Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Abgrenzung von Herstellungs- und Vertriebs-(Verpackungs-)kosten bei einer Abfüllanlage für Getränke.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 2; BerlinFG § 19 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt in Berlin (West) alkoholfreie Getränke her. In den Jahren 1970 bis 1972 ließ sie für ... DM eine neue Abfüllanlage erstellen, die aus mehreren Aggregaten besteht. Die einzelnen Aggregate sind durch Rollenbahnen und Überhöhungsförderer miteinander verbunden. Die Abfüllanlage verrichtet sämtliche Arbeitsgänge von der Aufgabe des Leergutes bis zum Absetzen des Vollgutes. Die Arbeitsgänge sind nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) im einzelnen folgende: Die Kästen mit gebrauchten leeren Flaschen werden von den Paletten gehoben. Sodann werden die Flaschen den Kästen entnommen, gereinigt, gefüllt, verschlossen und wieder in die Kästen hineingelegt. Die Kästen werden dann wieder auf Paletten gesetzt. Auch das Reinigen der Kästen erfolgt durch die Anlage. Der Arbeitsfluß wird zentral elektronisch gesteuert und kontrolliert.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) gewährte der Klägerin für die einzelnen Maschinen zunächst erhöhte Investitionszulagen von 25 v. H. der Anschaffungskosten. Später forderte das FA mit Bescheid vom 18. Januar 1974 für drei Maschinen die Differenz zwischen den erhöhten Zulagen und den Grundzulagen wieder zurück. Es handelt sich um eine Kastenwaschmaschine, eine Flascheneinpackmaschine und einen Bepalletierer. Das FA ist der Auffassung, daß diese Maschinen nicht mehr zum Fertigungsbereich, sondern zum Vertriebsbereich gehören.

Die Klägerin rechnet dagegen auch die genannten Maschinen zur Fertigung und die dadurch entstandenen Kosten zu den Herstellungskosten. Zur Fertigung gehöre alles, was dazu diene, das Produkt verkaufsreif zu machen. Verkaufsreif sei aber nicht das Getränk oder die Flasche, sondern der Kasten oder die Palette, die als kleinste Verkaufseinheit den Kunden angeboten werde. Es komme nicht darauf an, wie der Endverbraucher letztlich das Produkt erwerbe. Die Klägerin vertritt schließlich noch die Meinung, daß die gesamte Anlage ein einheitliches Wirtschaftsgut sei, das überwiegend der Fertigung diene.

Während der Einspruch keinen Erfolg hatte, gab das FG der Klage statt. Es hat die Anlage in Augenschein genommen und ein Sachverständigengutachten darüber eingeholt, "wann nach der Verkehrsauffassung bei dem Betrieb der Klägerin der Herstellungsvorgang beendet ist und der Vertriebsbereich beginnt".

Das FG ist der Auffassung, daß die Herstellung erst beendet sei, wenn die Palette mit dem Vollgut im Lagerraum gestapelt sei. Denn das hergestellte Wirtschaftsgut sei nicht das Getränk oder die Flasche, sondern der Kasten oder die Palette. Dies sei die Einheit, welche die Klägerin herstelle und im üblichen Geschäftsverkehr verkaufe. Es sei auch nach der Verkehrsauffassung das Erzeugnis im Bilanzsinne. Das FG schloß sich damit dem Sachverständigengutachten an. Die Frage, ob die streitigen Maschinen Einzelwirtschaftsgüter oder nur unselbständige Bestandteile des einheitlichen Wirtschaftsgutes "Abfüllanlage" seien, ließ das FG offen.

Dagegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt die Verletzung des Herstellungskostenbegriffs. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hält das Gutachten für zutreffend. Sie beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Die Klägerin kann die vom FA gewährten und jetzt zurückgeforderten erhöhten Investitionszulagen für die streitigen Maschinen nur behalten, wenn diese in ihrem Betrieb "unmittelbar oder mittelbar der Fertigung dienen" (§ 19 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, Abs. 6 des Berlinförderungsgesetzes - BerlinFG -). Das ist nach der Rechtsprechung der Fall, wenn ihre Kosten (Absetzung für Abnutzung - AfA -) in die Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingehen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 11. Oktober 1973 VIII R 139/72, BFHE 110, 450, BStBl II 1974, 43, und vom 29. März 1976 III R 171/72, BFHE 118, 514, BStBl II 1976, 409). Im vorliegenden Fall sind die Herstellungskosten von den Vertriebskosten abzugrenzen. Vertriebskosten gehören weder nach Handelsrecht (§ 153 Abs. 2 des Aktiengesetzes - AktG -) noch nach Steuerrecht (vgl. Abschn. 33 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR -) zu den Herstellungskosten.

2. Der vom FG beauftragte Sachverständige sieht den Herstellungsvorgang im Betrieb der Klägerin in dem Augenblick für beendet an, in dem die vollen Paletten im Lagerraum gestapelt sind. Er ist zu diesem Ergebnis gekommen, indem er unter technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten den modern eingerichteten "Flaschenkeller" der Klägerin als Einheit beschrieb, der von der Aufgabe des Leergutes bis zum gefüllten Kasten reiche. Dabei ist er von Einrichtungen im Brauereigewerbe ausgegangen, die für die Getränkeindustrie ganz allgemein Geltung hätten. Das FG hat sich dieser Auffassung angeschlossen, dabei jedoch nicht in Betracht gezogen, daß der Sachverständige sein Gutachten unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erstellt hat. Demgegenüber ist es jedoch einhellige Meinung im handelsrechtlichen und steuerrechtlichen Schrifttum, daß die Herstellungskosten von den Vertriebskosten nach anderen Merkmalen abzugrenzen sind. Im Anschluß an Schindele (Die Steuerliche Betriebsprüfung 1963 S. 162 [163]) wird zwischen der Innen- und Außenverpackung unterschieden (ebenso Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., § 151 Anm. 119 und § 155 Anm. 40; Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 EStG Anm. 50 f. unter "Verpackungskosten"; Littmann, das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl., § 6 EStG Anm. 76; van der Velde, "Herstellungskosten in der Kostenrechnung und in der Steuerbilanz", 3. Aufl., 1960, S. 101; "L" in Steuerliche Betriebsprüfung 1965 S. 315, und Bachmayr in Der Betriebs-Berater 1976 S. 561 - BB 1976, 561 -; a. A. Peiner, Die Wirtschaftsprüfung 1976 S. 69, dagegen und sogar die Abfüllkosten in die Vertriebskosten einbeziehend Rudolph in BB 1976, 877).

Dieser Auffassung hat sich auch die Rechtsprechung angeschlossen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Januar 1971 IV R 51/69, BFHE 101, 224, BStBl II 1971, 304, und vom 26. Februar 1975 I R 72/73, BFHE 115, 243, BStBl II 1976, 13). Sie wird auch von einem Teil des betriebswirtschaftlichen Schrifttums vertreten (vgl. z. B. Pieper, "Steuerliche Herstellungskosten", 1975 S. 137, 138).

3. Danach gehört die Verpackung grundsätzlich nicht mehr zur Herstellung, sondern zum Vertrieb. Nur dann werden die Kosten der Warenumschließung (Verpakkungskosten) zu den Herstellungskosten gerechnet, wenn aufgrund der Eigenart des Produkts eine bestimmte Verpackung erforderlich ist, um ein Erzeugnis verkaufsfähig (absatzfähig) zu machen, z. B. bei Milch, Seifenpulver, Zahnpasta. Äußere und zusätzliche Verpakkungsleistungen werden dagegen als absatzvorbereitende Maßnahme dem Vertrieb zugerechnet. Sie dienen dazu, das Produkt versandfähig zu machen. Eine Parallele findet dieses Problem bei den Lagerkosten, die ebenfalls grundsätzlich den Vertriebskosten und nur in Ausnahmefällen (Trocknen von Holz, Reifen von Käse, Gährung von alkoholischen Getränken) noch dem Herstellungsbereich zugerechnet werden. Begründet wird diese Auffassung damit, daß den Herstellungskosten nur solche Kostenteile zugerechnet werden können, durch die der Wert der hergestellten Güter erhöht wird (vgl. dazu Adler/Düring/Schmaltz, a. a. O., § 155 Anm. 67, und insbesondere Bachmayr, a. a. O.). Das sei aber für den Regelfall der Verpackung und Lagerung nicht der Fall. Entsprechend dieser Auffassung hat der BFH in seinem Urteil I R 72/73 die Abfüllkosten von Bier auf Flaschen, Dosen oder Fässer zu den steuerlichen Herstellungskosten gerechnet, nicht mehr dagegen die Biersteuer, die nicht mit der "Fertigstellung" des Bieres, sondern nach § 2 Abs. 1 des Biersteuergesetzes erst entstehe, wenn das Bier die Brauerei verlasse. Der erkennende Senat tritt dieser Auffassung bei. Er hat bereits in seinem Urteil III R 171/72 entschieden, daß Transportkosten auf Verkaufslager nicht zu den Fertigungsgemeinkosten gehören, weil sie mit der technischen Herstellung der Produkte nichts mehr zu tun haben.

4. Das FG 'hat es zu Unrecht auf die Verkaufseinheiten der Klägerin abgestellt. Auf diesen Gesichtspunkt kommt es jedoch nicht an. Damit wäre die Unterscheidung von Innen- und Außenverpackung auf der Herstellerstufe und die daraus sich ergebende Bedeutung der Verkaufsfähigkeit des Produkts (wie unter 3 dargestellt) weitgehend aufgehoben. Denn der Hersteller pflegt seine Waren im allgemeinen nur en gros an die nachfolgenden Verteilerstufen abzugeben. Zu den Herstellungskosten können nur die Kosten für die Verpackung gerechnet werden, ohne die das Getränk nicht verkaufsfähig (auslieferungsfähig) wäre, nicht aber zusätzliche - absatz- oder rationalisierungsfördernde - Verpackungsleistungen. Zu den Herstellungskosten in diesem Sinne gehören im Betrieb der Klägerin die Kosten für die einzelnen Flaschen. Sie sind nach § 155 Abs. 1 AktG und § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG die mit den Herstellungskosten zu bewertenden Gegenstände bzw. Wirtschaftsgüter.

5. Die Vorentscheidung ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Sie war deshalb aufzuheben. Das FG wird nunmehr zu prüfen haben, ob es sich bei der Abfüllanlage der Klägerin um mehrere selbständige Wirtschaftsgüter oder aber um ein einheitliches Wirtschaftsgut handelt, das überwiegend der Fertigung dient.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72766

BStBl II 1978, 412

BFHE 1979, 70

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