Entscheidungsstichwort (Thema)

Studienreise von Gerichtsreferendaren

 

Leitsatz (NV)

Aufwendungen für eine von Gerichtsreferendaren im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft freiwillig durchgeführte Studienfahrt sind nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn durch das Reiseprogramm auch ein allgemeintouristisches Bedürfnis befriedigt wird.

 

Normenkette

EStG § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nahm im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft für Gerichtsreferendare vom 14. bis 18. Oktober . . . an einer Studienfahrt nach Berlin teil. Am Nachmittag des 14. Oktober wurde die Gedenkstätte für Widerstandskämpfer in Plötzensee besichtigt. Am 15. Oktober fand eine Fahrt nach Ost-Berlin mit einem Besuch in der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland statt. Am 16. Oktober wurden das Bundeskartellamt und der Reichstag, am 17. Oktober das Bundesverwaltungsgericht besucht. Der Nachmittags des 17. Oktober stand zur freien Verfügung. Im Anschluß an einen Vortrag eines aus der DDR stammenden Rechtsanwalts über das Recht der DDR wurde am 18. Oktober die Heimreise angetreten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) erkannte die vom Kläger bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen für die Studienreise unter Hinweis auf § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht an.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte aus: Es könne von einer strengen lehrgangsmäßigen Organisation der Studienfahrt gesprochen werden. Mit Ausnahme des freien Nachmittags sei die Zeit durch berufs- und fachbezogene Veranstaltungen ausgefüllt gewesen. Die Besichtigung der Gedenkstätte Plötzensee, der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sowie des Bundeskartellamts, des Reichstags, des Bundesverwaltungsgerichts und des Vortrags seien berufsbezogen gewesen. Der freie Nachmittag habe der Erholung gedient.

Das FA stützt seine vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassene Revision auf eine Verletzung von §§ 9, 12 EStG und verweist zur Begründung auf die Nichtzulassungsbeschwerde, in der es vorgetragen hatte: Das angefochtene Urteil weiche von dem BFH-Urteil vom 23. Oktober 1981 VI R 71/78 (BFHE 134, 325, BStBl II 1982, 59) ab. Nach dieser Entscheidung könnten die Aufwendungen für eine Auslands-Gruppenreise zu Informationszwecken nur anerkannt werden, wenn die Verfolgung privater Interessen sowohl nach dem Programm als auch nach der Gestaltung der Reise nahezu ausgeschlossen sei. Für die berufliche Veranlassung einer Reise genüge es nicht, daß die Veranstaltungen der allgemeinen wirtschaftlichen Bildung der Teilnehmer dienten, weil dies Teil der Allgemeinbildung und damit Teil der Lebensführung sei. Das FG habe verkannt, daß die Studienreise allenfalls ein Interesse an allgemeiner beruflicher Fortbildung befriedigt habe. Der BFH habe in einem Beschluß vom 25. April 1986 VI B 41/85 (BFH/NV 1986, 656) entschieden, daß Reisen im Rahmen von Referendararbeitsgemeinschaften nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen seien und der Besuch von Botschaften und anderen berufsfremden Einrichtungen lediglich der allgemeinen beruflichen Bildung diene und damit zur Lebensführung gehöre.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat die Aufwendungen für die Studienreise nach Berlin zu Unrecht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) anerkannt.

1. Der Hinweis des FG auf das BFH-Urteil vom 13. Februar 1980 I R 178/78 (BFHE 130, 48, BStBl II 1980, 386), das sich auf Auslandsgruppenreisen bezieht, die zu allgemeinen Informationszwecken und ohne unmittelbaren beruflichen oder betrieblichen Anlaß durchgeführt werden, läßt erkennen, daß es die dort und in dem Beschluß des Großen Senats vom 27. November 1978 GrS 8/77 (BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213) aufgestellten Grundsätze auch auf die vorliegende Inlandsgruppenreise anwenden will. Dies ist nicht zu beanstanden. Denn das FG hat nicht festgesellt, daß die Teilnahme an der Reise für sämtliche Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft durch den Dienstherrn für verbindlich erklärt worden wäre und es sich somit bei der Studienfahrt nach Berlin um eine Pflichtveranstaltung im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses gehandelt hätte. Bei einer solchen Reise wäre ihre berufliche Veranlassung in der Regel bereits aufgrund ihrer dienstlichen Anordnung zu bejahen (vgl. Senatsurteil vom 7. Februar 1992 VI R 93/90, BFHE 167, 115, BStBl II 1992, 531).

Nach den im Streitfall maßgebenden, vom Großen Senat in dem Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 aufgestellten Grundsätzen können zu den als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG) abziehbaren Aufwendungen zwar auch die Kosten für die Teilnahme an einer Gruppenreise zählen. Keine Werbungskosten, sondern Aufwendungen für die Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG liegen aber vor, wenn derartige Kosten nicht objektiv durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlaßt worden sind, insbesondere mit der Reise programmgemäß auch ein allgemein touristisches Interesse befriedigt wird, das nicht von untergeordneter Bedeutung ist. Es reicht danach für die Annahme einer betrieblichen oder beruflichen Veranlassung einer Gruppenreise insbesondere nicht aus, daß die Veranstaltungen der allgemeinen beruflichen Bildung der Teilnehmer dienen. Denn diese ist Teil der Allgemeinbildung und daher der Lebensführung.

2. Der Senat vermag bei Anwendung dieser Kriterien dem FG nicht darin beizupflichten, daß im Streitfall eine nahezu ausschließlich berufliche Veranlassung der Aufwendungen anzunehmen ist. Zwar ist eine berufliche Mitveranlassung der Reise deshalb zu bejahen, weil sie nach fachlichen Gesichtspunkten organisiert, der Teilnehmerkreis homogen (Gerichtsreferendare) im Sinne gleichgerichteter fachlicher Interessen war und die Besuche des Bundeskartellamts, des Bundesverwaltungsgerichts und eines Vortrags eines Rechtsanwalt über das Recht der DDR berufsbezogen waren. Selbst wenn jedoch aufgrund dieser Veranstaltungen das berufliche Interesse des Klägers an der Reise überwogen haben sollte, könnte gleichwohl nicht davon ausgegangen werden, daß - wie es die Rechtsprechung des BFH fordert - die Belange der Lebensführung i. S. des § 12 Nr. 1 EStG ganz in den Hintergrund getreten sind und die Verfolgung privater Interessen sowohl nach dem Programm als auch nach der tatsächlichen Gestaltung der Reise nahezu ausgeschlossen waren.

Denn durch die Besichtigung der Gedenkstätte in Plötzensee und des Reichstags sowie durch die Fahrt nach Ost-Berlin wurde ein allgemein-touristisches Bedürfnis befriedigt. Es handelt sich bei der Gedenkstätte und dem Reichstag um Einrichtungen, die sich nahezu jeder historisch und politisch interessierte Besucher der Stadt zur Vertiefung seiner Allgemeinbildung ansieht. Die Fahrt nach Ost-Berlin erweiterte - wie die Besichtigung jeder anderen Stadt - in erster Linie den allgemeinen Gesichtskreis. Der Besuch der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin wäre auch für solche Besucher der Stadt, die nicht Juristen sind, von Interesse gewesen.

Führt eine Gruppenreise zu touristisch attraktiven Stätten, deren Besuch auch für jeden anderen, nicht dem Berufskreis der ,,Fachkreis"-Teilnehmer angehörenden Touristen reizvoll oder interessant wäre, so müssen die Aufwendungen grundsätzlich unabhängig von speziellen Berufsinteressen gleichbehandelt werden. Sie können, wie der Große Senat in dem Beschluß in BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213 unter Hinweis auf seine Entscheidung vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 172) nochmals hervorgehoben hat, bei einem Steuerpflichtigen nicht deshalb zum Abzug als Werbungskosten zugelassen werden, weil dieser die zufällig entstandene oder bewußt herbeigeführte Möglichkeit hat, zu den Reisezielen, ohne daß diese aus einem konkreten beruflichen Anlaß erreicht werden müßten, eine berufliche Verbindung herzustellen. § 12 Nr. 1 EStG verbietet es, die Reisekosten einer Gruppenreise, die für jeden interessierten Reisenden eine Förderung der Allgemeinbildung bewirkt und einen Erlebniswert vermittelt, bei demjenigen, der auch eine berufliche Beziehung herzustellen vermag, zum Abzug zuzulassen. Da hier das berufliche Interesse und das touristische Erlebnis sich nicht trennen lassen, handelt es sich um Vorgänge, die jedenfalls auch dann die Lebensführung betreffen, wenn sie daneben geeignet sind, den Beruf zu fördern.

In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat der Senat der Klage eines Referendars, der Aufwendungen für eine im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Arbeitsgemeinschaft durchgeführte Reise nach Rom als Werbungskosten geltend gemacht hatte, keine hinreichenden Erfolgsaussichten beigemessen (in BFH/NV 1986, 656). Auch die Aufwendungen eines Gerichtsreferendars für eine von Mitgliedern einer Gerichtsreferendararbeitsgemeinschaft veranstaltete Studienreise nach Budapest hat er nicht zum Abzug zugelassen (Urteil vom 24. Oktober 1991 VI R 134/87, BFH/NV 1992, 240). Aus den gleichen Gründen hat das FG Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 4. September 1986 3 K 177/86 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1987, 115) die Aufwendungen eines Rechtsreferendars für eine Studienreise nach Paris auch dann nicht als Werbungskosten berücksichtigt, wenn die Reise vom Arbeitgeber (Justizministerium) im Rahmen der Referendarausbildung veranstaltet wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418534

BFH/NV 1992, 813

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