Leitsatz (amtlich)

Der eine Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllende Besuch einer höheren Handelsschule kann nicht zugleich als Erfüllung einer Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG anerkannt werden.

 

Normenkette

StBerG § 156 Abs. 2 Nrn. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) stellte im April 1977 bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Oberfinanzdirektion - OFD -) den Antrag, zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zugelassen zu werden. Seinen Werdegang gab er wie folgt an: Neun Jahre Volksschule, anschließend höhere Handelsschule mit Abschlußprüfung 1967 (Mittelstufe); hierauf folgend zweijähriges Finanzamtspraktikum sowie dreijährige Ausbildung als Finanzanwärter, Inspektorenprüfung September 1972; vom 22. September 1972 bis zur antragsgemäßen Entlassung am 30. April 1975 Tätigkeit als Steuerinspektor z. A. im Veranlagungsdienst, anschließend Studium der Rechtswissenschaften. Durch Bescheid vom 25. Juli 1977 wurde der Antrag mit folgender Begründung abgelehnt: von den in § 156 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) erwähnten Voraussetzungen habe der Kläger nur die der Nrn. 1 und 2 erfüllt. Er habe das nach Nr. 1 erforderliche Zeugnis der mittleren Reife erlangt durch den Nachweis, daß er die Abschlußprüfung der Mittelstufe einer höheren Handelsschule bestanden habe. Die Voraussetzung der Nr. 2 gelte als erfüllt durch das Bestehen der Steuerinspektorenprüfung. Unerfüllt sei aber die Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG, weil der Kläger nach der Erfüllung der Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG - also nach dem Bestehen der Steuerinspektorenprüfung - nicht vier Jahre, sondern nur 34 Monate auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich tätig gewesen sei.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit folgender Begründung ab: Der Kläger habe die Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG nicht schon durch den Besuch der nach der Mittelstufe (mittlere Reife) verlassenen höheren Handelsschule erfüllt; dieser Schulbesuch könne nicht dem in § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG erwähnten Besuch einer anerkannten Verwaltungsakademie gleichgestellt werden. Die Vorschrift des § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG, daß der Bewerber "nach Erfüllung der Voraussetzung zu Nummer 2 vier Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich tätig" gewesen sein müsse, habe der Kläger daher erst nach der Steuerinspektorenprüfung erfüllen können. Er sei dann nicht vier Jahre in dieser Weise tätig gewesen. Das Studium der Rechtswissenschaften sei keine hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens, da es eine Fülle von Rechtsgebieten umfasse und dabei das Steuerrecht eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle spiele.

Mit der Revision macht der Kläger geltend:

Das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es entgegen der nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sinngemäß anzuwendenden Vorschrift des § 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (n. F.) weder eine Schriftsatzfrist noch einen Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt hat. Es habe ihm dadurch die Möglichkeit genommen, zur Klageerwiderung vor der Entscheidung noch Stellung zu nehmen. Das FG-Urteil müsse schon deshalb nach § 119 Nr. 3 FGO aufgehoben werden.

Er habe durch den Besuch einer zweijährigen höheren Handelsschule die fachliche Vorbildung nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG und durch die anschließende länger als vier Jahre dauernde hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens auch die Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG erfüllt.

Die zweijährige höhere Handelsschule werde den Anforderungen an die fachliche Vorbildung gerecht, die durch den in § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG erwähnten Besuch einer Verwaltungsakademie oder einer gleichwertigen Lehranstalt erlangt werde. Sie vermittle in einer Berufsbezogenen Ausbildung fachliche Kenntnisse, die dem Niveau der integrierten Ausbildung im kaufmännischen Beruf mehr als gleichwertig seien. Daher hätten die Industrie- und Handelskammern bei einem erfolgreichen Abschluß der höheren Handelsschule die Befreiung vom schriftlichen Teil der Kaufmannsgehilfenprüfung gewährt. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Urteil vom 16. November 1965 VII 17/65 U (BFHE 83, 660, BStBl III 1965, 739) die vom FG Düsseldorf als Vorinstanz mit dem Urteil vom 15. Oktober 1964 IV 42/64 A (Entscheidungen der Finanzgerichte 1965 S. 89 - EFG 1965, 89 -) vertretene Auffassung bestätigt, daß durch den Besuch einer höheren Handelsschule die Voraussetzung der mit dem jetzigen § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG übereinstimmenden Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 2 StBerG a. F. erfüllt werde. Zu der in § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG geforderten hauptberuflichen Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens gehöre daher schon seine Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung als Finanzanwärter.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil sowie die Verfügung der OFD vom 25. Juli 1977 aufzuheben und die OFD zu verpflichten, ihn zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen.

Die OFD beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Rüge des Klägers, das FG habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, greift nicht durch. Der Kläger hat vom FG Gelegenheit erhalten, sich zu der Klageerwiderung der OFD vom 2. Oktober 1977 zu äußern. Von dieser Möglichkeit hat er mit einem am 19. Oktober 1977 eingegangenen Schreiben vom 18. Oktober 1977 Gebrauch gemacht, ohne sich eine Ergänzung dieses Schreibens noch vorzubehalten. Da er und die OFD auf mündliche Verhandlung verzichtet hatten, konnte das FG am 20. Oktober 1977 gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Das FG war nicht durch § 155 FGO verpflichtet, nach der Vorschrift des § 128 Abs. 2 ZPO zu verfahren, die für den Fall einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorsieht, daß das Gericht den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, sowie den Termin zur Verkündung der Entscheidung bestimmt. Denn das Verfahren des FG beim Verzicht auf mündliche Verhandlung unterscheidet sich grundsätzlich von dem Verfahren eines Zivilgerichtes nach § 128 Abs. 2 ZPO. Es beruht im Gegensatz zu diesem auf der amtlichen Ermittlungspflicht (§ 76 FGO), mißt daher den Schriftsätzen der Beteiligten keine ausschlaggebende Bedeutung bei (vgl. § 77 Abs. 1 FGO), sieht einen Widerruf des Verzichts auf mündliche Verhandlung nicht vor (vgl. § 90 Abs. 2 FGO) und gestattet dem Gericht, das Urteil nicht zu verkünden, sondern den Beteiligten zuzustellen (vgl. § 104 Abs. 2 FGO).

Das FG hat mit dem angefochtenen Urteil zu Recht die gegen den Bescheid vom 25. Juli 1977 erhobene Klage abgewiesen. Denn die mit diesem Bescheid ausgesprochene Ablehnung des Antrags des Klägers auf Zulassung zur Steuerbevollmächtigtenprüfung war nicht rechtswidrig.

Nach § 156 Abs. 2 StBerG ist ein Bewerber zur Steuerbevollmächtigtenprüfung zuzulassen, wenn er

1. das Zeugnis der mittleren Reife besitzt oder nach zweijährigem Besuch einer staatlich anerkannten Handelsschule oder einer gleichwertigen Anstalt eine Abschlußprüfung bestanden oder sich auf andere Weise entsprechende Kenntnisse erworben hat,

2. eine ordnungsgemäße Lehrzeit im steuerberatenden, wirtschaftsberatenden oder kaufmännischen Beruf mit Ablegung der Gehilfenprüfung abgeschlossen oder eine als geeignet anerkannte Verwaltungsakademie oder gleichwertige Lehranstalt vier Semester besucht hat und

3. nach Erfüllung der Voraussetzungen zu Nr. 2 vier Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich tätig gewesen ist.

Die in der Nr. 1 geregelten Erfordernisse der Allgemeinbildung und die fachlichen Vorbildungserfordernisse der Nrn. 2 und 3 sind nicht gleichwertig, nicht vergleichbar und nicht auswechselbar (vgl. BFH-Urteil vom 8. Februar 1966 VII 283/64, BFHE 84, 491, BStBl III 1966, 178, zu den mit § 156 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 StBerG übereinstimmenden Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StBerG a. F.). Jede der in den einzelnen Nummern des § 156 Abs. 2 StBerG enthaltenen Voraussetzungen ist für sich zu betrachten und gesondert zu erfüllen. Deshalb kann eine Lücke bei der Erfüllung der Voraussetzungen der Nr. 1 an die Allgemeinbildung nicht durch einen in den Bereich der fachlichen Vorbildungserfordernisse der Nr. 2 oder 3 fallenden Sachverhalt ausgefüllt werden; dasselbe gilt im umgekehrten Sinne (vgl. BFH-Urteil vom 22. Dezember 1970 VII R 111/69, BFHE 101, 340, BStBl II 1971, 311).

Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger die höhere Handelsschule besucht und dort mit der Abschlußprüfung der Mittelstufe die mittlere Reife erlangt. Er hat demnach die Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllt. Den Anforderungen des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG ist der Kläger erst mit der Steuerinspektorenprüfung gerecht geworden, die nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats gegenüber einer mit der Gehilfenprüfung abgeschlossenen ordnungsgemäßen Lehrzeit im steuerberatenden Beruf mehr als gleichwertig ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. November 1974 VII R 128/73, BFHE 114, 393, BStBl II 1975, 315, und vom 9. März 1976 VII R 107/74, BFHE 118, 273, BStBl II 1976, 398). Bis dahin hatte der Kläger weder eine Lehrzeit im steuerberatenden, wirtschaftsberatenden oder kaufmännischen Beruf mit der Gehilfenprüfung abgeschlossen noch eine als geeignet anerkannte Verwaltungsakademie oder gleichwertige Lehranstalt vier Semester besucht. Der Kläger war nicht gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG nach der Erfüllung der Voraussetzung zu Nr. 2 vier Jahre auf dem Gebiet des Steuerwesens hauptberuflich tätig, also nicht nach der Steuerinspektorenprüfung.

Der Umstand, daß der Kläger vor der Steuerinspektorenprüfung nicht gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG eine als geeignet anerkannte Verwaltungsakademie oder gleichwertige Lehranstalt besucht hat, kann nicht durch den Besuch der höheren Handelsschule ausgeglichen werden, weil dieser nur dazu dienen konnte, eine der zur Allgemeinbildung gehörenden Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG zu erfüllen. Selbst wenn die höhere Handelsschule dem Kläger bereits Kenntnisse für einen kaufmännischen Beruf vermittelt hat, die in den Rahmen der in § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG geregelten fachlichen Vorbildungserfordernisse fallen, kann der eine der Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Nr. 1 StBerG erfüllende Besuch dieser Schule nicht zugleich als Erfüllung einer Voraussetzung des § 156 Abs. 2 Nr. 2 StBerG anerkannt werden.

Eine solche Auslegung des § 156 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 StBerG führt nicht zu einem sinnwidrigen Ergebnis, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben könnte. Es ist durchaus sinnvoll, für den Zugang zu einem steuerberatenden Beruf zu fordern, daß der Bewerber zunächst eine allgemeinbildende Schule, sodann eine auf die fachliche Ausbildung abzielende Lehranstalt besucht und daß beide Ausbildungsgänge getrennt zu durchlaufen sind.

Die im Urteil VII 17/65 U vertretene Auffassung, auf die in der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StBerG a. F. (= § 156 Abs. 2 Nr. 3 StBerG) geforderte vierjährige hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens könne auch eine im Rahmen der Ausbildung zum Steuerinspektor ausgeübte Tätigkeit angerechnet werden, ist durch die spätere Rechtsprechung des Senats, daß die Voraussetzung des § 6 Abs. 1 Nr. 3 StBerG a. F. erst nach Erfüllung der Voraussetzung der Nr. 2 erfüllt werden kann (BFH-Urteil vom 9. Mai 1967 VII 170/65, BFHE 88, 481, BStBl III 1967, 437), überholt. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie entspricht allein dem Wortlaut der Vorschrift, der verlangt, daß die vierjährige hauptberufliche Tätigkeit auf dem Gebiet des Steuerwesens nach Erfüllung der Voraussetzung zu Nr. 2 ausgeübt wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72811

BStBl II 1978, 511

BFHE 1979, 228

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