Entscheidungsstichwort (Thema)

Zufluß von Lohn; Werbungskosten bei Gehaltsverzicht

 

Leitsatz (NV)

1. Dem Arbeitnehmer ist insoweit kein Lohn zugeflossen, als er seinem Arbeitgeber wegen dessen Liquiditätsschwierigkeiten die Gehaltsforderung stundet.

2. Ein freiwilliger Verzicht des Arbeitnehmers auf eine Darlehensforderung gegenüber seinem Arbeitgeber berechtigt nicht zu einem Abzug von Werbungskosten in Höhe der Darlehensforderung. Ein (wirtschaftlicher) Verlust einer arbeitsplatzsichernden Darlehensforderung, der zu einem Werbungskostenabzug berechtigt, liegt nur bei einem unvermeidbaren unfreiwilligen Ereignis vor.

 

Normenkette

EStG § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 S. 1, § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war Geschäftsführer der X-GmbH (im folgenden: GmbH). Gesellschafterinnen dieser GmbH waren zu je 1/2 die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) und die Mutter des weiteren Geschäftsführers der GmbH.

Die GmbH führte für das Gehalt des Klägers Lohnsteuer und Sozialversicherungsbeiträge ab. Die GmbH bescheinigte dem Kläger auf den Lohnsteuerkarten für 1984 und 1985 den vereinbarten Jahresbrutto arbeitslohn sowie die Steuerabzugsbeträge. Die Nettogehälter wurden an den Kläger wegen der finanziellen Lage der GmbH nicht ausgezahlt. Ebenso verfuhr die GmbH bei dem weiteren Geschäftsführer. In den Bilanzen auf den 31. Dezember 1984 und 1985 setzte die GmbH die Nettogehälter als Verbindlichkeiten an, und zwar nach Angabe der Kläger unter den sonstigen Verbindlichkeiten, nach Angaben des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) als Darlehensverbindlichkeiten.

Im Dezember 1986 erklärte der Kläger gegenüber der GmbH, er verzichte unwiderruflich auf das ihm geschuldete Netto-Gehalt für 1984 im Betrag von 13 600 DM. Eine gleiche Erklärung über 13 900 DM gab der Kläger im Juni 1987 für das Jahr 1985 ab. Die GmbH trug diesen Erklärungen in den Jahresabschlüssen 1985 und 1986 durch erfolgswirksame Auflösung der entsprechenden Verbindlichkeiten Rechnung.

Der Kläger und der weitere Geschäftsführer übernahmen als OHG-Gesellschafter den Betrieb der GmbH mit Vertrag vom Dezember 1988 zum 2. Januar 1989 mit allen Aktiven und Passiven.

Die Kläger gaben im Januar 1989 Einkommensteuererklärungen für 1984 und 1985 ab. Darin wurde als Arbeitslohn des Klägers der vereinbarte Bruttolohn angegeben. Die Veranlagung für 1984 wurde erklärungsgemäß durchgeführt. Für 1985 verneinte das FA die Veranlagungsvoraussetzungen und lehnte einen Lohnsteuerjahresausgleich bestandskräftig ab.

In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 1986 und 1987 machte der Kläger die Beträge von 13 600 DM und 13 900 DM als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Das FA erkannte insoweit keine Werbungskosten an.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Das FA stützt seine Revision auf eine Verletzung der §§ 9, 11 und 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Das FG hat zu Unrecht angenommen, der jeweils in den Streitjahren erklärte Gehaltsverzicht des Klägers habe zu Aufwendungen i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) geführt.

Die Richtigkeit der vom FA im Revisionsverfahren in Frage gestellten Annahme des FG, dem Kläger sei in den Jahren 1984 und 1985 das Gehalt in der jeweils streitigen Höhe zugeflossen, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Denn sowohl im Fall des Zuflusses des Gehalts in den Jahren 1984 und 1985 als auch bei fehlendem Zufluß hat die jeweils in den Streitjahren 1986 und 1987 abgegebene Verzichtserklärung nicht zu Werbungskosten des Klägers bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geführt.

1. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG tragen nicht seine Wertung, dem Kläger sei sein Gehalt in den Jahren 1984 und 1985 auch insoweit i. S. des § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, als der Kläger in seinen schriftlichen Erklärungen vom Dezember 1986 und Juni 1987 jeweils "auf das ihm geschuldete Nettogehalt" verzichtet hat. Bereits der Wortlaut der Erklärung, er verzichte auf das ihm geschuldete Gehalt, spricht dafür, daß der Kläger selbst bis zur Abgabe seiner Verzichtserklärung vom Fortbestehen seiner jeweiligen Gehaltsforderungen ausgegangen ist. Fortbestehen konnten die Gehaltsforderungen als solche trotz einer Gutschrift in der Buchführung der GmbH insbesondere dann, wenn der Kläger sie der GmbH wegen deren Liquiditätsschwierigkeiten gestundet hätte. Eine dem Arbeitgeber vom Arbeitnehmer wegen dessen Liquiditätsschwierigkeiten gestundete Gehaltsforderung ist dem Arbeitnehmer noch nicht i. S. des § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. März 1993 X R 55/91, BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, 501, unter 3 c aa der Entscheidungsgründe; vom 21. Juni 1987 VIII R 211/82, BFH/NV 1988, 224, 225). Sie ist deshalb auch nicht als Einnahme bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 8, § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG) zu erfassen.

Soweit im Falle des beherrschenden Gesellschafters einer GmbH andere Grundsätze für die Annahme eines Zuflusses gelten können, hat das FG zutreffend darauf hingewiesen, daß der Kläger nicht Gesellschafter der GmbH ist und ihm die Beteiligung der Klägerin, seiner Ehefrau, unter Beachtung von Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes insoweit nicht zugerechnet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 127/81, BFHE 144, 409, BStBl II 1986, 62).

Verzichtet ein Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber ohne jegliche Gegenlei stung seines Arbeitgebers auf seine zunächst gestundete Gehaltsforderung, so handelt es sich dabei bei dem Arbeitnehmer -- anders als bei einem bilanzierenden Unternehmen -- um einen steuerneutralen Vorgang. Da das bloße Entstehen der Gehaltsforderung sowie die Stundung im Interesse des Arbeitgebers noch keinen Zufluß i. S. des § 11 Abs. 1 EStG bewirkt und sich mithin nicht steuererhöhend ausgewirkt haben, kann der bloße Verzicht auf die Forderung sich auch nicht steuermindernd auswirken.

Im Falle einer Stundung der Gehaltsforderung war die Klage mithin abzuweisen.

2. Aber auch wenn die Annahme des FG zuträfe, daß dem Kläger das Gehalt in den Jahren 1984 und 1985 zugeflossen wäre, wäre die Klage entgegen der Auffassung des FG unbegründet.

Liegt weder eine Stundung der Gehaltsforderung noch eine Auszahlung des Gehalts vor, so könnte ein Zufluß des Gehalts nur darin gesehen werden, daß der Kläger zunächst über die ihm geschuldeten Beträge die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, 500). Hätte sich der Kläger nach Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht und damit nach dem Zufluß des Gehalts entschlossen, das Geld der GmbH weiterhin zur Verfügung zu stellen, so wäre die Gehaltsforderung als solche erloschen und in eine (unverzinsliche) Darlehensforderung umgewandelt worden (Novation). Allerdings wäre selbst eine vereinbarte Novation wirtschaftlich dann lediglich als Stundung der ursprünglichen Schuld zu beurteilen, wenn die Schuld im Interesse des Schuldners bestehen bliebe; dem Gläubiger, dem eher an einer Auszahlung gelegen wäre, wäre nichts zugeflossen (vgl. BFH in BFHE 171, 191, BStBl II 1993, 499, 501, unter 3 c aa der Entscheidungsgründe, m. w. N.).

Wäre danach im Streitfall ein Gehaltszufluß aufgrund einer steuerrechtlich anzuerkennenden Novation der Gehaltsforderungen in Darlehensforderungen anzunehmen, so würde der Verzicht des Klägers auf diese Darlehensforderungen nicht zu einem Abzug von Werbungskosten berechtigen.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats der (wirtschaftliche) Verlust einer Darlehensforderung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden, wenn der Arbeitnehmer das Darlehen seinem Arbeitgeber zur Sicherung des Arbeitsplatzes gewährt hat (vgl. zu den Einzelheiten Urteil vom 7. Mai 1993 VI R 38/91, BFHE 171, 275, BStBl II 1993, 663). Da die Gewährung eines arbeitsplatzsichernden Darlehens primär im Interesse des Arbeitgebers liegt, ist es nach den vorstehenden Ausführungen bereits zweifelhaft, ob ein arbeitsplatzsicherndes Darlehen überhaupt durch Umwandlung einer Gehaltsforderung oder ob es nicht nur durch tatsächliche Auszahlung von Geldbeträgen entstehen kann. Letztlich kann diese Frage aber dahinstehen.

Denn ein (wirtschaftlicher) Verlust einer arbeitsplatzsichernden Darlehensforderung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung liegt nur bei einem unvermeidbaren unfreiwilligen Ereignis vor, d. h. insbesondere im Falle des Konkurses des Arbeitgebers bzw. im Falle der Ablehnung der Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse. Eine Erklärung des Arbeitnehmers, er verzichte auf eine Rückzahlung, deren Zeitpunkt er wie im Streitfall der Kläger frei gewählt hat, ist einem (wirtschaftlichen) Verlust der Darlehensforderung nicht gleichzustellen. Daß die GmbH im Streitjahr 1987 Konkurs angemeldet hat oder die Eröffnung des Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist und die eventuellen Darlehensforderungen des Klägers deshalb im Streitjahr 1987 (wirtschaftlich) verloren gegangen wären, hat das FG nicht festgestellt und der Kläger auch nicht geltend gemacht. Dagegen spricht auch die Feststellung des FG, der Kläger und der weitere Mitgeschäftsführer hätten im Jahre 1988 den Betrieb der GmbH als OHG übernommen.

Sonstige Gesichtspunkte, unter denen die freiwillig erklärten Verzichte des Klägers auf eventuelle Darlehensforderungen gegenüber der GmbH den Abzug von Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung des FG liegt bei dem Verzicht eines Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber auf eine Darlehensforderung die Zuordnung dieses Verzichts zur nichtberuflichen anstatt zur beruflichen Sphäre auf jeden Fall dann näher, wenn Gesellschafter der Arbeitgeberin, einer GmbH, zu 50 v. H. der eigene Ehepartner des Arbeitnehmers ist. Diese Wertung ergibt sich auch aus den Grundsätzen, die der Senat in dem Urteil vom 14. Mai 1991 VI R 48/88 (BFHE 164, 431, BStBl II 1991, 758) für den Fall der Übernahme einer Bürgschaft aufgestellt hat. Soweit der Senat in diesem Urteil die Absicht der Arbeitsplatzsicherung als mögliches Indiz für eine berufliche Veranlassung der Bürgschaftsübernahme angesehen hat, sind die dafür im Fall der Darlehensgewährung erforderlichen Voraussetzungen durch das Urteil in BFHE 171, 275, BStBl II 1993, 663 konkretisiert worden. Sie sind -- wie dargelegt -- im Streitfall nicht erfüllt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420220

BFH/NV 1995, 208

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