Leitsatz (amtlich)

Ist ein Arbeitnehmer mit einem Einkommen bis zu 24 000 DM nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 ff. EStG zu veranlagen, so führt die Anwendung des § 46 Abs. 3 EStG nicht zur Ablehnung der Veranlagung. Der Senat hält an dem Urteil IV 89/63 S vom 6. August 1964 (BFH 80, 20, BStBl III 1964, 482) nicht mehr fest.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 2, § 34 Abs. 4, § 46 Abs. 2-3, 5; EStDV § 70

 

Tatbestand

Die Revisionsbeklagten sind Eheleute, der Ehemann (Steuerpflichtiger) bezog im Streitjahr 1966 neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 19 133 DM Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von ./. 1 411 DM und Einkünfte aus freiberuflicher Nebentätigkeit als nebenamtliche wissenschaftliche Lehrkraft von 1 511 DM, für die er die Vergünstigung nach § 34 Abs. 4 EStG beantragte.

Der Revisionskläger (FA) veranlagte den Steuerpflichtigen nach § 46 Abs. 2 Nr. 4 EStG 1965 und zog dabei als freibleibenden Betrag gemäß § 46 Abs. 3 EStG 100 DM vom Einkommen ab. Diesen Betrag errechnete das FA durch Saldierung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Den Antrag nach § 34 Abs. 4 EStG lehnte das FA ab.

Die Sprungklage hatte Erfolg. Das FG ließ die Anwendung des § 34 Abs. 4 EStG auf die um den freibleibenden Betrag gekürzten Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit zu. Es führte aus, das FA habe den freibleibenden Betrag mit 100 DM zutreffend ermittelt. Dieser Betrag mindere die nach § 34 Abs. 4 EStG tarifbegünstigten Einkünfte, da sie insoweit unversteuert blieben. Der Auslegung des § 46 Abs. 3 EStG durch das FA könne nicht gefolgt werden. Sie hätte zur Folge, daß die Anwendung der als Vergünstigungsvorschrift gedachten Bestimmung zu einer um 149 DM höheren Steuer führen würde als diese festzusetzen wäre, wenn der Ausgleichsbetrag nach § 46 Abs. 3 EStG nicht gewährt würde.

Mit der vom FG nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassenen Revision rügt das FA, daß das Urteil des FG im Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH stehe. Das FG habe sich zu Unrecht auf das BFH-Urteil IV 359/62 S vom 29. Mai 1963 (BFH 77, 167, BStBl III 1963, 379) gestützt. Das Urteil gehe von einem vom Streitfall abweichenden rechtlichen Tatbestand aus, weil es sich dort um eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG gehandelt habe. Nach der Entscheidung des BFH IV 89/63 S vom 6. August 1964 (BFH 80, 20, BStBl III 1964, 482) sei die Vergünstigung des § 34 Abs. 4 EStG zu versagen, da nur Einkünfte ermäßigt besteuert werden könnten, die noch zu versteuern seien.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Werden Steuerpflichtige mit Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und einem Einkommen bis zu 24 000 DM nach § 46 Abs. 2 EStG veranlagt, so werden in den Absätzen 3 und 5 Möglichkeiten gewährt, Härten der Besteuerung zu beseitigen oder zu mildern. Betragen die Einkünfte, von denen der Lohnsteuerabzug nicht vorgenommen worden ist, insgesamt nicht mehr als 800 DM, so ist nach § 46 Abs. 3 EStG ein Betrag in Höhe dieser Einkünfte vom Einkommen abzuziehen. Übersteigen die Einkünfte den Betrag von 800 DM, aber nicht von 1 600 DM, so wird die Besteuerung nach § 46 Abs. 5 EStG in Verbindung mit § 70 EStDV stufenweise zur vollen Besteuerung übergeleitet.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind unter Einkünften in den Absätzen 3 und 5 des § 46 EStG alle Einkünfte zu verstehen, von denen der Lohnsteuerabzug nicht vorgenommen worden ist (BFH-Urteil VI 246/60 U vom 24. April 1961, BFH 73, 113, BStBl III 1961, 310). Um den begünstigungsfähigen Betrag dieser Einkünfte zu ermitteln, sind die positiven mit den negativen Einkünften zu verrechnen. Übersteigt der Saldo den Betrag von 800 DM und sind die darin enthaltenen positiven Einkünfte nach § 34 Abs. 4 EStG tarifbegünstigt, so hat der BFH diese Tarifbegünstigung mit der Einschränkung gewährt, daß die tarifbegünstigten Einkünfte vor Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 4 EStG um den Härteausgleichsbetrag der §§ 46 Abs. 5 EStG, 70 EStDV gekürzt werden (BFH-Urteil IV 359/62 S, a. a. O.). Bei der Anwendung des § 46 Abs. 3 EStG soll jedoch nach dem BFH-Urteil IV 89/63 S (a. a. O.) die Tarifbegünstigung der Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG entfallen. In dem damals entschiedenen Fall blieb der Saldo aus dem Gewerbeverlust und den tarifbegünstigten Nebeneinkünften, von denen der Lohnsteuerabzug nicht vorgenommen worden war, unter dem Betrag von 800 DM. Der BFH lehnte den Antrag des Steuerpflichtigen auf Veranlagung mit der Begründung ab, daß die Nebeneinkünfte infolge der Gewährung des Ausgleichsbetrages nach § 46 Abs. 3 EStG nicht der Besteuerung unterlägen und demnach auch der Gewerbeverlust die Höhe der Lohneinkünfte nicht berühre.

An der in diesem Urteil vertretenen Auffassung, es entspreche dem Sinn und Zweck des § 46 Abs. 3 EStG, bei einem Saldo der nicht versteuerten Einkünfte bis zum Betrag von 800 DM die beantragte Veranlagung abzulehnen, hält der Senat nicht mehr fest. In dem Urteil IV 89/63 S wird ausgeführt, die Saldierung der nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfenen Einkünfte bilde die Tatbestandsvoraussetzung für die Gewährung des das Einkommen mindernden Ausgleichsbetrags nach § 46 Abs. 3 EStG; diese für die Gewährung des Ausgleichsbetrags entscheidende Verrechnung müsse bei der Durchführung der Veranlagung berücksichtigt werden. Diese Folgerung trifft nicht zu. Die nichtversteuerten Einkünfte sind miteinander zu verrechnen, um den Härteausgleichsbetrag nach § 46 Abs. 3 EStG zu ermitteln. Mit dieser Ermittlung wird jedoch dem Verlustausgleich nach § 2 Abs. 2 EStG nicht vorgegriffen. Ein endgültiger Verlustausgleich ist bei Lohneinkünften nur im Wege der Veranlagung möglich.

In Abs. 2 des § 46 EStG sind die Voraussetzungen festgelegt, unter denen bei Bezug von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit eine Veranlagung nur durchgeführt wird. Liegt eine oder liegen - wie im Streitfall - mehrere der bezeichneten Voraussetzungen vor, so wird die Veranlagung durchgeführt. Die Härteausgleichsvorschriften sind bei der Veranlagung anzuwenden. Die Durchführung der Veranlagung selbst wird durch das Verfahren bei der Ermittlung des Härteausgleichsbetrags nicht berührt.

Die abweichende Auffassung des Urteils IV 89/63 S verkennt, daß die 800-DM-Beträge in § 46 Abs. 2 Nr. 1 und in § 46 Abs. 3 EStG in ihrer rechtlichen Wirkung verschieden sind. Der Betrag von § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG ist nur für die Frage erheblich, ob eine Veranlagung durchzuführen ist, wenn keine der anderen Voraussetzungen dieses Absatzes vorliegt. Ist eine der anderen Voraussetzungen gegeben, so gewährt der Abs. 3 des § 46 EStG dem Arbeitnehmer bei der Veranlagung eine Vergünstigung. Sie ist ein Ausgleich dafür, daß verrechnete unversteuerte Einkünfte unter 800 DM unveranlagt, also steuerfrei geblieben wären, wenn sie nicht nach § 46 Abs. 2 Nr. 2 ff. EStG eine Veranlagung ausgelöst hätten. Die Verrechnung der nicht versteuerten Einkünfte nach § 46 Abs. 3 EStG hat aber nicht - wie das Urteil IV 89/63 S meint - zur Folge, daß statt der Veranlagungsvoraussetzung, die zur Anwendung des Abs. 3 geführt hat, nunmehr § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG zur maßgeblichen Veranlagungsvoraussetzung wird. Dadurch würde die Härteausgleichsvorschrift gegenstandslos. Die vom Urteil IV 89/63 S vertretene Ansicht, d. h. die Nichtveranlagung aufgrund der Anwendung des § 46 Abs. 3 EStG, benachteiligt den Arbeitnehmer mit einem Einkommen bis zu 24 000 DM gegenüber anderen veranlagten Steuerpflichtigen (vgl. Richter, FR 1966, 374 [379]). Diese Benachteiligung widerspricht dem Sinn und Zweck der Härteausgleichsvorschriften des § 46 EStG.

Bei der Veranlagung sind die Regeln einzuhalten, die auch sonst gelten. Danach sind Verluste grundsätzlich mit anderen höchstversteuerten Einkünften zu verrechnen. Für die außerordentlichen Einkünfte, zu denen die Nebeneinkünfte im Sinne des § 34 Abs. 4 EStG gehören, ist die Einkommensteuer im Fall der Veranlagung nach § 46 Abs. 2 EStG mit der Maßgabe gesondert zu berechnen, daß diese Einkünfte um den Härteausgleichsbetrag gekürzt werden (BFH-Urteil IV 617/56 U vom 25. Juni 1959, BFH 69, 381, BStBl III 1959, 404). Damit ist die Übereinstimmung bei der Anwendung der Härteausgleichsregelungen der Absätze 3 und 5 des § 46 EStG hergestellt. Der Entscheidung des FG ist deshalb im Ergebnis zuzustimmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413066

BStBl II 1972, 278

BFHE 1972, 337

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