Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Bürgermeister sind im Land Nordrhein-Westfalen nicht Arbeitnehmer der Gemeinden.

Die von den Gemeinden an die Bürgermeister gezahlten Aufwandsentschädigungen sind deshalb nicht Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis, die dem Steuerabzug unterliegen.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3 Ziff. 4, § 19/1, § 38; LStDV § 1 Abs. 2-3, § 30/1, § 46

 

Tatbestand

Die Bgin., eine kreisangehörige Stadt in Nordrhein-Westfalen, zahlte in den Streitjahren 1958 bis 1962 dem ersten und zweiten Stellvertreter ihres Bürgermeisters 9.390 DM als Aufwandsentschädigung. Ein Steuerabzug wurde nicht vorgenommen. Das Finanzamt hält unter Berufung auf Abschn. 17 Abs. 3 LStR 1962 in Verbindung mit den Runderlassen des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1956 (S 2172 - 14 - 232/VB - 2, abgedruckt in Lohnsteuer-Kartei NW Anweisung 1 zu § 4 Ziff. 1 LStDV), vom 17. Mai 1960 (S 2172 - 7/VB - 2, abgedruckt in Lohnsteuerkartei NW Anweisung 5 zu § 4 Ziff. 1 und 2) und den Runderlassen des Innenministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1956 III A 1718/56 (Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen - MinBl NW - 1956 S. 2159) und vom 31. März 1960 III A 345/60 (MinBl NW 1960 S. 951) die an die Bürgermeister unter der Bezeichnung "Aufwandsentschädigung" gezahlten Bezüge nicht in vollem Umfang für echten Aufwandsersatz, sondern für Arbeitslohn und forderte darum von der Bgin. als Arbeitgeberin 2.388 DM an Lohnsteuer und 141,30 DM an Kirchenlohnsteuer nach.

Die Bgin. bestreitet, daß die Stellvertreter ihres ehrenamtlichen Ratsvorsitzenden und der Ratsvorsitzende selbst ihre Arbeitnehmer sind, weil sie weder in ihren geschäftlichen Organismus eingegliedert noch weisungsgebunden seien. Die Bürgermeister seien wie alle anderen Mitglieder des Rates der Gemeinde gemäß § 30 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen vom 21. Oktober 1952 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Nordrhein-Westfalen - GVBl NW - 1952 S. 269, S. 283 ff.) in ihren Handlungen frei und nur dem Gesetz und ihrem Gewissen verpflichtet. Sie dürften gemäß § 13 des Kommunalwahlgesetzes vom 24. Dezember 1960 (GVBl NW 1960 S. 449) überhaupt nicht als Arbeitnehmer der Gemeinde beschäftigt werden. Die Aufwandsentschädigungen könnten darum nicht Arbeitslohn sein. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht, dessen Urteil in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 1964 S. 128 veröffentlicht ist, gab der Berufung statt und führte aus, der Haftungsbescheid könne nur aufrechterhalten werden, wenn zwischen den Bürgermeistern und der Stadt ein Arbeitsverhältnis bestehe. Die Frage des Arbeitsverhältnisses sei nach dem Gesamtbild zu beurteilen. Aus der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, der Satz und der Geschäftsordnung der Stadt ergebe sich, daß die Bürgermeister nicht Verwaltungsspitzen, sondern Mitglieder eines Organs der Selbstverwaltung, nämlich des Rates der Gemeinde, seien. Die Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen sei auf der Trennung von politischer Gewalt und Verwaltung aufgebaut und nach dem Prinzip der Zweigleisigkeit gegliedert. Dem politischen und ehrenamtlichen Bürgermeister, der gleichzeitig Mitglied und Vorsitzender der Gemeindevertretung sei, stehe der unpolitische und hauptamtliche Hauptgemeindebeamte (Gemeindedirektor, Stadtdirektor, Oberstadtdirektor) als Leiter des unpolitischen Verwaltungskörpers der Gemeinde gegenüber. Der Leiter der Verwaltung leite und verteile auch die Dienstgeschäfte und sei Dienstvorgesetzter der bei der Stadt beschäftigten Beamten, Angestellten und Arbeiter. Die Bürgermeister seien dagegen bei der Willensbildung der Gemeinde beteiligt. Ihnen obliege die Einberufung des Rats (§ 31 Abs. 1 der Gemeindeordnung - GO -), die Festsetzung der Tagesordnung (§ 33 Abs. 1 GO), die Einführung der Ratsmitglieder sowie ihre Vereidigung auf eine gewissenhafte Pflichterfüllung (§ 32 Abs. 3 GO), die Leitung der Ratssitzungen, der Ausschluß eines Ratsmitglieds aus der Sitzung (§ 36 Abs. 1 und 3 GO), die Unterzeichnung der Niederschriften von Beschlüssen (§ 37 Abs. 1 GO) sowie ihre Weiterleitung an den Stadtdirektor. Sie müßten die Ausführung der Beschlüsse überwachen und nötigenfalls Ersatzansprüche der Gemeinde gegen den Hauptverwaltungsbeamten geltend machen. Der Bürgermeister könne auch nach § 39 Abs. 1 GO einem Beschluß des Gemeinderats mit aufschiebender Wirkung widersprechen. Gegen Beschlüsse von Ausschüssen mit Entscheidungsbefugnis könne er gemäß § 41 GO ebenfalls seinen Einspruch einlegen. Er sei jedenfalls schlechthin zur Vertretung der Stadt berechtigt und verpflichtet. Im Streitfall hätten die Beteiligten den von der GO gezogenen Rahmen auch nicht überschritten. Sie hätten den Bürgermeistern keine anderen Aufgaben, insbesondere etwa solche des Hauptgemeindebeamten, zugewiesen. Der Bürgermeister und sein Stellvertreter seien also nicht in den Organismus der Gemeinde eingegliedert und könnten darum auch steuerlich nicht als Arbeitnehmer der Bgin. behandelt werden.

Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung der §§ 2 Abs. 3 Ziff. 4, 19 und 38 EStG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 und 3, 30, 46 LStDV. Er verbleibt dabei, daß die Bürgermeister in den Organismus der Gemeinde eingegliedert und ihre Bezüge darum nach Abzug des tatsächlichen Aufwands als Arbeitseinkünfte zu versteuern seien. Die Bgin. hafte deshalb auch für den Steuerabzug.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Rb. ist nicht begründet.

Nach § 1 Abs. 3 LStDV, dessen Inhalt der langjährigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs zum Begriff "Arbeitnehmer" entspricht, ist es für den Begriff "Arbeitnehmer" entscheidend, ob jemand einem "Arbeitgeber" seine Arbeitskraft schuldet und in den Geschäftsbetrieb des "Arbeitgebers" eingegliedert ist. Mit Recht hat das Finanzgericht für die Beurteilung dieser Frage auf das Gesamtbild der Verhältnisse abgestellt. Es ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, daß die Bürgermeister der Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen nicht Arbeitnehmer der Gemeinden sind.

Das Finanzgericht geht zu Recht davon aus, welche Aufgaben die Bürgermeister tatsächlich wahrgenommen haben. Es hat dabei festgestellt, daß hier die Beteiligten den von der GO festgelegten Aufgabenkreis nicht überschritten haben. Zutreffend hat es anschließend geprüft, welche Befugnisse den Bürgermeistern nach der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen zustehen. Das Gemeinderecht ist Landesrecht und ist in der Bundesrepublik nicht einheitlich. Die reichsrechtliche Regelung des Gemeinderechts durch die Deutsche Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 (RGBl 1935 I S. 49), die alle wesentlichen Befugnisse auf den Bürgermeister übertragen hatte, fand mit dem Zusammenbruch des Reiches im Jahre 1945 ihr Ende. Bei der Neuregelung ist weithin das Prinzip der Alleinverantwortlichkeit des Bürgermeisters durch das Prinzip gemeinsamer Verantwortung ersetzt worden. In der damaligen brit. Besatzungszone erging die Verordnung Nr. 21 der Militärregierung für alle Länder der britischen Besatzungszone (Amtsblatt der Militärregierung S. 127). Diese Verordnung knüpfe im wesentlichen an das englische Gemeinderecht an, das sich zum Grundsatz der Gewaltenteilung bekennt. Die Gemeindeordnungen in der ehemaligen britischen Zone beruhen deshalb auf dem Prinzip der Trennung von Politik und Verwaltungsvollzug. Daran hat auch die Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (a. a. O.) angeknüpft. Demgemäß ist in Nordrhein-Westfalen der Bürgermeister die politische Spitze, die klar von der Spitze der Verwaltung getrennt ist. Der Hauptgemeindebeamte ist Dienstvorgesetzter aller Bediensteten der Gemeinde. Er kann aber dem Bürgermeister keine Weisungen erteilen, weil die Ratsmitglieder, insbesondere die Bürgermeister, keine Beamten oder Angestellten der Gemeinde sind. Zutreffend hat das Finanzgericht vor allem auf § 13 des Kommunalwahlgesetzes (a. a. O.) hingewiesen: Wird nämlich ein Beamter oder Angestellter des öffentlichen Dienstes zum Ratsmitglied gewählt, so kann er die Annahme der Wahl nur erklären, wenn er gemäß § 13 Abs. 3 des Kommunalwahlgesetzes die Beendigung seines Dienstverhältnisses nachweist. Ein Ratsmitglied, das als Beamter oder Angestellter in den öffentlichen Dienst tritt, scheidet gemäß § 13 Abs. 4 des Kommunalwahlgesetzes aus dem Gemeinderat aus. Das zeigt, daß im Land Nordrhein-Westfalen der Rat ein unabhängiges Organ ist, dessen Mitglieder von der Bindung eines Dienstverhältnisses zur Gemeinde frei sein müssen und frei sind.

Im übrigen ist auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte zu dem Ergebnis gekommen, daß die ehrenamtlich tätigen Bürgermeister bzw. ihre Stellvertreter nicht als Arbeitnehmer der Gemeinde sozialversicherungspflichtig sind, soweit sie eine Aufwandsentschädigung erhalten (vgl. Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. November 1954, "Die Gemeinde" 1955 S. 27). Zu demselben Ergebnis sind das Sozialgericht Detmold im Urteil vom 28. Oktober 1958 (vgl. bei Kottenberg, Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, 7. Aufl. S. 268) und das Sozialgericht Oldenburg für den niedersächsischen Bereich im Urteil vom 24. April 1961 (vgl. bei Kottenberg, a. a. O.) gekommen; desgleichen das Landessozialgericht Berlin im Urteil vom 2. September 1963 (Die Gemeinde 1963 S. 151). Die Sozialgerichte haben mit Recht angenommen, daß die Bürgermeister nicht in einem Arbeitsverhältnis zur Gemeinde stehen und auch keine Ehrenbeamte sind, sondern daß sie auf Grund eines parlamentarischen Mandats ihre Aufgabe erfüllen und zu ihrer Gemeinde keine Rechtsbeziehungen im Sinne eines arbeitsrechtlichen Abhängigkeitsverhältnisses haben und haben dürfen.

Nach allem ist die Vorentscheidung rechtlich einwandfrei, wenn sie ein Arbeitsverhältnis verneint und deshalb den Haftungsbescheid gegen die Bgin. ersatzlos aufgehoben hat. Der Senat braucht in diesem Verfahren nicht zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Aufwandsentschädigungen der Bürgermeister, soweit sie über den Ersatz echten Aufwands hinausgehen, etwa unter eine andere der sieben Einkunftsarten des EStG fallen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411886

BStBl III 1966, 130

BFHE 1966, 361

BFHE 84, 361

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