Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschäftsführerhaftung für Umsatzsteuer

 

Leitsatz (NV)

1. Duldet der Geschäftsführer einer Gesellschaft, daß die Geschäftsführung von einem anderen wahrgenommen wird, so hat er dafür zu sorgen, daß die steuerlichen Verpflichtungen der Gesellschaft - hier die Bezahlung der Umsatzsteuerschulden - von diesem anderen erfüllt werden, andernfalls er zur Haftung herangezogen werden kann.

2. Ergibt sich aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt, daß sich die Gesellschaft bei Fälligkeit der Umsatzsteuerschuld in Zahlungsschwierigkeiten befunden hat, so haftet der Geschäftsführer nach Maßgabe des Grundsatzes der anteiligen Tilgung der Umsatzsteuer (Urteil des BFH vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539).

 

Normenkette

AO 1977 §§ 69, 34; UStG 1980 § 18

 

Tatbestand

Der Kläger war der Geschäftsführer einer GmbH, die seit Mitte Mai 1963 Komplementärin einer KG gewesen ist. Der GmbH oblag die Vertretung und Geschäftsleitung der KG. Die Geschäftsführung des Klägers bei der GmbH endete im Mai 1976, wurde aber im Oktober 1976 durch Bestellung zum Notgeschäftsführer wieder aufgenommen, nachdem ein zwischenzeitlich bestellter anderer Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hatte.

Aufgrund der im August 1976 beim FA eingegangenen Umsatzsteuerjahreserklärung 1974 ergab sich eine Steuerschuld von 76 134,55 DM und eine Abschlußzahlung von 31 760,95 DM. Nachdem mehrere Versuche des FA, diese Schuld in vollem Umfang im Vollstreckungsweg beizutreiben, gescheitert waren, nahm das FA den Kläger als mittelbaren Geschäftsführer der KG am 10. Mai 1977 als Haftungsschuldner in Anspruch, und zwar mit folgenden Rückständen:

Umsatzsteuer 1974 in Höhe von 13 449,69 DM

Säumniszuschläge hierzu bis zum 13. Mai 1977 1 459,00 DM

Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer 10/1976 3,00 DM

insgesamt 14 911,69 DM

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. In der Einspruchsentscheidung vom 18. Juli 1977 ist u.a. ausgeführt, die KG sei zahlungsunfähig geworden und die Zwangsvollstreckung in ihr bewegliches Vermögen erfolglos verlaufen. Die Inanspruchnahme der GmbH verspreche keinen Erfolg, denn als Komplementärin der KG hafte sie für deren Schulden uneingeschränkt, so daß sie selbst zahlungsunfähig sei. Demnach sei die Realisierung der Rückstände nur noch bei dem Kläger persönlich möglich.

Die mit dem Ziel der Aufhebung des Haftungsbescheids erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG hat ausgeführt, der Kläger hafte als mittelbarer Geschäftsführer der KG persönlich für deren nicht beitreibbar gewesenen Steuerrückstände aus der Umsatzsteuer 1974 (einschließlich der Säumniszuschläge). Der Kläger könne sich nicht damit exkulpieren, daß nicht er, sondern ein oder mehrere Prokuristen aufgrund betriebsinterner Absprachen die Geschäfte der KG geführt hätten. Denn in diesem Falle habe er mindestens die ihm obliegenden Überwachungspflichten verletzt. Es könne den Kläger auch nicht entlasten, daß verschiedene von der KG beim FA gestellten Anträge, vor allem solche auf Gewährung von Investitionszulage, dort mit zeitlicher Verzögerung verbeschieden worden seien und dadurch ein sich aus der Gewährung der Investitionszulage ergebender Auszahlungsanspruch der KG von 66 189,09 DM erst verspätet vom FA auf fällige Steuerforderungen (darunter auch Umsatzsteuerrückstände 1974) verrechnet worden sei . . . Schließlich werde die Verantwortung des Klägers für die Nichterfüllung der Umsatzsteuerrückstände der KG auch nicht dadurch aufgehoben oder gemindert, weil diese im Jahr 1970 ihre Kundenforderungen durch sog. Globalzessionen an verschiedene Banken abgetreten gehabt habe. Denn die öffentlich-rechtliche Steuerzahlungspflicht könne nicht durch privatrechtliche Vereinbarungen - hier die Globalzessionen - umgangen werden.

Seien somit die gegen die Haftung dem Grunde nach erhobenen Einwendungen nicht stichhaltig, so erweise sich der vom FA geltend gemachte Haftungsanspruch auch der Höhe nach - also hinsichtlich der Haftungssumme - als rechtmäßig. Auf das Fehlen ausreichender Mittel der KG zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil die Umsatzsteuer ausnahmslos vorrangig - d.h. vor allen anderen Verbindlichkeiten - zu bezahlen sei (Hinweis auf das Urteil des FG Rheinland Pfalz in EFG 1976, 475). Im übrigen habe die KG die Umsatzsteuerschulden nicht einmal mit der nämlichen, sondern einer geringeren Tilgungsquote befriedigt wie die anderen Verbindlichkeiten.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Er rügt das Vorliegen eines Verfahrensmangels und unrichtige Anwendung von §§ 109, 103, 105 AO. Den Verfahrensmangel erblickt der Kläger darin, daß es das FG versäumt habe, die Ermessensentscheidung des FA unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen, daß er - der Kläger - kurze Zeit vor der Ableistung des Offenbarungseides als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden sei. Da dies dem FG aufgrund des klägerischen Sachvortrages und Vorliegens einer eidesstattlichen Versicherung bekannt gewesen sei, hätte es der Frage nachgehen müssen, ob die Inanspruchnahme angesichts seiner Zahlungsunfähigkeit noch ermessenskonform gewesen sei. Dies habe das FG unterlassen.

In materieller Hinsicht hält der Kläger daran fest, daß er für die steuerlichen Belange der KG wegen des Vorhandenseins von zwei hiermit betrauten Prokuristen nicht verantwortlich gewesen sei. Das FG habe des weiteren das Mitverschulden des FA am Auflaufen der Umsatzsteuerrückstände durch zögerliche Bearbeitung von Anträgen der KG - insbesondere bei der Investitionszulage, die immerhin einen Betrag von 66 189 DM ausgemacht habe - verkannt. Schließlich habe es das FG unterlassen zu prüfen, ob der KG überhaupt die zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden benötigten Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Da dies nicht der Fall gewesen sei, hätte festgestellt werden müssen, ob das FA bei der Umsatzsteuer angemessen befriedigt worden sei. Daran fehle es in dem finanzgerichtlichen Urteil.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG.

I. Der von dem Kläger gerügte Ermessensverstoß liegt nicht vor. Das FG war nicht gehalten, die Ermessensentscheidung des FA unter dem Gesichtswinkel einer - etwaigen - Zahlungsunfähigkeit des Klägers zu überprüfen. Zwar hat das FA bei der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners zu erwägen, ob die Vollstreckung beim Steuerschuldner - hier der KG - erfolglos geblieben ist oder aussichtslos erscheint (§ 219 der Abgabenordnung - AO 1977 -); dies ist in der Einspruchsentscheidung hinreichend geschehen. Dagegen ist das FA wegen Zahlungsunfähigkeit des Haftungsschuldners nicht gehindert, gegen diesen einen Haftungsbescheid zu erlassen.

II. 1. Der Kläger war nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) der alleinige Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, die ihrerseits Geschäftsführer der KG gewesen ist, und zwar seit Gründung der KG im Mai 1973 bis zur Einstellung des Geschäftsbetriebs der KG im Juni 1977, allerdings mit einer Unterbrechung ab Mai bis Oktober 1976 (vgl. hierzu unter Ziff. 4 am Ende). Als alleiniger mittelbarer Geschäftsführer der KG war der Kläger verpflichtet, die von der KG geschuldete Umsatzsteuer (§ 18 Abs. 2 Satz 3 UStG 1973) an das FA abzuführen. Im Umfang der schuldhaften Nichterfüllung dieser Pflicht haftet der Kläger dem FA gegenüber neben der GmbH dem Grunde nach persönlich (§§ 109, 103, 105 AO). Er kann sich nicht damit entschuldigen, daß ein anderer, hier zwei Prokuristen, die Geschäfte der KG geführt und dabei die Unregelmäßigkeiten, die die Steuerverkürzung bewirkten, begangen hätten. Wenn der Geschäftsführer die Geschäftsführung durch einen anderen duldet, so hat er durch geeignete Aufsichtsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß dieser die steuerlichen Verpflichtungen der KG ordnungsgemäß und rechtzeitig erfüllt. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, seiner Rechtsstellung gemäß die Gesellschaft zu vertreten (vgl. § 35 i.V.m. § 43 Abs. 1 GmbHG) und zu handeln, so muß er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte der GmbH (Urteil des BFH vom 7. November 1963 V 45/61, HFR 1964, 96). Verfügte schließlich der Kläger - wie auch in der Revision geltend gemacht - nicht über die erforderliche Zeit und Übersicht zur Wahrnehmung der Geschäftsführertätigkeit in dem vorstehend beschriebenen Umfang, so liegt das Verschulden darin, daß er es unterlassen hat, sich die erforderliche Übersicht zu verschaffen oder mit der Wahrnehmung der steuerlichen Belange der GmbH einen sachkundigen Berater zu betrauen oder zumindest in dem benötigten Umfang zuzuziehen (vgl. Urteil des BFH vom 22. Januar 1985 VII R 110/78, BFH/NV 1986, 18). Daß sich die KG durch eine sog. Globalzession ihrer Forderungen nicht der zur Tilgung von Steuerschulden benötigten Mittel entledigen kann, ergibt sich aus dem Urteil des BFH vom 26. April 1984 V R 128/79 (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, Ziff. 4 Buchst. b der Entscheidungsgründe).

2. Der auf ein Mitverschulden des FA hinauslaufende Einwand des Klägers, das FA habe selbst durch verzögerliche Bearbeitung bestimmter Anträge (z. B. auf Gewährung von Investitionszulage oder Stundung von Steuerrückständen) zum Auflaufen der Umsatzsteuerrückstände beigetragen, ist nicht stichhaltig. Ist es bereits fraglich, ob im Rahmen der Geschäftsführerhaftung (§§ 109, 103, 105 AO) ein sog. Mitverschulden des FA überhaupt zum Tragen kommen kann, so liegt jedenfalls darin, daß das FA bestimmte Anträge des Klägers nicht innerhalb der von diesem erwarteten Fristen verbeschieden hat, keine schuldhafte Verzögerung des FA, die diesem als Mitverschulden bei Verwirklichung des Haftungstatbestandes angelastet werden könnte.

3. Bei der Haftungssumme - also der Haftung der Höhe nach - handelt es sich nach den Feststellungen des FG im wesentlichen um den Rückstand aus der Umsatzsteuerabschlußzahlung 1974 (13 449,69 DM). Diese ist aufgrund der vom FG festgestelltermaßen im August 1976 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 1974 im September 1976 fällig geworden (§ 18 Abs. 4 Satz 1 UStG 1973). Um diese Zeit hat sich die KG, wie sich auch aus dem Anfang 1977 gestellten Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens ergibt, bereits in Zahlungsschwierigkeiten befunden. Da die Umsatzsteuer - anders als vom FG angenommen - nicht vorrangig (wie die Lohnsteuer), sondern in etwa dem gleichen Verhältnis wie die gesamten, also auch die übrigen Verbindlichkeiten, zu tilgen ist (sog. anteilige Tilgung vgl. Urteil in BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776), hätte das FG zu der Frage des Verschuldens des Klägers (§ 69 AO 1977) prüfen müssen, ob das Verhältnis der gesamten Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu den hierauf erbrachten Zahlungen in etwa demjenigen entspricht, mit dem die Umsatzsteuerschulden getilgt wurden. War dies nicht der Fall, so läge im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote (bei sämtlichen Verbindlichkeiten) unterschreitenden Differenzbetrages eine schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers vor, für welche dieser nach §§ 109, 105, 103 AO als Haftungsschuldner einzustehen hätte (vgl. Urteile des BFH vom 26. März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539, und vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657). In die nach den vorstehenden Entscheidungen vorzunehmende Vergleichsrechnung wäre also auch einzubeziehen gewesen, daß hier, jedenfalls nach den Feststellungen des FG, immerhin Tilgungen auf Umsatzsteuerschulden 1974, wenn auch teilweise durch Aufrechnung und Umbuchungen, in Höhe von 62 684,86 DM (76 134,55 DM ./. 13 449,69 DM) erbracht wurden. Ob in den Haftungszeitraum auch die Jahre 1974 und 1975 einzubeziehen sind, hängt davon ab, ob dem Kläger wegen nicht ordnungsgemäß erbrachter Vorauszahlungen 1974 eine Pflichtverletzung nachgewiesen werden kann.

4. Das finanzgerichtliche Urteil ist somit aufzuheben. Die nicht spruchreife Sache geht an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Für die Frage, ob und in welchem Umfang Säumniszuschläge in die Haftungssumme einzubeziehen sind, wird zu prüfen sein, ob der Kläger für die in der Zeit zwischen Mai bis Oktober 1976 aufgelaufenen Säumniszuschläge haftbar gemacht werden kann, nachdem er in diesem Zeitraum nicht Geschäftsführer der Komplementär-GmbH gewesen ist (vgl. oben unter Ziff. 1).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415209

BFH/NV 1988, 220

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