Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs unter Einbeziehung verjährter Veranlagungszeiträume

 

Leitsatz (amtlich)

Ein verbleibender Verlustabzug ist auch dann festzustellen, wenn die Einkommensteuer für diesen Veranlagungszeitraum aufgrund Verjährung nicht mehr festgesetzt werden kann.

 

Normenkette

EStG 1994 § 10d Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Urteil vom 25.11.2005; Aktenzeichen II 305/04)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Wie für die Vorjahre hatten sie auch für das Jahr 1994 eine Einkommensteuererklärung abgegeben (Eingang am 5. Juli 1996). Mit Einkommensteuerbescheiden 1990 bis 1993 war die Einkommensteuer auf 0 DM festgesetzt worden; der Gesamtbetrag der Einkünfte war jeweils negativ. Mit Bescheid vom 3. Mai 1996 war der verbleibende Verlustabzug zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1993 auf 3 916 097 DM für den Kläger und auf 11 579 DM für die Klägerin festgestellt worden. Im Jahre 2001 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) fest, dass die Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1994 versäumt worden und zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten war. Eine "Probeveranlagung" ergab einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 10 250 870 DM.

Unter dem 16. Mai 2003 erließ das FA einen Bescheid, mit dem es den verbleibenden Verlustabzug auf den 31. Dezember 1994 mit 0 DM feststellte. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies es mit Einspruchsentscheidung vom 21. September 2004 als unbegründet zurück.

Mit Änderungsbescheiden ebenfalls vom 21. September 2004 änderte das FA den Bescheid betreffend die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1991 durch Berücksichtigung bislang nicht angesetzter Beteiligungsverluste. Die Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1991, 31. Dezember 1992 und auf den 31. Dezember 1993 wurden entsprechend angepasst. Der verbleibende Verlustabzug zum 31. Dezember 1993 betrug hiernach für den Kläger 4 396 523 DM und für die Klägerin 11 573 DM.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1994 maßgeblichen Fassung (Geltung mit In-Kraft-Treten des Standortsicherungsgesetzes --StandOG-- vom 13. September 1993, BGBl I 1993, 1569, BStBl I 1993, 774) sei verbleibender Verlustabzug der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustabzug.

Eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1994 habe ungeachtet dessen zu erfolgen, dass eine Veranlagung für dieses Jahr wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht mehr in Betracht komme. Gemäß § 181 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) könne eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung sei, für die die Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Bedeutung für die Einkommensteuerfestsetzungen und gesonderten Verlustfeststellungen künftiger Veranlagungszeiträume vor.

Die vom FA vorgenommene Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs sei auch der Höhe nach rechtmäßig. Der verbleibende Verlustabzug zum 31. Dezember 1993 sei in der mit Bescheid vom 21. September 2004 festgestellten Höhe durch Vortrag in das Jahr 1994 und Verrechnung mit dem im Jahre 1994 angefallenen Gesamtbetrag der Einkünfte verbraucht. Eine Abhängigkeit von einer im Vortragsjahr durchgeführten Veranlagung bestehe nicht.

Mit der Revision machen die Kläger geltend:

1. Im Streitfall lägen die Voraussetzungen des § 10d Abs. 3 Sätze 4 und 5 EStG ersichtlich nicht vor. Durch den Erlass des Verlustfeststellungsbescheids werde nach Bestandskraft wirtschaftlich die Wirkung einer Veranlagung herbeigeführt, obwohl eine Veranlagung wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr in Betracht komme. Der Verbrauch des verbleibenden Verlustabzugs aufgrund einer hypothetischen Probeveranlagung nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gehe über den Wortlaut des § 10d EStG hinaus. Im Streitfall würden Versäumnisse des Jahres 1994 im Jahr 2003 korrigiert. Ein solcher Akt bedürfe einer eindeutigen gesetzlichen Normierung. Auch lägen die allgemeinen Voraussetzungen für eine Änderung und Durchbrechung der Bestandskraft zulasten der Kläger nicht vor.

2. § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG könne der Verbrauch des verbleibenden Verlustabzugs durch eine fiktive Veranlagung nicht entnommen werden. Hintergrund dieser Regelung sei der Wegfall des Verlustrücktragsgebots ab dem Veranlagungszeitraum 1994.

3. Der von dem FA angeführte Hinweis auf R 115 Abs. 5 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) beziehe sich nur auf das Verfahren bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit (§ 19 EStG).

4. Das vom FG angeführte Verfahren des FG Köln (Urteil vom 11. Mai 2005  4 K 2205/02, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2005, 1679, Revision anhängig unter XI R 25/05) betreffe eine Antragsveranlagung. Dort gehe es nur um eine Saldierung der Einkünfte mit den Verlusten im entsprechenden Verlustentstehungsjahr.

5. Zwar räumten das FG Köln und mit ihm weitere FG unter Hinweis auf § 181 Abs. 5 AO 1977 grundsätzlich die Möglichkeit der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs trotz Festsetzungsverjährung ein (FG Köln in EFG 2005, 1679; FG Hessen vom 10. Februar 2004  1 K 3106/01, EFG 2004, 979; FG Hamburg vom 23. März 2004 VII 62/01, EFG 2004, 1130). Offen bleibe jedoch, ob nach Eintritt der Festsetzungsverjährung eine hypothetische Probeveranlagung, insbesondere auch zulasten des Steuerpflichtigen zulässig sein solle.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. September 2004 dahin gehend zu ändern, dass der verbleibende Verlustabzug auf 4 408 096 DM festgestellt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unbegründet.

1. Die Berechtigung zur Feststellung des zum 31. Dezember 1994 verbleibenden Verlustabzugs war nicht verjährt. Gemäß § 181 Abs. 5 Satz 1 AO 1977 kann eine Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung noch für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Diese Voraussetzung ist nach den Feststellungen des FG gegeben; die Feststellung hatte Bedeutung für die Einkommensteuerfestsetzungen künftiger Veranlagungszeiträume.

2. Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG ist der verbleibende Verlustabzug der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten Verlustabzug.

Im Streitfall ist der zum 31. Dezember 1993 verbliebene Verlustabzug mit dem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1994 zu verrechnen, so dass zum 31. Dezember 1994 der verbleibende Verlustabzug zutreffend mit 0 DM festgestellt worden ist. § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG sieht u.a. vor, dass der verbleibende Verlustabzug um die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge vermindert wird. Nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG sind die nicht abgezogenen Verluste in den nachfolgenden Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass dieser "Gesamtbetrag der Einkünfte" Gegenstand einer Veranlagung war. Das Verfahren der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ist insoweit selbständig. Auch der Begriff der "abziehbaren Beträge" (§ 10d Abs. 3 Satz 2 EStG) deutet darauf hin, dass eine eigenständige Berechnung vorzunehmen ist.

Diese Auffassung berücksichtigt den Umstand, dass im Verfahren der Einkommensteuerfestsetzung nur der Betrag der Einkommensteuer verbindlich geregelt wird (vgl. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), dass aber die einzelnen Besteuerungsgrundlagen nicht Regelungsgegenstand sind; Streitgegenstand im steuergerichtlichen Verfahren ist nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344). Der auf den 31. Dezember festzustellende nach § 10d Abs. 3 EStG verbleibende Verlustabzug ist --unabhängig davon, ob eine Veranlagung durchgeführt worden ist-- so zu berechnen, wie er sich bei zutreffender Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und des Verlustrücktrags und -vortrags nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG ergeben hätte (sog. Soll-Verlustabzug; BFH-Urteil vom 22. Februar 2005 VIII R 89/00, BFHE 209, 224, BStBl II 2005, 624; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Anm. 125).

3. Nach dem Urteil des erkennenden Senats des BFH vom 1. März 2006 XI R 33/04 (BFH/NV 2006, 1204) verlangt § 10d EStG nicht, dass ein erstmaliger Feststellungsbescheid nur dann ergehen kann, wenn für das Verlustentstehungsjahr noch ein Einkommensteuerbescheid erlassen werden könnte. In vergleichbarer Weise kann ein Verlustabzug vorgenommen werden, auch wenn der entsprechende Einkommensteuerbescheid wegen Verjährung nicht mehr ergehen kann.

4. In den Urteilen vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und vom 9. Mai 2001 XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817) hatte der Senat die erstmalige Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs im Hinblick auf die bestandskräftige und nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Veranlagung, die einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte auswies, untersagt (dazu auch BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1204).

5. § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG ist im Streitfall ohne Bedeutung. Diese Norm regelt --§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vergleichbar-- die korrespondierende Feststellung nach Erlass, Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids. Im Streitfall ist kein Steuerbescheid ergangen; eine Anpassung ist nicht geboten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1612351

BFH/NV 2006, 2345

BStBl II 2007, 921

BFHE 2007, 492

BFHE 214, 492

BB 2006, 2570

DB 2006, 2499

DStR 2006, 2082

DStRE 2006, 1486

DStZ 2006, 821

HFR 2007, 22

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