Leitsatz (amtlich)

Ein auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO gerichtetes Verfahren schließt ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen die Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 333 AO) nicht aus.

 

Normenkette

AO §§ 333, 242; FGO § 69 Abs. 2-3

 

Tatbestand

Von der Klägerin wurde gemäß Art. 21 § 2 des Haushaltsicherungsgesetzes (HSG) vom 20. Dezember 1965 (BGBl I 1965, 2065) durch Steuerbescheid des HZA vom 22. Dezember 1967 Branntweinnachsteuer in Höhe von 468 910,50 DM angefordert, weil sie bei Inkrafttreten des HSG am 1. Januar 1966 Branntwein mit einer Weingeistmenge von 49 359 Litern in Besitz gehabt habe. Hiergegen hat sie nach erfolglosem Einspruch am 20. April 1968 Klage beim FG erhoben.

Mit Schreiben vom 19. April 1968 hat die Klägerin beim FG den Antrag gestellt, die Vollziehung des Branntweinnachsteuerbescheids vom 22. Dezember 1967 auszusetzen. Dieser Antrag wurde durch Beschluß des FG vom 21. Mai 1968 abgelehnt. Der BFH hat auf die Beschwerde der Klägerin durch Beschluß vom 8. Mai 1970 den Beschluß des FG aufgehoben und die Vollziehung des Steuerbescheids bis zur Entscheidung über die Klage ausgesetzt.

Mit Schreiben vom 19. Juni 1968 hat die Klägerin außerdem beim HZA beantragt, gemäß § 333 AO die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung des BFH über die vorbezeichnete Beschwerde einstweilen einzustellen. Das HZA hat diesen Antrag durch Verfügung vom 28. Juni 1968 abgelehnt. Die Beschwerde blieb erfolglos. Gegen die Beschwerdeentscheidung der OFD vom 25. September 1968 hat die Klägerin am 23. Oktober 1968 Klage beim FG erhoben, die abgewiesen wurde.

Gegen das Urteil des FG hat die Klägerin Revision eingelegt.

Nachdem der Beschluß des BFH vom 8. Mai 1970 ergangen war, hat die Klägerin den Antrag gestellt, festzustellen, daß die Bescheide des HZA und der OFD vom 28. Juni 1968 bzw. vom 25. September 1968 rechtswidrig waren, die Kosten des Rechtsstreits dem HZA aufzuerlegen und die Zuziehung der Prozeßbevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung ergebe sich daraus, daß das HZA vor Rechtskraft der Vorentscheidung die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes in umfangreicher Weise fortgesetzt habe, so u. a. durch Pfändungsversuche, durch Vollstrekkung in sämtliche Konten der Klägerin, durch Pfändung einer Eigentümergrundschuld und durch Einleitung des Offenbarungseidsverfahrens. Die Vollziehungsmaßnahmen hätten teilweise zu weiteren Prozessen beim FG geführt. Die Vollziehungsmaßnahmen und die beiden genannten Prozesse seien noch nicht abgeschlossen. Selbst wenn das HZA alle Vollziehungsmaßnahmen aufhebe und die Klageanträge in den beiden beim FG noch anhängigen Rechtsstreiten anerkenne, werde das berechtigte Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung fortbestehen, denn der Klägerin seien umfangreiche Nachteile durch die Vollziehungsmaßnahmen entstanden. Sie werde, wie dem HZA bereits wiederholt angekündigt worden sei, Ersatzansprüche geltend machen. Es komme für das vorliegende Verfahren nicht auf die Frage an, ob das Zivilgericht die Frage der Rechtswidrigkeit selbständig zu prüfen habe.

Das HZA, das den Rechtsstreit in der Hauptsache als erledigt ansieht, beantragt, den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide des HZA und der OFD abzuweisen, desgleichen den Antrag, die Zuziehung des Steuerberaters für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die OFD, die dem Klageverfahren beigetreten ist, beantragt: 1. Den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Bescheide des HZA und der OFD abzuweisen, 2. die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen, 3. gemäß § 138 Abs. 1 FGO über die Kosten zu entscheiden, 4. den Antrag der Klägerin auf Erklärung der Notwendigkeit der Zuziehung des Steuerberaters für das Vorverfahren abzulehnen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision kann keinen Erfolg haben.

1. Das HZA und die OFD haben den Rechtsstreit im Hinblick auf den Beschluß des BFH vom 8. Mai 1970 für in der Hauptsache erledigt erklärt. Da jedoch die Klägerin beantragt hat festzustellen, daß die Bescheide des HZA vom 28. Juni 1968 und der OFD vom 25. September 1968 rechtswidrig waren, kann der Rechtsstreit nicht als in der Hauptsache erledigt behandelt werden (vgl. Urteil des BFH VII 194/64 vom 2. August 1967, BFH 90, 383, BZBl 1968, 252, HFR 1968, 170). Ein Übergang zu diesem Feststellungsbegehren ist auch im Revisionsverfahren zulässig, da es sich nicht etwa um eine Klageänderung handelt, sondern nur eine Einschränkung des ursprünglichen Begehrens der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts auf die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit vorliegt.

Die Klägerin hat zur Darlegung eines berechtigten Interesses an dieser Feststellung im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO vorgetragen, daß sie einen Amtshaftungsprozeß anstrengen wolle. Dieses Vorbringen ist nach der Sachlage im Streitfall glaubhaft und reicht für die Begründung des berechtigten Interesses aus. Es kann nicht entscheidend sein, daß die Zivilgerichte im Amtshaftungsverfahren von sich aus die Rechtswidrigkeit festzustellen haben.

2. Auch die nunmehr begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit setzt voraus, daß gegen den als rechtswidrig angegriffenen Verwaltungsakt überhaupt ein Rechtsbehelf zulässig war.

Die Klägerin hat mit ihrem Schreiben vom 19. Juni 1968 beantragt, gemäß § 333 AO die Zwangsvollstreckung bis zur Entscheidung des BFH über die Beschwerde betreffend den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung einstweilen einzustellen. Nach § 333 AO kann das HZA die Zwangsvollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit im Einzelfall die Zwangsvollstreckung unbillig ist. Es erhebt sich daher die Frage, ob die Klage, die während des beim BFH schwebenden Beschwerdeverfahrens betreffend einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erhoben wurde, im Hinblick auf dieses Beschwerdeverfahren zulässig war, d. h., ob ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage vorlag. Das ist zu bejahen, da Anträge nach § 69 Abs. 2 FGO bzw. § 242 AO und solche nach § 333 AO nicht dasselbe zum Gegenstand haben. Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2, 3 FGO bzw. § 242 AO zielt darauf ab, daß ein angefochtener bzw. noch anfechtbarer Verwaltungsakt im Hinblick darauf, daß noch nicht feststeht, ob er von Bestand sein wird, nicht in irgendeiner Weise vollzogen werden soll. Ein Antrag nach § 333 AO auf einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Zwangsvollstreckung bzw. Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme hat dagegen grundsätzlich mit dem der Vollstreckung zugrunde liegenden - noch angefochtenen oder aber auch bereits unanfechtbar gewordenen - Verwaltungsakt nichts zu tun. Er wendet sich gegen die Vollstreckung, die der zwangsweisen Durchsetzung von Ansprüchen auf Leistungen dient, als solche ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit oder Endgültigkeit des vorangegangenen Verwaltungsaktes. Daher hat, solange nicht durch Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts auch die Zwangsvollstreckung aus ihm entfällt, der Vollstreckungsschuldner ein anzuerkennendes Interesse daran, sich - unabhängig von etwaigen Rechtsbehelfen gegen den ihr zugrunde liegenden Verwaltungsakt oder seine Vollziehung - gegen die Zwangsvollstreckung selbst wehren zu können. Daß es sich in § 69 Abs. 2, 3 FGO bzw. § 242 AO und § 333 AO um Verschiedenes handelt, geht im übrigen auch daraus hervor, daß der Gesetzgeber die Vorschriften des mit § 69 Abs. 2 FGO inhaltlich übereinstimmenden § 242 AO einerseits und des § 333 AO andererseits nebeneinander mit Wirkung vom selben Tage, nämlich dem 1. Januar 1966, in die AO eingefügt hat, mag das auch bei der erstgenannten Vorschrift durch die FGO, bei der letzteren durch das Gesetz zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965 (BGBl I 1965, 1356) geschehen sein.

Nach alledem schließt ein Verfahren auf Grund des § 69 FGO bzw. § 242 AO das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 333 AO undgegenseine Ablehnung gerichtete weitere Rechtsbehelfe nicht aus. Die ursprünglich auf Aufhebung des eine Einstellung der Zwangsvollstreckung ablehnenden Bescheids gerichtete Klage war daher zulässig.

3. Die Klägerin kann jedoch mit ihrem auf Feststellung beschränkten Revisionsbegehren keinen Erfolg haben, da die Vorinstanz zu Recht eine Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts verneint hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69314

BStBl II 1971, 114

BFHE 1971, 436

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