Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften des § 10 Abs. 2 und 3 BewG i. d. F. vor dem BewG 1965 sind für die Bewertung von Kapitalforderungen grundsätzlich nicht anwendbar.

2. Ein besonderer Umstand, der zur Bewertung einer Kapitalforderung unter dem Nennwert führen kann, liegt nicht bereits in der niedrigen Verzinsung, sondern nur in dem Zusammenwirken von niedriger Verzinsung und längerer Unkündbarkeit.

2. Bei Kapitalforderungen, die nicht nach einem festen Zinssatz, sondern entsprechend der Gewinnentwicklung eines Gewerbebetriebs verzinst werden, ist die nach den Verhältnissen des Veranlagungszeitpunkts maßgebende Verzinsung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 3 BewG i. d. F. vor dem BewG 1965 zu bestimmen.

 

Normenkette

BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 10 Abs. 2; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 10 Abs. 3; BewG i.d.F. vor dem BewG 1965 § 14 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger ist Nachvermächtnisnehmer nach seinen Großeltern. Die Vermächtnisforderung ist mit dem Tod des zuletzt verstorbenen Großelternteils im Jahr 1955 entstanden. Sie ist auf Grund des gemeinschaftlichen Testaments der Großeltern für 15 Jahre unkündbar. Bis zur Auszahlung soll sie jährlich in der Höhe verzinst werden, in der sich die Einlagen der Gesellschafter der X-KG auf Grund des Reingewinns verzinsen. Die Auszahlung der Zinsen soll gleichzeitig mit der Gewinnausschüttung an die Gesellschafter der KG, also nachschüssig erfolgen.

Der Kläger erhielt das Vermächtnis 1965 vorzeitig ausgezahlt, nachdem ab November 1964 Verhandlungen über die vorzeitige Auszahlung geführt worden waren.

Die X-KG hat folgende Gewinne in v. H. der Anteile an ihre Gesellschafter ausgeschüttet, die für die Verzinsung der Forderung des Klägers maßgebend sind:

1957 = 2,0089 v. H.

1958 = Verlust

1959 = 3,6619 v. H.

1960 = 0,6083 v. H.

In den Jahren 1961 bis 1964 wies die Gesellschaft Verluste aus.

Das FA (Beklagter und Revisionskläger) hat die Vermächtnisforderung des Klägers bei den Vermögensteuer-Veranlagungen zum 1. Januar 1960 und zum 1. Januar 1963 mit ihrem jeweiligen Nennwert von 395 490 DM bewertet und die Vermögensteuer entsprechend festgesetzt.

Auf die Sprungklage setzte das FG die Vermächtnisforderung bei der Vermögensteuer-Veranlagung 1960 mit 340 644 DM und bei der Vermögensteuer-Veranlagung 1963 mit 271 876 DM an. Es ging davon aus, daß die Forderung des Klägers nach den Verhältnissen vom 1. Januar 1960 mit 3,66 v. H. verzinst worden sei und am 1. Januar 1963 unverzinslich war.

Die Revision des FA rügt, das FG habe die Bewertung der Forderung des Klägers mit einem geringeren Wert als dem Nennwert allein auf die niedrige Verzinsung gestützt. Ein besonderer Umstand, der zu einer Bewertung unter dem Nennwert führen könne, liege nach der Rechtsprechung aber nur dann vor, wenn lange Laufzeit und niedrige Verzinsung zusammenträfen. Die Langfristigkeit der Forderung habe das FG zutreffend als persönlichen Umstand bei der Bewertung außer Betracht gelassen, so daß nur die niedrige Verzinslichkeit als berücksichtigungsiähiges Merkmal bleibe. Dies reiche aber für sich allein für eine Bewertung unter dem Nennwert nicht aus.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er ist der Auffassung, das FG habe zu Unrecht angenommen, bei der Langfristigkeit der Forderung handle es sich um einen Umstand, der bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden dürfe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist im Ergebnis unbegründet.

1. Die Vermächtnisforderung des Klägers ist eine Kapitalforderung, weil sie auf Leistung von Geld gerichtet ist. Sie ist befristet. Nach § 14 Abs. 1 BewG sind Kapitalforderungen grundsätzlich mit dem Nennwert zu bewerten. Ausnahmsweise können sie mit einem höheren oder geringeren Wert als dem Nennwert anzusetzen sein, wenn besondere Umstände dies rechtfertigen. Unter welchen Voraussetzungen besondere Umstände in diesem Sinn anzunehmen sind, hat das Gesetz nicht bestimmt. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die niedrige Verzinsung einer Forderung zu einer Bewertung unter dem Nennwert führen, wenn die Forderung außerdem für längere Zeit unkündbar ist (vgl. Entscheidungen des BFH III 142/61 U vom 14. Februar 1964, BFH 79, 85 [88], BStBl III 1964, 264; III 109/54 U vom 2. Dezember 1955, BFH 62, 130, BStBl III 1956, 49). Diese Rechtsprechung beruht auf der Überlegung, daß eine Forderung dann nicht vollwertig ist, wenn weder ihr Geldwert durch Einziehung in absehbarer Zeit realisiert werden kann noch die in der Forderung zum Ausdruck kommende Kapitalanlage im Verhältnis zu gleichartigen Kapitalanlagen eine übliche Rendite gewährleistet. Der Mangel einer ausreichenden Verzinsung kann allerdings durch andere mit der Forderung verbundene Vorteile ausgeglichen werden (vgl. BFH-Entscheidung I R 38/66 vom 9. Juli 1969, BFH 96, 559, BStBl II 1969, 744). Das ist aber bei der Forderung des Klägers offensichtlich nicht der Fall.

2. Das FG hat die Bewertung der Vermächtnisforderung des Klägers mit einem niedrigeren Wert als dem Nennwert bei der Vermögensteuer-Veranlagung zum 1. Januar 1960 allein auf die niedrige Verzinsung gestützt. Dies reicht nach der Rechtsprechung des Senats für eine Unterbewertung nicht aus. Die Entscheidung des FG erweist sich aber im Ergebnis als richtig, weil die Forderung des Klägers nach den unangefochtenen Feststellungen des FG auch langfristig unkündbar war (§ 126 Abs. 4 FGO).

a) Nach der letztwilligen Verfügung, auf der die Forderung des Klägers beruht, sollte die Auszahlung nach den Verhältnissen des 1. Januar 1960 erst nach zehn Jahren erfolgen. Die Möglichkeit einer früheren Auszahlung des Vermächtnisses muß außer Betracht bleiben, weil am maßgebenden Veranlagungszeitpunkt dafür keinerlei Anhaltspunkte vorlagen. Das FG hat aber rechtsirrtümlich angenommen, bei der testamentarisch angeordneten Kündigungsbeschränkung handle es sich um einen Umstand, der für die Bewertung nicht berücksichtigt werden dürfe.

Der Senat hat wiederholt entschieden, die Vorschrift des § 14 BewG über die Bewertung von Kapitalforderungen sei darin begründet, daß diese Forderungen nicht, wie z. B. Waren, zur Veräußerung bestimmt seien, sondern zur Verwertung durch Einziehung (vgl. BFH-Entscheidung III 235/64 vom 5. April 1968, BFH 93, 316, BStBl II 1968, 768 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Wenngleich die Regelung des § 14 BewG auf dem Grundgedanken beruht, welcher Wert dem gemeinen Wert bei Forderungen entspricht, so ist sie doch kein Anwendungsfall des § 10 Abs. 2 und 3 BewG. Dies ergibt sich daraus, daß die Merkmale, aus denen nach § 10 Abs. 2 BewG der gemeine Wert abzuleiten ist, bei Forderungen nicht gegeben sind. Eine Forderung hat weder einen "Preis", noch ist sie ein Gegenstand des "gewöhnlichen Geschäftsverkehrs", auch kann man nicht ohne Zwang von ihrer "Beschaffenheit" sprechen und schließlich ist sie, wie oben ausgeführt, nicht zur "Veräußerung" bestimmt. Hieraus ergibt sich, daß die Vorschriften des § 10 Abs. 2 und 3 BewG insoweit nicht anwendbar sind, als ihnen das Wesen einer Forderung und die Sonderregelung des § 14 BewG entgegenstehen. Während nach § 10 Abs. 2 BewG die "persönlichen Verhältnisse" außer Betracht bleiben müssen, sind nach § 14 Abs. 1 BewG die "besonderen Umstände" zu berücksichtigen. Diese besonderen Umstände können bei der Forderungsbewertung aber auch persönliche Verhältnisse mitumfassen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats aus folgender Überlegung: Die Wirtschaftsgüter des Handels sind grundsätzlich von Natur gegeben (z. B. Grund und Boden, Mineralien) oder sie werden durch Realakt geschaffen (z. B. Produkte). Ihre Beschaffenheit wird durch die tatsächlichen Verhältnisse und Gegebenheiten begründet, die losgelöst von der Person des Berechtigten objektiv vorhanden sind. Aus diesem Grund muß der Wert derartiger Wirtschaftsgüter grundsätzlich ungeachtet der Verhältnisse der Person des Berechtigten ermittelt werden. Forderungen entstehen aus einem Schuldverhältnis. Schuldverhältnisse sind der Ausdruck eines Rechtsverhältnisses zwischen zwei oder mehreren Personen (§ 241 BGB). Eine Forderung ist deshalb notwendig persönlichkeitsbezogen. Sie hat das Tun oder Unterlassen einer Person zum Inhalt. Es wäre deshalb ein Widerspruch in sich, die persönlichen Verhältnisse im Sinne § 10 Abs. 2 BewG bei der Beurteilung und Wertung der besonderen Umstände im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG schlechthin ausschließen zu wollen, wenn durch sie der Inhalt einer Forderung mitgeprägt wird. Soweit sich aus dem Urteil III 107/63 vom 15. April 1966 (HFR 1966, 403) etwas anderes ergibt, hält der Senat daran nicht fest. Ein Fall, in dem die Gestaltung der Forderung durch die Personen, die sie begründet haben, wegen Mißbrauchs bürgerlich-rechtlicher Gestaltungsformen (§ 6 StAnpG) oder auf Grund der wirtschaftlichen Betrachtungsweise (§ 1 Abs. 2 StAnpG) unbeachtlich wäre, liegt offensichtlich nicht vor.

b) Die Vermächtnisforderung des Klägers war am 1. Januar 1960 langfristig, d. h. länger als vier Jahre (vgl. BFH-Entscheidung III 7/69 vom 7. Mai 1971, BFH 102, 407, BStBl II 1971, 642) unkündbar. Der Umstand, daß die Kündigungsbeschränkung durch letztwillige Verfügung angeordnet war, steht nach obigen Ausführungen der Bewertung unter dem Nennwert nicht entgegen, wenn die Forderung auch im Vergleich zu ähnlichen Kapitalanlagen erheblich unter dem Durchschnitt verzinst wurde.

Das FG hat zum 1. Januar 1960 für die Forderung des Klägers eine Verzinsung von jährlich 3,66 v. H. angenommen. Es hat dabei nicht beachtet, daß diese Forderung nicht nach einem festen Satz verzinst wird, sondern entsprechend der Gewinnentwicklung der X-KG. Das FG hätte deshalb die Verzinsung am 1. Januar 1960 in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 3 BewG bestimmen müssen. Dabei wäre zweckmäßig von der Durchschnittsverzinsung der vor dem Veranlagungszeitpunkt 1. Januar 1960 liegenden drei Jahre 1957 mit 1959 auszugehen gewesen (vgl. BFH-Entscheidung III R 82/67 vom 5. Juni 1970, BFH 99, 233, BStBl II 1970, 594). Damit hätte sich eine Verzinsung von etwas weniger als 2 v. H. ergeben. Der Senat kann jedoch diese Überlegungen nicht weiterverfolgen, weil der Kläger die Vorentscheidung nicht mit der Revision angegriffen hat, so daß eine Herabsetzung unter den vom FG ermittelten Betrag nicht möglich ist (vgl. §§ 121, 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Sie zeigen jedoch, daß das FG im Ergebnis zu Recht eine niedrigverzinsliche Forderung angenommen hat, die im Zusammenhang mit der Kündigungsbeschränkung mit einem niedrigeren Wert als dem Nennwert zu bewerten ist.

c) Der Senat billigt für die Bewertung der Forderungen des Klägers die vom FG durchgeführte Berechnung des Gegenwartswerts nach der Diskontmethode. Nach dieser Methode wird zunächst die Forderung wie eine unverzinsliche Forderung nach § 14 Abs. 3 BewG abgezinst. Zu dem abgezinsten Betrag wird der Kapitalwert der Zinsen, berechnet nach den Grundsätzen der Bewertung einer Zeitrente entsprechend der Restlaufzeit der Forderung (vgl. § 15 Abs. 1 BewG), dazugezählt (vgl. auch das Beispiel in Abschn. 56 Abs. 4 VStR 1960). Diese Methode führt im vorliegenden Fall annähernd zu demselben Ergebnis, wie die Kürzung des Nennwerts der Forderung um den Kapitalwert des sogenannten Zinsverlustes bei Annahme der zutreffenden Verzinsung von rund 2 v. H. (vgl. Abschn. 56 Abs. 4 VStR in der ab 1963 geltenden Fassung).

3. Bei der Vermögensteuer-Veranlagung zum 1. Januar 1963 war entsprechend den unangefochtenen Feststellungen des FG davon auszugehen, daß die Forderung des Klägers unverzinslich und auf sieben Jahre befristet war. Nach der bindenden Vorschrift des § 14 Abs. 3 BewG ist eine unverzinsliche befristete Kapitalforderung mit ihrem abgezinsten Wert unter Berücksichtigung eines Abzinsungssatzes von 5,5 v. H. anzusetzen. Weiterer Voraussetzungen für die Abzinsung als der Unverzinslichkeit und der Befristung der Forderung bedarf es nicht. Das FG hat damit die Forderung des Klägers bei der Vermögensteuer-Veranlagung 1963 zu Recht mit dem nach § 14 Abs. 3 BewG abgezinsten Wert angesetzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413172

BStBl II 1972, 516

BFHE 1972, 282

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