Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzicht auf mündliche Verhandlung

 

Leitsatz (NV)

1. Wird auf mündliche Verhandlung verzichtet, so bezieht sich ein solcher Verzicht nur auf die nächste Entscheidung des Gerichts, wenn diese die Endentscheidung wesentlich sachlich vorbereitet.

2. Zur ordnungsgemäßen Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs.

 

Normenkette

FGO § 90 Abs. 1-2, § 119 Nr. 3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Schweizer Staatsbürger. Er hatte in den Streitjahren weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik). Er beteiligte sich in den Jahren 1963 bis 1967 im eigenen Namen als Vertragspartner an Grundstücksgeschäften in der Bundesrepublik.

Bei einer Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse des Klägers durch eine Steuerfahndungsstelle behandelte diese die Einkünfte aus dem An- und Verkauf inländischen Grundbesitzes als steuerpflichtigen Gewinn aus Gewerbebetrieb.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schloß sich den Ergebnissen der Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle an und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, gegen die der Kläger erfolglos Einspruch einlegte. Mit der Klage machte der Kläger u. a. geltend, daß er nicht für sich persönlich, sondern nur treuhänderisch für andere in der Bundesrepublik tätig gewesen sei.

Die Beteiligten haben sich in der Sitzung des Finanzgerichts (FG) vom 11. Dezember 1979 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Entsprechend einer Anregung des Vertreters des Klägers hat das FG am 21. Dezember 1979 einen Auflagebeschluß erlassen. Darin wurde der Kläger insbesondere aufgefordert, im Falle der Treuhänderschaft das Vorliegen von etwaigen Treuhandverhältnissen unter Angabe von Namen und Anschrift der Treugeber mitzuteilen und ggf. durch Vorlage entsprechender Urkunden nachzuweisen. Der Kläger hat daraufhin mehrere Treuhandverträge vorgelegt.

Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 1980 beantragte der Kläger unter Widerruf der Verzichtserklärung ausdrücklich mündliche Verhandlung. Da eine Darstellung im Sachzusammenhang nicht erfolgt sei, werde die Mitwirkung an einer weiteren Sachaufklärung im Rahmen einer mündlichen Verhandlung und die Darlegung der vertretenen Rechtsauffassung für erforderlich gehalten. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 1980 gab der Kläger eine umfassende Sachdarstellung.

Das FG hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das angefochtene Urteil verletze § 90 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil es nicht aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen sei. Auf die mündliche Verhandlung sei in der Sitzung vom 11. Dezember 1979 verzichtet worden, nach dieser Sitzung habe das FG am 21. Dezember 1979 einen Auflagebeschluß erlassen. Nach dem 21. Dezember 1979 sei ein Verzicht auf die mündliche Verhandlung nicht erklärt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht; denn dem Kläger wurde das rechtliche Gehör versagt (§ 119 Nr. 3 FGO). Eine finanzgerichtliche Entscheidung gewährt kein rechtliches Gehör, wenn ein Urteil ohne mündliche Verhandlung ergeht, ohne daß ein wirksamer Verzicht auf sie erklärt wurde (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Januar 1985 IX R 122/84, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Enscheidungen des Bundesfinanzhofs - BFH / NV - 1985, 87). Ein wirksamer Verzicht wurde nicht erklärt; der von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 1979 erklärte Verzicht bezog sich nur auf die nächste Entscheidung des Gerichts, wenn diese die Endentscheidung wesentlich sachlich vorbereitete (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 2. April 1955 IV ZR 261/54, BGHZ 17, 118, 123, und Urteil des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 14. Februar 1982 V C 88.61, BVerwGE 14, 17). Der Beschluß des FG vom 21. Dezember 1979 ist eine derartige Entscheidung. In ihr wurde der Kläger u. a. aufgefordert, das für den Rechtsstreit entscheidende Vorliegen von etwaigen Treuhandverhältnissen unter Angabe von Namen und Anschriften der Treugeber dem Gericht mitzuteilen und ggf. durch Vorlage entsprechender Urkunden nachzuweisen (darüber, daß der Verzicht auf mündliche Verhandlung dann nicht mehr wirksam ist, wenn nach dem Verzicht ein Auflagebeschluß erlassen wird, vgl. Urteil des BVerwG vom 24. Oktober 1968 III C 83.57, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1969, 252).

Die Versagung rechtlichen Gehörs ist im Revisionsverfahren zwar nur ordnungsmäßig gerügt, wenn der Betroffene darlegt, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355, m. w. N.). Dies gilt jedoch nicht, wenn nach dem Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils ein Beteiligter nach einer die Endentscheidung wesentlich vorbereitenden gerichtlichen Entscheidung in einem Schriftsatz Weiteres vorträgt und nach dieser Entscheidung entgegen dem Antrag des Beteiligten nicht mehr mündlich verhandelt wird. Der Kläger hat damit schlüssig dargetan, daß er von der mündlichen Erörterung des Vorgetragenen ausgeschlossen worden ist. Er muß nicht mehr zusätzlich vortragen, was er im einzelnen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vorgebracht hätte.

Der Senat weicht damit nicht von dem Urteil des BGH vom 16. Mai 1956 V ZR 183/55 (Lindenmaier / Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, § 273 Nr. 6) ab. Dort wurde als mit erheblich angesehen, daß die Revision Tatsachen, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch vorgetragen worden wären, nicht anführt. Entscheidend in dem Urteil des BGH war die Vorschrift des § 549 der Zivilprozeßordnung (ZPO), wonach die Revision nur darauf gestützt werden kann, daß die Entscheidung auf der Verletzung des Bundesrechts beruht. Nach § 119 Nr. 3 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt ist. Eine dem § 119 Nr. 3 FGO entsprechende Vorschrift findet sich in der ZPO nicht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414436

BFH/NV 1987, 651

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge