Leitsatz (amtlich)

1. Führt der Nießbraucher aufgrund eines ihm vom Erben in Erfüllung eines Vermächtnisses eingeräumten Nießbrauchs am Unternehmen den Gewerbebetrieb des Erblassers fort, so ist das Nießbrauchsrecht in der Bilanz seines Unternehmens nicht anzusetzen.

2. Eine dem Nießbraucher für die Aufgabe des Nießbrauchs gezahlte Entschädigung ist in voller Höhe als Aufgabegewinn zu erfassen, der dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG unterliegt.

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 3-4, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1; EStDV § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kaufmann A, der im Februar 1967 verstorben ist, hat dem Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) durch notarielles Testament vom 30. Januar 1967 u. a. ein lebenslängliches Verwaltungs- und Nießbrauchsrecht an seinen Gewerbebetrieben, einem Lichtspieltheater und einer Gastwirtschaft, eingeräumt. Im Rahmen der Altstadtsanierung in G wurde das mit dem Nießbrauchsrecht des Klägers belastete Betriebsgebäude abgebrochen. Der Kläger stellte daher im Mai 1970 den Kinobetrieb und die Gastwirtschaft ein. Als Entschädigung zahlte die Stadt G 193 270 DM für den Verlust des Nießbrauchs am Lichtspieltheater und 62 978 DM für den Verlust des Nießbrauchs an der Gastwirtschaft. Bei der Einkommensteuerveranlagung 1970 behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) die von der Stadt bezahlten Beträge als Entschädigungen i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Nach erfolglosem Einspruch hob das Finanzgericht (FG) den Einkommensteuerbescheid 1970 mit im wesentlichen folgender Begründung auf: Der Grundsatz des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 7. August 1964 VI 165/63 U (BFHE 80, 282 BStBl III 1964, 576), wonach ein einkommensteuerbarer Vorgang nicht vorliege, wenn ein Nießbrauch an Nachlaßgegenständen kraft letztwilliger Verfügung erworben worden sei und der Nießbraucher und der Erbe sich innerhalb nicht allzulanger Frist nach dem Erbfall auf einen entgeltlichen Verzicht des Nießbrauchsrechts einigen, sei auch im Streitfall anzuwenden. Unerheblich sei, daß der Kläger die Entschädigung für den Verlust des Nießbrauchsrechts nicht vom Erben, sondern von der Stadt G erhalten habe. Denn falls die Stadt die Entschädigung an den Erben gezahlt hätte, wäre dieser verpflichtet gewesen, dem Kläger für den Verlust des Nießbrauchsrechts Ersatz zu leisten. Unerheblich sei ebenfalls, daß der Kläger möglicherweise nur unfreiwillig auf sein Nießbrauchsrecht verzichtet habe, da der Grund für den Verzicht steuerlich unbeachtlich sei. Wie im Falle des Urteils des BFH sei der Verzicht auch innerhalb nicht allzulanger Frist nach dem Erbfall erfolgt (2 Jahre und 10 Monate).

Dagegen wendet sich das FA mit seiner Revision. Es rügt die Verletzung der §§ 2 Abs. 3 Nr. 2, 24 Nr. 1 Buchst. a, 15 EStG und trägt im wesentlichen vor: Das FG habe bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, daß der Kläger in den Jahren nach dem Erbfall gewerblich tätig geworden sei, da er beide Betriebe im eigenen Namen und für eigene Rechnung fortgeführt habe. Bei dieser Sachlage könne nicht davon ausgegangen werden, daß von vornherein eine Erbauseinandersetzung geplant gewesen und diese in dem Verzicht des Klägers auf den Nießbrauch gegenüber der Stadt zu sehen sei. Vielmehr müsse der entgeltliche Verzicht auf das zum Betriebsvermögen zu rechnende Nießbrauchsrecht als eine Verwertung im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit angesehen werden, so daß die Entschädigungsleistungen steuerpflichtige Betriebseinnahmen darstellten.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist zum wesentlichen Teil begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweitigen Steuerfestsetzung.

1. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Entschädigung, die der Kläger von der Stadt G für die Aufgabe des Nießbrauchs an dem Lichtspieltheater und der Gastwirtschaft erhalten hat, einkommensteuerrechtlich nicht zu erfassen ist. Vielmehr ist der Differenzbetrag zwischen der Entschädigungsleistung und einem etwa vorhandenen Buchwert des Nießbrauchs an den beiden Unternehmen als Veräußerungsgewinn (Aufgabegewinn) i. S. des § 16 Abs. 3 EStG steuerpflichtig.

Zum Veräußerungspreis zählt alles, was der Veräußerer im Zusammenhang mit der Veräußerung oder Aufgabe des Betriebes erhält (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1975 I R 29/74, BFHE 117, 483, BStBl II 1976, 224). Dazu gehört auch die Entschädigung für die Aufgabe eines Nießbrauchs an einem Unternehmen. Da im vorliegenden Fall ein Buchwert für den Nießbrauch nicht angesetzt werden kann (s. unten Nr. 3), entspricht die Entschädigung in vollem Umfang dem erzielten Aufgabegewinn.

Der Aufgabegewinn unterliegt dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 34 Abs. 1 EStG; denn die Aufgabe des Nießbrauchs kommt im Streitfall der Aufgabe des gesamten Gewerbebetriebes gleich. Der Kläger konnte erst aufgrund der Nießbrauchsbestellung gewerblich tätig werden, weshalb der Nießbrauch die wesentliche Grundlage beider Gewerbebetriebe bildete.

2. Mit der Rechtsprechung des, Bundesgerichtshofs (BGH) und der herrschenden Meinung in der Literatur bejaht der erkennende Senat die Möglichkeit der Bestellung eines sogenannten Unternehmensnießbrauchs (vgl. § 22 Abs. 2 HGB; BGH-Urteil vom 18. November 1974 VIII ZR 236/73, Der Betrieb 1975 S. 146 - DB 1975, 146 -; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 39. Aufl. 1980, § 1085 Anm. 4; Baur in Soergel/Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. 1978, § 1085 Anm. 6-8; Spreng in Staudinger. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl. 1963, § 1085 Anm. 3, jeweils mit weiteren Nachweisen). Zwar kann die Bestellung des Nießbrauchs an einem Unternehmen, das einen Inbegriff von Sachen und Rechten darstellt, nicht durch einen einheitlichen Rechtsakt geschehen. Ist jedoch die Nießbrauchsbestellung durch Belastung der einzelnen Gegenstände des Betriebsvermögens - entweder nach §§ 1030 ff. BGB oder nach § 1085 BGB, wenn das Unternehmen das gesamte Vermögen des Bestellers ausmacht - wirksam vollzogen, begründet dies für den Berechtigten ein umfassendes dingliches Recht am Handelsgeschäft.

3. Im Streitfall ist dem Kläger der Nießbrauch an den Gewerbebetrieben "Lichtspieltheater" und "Gastwirtschaft" in Erfüllung eines testamentarischen Vermächtnisses durch den Erben der Betriebe eingeräumt worden. Nach der Nießbrauchsbestellung hat der Kläger gewerbliche Einkünfte erzielt, da er - was unstreitig ist - den Tatbestand der Einkunftserzielung i. S. des § 15 Nr. 1 EStG erfüllt hat (vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. Mai 1980 VIII R63/79, BFHE 131, 212, BStBl II 1981).

Die Nießbrauchsrechte, die wegen des Auseinanderfallens von Eigentum und Nutzungsrecht an den Unternehmen neue selbständige Wirtschaftsgüter darstellten (vgl. BFH-Urteil vom 28. Februar 1974 IV R 60/69, BFHE 112, 257, BStBl II 1974, 481; zu der Frage, wann Nießbrauchsrecht die Eigenschaft eines Wirtschaftsgutes besitzen, vgl. auch BFH-Urteil vom 22. Januar 1980 VIII R 74/77, BFHE 129, 485, BStBl II 1980, 244), gehörten als wesentliche Grundlage der Gewerbebetriebe des Klägers zu deren notwendigem Betriebsvermögen. Dennoch war in der Bilanz der Unternehmen ein Wert für die Nießbrauchsrechte nicht anzusetzen.

Wegen der Unentgeltlichkeit des Erwerbes der Nießbrauchsrechte käme ein Wertansatz für diese nur dann in Betracht, wenn der Kläger sie im Zeitpunkt der Aufnahme seiner eigenen gewerblichen Tätigkeit mit dem Teilwert nach § 6 Abs. 1 Nrn. 6, 5 EStG dem Betriebsvermögen der jeweiligen Betriebe zugeführt hätte. Eine solche Einlage zum Teilwert setzt jedoch eine vorherige Entnahme der Nutzungsrechte aus den dem Erben vom Erblasser überlassenen Betrieben voraus. Daran fehlt es im Streitfall.

Denn ebenso wie die unentgeltliche Übertragung eines ganzen Betriebes oder eines Teilbetriebes zu betriebsfremden Zwecken keine Entnahme beinhaltet (vgl. BFH-Urteile vom 26. April 1979 IV R 108/75, BFHE 128, 452, BStBl II 1979, 732; vom 23. April 1971 IV 201/65, BFHE 102, 488, BStBl II 1971, 686, vom 24. Oktober 1951 IV 233/51 U, BFHE 56, 10, BStBl III 1952, 5), führt die unentgeltliche Überlassung eines gesamten Betriebes zur Nutzung nicht zu einer Entnahme des Nutzungsrechts. Vielmehr tritt der Nutzungsberechtigte, was die Nutzung des Betriebsvermögens zur Einkunftserzielung betrifft, wie ein Rechtsnachfolger an die Stelle des die Nutzungsberechtigung überlassenden Eigentümers. Der in § 7 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachte Grundsatz, daß eine unentgeltliche Betriebsübertragung keine Entnahme zu betriebsfremden Zwecken ist (vgl. BFHE 102, 488, BStBl II 1971, 686), muß demnach auch auf die unentgeltliche Übertragung des Rechts zur Nutzung eines Betriebes in der Form der Bestellung eines dinglichen Nießbrauchs am Unternehmen entsprechende Anwendung finden.

4. Dieser Entscheidung steht das BFH-Urteil in BFHE 80, 282, BStBl III 1964, 576 nicht entgegen. Dort hat der BFH die Abfindung, die der Erbe dem Nießbraucher für dessen Verzicht auf das testamentarisch eingeräumte Nießbrauchsrecht am Nachlaß gezahlt hatte, unbesteuert gelassen. Die Besonderheit dieses Urteil liegt darin, daß der Erbe als der als dem Vermächtnis Verpflichtete und der Nießbraucher als Vermächtnisnehmer einvernehmlich das Vermächtnis "Gewährung des Nießbrauchs am Nachlaß" in ein Vermächtnis auf Zahlung eines entsprechenden Geldbetrages "umgewandeltä haben. Aus diesem Grund hat es der BFH für die Frage, ob die Abfindung steuerpflichtig ist, für wesentlich angesehen, daß keine Einkommensteuer angefallen wäre, wenn der Nießbraucher statt des Nießbrauchs von vornherein vom Erblasser einen Kapitalbetrag erhalten hätte. Ob in dem entgeltlichen Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht eine Vermögensumschichtung zu sehen ist, konnte der VI. Senat damals dahingestellt sein lassen. Im Streitfall ist der Abfindungsbetrag dagegen nicht vom Erben aufgrund einer Vereinbarung mit dem Nießbraucher, sondern von dritter Seite gezahlt worden, nachdem der Nießbraucher bereits geraume Zeit gewerblich tätig gewesen war.

5. Das FA ist bei seiner Steuerfestsetzung davon ausgegangen, daß der Gesamtbetrag der von der Stadt G für den Verlust der Nießbrauchsrechte gezahlten Entschädigung - abzüglich eines Betrages vom 5 458 DM für anteilig ersparte Zinsen - als Entschädigung i. S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG anzusehen ist und hat dem Kläger dafür den ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG gewährt. Auch nach der vorstehenden Rechtsauffassung gehört der vom Kläger erzielte Aufgabengewinn zu den außerordentlichen Einkünften nach § 34 Abs. 2 EStG und unterliegt dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG. Der bei der Aufgabe der Gastwirtschaft erzielte Gewinn wird jedoch in Höhe von 20 000 DM nicht zur Einkommensteuer herangezogen (§ 16 Abs. 4 EStG in der bis zum 31. Dezember 1970 geltenden Fassung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413474

BStBl II 1981, 396

BFHE 1981, 414

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