Leitsatz (amtlich)

1. Die ehrenamtlichen Ersten Bürgermeister in Bayern sind im Sinne des Einkommensteuerrechts Arbeitnehmer ihrer Gemeinden.

2. Die Inanspruchnahme eines Arbeitgebers wegen Nichteinbehaltung von Lohnsteuer ist jedenfalls dann nicht unbillig, wenn die Einbehaltung in einem rechtlich einfach und eindeutig liegenden Falle nur deshalb unterblieben ist, weil der Arbeitgeber sich über seine Verpflichtungen nicht hinreichend unterrichtet hat.

 

Normenkette

EStG § 38 Abs. 3 S. 2; LStDV § 1 Abs. 2-3; Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 25. Januar 1952 (Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts I S. 461) Art. 34 Abs. 1; Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 25. Januar 1952 (Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts I S. 461) Art. 37

 

Tatbestand

Aufgrund der Feststellungen einer Lohnsteueraußenprüfung vom Februar 1965 nahm das FA die Klägerin und Revisionsklägerin (Gemeinde) wegen der Lohnsteuer für die steuerpflichtigen Teile der Aufwandsentschädigung ihres früheren ehrenamtlichen Ersten Bürgermeisters als Haftende in Anspruch. Einspruch und Klage der Gemeinde blieben ohne Erfolg. FA und FG hielten den Einwand der Gemeinde, bei einer Lohnsteuerprüfung am 6. Juli 1959 sei nichts beanstandet worden, sie habe daher annehmen können, daß die steuerfreie Auszahlung der Aufwandsentschädigung in Ordnung gehe, nicht für geeignet, die Unbilligkeit der Inanspruchnahme der Gemeinde als Haftende vor ihrem Ersten Bürgermeister als Steuerschuldner zu begründen. Das FG führte u. a. aus, nach § 7 Abs. 3 Satz 2 StAnpG stehe es dem FA frei, an welchen Gesamtschuldner es sich halten wolle. Das FA habe diese Wahl nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen (§ 2 StAnpG) zu treffen. Aus dieser Bestimmung könne nicht ein allgemeiner Rechtssatz hergeleitet werden, daß das FA in erster Linie den Arbeitnehmer als den Steuerschuldner in Anspruch nehmen müsse (vgl. Urteile des BFH VI 252/57 U vom 6. Mai 1959, - BFH 69, 83 -, BStBl III 1959, 292, und VI 207/65 vom 10. September 1965, - HFR 1965, 555 -). Die Gemeinde habe selbst durch die Nichterfüllung der ihr im Interesse des Lohnsteuerabzugs auferlegten Pflichten das frühere Übersehen des Prüfers verschuldet. Sie habe es unterlassen, das hauptsächlich zur Nachprüfung des ordnungsmäßigen Steuerabzugs durch § 31 LStDV vorgeschriebene Lohnkonto zu führen.

Mit der Revision rügt die Gemeinde unrichtige Anwendung des § 38 Abs. 3 EStG sowie des § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 StAnpG, insbesondere unrichtige Auslegung der "Fragen der Billigkeit und von Treu und Glauben". Sie trägt vor, zu der Meinung, daß eine Aufwandsentschädigung für den ehrenamtlichen Bürgermeister keine lohnsteuerpflichtige Leistung sei, sei sie bis zur Lohnsteuerprüfung am 12. Februar 1965 gelangt, weil in den von ihr benützten Steuertabellen entsprechende Vermerke angebracht seien. In ihrer Meinung sei sie insbesondere dadurch bestärkt worden, daß das Verfahren bei der Lohnsteuerprüfung vom 6. Juli 1959 nicht beanstandet worden sei. Der Lohnsteuerprüfer habe 1959 erkannt, daß die Gemeinde die Lohnsteuer für steuerpflichtige Aufwandsentschädigungen nicht abführe. Wenn ihm dies unbekannt geblieben sein sollte, so hätte nicht sie, sondern ausschließlich das FA es zu vertreten. Das Fehlen des Lohnkontos könne weder den Prüfer noch das FA entlasten. Denn gerade das Fehlen des Lohnkontos hätte dem Prüfer auffallen müssen. Das Fehlen des Lohnkontos beruhe darauf, daß ihr nicht bekannt gewesen sei, daß ein solches Konto geführt werden müsse. An sie als eine kleine Marktgemeinde mit lediglich sieben Angestellten dürften nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Der BFH habe, nachdem die Rechtsprechung in den Urteilen IV 587/55 U vom 2. August 1956 (BFH 63, 375, BStBl III 1956, 340) und VI 167/61 U vom 20. Juli 1962 (BFH 76, 64, BStBl III 1963, 23) zunächst geschwankt habe, mit Urteil VI 80/62 U vom 6. September 1963 (BFH 77, 697, BStBl III 1963, 574) ausgesprochen, daß, wenn dem FA durch einen Lohnsteuerprüfungsbericht bekannt würde, daß ein Arbeitgeber die Sachbezüge seiner Arbeitnehmer für die Lohnsteuerberechnung fehlerhaft bewertet habe, es in der Regel den Arbeitgeber auf den Fehler hinweisen müsse. Unterlasse es dies, so könne es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn das FA erst aufgrund der nächsten Lohnsteuerprüfung für die seit der früheren Prüfung verstrichene Zeit Lohnsteuer wegen der unrichtigen Bewertung der Sachbezüge nachfordere. Im Urteil VI R 23/66 vom 14. April 1967 (BFH 88, 457, BStBl III 1967, 469) habe der BFH ausgesprochen, daß es in aller Regel unbillig sei, wenn bei einer irrtümlichen Nichteinbehaltung von Lohnsteuer bei nur einem Arbeitnehmer, der inzwischen beim Arbeitgeber ausgeschieden ist, sich das FA an den Arbeitgeber halte und ihn dadurch zwinge, die für den Arbeitnehmer verauslagte Lohnsteuer notfalls in einem Zivilprozeß wieder hereinzuholen. Dies treffe genau auf den Streitfall zu. Auch die Entscheidung VI 134/57 U vom 18. Juli 1958 (BFH 67, 290, BStBl III 1958, 384) stehe einem Zugriff auf den ehemaligen Arbeitnehmer nicht entgegen. Sie habe sich nicht leichtfertig und bewußt über ihre Einbehaltungspflicht als Arbeitgeberin hinweggesetzt; sie sei vielmehr guten Glaubens gewesen und habe dies um so mehr sein können, als die Prüfung von 1959 zu keiner Beanstandung geführt habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Im Gegensatz zu den Verhältnissen im Lande Nordrhein-Westfalen sind ehrenamtliche Bürgermeister in Bayern als Arbeitnehmer im Sinne des Lohnsteuerrechts anzusehen. Für Bürgermeister im Lande Nordrhein-Westfalen hat der Senat mit Urteil VI 27/64 U vom 3. Dezember 1965 (BFH 84, 361, BStBl III 1966, 130) die Arbeitnehmereigenschaft verneint, weil insbesondere die Bürgermeister die politische Spitze der Gemeinden und keine Beamten und Angestellten der Gemeinde sind, und weil im Land Nordrhein-Westfalen der Rat ein unabhängiges Organ ist, dessen Mitglieder von der Bindung eines Dienstverhältnisses zur Gemeinde frei sein müssen und frei sind.

Die Verhältnisse der ehrenamtlichen Ersten Bürgermeister in Bayern sind aufgrund der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern vom 25. Januar 1952 (Bereinigte Sammlung des Bayerischen Landesrechts I S. 461) anders zu beurteilen. Nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung ist der Erste Bürgermeister Beamter der Gemeinde. Dies gilt nicht nur für berufsmäßige Bürgermeister, sondern auch für ehrenamtliche Bürgermeister. Nach Art. 37 der Gemeindeordnung obliegt dem Ersten Bürgermeister in eigener Zuständigkeit die Erledigung bestimmter Verwaltungsaufgaben. Der Erste Bürgermeister in Bayern übt damit - abweichend von der im Lande Nordrhein-Westfalen bestehenden Regelung - Befugnisse aus, die im Lande Nordrhein-Westfalen ausschließlich dem Gemeindedirektor vorbehalten sind. Neben seiner Mitgliedschaft im Gemeinderat, dem in Bayern die Verwaltung der Gemeinde im übrigen obliegt (Art. 29 der Gemeindeordnung), hat also in Bayern der Erste Bürgermeister noch eigene Verwaltungsbefugnisse. Er ist in dieser Eigenschaft i. S. des § 1 Abs. 2 Satz 1 LStDV im öffentlichen Dienst angestellt und bezieht in Form seiner Entschädigung bzw. Aufwandsentschädigung in dieser Eigenschaft Arbeitslohn. Die Gemeinden sind daher in Bayern nach § 41 Abs. 1 EStG verpflichtet, von den steuerpflichtigen Bezügen der Ersten Bürgermeister Lohnsteuer einzubehalten. Dies ist in Bayern auch nie zweifelhaft gewesen (Kommentar zur Bayerischen Gemeindeordnung von Helmreich-Widtmann, 3. Aufl. 1966, Art. 34 Anm. 89; Kommentar zur Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern von Hölzl, Art. 35 Exkurs III 6).

Zutreffend ist das FG also davon ausgegangen, daß die Gemeinde als Arbeitgeberin nach § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG (§ 46 Abs. 1 Satz 2 LStDV) für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer haftet und daß die Gemeinde und ihr Erster Bürgermeister nach § 7 Abs. 1 StAnpG Gesamtschuldner sind. Das FG befindet sich auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats, wenn es davon ausgeht, daß das FA die Wahl, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will, nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der durch Recht und Billigkeit gezogenen Grenzen zu treffen hat. Die Auffassung des FG, daß das FA unter diesen Gesichtspunkten die Gemeinde als Haftende zu Recht in Anspruch genommen hat, ist nicht zu beanstanden.

Auf die Entscheidung des Senats VI R 23/66 (a. a. O.) kann sich die Gemeinde nicht berufen. In dieser Entscheidung hat der Senat zwar ausgeführt, daß, wenn es sich nur um einen Arbeitnehmer handelt und dieser bei dem Arbeitgeber ausgeschieden ist, es in aller Regel unbillig ist, daß das FA sich an den Arbeitgeber hält, wenn nicht besondere Gründe vorliegen. So aber ist es hier. Es ging in jenem Fall um die Lohnsteuer für einen zeitweise bei einem Zeitungsunternehmen angestellten Journalisten; im Streit war die Frage, wie Fahrten zwischen bestimmten Orten zu beurteilen waren, ob es sich bei dem einen Ort um den Ort der Wohnung handelte und wie die Erstattungen der Arbeitgeberin für diese Fahrten steuerlich einzuordnen waren. Es handelte sich also um schwierige Rechtsfragen. Im Gegensatz hierzu ist aber im Streitfall, wie die Gemeinde selbst vorträgt, die Frage, ob eine Verpflichtung zur Einbehaltung von Lohnsteuer bestand, nicht zweifelhaft. Für die Nichteinbehaltung der Lohnsteuer ist also nicht etwa eine schwierige Rechtsfrage ursächlich, sondern lediglich die Unkenntnis der Gemeinde von der gegebenen, an sich unstreitigen Rechtslage. Der Senat hat bereits in der Entscheidung VI R 23/66 (a. a. O.) erkennen lassen, daß er bei eindeutiger Rechtslage unter Umständen einen besonderen Grund, der für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers spricht, annehmen würde. Der Senat ist der Auffassung, daß die Inanspruchnahme eines Arbeitgebers jedenfalls dann nicht unbillig ist, wenn die Einbehaltung der Lohnsteuer in einem rechtlich einfach und eindeutig liegenden Falle nur deshalb unterblieben ist, weil der Arbeitgeber sich über seine Verpflichtungen nicht hinreichend unterrichtet hat, wie es im Streitfall der Fall ist.

Die Gemeinde kann für sich auch nicht die Entscheidung des Senats VI 134/57 U (a. a. O.) heranziehen. In dem Falle dieser Entscheidung handelte es sich, wie schon das FG zutreffend hervorgehoben hat, um einen Arbeitnehmer, der nach § 46 EStG veranlagt werden mußte. Außerdem war streitig, ob er überhaupt Arbeitnehmer war. Der Sachverhalt weicht also in entscheidenden Punkten vom Streitfall ab.

Schließlich beruft sich die Gemeinde auch zu Unrecht auf die Entscheidung des Senats VI 80/62 U (a. a. O.) In dem Falle dieser Entscheidung hatte ein Lohnsteuerprüfer in einer früheren Prüfung eine bestimmte Zweifelsfrage ausdrücklich aufgegriffen, und der Senat führte hierzu aus, es sei, wenn das FA diese Zweifelsfrage erst im Zuge der nächsten Lohnsteuerprüfung und nach Rückfrage bei der Oberfinanzdirektion zuungunsten der Steuerpflichtigen entscheide, dem FG darin zuzustimmen, daß die Steuerpflichtige bis zur neuerlichen Prüfung im Verhalten des FA eine stillschweigende Billigung ihrer Bewertung habe erblicken können. Im Streitfall hat die Lohnsteuerprüfung des Jahres 1959 die Frage, ob die Entschädigung des Ersten Bürgermeisters lohnsteuerpflichtig ist, aber überhaupt nicht aufgegriffen. Wie der Senat in der Entscheidung VI 167/61 U (a. a. O.) ausgeführt hat, kommt es entscheidend darauf an, ob Tatsachenfeststellungen oder Erklärungen eines Prüfers tatsächlich in den Wissensbereich der zur Sachentscheidung berufenen Beamten des FA gelangt sind. Ist dies, wie im Streitfall, nicht der Fall, sei es, weil der Prüfer die Frage nicht erkannt oder weil er sie nicht zur Kenntnis der allein zur Sachentscheidung berufenen Beamten des FA gebracht hat, so kann daraus keine Billigung des FA für die Handhabung des betreffenden Arbeitgebers hergeleitet werden. Die Gemeinde kann auch nicht damit gehört werden, daß der Prüfer den Fehler bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte feststellen müssen. Es ist in erster Linie die Aufgabe der Gemeinde, sich über ihre Verpflichtungen im Rahmen ihrer Lohnsteuerhaftung als Arbeitgeberin zu unterrichten. Tut sie dies nicht und unterläßt sie, wie im Streitfall, die vorgeschriebenen Anschreibungen, insbesondere die Führung eines Lohnkontos, so kann sie jedenfalls keine Rechte daraus herleiten, daß ein Prüfer diesen Fehler nicht aufdeckt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69422

BStBl II 1971, 353

BFHE 1971, 389

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge