Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Bewertung von Waren

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Kaufmann, der seinen Warenbestand wegen behaupteter Wertminderungen und dadurch bedingter Minderungen der erzielbaren Verkaufserlöse nicht mit den Anschaffungskosten bewerten will, muß die Voraussetzungen für eine Bewertung mit dem niedrigeren Teilwert dartun.

2. Eine lange Lagerdauer, Unmodernwerden und ähnliche Ursache können ein Absinken des Teilwerts unter die Anschaffungskosten begründen, wenn die Waren unter den ursprünglichen Preisen angeboten oder verkauft werden.

3. Einer Kalkulation der Erlösminderungen dürfen nicht nur die tatsächlich verkauften Waren zugrunde gelegt werden.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 1-2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Inhaberin eines Einzelhandelsgeschäfts für Herrenoberbekleidung. In ihren Jahresabschlüssen zum 31. Dezember 1974, 1975 und 1976 nahm sie Teilwertabschreibungen auf den Warenbestand vor. Bei der Ermittlung des Teilwerts der Waren ging sie von deren Verkaufspreisen aus; diese führte sie auf die Einkaufspreise zurück, indem sie die Verkaufspreise um den kalkulierten Rohgewinn minderte. Alsdann teilte sie die Warenvorräte unter Berücksichtigung ihres Alters in 19 Artikelgruppen ein und setzte für jede einzelne Artikelgruppe eine Wertminderung in prozentual unterschiedlicher Höhe an. Dadurch ergab sich für den Warenbestand insgesamt eine durchschnittliche Teilwertabschreibung in Höhe von 25 bis 26 v. H. der rechnerisch ermittelten Einkaufspreise.

Nach einer Außenprüfung beanstandete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Warenbewertung der Klägerin. Aufgrund einer Nachkalkulation erachtete er die Teilwertabschläge auf die durch Lagerung und Änderung des modischen Geschmacks im Werte geminderten Waren mit durchschnittlich 25 bis 26 v. H. des Einkaufswertes als zu hoch und berichtigte diese auf nur 10 v. H. Er erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide 1974 und 1975 sowie Einheitswertbescheide für das Betriebsvermögen zum 1. Januar 1975 und zum 1. Januar 1977. Einsprüche und Klage blieben erfolglos.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 109 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zwecks anderweitiger Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich, wie sie die Klägerin in den Streitjahren vorgenommen hat, sind die Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens, wozu auch Waren zählen, grundsätzlich mit den Anschaffungskosten anzusetzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG). Ist der Teilwert niedriger, so ist dieser mit Rücksicht auf das für Kaufleute geltende Niederstwertprinzip auszuweisen (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG). Die Anschaffungskosten (Wareneinstandspreis) sind der Einkaufspreis der Waren zuzüglich Nebenkosten des Warenbezugs abzüglich Preisminderungen (z. B. Boni oder Skonti). Da die Ermittlung des effektiven Wareneinstandspreises, insbesondere bei großen Warenlagern technisch schwierig sein kann, läßt es die Rechtsprechung zu, daß die Anschaffungskosten durch Rückrechnung (ausgezeichneter Verkaufspreis ./. Rohgewinn = errechneter Wareneinstandspreis) ermittelt werden, zumal das Gesetz nicht vorschreibt, wie die Anschaffungskosten zu ermitteln sind (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1960 I 137/59 U, BFHE 72, 416, BStBl III 1961, 154; vom 13. März 1964 IV 236/63 S, BFHE 79, 529, BStBl III 1964, 426; vom 29. April 1965 IV 262/64 U, BFHE 82, 555, BStBl III 1965, 448, und vom 27. Oktober 1983 IV R 143/80, BFHE 139, 282, BStBl II 1984, 35).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile vom 5. Mai 1966 IV 252/60, BFHE 86, 28, BStBl III 1966, 370; vom 22. August 1968 IV R 234/67, BFHE 93, 378, BStBl II 1968, 801, und vom 6. November 1975 IV R 205/71, BFHE 121, 312, BStBl II 1977, 377) muß ein Kaufmann, der seinen Warenbestand wegen behaupteter Wertminderungen und dadurch bedingter Minderungen der erzielbaren Verkaufserlöse nicht mit den Anschaffungskosten bewerten will, die Voraussetzungen für eine Bewertung mit dem niedrigeren Teilwert dartun. Er muß belegen, daß seine Schätzung der am Bilanzstichtag erzielbaren Verkaufserlöse (und die daraus abgeleiteten Teilwertabschreibungen) eine objektive betriebliche Grundlage hat. Das FA und ggf. das FG müssen sich über die Höhe der erforderlichen Teilwertabschreibungen ein eigenes Urteil bilden können. Dazu bedarf es der Kenntnis der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen. Sie müssen einen Rückschluß auf die gewählten Wertansätze zulassen.

3. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die die Klägerin mit keiner Revisionsrüge angegriffen hat und die deshalb den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO binden, leitet die Klägerin die vorgenommenen Teilwertabschreibungen aus der Unterscheidung der Waren nach Artikelgruppen und Lagerungsalter ab. Es ist von der Rechtsprechung anerkannt, daß eine lange Lagerdauer, Unmodernwerden und ähnliche Ursachen ein Absinken des Teilwerts unter die Anschaffungskosten begründen können (vgl. BFH-Urteil vom 13. Oktober 1976 I R 79/74, BFHE 122, 37, BStBl II 1977, 540). Nach den BFH-Urteilen vom 3. Oktober 1963 IV 214/61 U (BFHE 78, 14, BStBl III 1964, 7) und in BFHE 93, 378, BStBl II 1968, 801 rechtfertigen allerdings eine lange Lagerdauer und die damit sinkenden Verkaufsmöglichkeiten regelmäßig keine Teilwertabschreibung, solange die Waren zu den ursprünglichen Preisen angeboten und verkauft werden. Von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung später Ausnahmen zugelassen (vgl. BFHE 122, 37, BStBl II 1977, 540). Der Streitfall läßt nicht erkennen, daß die Voraussetzungen einer anerkannten Ausnahme vorliegen könnten. Das FG mußte deshalb im Rahmen der ihm gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO obliegenden Amtsermittlungspflicht die von der Klägerin vorgenommene Einordnung der Waren in Artikelgruppen daraufhin überprüfen, ob die Einteilung auf einer vorherigen Reduzierung der Verkaufspreise beruhte oder nicht. Soweit vor dem jeweiligen Bilanzstichtag nach außen hin erkennbare Preisreduzierungen vorgenommen worden sein sollten, spricht eine tatsächliche Vermutung für die Annahme eines entsprechend niedrigeren Teilwerts.

4. Das FG hat die Einteilung der Waren in Artikelgruppen nicht überprüft. Es ist auch nicht der Frage nachgegangen, ob für jede einzelne Artikelgruppe der Nachweis der Minderung der erzielbaren Verkaufserlöse in ausreichender Weise geführt ist. Statt dessen hat das FG die Kalkulation des Außenprüfers übernommen, ohne zu erkennen, daß diese auf einem Denkfehler beruht. Der Prüfer hat nämlich seiner Kalkulation nur die aufgezeichneten Erlösminderungen der tatsächlich verkauften Waren zugrunde gelegt. Er hat damit z. B. unverkäufliche Waren, die tatsächlich nicht verkauft wurden und auch nicht verkauft werden konnten, unberücksichtigt gelassen, obwohl gerade diese Waren erfahrungsgemäß die Höhe einer Teilwertabschreibung in besonderer Weise beeinflussen. Der Prüfer hat die festgestellten Erlösminderungen letztlich in Relation zum Wareneinstandspreis aller Waren gesetzt. Er hat damit die unterschiedliche Gängigkeit der Waren unberücksichtigt gelassen. So ist z. B. nicht auszuschließen, daß die für minderwertige Waren erzielten Verkaufspreise aus dem Verkauf von Waren herrühren, die einer Warengruppe mit einer relativ hohen Gängigkeit angehören. Entsprechend schließen die in einer bestimmten Gängigkeitsklasse tatsächlich erzielten Erlösminderungen es nicht aus, daß in anderen Gängigkeitsklassen höhere Erlösminderungen zu erwarten sind. Daraus folgt, daß die erzielten Erlösminderungen nicht undifferenziert auf den gesamten Warenbestand übertragen werden dürfen. Vielmehr muß jede Gängigkeitsklasse für sich gesehen werden. Es ist auch falsch, wenn das FG ausführt, die ungünstige Warenstruktur müsse sich zwangsläufig in den betrieblichen Ergebnissen der Klägerin widerspiegeln. Die betrieblichen Ergebnisse beziehen sich nur auf die verkauften Waren. Zu bewerten sind dagegen die nicht verkauften Waren. Solange nicht sichergestellt ist, daß die verkauften und die zu bewertenden Waren in ihrer Struktur vergleichbar sind, lassen sich aus den erzielten Erlösminderungen keine Rückschlüsse auf eine Bewertung mit dem Teilwert ziehen.

5. Der Senat kann nicht ausschließen, daß eine Korrektur der dem FA und dem FG unterlaufenen Fehler zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führt. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Senat kann die Korrektur nicht selbst vornehmen, weil sie eine bisher nicht durchgeführte Überprüfung der von der Klägerin gebildeten Artikelgruppen voraussetzt. Für jede einzelne Artikelgruppe ist festzustellen, ob sie nach sachgerechten Kriterien gebildet wurden und ob ein ausreichender Nachweis für die in der einzelnen Gruppe erzielten Erlösminderungen geführt ist. Diese Feststellungen wird das FG nachholen müssen. Entsprechend ist die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache geht an das FG zwecks erneuter Verhandlung und Entscheidung zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60719

BFH/NV 1986, 204

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