Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Hat ein Steuerpflichtiger für ein enteignetes Grundstück einen gesetzlich begründeten Anspruch auf Zuteilung eines Ersatzgrundstücks, so ist der Erwerb des Ersatzlandes keine Anschaffung im Sinne des § 23 EStG. Dieses bildet vielmehr für die Anwendung des § 23 mit dem enteigneten Grundstück eine Einheit.

Die gleiche Beurteilung kann geboten sein, wenn eine unmittelbar bevorstehende Enteignung durch Verkauf abgewendet und das Ersatzgrundstück nicht durch Hoheitsakt zugewiesen, sondern durch einen bürgerlich-rechtlichen Vertrag erworben wird.

 

Normenkette

EStG § 23/1; EStR Abschn. 169/4

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) war Eigentümer eines Hofes in S., von dem im Jahr 1938 rund 33 ha vom Deutschen Reich in Anspruch genommen wurden. Die Inanspruchnahme erfolgte auf Grund des Gesetzes zur Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 (RGBl 1935 I S. 467) in Verbindung mit der Verordnung über die Landbeschaffung für Zwecke der Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten "Hermann Göring" vom 20. Dezember 1937 (RGBl 1937 I S. 1097). Der Stpfl. war nach diesen Vorschriften verpflichtet, die vom Deutschen Reich beanspruchten Ländereien bei Meidung der Enteignung zu veräußern. Er hatte nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes vom 29. März 1935 einen Anspruch auf Entschädigung mit anderem Land. Auf Grund der im Jahr 1938 getroffenen Vereinbarungen übergab der Stpfl. die in Anspruch genommenen Teile schon vor Abschluß des endgültigen Kaufvertrags und der Eintragung des Eigentumsübergangs im Grundbuch. Eine Entschädigung erhielt der Stpfl. damals nicht, weil er zur Wehrmacht einberufen wurde und erst im Herbst 1945 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Bereits im April 1939 war die Umsiedlungsgesellschaft GmbH X. mit der Gestellung von Ersatzland für den Stpfl. beauftragt worden. Auf Grund der Vermittlung dieser Gesellschaft verkaufte die Stadt Y. dem Stpfl. durch Vertrag vom 18. November 1952 als Ersatz für die ihm entzogenen Ländereien einen Hof in Z. von 37 ha für 117.500 DM. In Verbindung damit verkaufte der Stpfl. die schon im Jahr 1938 in Anspruch genommenen Grundstücke für 154.969 DM. Beide Kaufverträge wurden ausdrücklich unter Hinweis auf die sich aus § 2 des Gesetzes vom 29. März 1935 ergebenden Rechte und Verpflichtungen des Stpfl. und unter Mitwirkung der Umsiedlungsgesellschaft geschlossen. Das staatliche Kulturamt in Y. erteilte am 17. Dezember 1952 namens des zuständigen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als Landesstelle für Umsiedlung eine Bescheinigung, aus der hervorgeht, daß es sich bei dem Erwerb der Ländereien in Z. durch den Stpfl. um den Erwerb von Ersatzgrundstücken im Sinne des § 7 des Gesetzes über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht handelt, der Kaufvertrag der Umsiedlung diene und er deshalb von allen Gebühren, Stempelabgaben und Steuern des Bundes, der Länder und der sonstigen öffentlichen Körperschaften befreit sei. Am 19. Februar 1954 verkaufte der Stpfl. Teilgrundstücke des neu erworbenen Hofes mit insgesamt 7,1705 ha für 105.362 DM an die Heimstätte A. und an einen Siedler, um - wie er ausführt - einer Enteignung auch dieser Grundstücke zu entgehen, da ihm die Heimstätte eine Enteignung dieser in den Ortsbebauungsplan für Z. aufgenommenen Ländereien angedroht habe. Am 1. Oktober 1955 hat er sodann den restlichen Hof in Z. an die Heimstätte verkauft.

Das Finanzamt hat die im Februar 1954 erfolgte Veräußerung eines Teils des Hofes in Z. als ein nach § 23 EStG steuerpflichtiges Spekulationsgeschäft angesehen, weil der Zeitraum zwischen der Anschaffung und der Veräußerung dieser Grundstücke nicht mehr als zwei Jahre betragen habe. Es errechnete einen Veräußerungsgewinn von 92.089 DM. Der dagegen eingelegte Einspruch des Stpfl. hatte Erfolg. Der Steuerausschuss lehnte die Annahme eines Spekulationsgewinns ab.

Die gegen die Einspruchsentscheidung eingelegte Berufung des Vorstehers des Finanzamts wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das Finanzgericht ging in der Begründung der Vorentscheidung davon aus, daß § 23 EStG zwar nicht den Nachweis einer Spekulationsabsicht fordere. Bei Anschaffung und Veräußerung von Vermögensgegenständen innerhalb der im Gesetz festgelegten Fristen werde aber ein Spekulationsgeschäft grundsätzlich vermutet. Das bedeute jedoch nicht, daß § 23 EStG eine wirtschaftliche Betrachtung des Vorgangs ausschließe. Wie bereits der Reichsfinanzhof im Urteil VI A 1/37 vom 20. Januar 1937 (RStBl 1937 S. 794) ausgesprochen habe, dürfe bei der Auslegung des § 23 EStG nicht übersehen werden, daß es nicht dem Gesetz entspreche, auch solche Vorgänge als Spekulationsgeschäfte zu besteuern, die wirtschaftlich keine Akte der Gewinnverwirklichung seien und daher mit einer Spekulation offensichtlich in keinem Zusammenhang ständen. Der Erwerb eines Ersatzgrundstücks für ein durch einen hoheitlichen Akt entzogenes Grundstück sei keine Anschaffung im Sinne des § 23 EStG. Da in derartigen Fällen der Erwerb eines Ersatzgrundstücks nicht der Spekulation diene, könne auch die Veräußerung des Ersatzgrundstücks eine Steuerpflicht nach § 23 EStG nicht zur Folge haben. Es sei zwar möglich, daß der Gesetzgeber auch derartige Vorgänge nach § 23 EStG habe besteuern wollen; mit der jetzt in Art. 14 des Grundgesetzes (GG) niedergelegten Eigentumsgarantie sei eine solche Auslegung jedoch nicht mehr zu vereinbaren, da sie dazu führen würde, dem enteigneten Grundeigentümer einen Teil der Entschädigung wieder zu entziehen. Daß der Stpfl. das Ersatzgrundstück nicht durch einen Hoheitsakt, sondern durch einen privaten Kaufvertrag erworben habe, sei ohne Bedeutung. Im wirtschaftlichen Ergebnis sei - wie sich auch aus der Bescheinigung des Kulturamts in Y. ergebe - der von der Stadt Y. erworbene Hof das Ersatzgrundstück für den durch hoheitlichen Zwang entzogenen Besitz des Stpfl. in S. Dieser Erwerb sei nicht als Anschaffung im Sinne des § 23 EStG anzusehen.

Der Vorsteher des Finanzamts rügt mit der von ihm eingelegten Rb. unrichtige Anwendung des § 23 EStG. Das Finanzgericht habe den Begriff "Anschaffung" im Sinne dieser Vorschrift verkannt. Hierunter sei der auf den Erwerb gerichtete schuldrechtliche Vertrag zu verstehen und - falls ein solcher nicht abgeschlossen werde - der dingliche Eigentumserwerb. Daß der Erwerb eines Ersatzgrundstücks für ein durch hoheitlichen Zwang entzogenes Grundstück keine Anschaffung in diesem Sinne sei, finde im Wortlaut des § 23 EStG keine Stütze. Im übrigen könne für den Streitfall dahingestellt bleiben, ob bei einem Zwangstausch von Grundstücken der Tatbestand einer Anschaffung im Sinne dieser Vorschriften erfüllt sei; denn sowohl die Veräußerung des ursprünglichen Besitzes in S. als auch der Erwerb und die Veräußerung des Ersatzgrundstücks in Z. sei im Wege privatrechtlicher Vertragsgestaltung erfolgt. Die Steuerpflicht nach § 23 EStG bei der Veräußerung des Ersatzgrundstücks verneinen zu wollen, weil im Streitfall schon nach dem äußeren Geschehen offenbar sei, daß der Erwerb des Ersatzgrundstücks nicht Spekulationszwecken gedient habe, bedeute eine Verkennung der vom Gesetzgeber in der amtlichen Begründung zu § 23 EStG 1934 niedergelegten Grundsätze. Es bestehe auch keine Veranlassung, zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Spekulationsgewinnen zu unterscheiden. Ein Steuerpflichtiger, der z. B. infolge einer plötzlichen schweren Erkrankung gezwungen sei, seinen Betrieb innerhalb der Spekulationsfrist zu verkaufen, könne sich auch nicht auf höhere Gewalt berufen. Es sei nun einmal das Merkmal unwiderlegbarer Vermutungen, daß in ihrem Bereich Gegenbeweise nicht möglich seien. Die Gründe, die zur Verwirklichung des Spekulationstatbestandes im Sinne des § 23 EStG geführt hätten, müßten bei der steuerlichen Beurteilung außer Betracht bleiben. Auch aus Art. 14 GG seien keine Bedenken gegen die Annahme eines Spekulationsgewinns herzuleiten. Enteignung und Besteuerung müßten auseinandergehalten werden. Erst wenn sich eine Besteuerung derart auswirke, daß sie einer Enteignung im wirtschaftlichen Ergebnis gleichkomme, könne die Frage nach der Vereinbarkeit des Steuergesetzes mit Art. 14 GG auftauchen. Ein solcher Sachverhalt liege im Streitfall aber nicht vor. Nach dem Wortlaut und Zweck des § 23 EStG sei ein steuerpflichtiger Spekulationsgewinn nach dieser Vorschrift anzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, daß die Anwendung des § 23 EStG den Nachweis einer Spekulationsabsicht des Stpfl. nicht voraussetzt. Ein nach dieser Vorschrift steuerpflichtiges Spekulationsgeschäft ist vielmehr anzunehmen, wenn Anschaffung und Veräußerung eines Gegenstands innerhalb der in ihr festgelegten Fristen vorgenommen werden. Sowohl in der Einspruchsentscheidung als auch in dem Urteil des Finanzgerichts wird im Ergebnis übereinstimmend angenommen, daß der Erwerb des Ersatzgrundstücks in Z. auf Grund des Vertrags vom 18. Oktober 1952 nicht als "Anschaffung" im Sinne des § 23 EStG zu werten ist. Der Senat tritt dieser Beurteilung bei. Der Stpfl. hatte nach der Inanspruchnahme seines Hofes in S. nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes zur Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935 in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung dieses Gesetzes vom 21. August 1935 einen Anspruch auf Zuteilung von entsprechendem Ersatzland. Hätte er diese Grundstücke - wie es diese der Inanspruchnahme seines ursprünglichen Hofes zugrunde liegenden Bestimmungen vorsahen - durch hoheitlichen Akt zugeteilt bekommen, so wäre wirtschaftlich gesehen eine Anschaffung nicht anzunehmen, da dieser von der öffentlichen Hand vorgenommene Austausch von Grundstücken ohne maßgeblichen Einfluß des Stpfl. vor sich gegangen wäre. Eine "Anschaffung" im Sinne des § 23 EStG setzt aber eine Erwerbshandlung des Stpfl. voraus, die wesentlich von seinem Willen bestimmt wurde. Der Senat tritt hinsichtlich dieser Auffassung dem IV. Senat des Obersten Finanzgerichtshofs bei, der im Urteil IV 53/50 S vom 4. Juli 1950 (Slg. Bd. 54 S. 503) bei einem Erwerb durch Erbschaft, Vermächtnis oder Schenkung gleichfalls eine Anschaffung im Sinne des § 23 EStG verneint hat. Auf Grund dieser überlegung wird im Schrifttum auch beim Austausch von Land im Zuge eines Umlegungsverfahrens eine "Anschaffung" im Sinne des § 23 EStG verneint (so z. B. Theis in "Der Betrieb" 1958 S. 817). Der Senat hat keine Bedenken anzunehmen, daß immer dann, wenn auf Grund gesetzlicher Bestimmungen durch hoheitliche Akte einem Steuerpflichtigen Grundbesitz entzogen und Ersatzland zugewiesen wird, es für die Anwendung des § 23 EStG so angesehen wird, als sei das zugewiesene Ersatzland lediglich an die Stelle des alten Besitzes getreten. Daraus folgt, daß für die Anwendung des § 23 EStG als Zeitpunkt des Erwerbs des veräußerten Grundstücks nicht der Tag der Anschaffung des Ersatzlandes zugrunde gelegt werden kann, sondern der Zeitpunkt, in dem das entzogene Land erworben wurde. Da der Stpfl. den Hof in S. länger als zwei Jahre vor der Veräußerung der Ersatzgrundstücke in Z. besessen hat, ist die in § 23 EStG gesetzte Frist von zwei Jahren überschritten.

Nun ist allerdings der ursprüngliche Besitz des Stpfl. in S. nicht enteignet worden. Der Stpfl. hat dies vielmehr durch einen Verkauf abgewendet. Angesichts der im Streitfall vorliegenden Verhältnisse ist dieser Vorgang jedoch nicht anders zu beurteilen wie eine Enteignung. Das Finanzgericht hat dies in einer den Senat gemäß § 288 AO bindenden Weise ohne Rechtsirrtum festgestellt.

Ebenso ist es nicht von Bedeutung, daß der Stpfl. das ihm zustehende Ersatzland nicht durch einen hoheitlichen Akt erhalten, sondern den Hof in Z. durch Abschluß eines privaten Kaufvertrags erworben hat. Nachdem diese Ersatzleistung zunächst infolge des Kriegs unterblieben und aus naheliegenden Gründen auch nicht unmittelbar danach erfolgt ist, kann dem Umstand, daß die Ersatzleistung im Jahre 1952 schließlich in der Form eines privaten Kaufvertrags vor sich gegangen ist, keine wesentliche Bedeutung zukommen. Diese Form des Erwerbs des Ersatzlandes entsprach den veränderten politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Daß dieser Erwerb nichts anders war als die Zuweisung des dem Stpfl. zustehenden Ersatzlandes ergibt sich eindeutig aus dem Kaufvertrag, dem eine entsprechende Erklärung der Reichswerke vorausgeht. Dies ergibt sich außerdem aus einer Erklärung des Kulturamts in Y., das ausdrücklich bestätigt hat, daß es sich dabei um den Erwerb des dem Stpfl. zustehenden Ersatzlandes handelt.

Unter diesen besonders gelagerten Verhältnissen ist es gerechtfertigt, die durch private Kaufverträge abgewickelten Vorgänge steuerlich so zu behandeln, wie sie sich im wirtschaftlichen Ergebnis darstellen, nämlich als Enteignung und als Gestellung von Ersatzland. Es würde den gegebenen Verhältnissen nicht entsprechen, wenn in dem vorliegenden Fall der formalen Gestaltung der Rechtsverhältnisse der Vorrang gegenüber dem wirtschaftlichen Inhalt zugestanden würde. Da nach den obigen Ausführungen bei einer zwangsweisen Enteignung die Zuteilung von Ersatzland nicht als Anschaffung im Sinne des § 23 EStG anzusehen wäre, muß die gleiche Beurteilung auch im Streitfall Platz greifen. Das Finanzgericht hat auf Grund der gleichen Erwägung das Vorliegen eines Spekulationsgewinns gemäß § 23 EStG verneint. Da hiergegen im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken bestehen, ist die Rb. des Vorstehers des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410090

BStBl III 1961, 385

BFHE 1962, 326

BFHE 73, 326

StRK, EStG:23 R 5

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