Entscheidungsstichwort (Thema)

Treu und Glauben bei Betriebsprüfung; keine Überprüfung von Fragen, die im Prüfungszeitraum noch rechtsunerheblich sind

 

Leitsatz (NV)

Die Grundsätze von Treu und Glauben sind nicht verletzt, wenn ein Betriebsprüfer, der nach Inkrafttreten des UStG 1967 für Zeiträume bis 1967 prüft, nicht schon im Hinblick auf das UStG 1967 Fragen nachgeht, die für das UStG 1951 rechtsunerheblich waren (hier: Behandlung von Agenturvergütungen als Entgelt, die nach dem UStG 1951 jedenfalls abzugsfähige Versendungsauslagen waren).

 

Normenkette

UStG 1951 § 5 Abs. 1, 4; UStG 1967 § 10 Abs. 1; AO § 2; AO 1977 § 4

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt das Verlagsgeschäft. Sie druckt und verlegt eine Wochenzeitung. Die Bezieher wurden in den Streitjahren 1968 bis 1973 durch die Post oder über Agenten beliefert. Die Belieferung über Agenten vollzog sich aufgrund von Bestellzetteln. Die Bezieher waren von Vertretern der Klägerin bzw. von Mitgliedern fremder Werbekolonnen oder von den Agenten selbst geworben worden oder hatten sich unmittelbar an die Klägerin gewandt. Die Agenten rechneten in der Weise ab, daß sie von den Beziehern die Brutto-Abonnementsbeträge einzogen und diese netto unter Abzug ihrer Vergütung an die Klägerin weiterleiteten.

Die Klägerin unterwarf in den Streitjahren lediglich die Nettobeträge der Umsatzsteuer. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) zog nach einer Betriebsprüfung in den endgültigen Steuerbescheiden gemäß § 225 der Reichsabgabenordnung (AO) auch die Agenturvergütungen zur Umsatzsteuer heran.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat dargelegt: Die Belieferungsverträge seien zwischen der Klägerin und den Beziehern zustandegekommen. Zu Recht seien daher die von den Beziehern gezahlten Bruttobeträge als Entgelt der Klägerin angesehen worden. Der Nachforderung stünden nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen. Das FA sei berechtigt gewesen, die in den vorläufigen Bescheiden ungeprüft übernommenen erklärten Umsätze nach der Betriebsprüfung in den endgültigen Bescheiden zu korrigieren. Die Klägerin könne keine Rechte daraus herleiten, daß in der nach Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1967 stattgefundenen Betriebsprüfung für die Jahre bis 1967 unbeanstandet geblieben sei, daß die Klägerin die Agenturvergütungen nicht als Entgelt behandelt habe. Es sei nicht sicher, ob der Betriebsprüfer überhaupt zur Kenntnis genommen habe, wie die Klägerin die Vergütung behandelt habe. Vor 1968 wäre eine Erfassung der Vergütung ohne steuerliche Auswirkung geblieben.

Die Klägerin rügt mit der Revision eine Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben: Der Betriebsprüfer habe im Betriebsprüfungsbericht vom 1. August 1969 für die Jahre 1964 bis 1967 ihr Verfahren, die Agenturvergütungen nicht als Entgelt zu behandeln, unbeanstandet gelassen. Es möge zutreffen, daß sich eine Hinzurechnung der Agenturvergütungen unter der Geltung des UStG 1951 steuerlich nicht ausgewirkt hätte, weil die Hinzurechnungsbeträge als Versendungsauslagen wieder hätten abgesetzt werden können (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951). Gerade aus diesem Grund aber hätte der Betriebsprüfer im Hinblick auf das UStG 1967, das zur Zeit der Prüfung bereits gegolten habe, auch ,,formell" korrekt verfahren müssen. Sie, die Klägerin, habe darauf vertrauen dürfen, daß die Betriebsprüfung ihre Handhabung gebilligt habe. Unerheblich sei, ob der Betriebsprüfer ihre Verfahrensweise zur Kenntnis genommen habe. Sie habe schließlich ihre Preiskalkulation an dem Ergebnis der Betriebsprüfung ausgerichtet.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung und die Umsatzsteuerbescheide aufzuheben und die Umsatzsteuer 1968 bis 1973 herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

1. Das FG hat zutreffend unmittelbare Vertragsbeziehungen zwischen der Klägerin und den Beziehern angenommen. Seine Würdigung, daß die Agenten lediglich eine Vermittlerstellung einnahmen, ist nicht zu beanstanden. Das FG hat seine Annahme für die verschiedenen Fallgestaltungen erörtert und begründet. Hieraus folgt, daß die von den Beziehern aufgewandten Brutto-Abonnementbeträge Entgelt der Klägerin sind (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1967). Die Klägerin erhebt insoweit im Revisionsverfahren keine Einwendungen mehr.

2. Die Grundsätze von Treu und Glauben sind nicht verletzt.

a) Die Klägerin will in den Streitjahren 1968 bis 1973 die Agenturvergütungen deswegen außerhalb des Entgelts belassen, weil der Betriebsprüfer die Nichterfassung in den Jahren 1964 bis 1967 unbeanstandet ließ und sie hierauf auch für die Zukunft habe vertrauen können. Das FG hat nicht festgestellt, ob sich der Betriebsprüfer seinerzeit überhaupt mit den Agenturvergütungen befaßte. Es hat Ermittlungen in dieser Richtung nicht für erforderlich gehalten, weil die umsatzsteuerrechtliche Auswirkung der Nichterfassung vor 1968 anders war als ab 1968. Es wollte offensichtlich den Hinweis des FA aufnehmen, daß eine Erfassung der Agenturvergütungen vor 1968 zu keiner Erhöhung der Besteuerung geführt hätte, weil die Hinzurechnungsbeträge damals sogleich als Versendungsauslagen absetzbar waren; ab 1968 ist hingegen die Erfassung von Bedeutung, weil die Absetzungsvorschrift des § 5 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1951 für Versendungsauslagen nicht in das UStG 1967 übernommen wurde. Die Klägerin kann dieser Argumentation des FG nicht mit Erfolg entgegenhalten, der Betriebsprüfer, der nach Inkrafttreten des UStG 1967 geprüft habe, hätte im Hinblick auf die neue Rechtslage ihre Verfahrensweise ,,formell" richtigstellen und das Entgelt erhöhen müssen, um in einem nächsten Schritt in gleicher Höhe Versendungsauslagen abzusetzen. Selbst wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, daß der Betriebsprüfer sich für 1964 bis 1967 mit den Agenturvergütungen befaßte und den Standpunkt der Klägerin bewußt unbeanstandet ließ, konnte die Klägerin nicht annehmen, daß das FA die Auffassung des Betriebsprüfers gebilligt hätte. Nur unter dieser Voraussetzung hätte zugunsten der Klägerin eine in die Zukunft wirkende Vertrauensposition entstehen können.

b) Das FA ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht an eine unrichtige Sachbehandlung in den Vorjahren gebunden (Urteile vom 15. Dezember 1966 V 181/63, BFHE 87, 469, 471, BStBl III 1967, 212; vom 25. November 1975 VIII R 116/74, BFHE 117, 247, 252, BStBl II 1976, 155; vom 25. Mai 1977 I R 93/75, BFHE 122, 296, 299, BStBl II 1977, 660; vom 11. Februar 1981 I R 128/77, BFHE 132, 552, 555, BStBl II 1981, 448; vom 19. September 1985 VIII R 25/85, BFHE 146, 32, 38, BStBl II 1986, 520). Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Es entspricht dem Wesen der Abschnittbesteuerung, daß das FA für jeden Besteuerungsabschnitt erneut prüft, wie ein bestimmter Sachverhalt zu beurteilen ist.

Im Streitfall ist die unterstellte Stellungnahme des Betriebsprüfers zugunsten der Klägerin nach ihrer eigenen Einlassung nicht einmal in den Betriebsprüfungsbericht für die Jahre 1964 bis 1967 aufgenommen worden. Die für die Veranlagung zuständigen Bediensteten konnten sonach von einer möglichen Stellungnahme des Betriebsprüfers keine Kenntnis erlangen und ihr demgemäß auch nicht folgen. Wenn nach der Rechtsprechung schon die bewußte und ausdrückliche Übernahme einer unrichtigen Betriebsprüferansicht durch die Veranlagungsbediensteten keine Bindungswirkung des FA für die Folgejahre auslöst, gilt dies um so mehr im Streitfall.

c) Damit kann es dahingestellt bleiben, ob die Klägerin im Hinblick auf die unterstellte Billigung ihrer Handhabung Dispositionen getroffen hatte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415177

BFH/NV 1987, 758

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