. Dezember 1967, BFH 91, 23, BStBl II 1968, 203); den Grad des Verschuldens sieht der Senat als grobes Verschulden an; ob auch ein nur leichtes Verschulden genügt haben würde, ihnen die Kosten aufzuerlegen, kann der Senat dahingestellt lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69139

BStBl II 1970, 785

BFHE 1971, 14

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