Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Neben Sondervorschriften über den Erlaß von Abgaben wegen unbilliger Härte, wie z. B. bei § 9 Abs. 4 der 7. AbgabenDV-LA, ist grundsätzlich auch die allgemeine Vorschrift des § 131 AO in Betracht zu ziehen.

 

Normenkette

AO § 131; 7-AbgabenDV-LA 9/4

 

Tatbestand

Die Bfin. hat beantragt, ihr 1.492,86 DM Hypothekengewinnabgabe (HGA) -Leistungen für 1952 aus Gründen der Ertragslage oder aus Härtegründen zu erlassen.

Die Grundstücks- und Ertragsverhältnisse sind folgende:

Dem aus dem ersten Weltkriege als schwerverletzter Offizier heimgekehrten Ehemanne der Bfin. war im Jahre 1926 - als Härteausgleich bei ungenügender Versorgung - ein staatliches Darlehen zum Bau eines kleinen Eigenheimes I. G. 3 mit angebauter Mietwohnung I. G. 5 gewährt worden. Aus den Einnahmen aus der Vermietung sollten die Zinsen des Baudarlehens gezahlt werden. Im Februar 1944 erlitten die Baulichkeiten schweren Kriegsschaden. Das Gebäude I. G. 5 brannte völlig nieder. Das ganze Vordach und ein Teil des Hauptdaches von I. G. 3 wurden fortgerissen, so daß Regen und Schnee eindringen konnten und die Räume durch Nässe, Schimmel usw. unbewohnbar zu werden drohten. Die Mauern waren durchfeuchtet, die Entwässerungsanlage beschädigt, die Heizungsanlage zerstört, das Bodengebälk im Erdgeschoß gebrochen, der Verputz beschädigt, Wände und Decken gerissen.

Die Einheitswerte sind zum 21. Juni 1948 wegen Kriegsschadens (32 bzw. 75 v. H.) fortgeschrieben. Auf die Umstellungsgrundschulden wurde in Höhe einer Schadensquote von 26,5 bzw. 62,666 v. H. verzichtet. Da die Bfin. und ihr Ehemann, die ohne Mittel waren und keine Hilfe erhielten, keinen anderen Ausweg sahen, schlossen sie am 6. März 1948 einen nachträglich noch etwas abgeänderten Vertrag mit dem Werkmeister W. und dessen Ehefrau, der im wesentlichen dahin ging:

Das Ehepaar W. verpflichtete sich zum Wiederaufbau der Ruine I. G. 5 bis zum 31. August 1948 und zur Beseitigung der hauptsächlichen Kriegsschäden des Hauses I. G. 3 und erwarb als Gegenleistung das lebenslängliche Wohnrecht im wiederaufgebauten Hause I. G. 5 mit der Maßgabe der Mietfreiheit auf die Dauer von 20 Jahren.

Dieser Vertrag wurde ausgeführt. Ein Teil der Schäden des Hauses I. G. 3, der die Bewohnbarkeit stark minderte, blieb bestehen.

Demgemäß hatte die Bfin., deren Ehemann den Folgen seiner Kriegsverletzungen im Dezember 1950 erlegen war, in dem streitigen Erlaßzeitraume 1952 aus den beiden Grundstücken keine Bareinnahmen.

Um deren Ertragslage zur Beurteilung des Erlaßantrages zu ermitteln, ließ das Finanzamt den Mietwert 1952 von dem Städt. Amt für Grundstücksbewertung schätzen. Dieses gelangte bei dem Gebäude I. G. 3 unter Berücksichtigung der noch vorhandenen großen Kriegsschäden mit 42 v. H. Abschlag vom ortsüblichen Mietwerte zu einem Jahreswerte von 1.176 DM, bei dem Nachbarhaus I. G. 5 zu einem Jahreswerte von 1.816 DM, in dem 510,50 DM für die von der Bfin. selbst genutzten beiden Räume enthalten waren.

Die Beschwerde der Bfin. gegen die zum Teil ablehnende Entscheidung des Finanzamts ist ohne Erfolg geblieben. Die Oberfinanzdirektion hat die Entscheidung des Finanzamts als großzügig erachtet; sie meinte, das Finanzamt hätte die 510,50 D für die eigengenutzten Räume ebenfalls als Ertrag berücksichtigen können.

Auch die Berufung ist als unbegründet zurückgewiesen worden.

Hiergegen richtet sich die Rb.

 

Entscheidungsgründe

über den Antrag ist nach Maßgabe der Siebenten Durchführungsverordnung über Ausgleichsabgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz (7. AbgabenDV-LA) zu entscheiden.

Diese Verordnung regelt den Erlaß der HGA-Leistungen wegen ungünstiger Ertragslage bzw. wegen wirtschaftlicher Bedrängnis für das Kalenderjahr 1952 und bestimmt in ihrem § 1, daß sich die Zulässigkeit und der Umfang von Billigkeitsmaßnahmen wegen ungünstiger Ertragslage des Grundstückes oder wegen wirtschaftlicher Bedrängnis vorbehaltlich der §§ 2 - 10 der Verordnung nach denjenigen Vorschriften richten, die nach dem Gesetz zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich und seiner Durchführungsverordnung für den Erlaß von Leistungen auf Umstellungsgrundschulden gegolten haben. Mit dieser Maßgabe ist auch für die Erlaßentscheidung für 1952 die Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung von Forderungen für den Lastenausgleich vom 7. September 1948 maßgebend (Gesetz- und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1948 S. 88). Nach § 5 Abs. 4 der letztgenannten Verordnung können auf Antrag des Schuldners fällige Leistungen insoweit erlassen werden, als diese aus den Erträgnissen des Grundstückes unter Berücksichtigung der öffentlichen Lasten der Kosten für die notwendige Unterhaltung und Instandsetzung und der Verpflichtungen aus vorhergehenden Rechten Dritter nicht aufgebracht werden können oder ihre Einziehung aus sonstigen Gründen zu offenbarer Härte führen würde.

Was zunächst die Ertragslage betrifft, so hat die Bfin. in dem hier streitigen Erlaßzeitraum 1952 keine Mieteingänge aus den beiden Grundstücken gehabt. Vielmehr hat sie schon im Jahre 1948 in Gestalt des Wiederaufbaues bzw. der Wiederherstellung der Gebäude Sachwerte als Einnahmen bezogen, die nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie die höchstrichterliche Rechtsprechung auf dem Gebiete der Einkommensteuer entwickelt hat, auf die Dauer der ersten 20 Mietjahre als anteilig verteilt anzusehen sind (vgl. Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 712/30 vom 4. Februar 1931 - Slg. Bd. 28 S. 95 ff. -). Diese Verteilung einer einmaligen Vorauseinnahme auf die Dauer der Mietzeit, für die die Leistung bestimmt war, besitzt nicht nur einkommensteuerlichen Charakter, sondern ist von allgemeiner betriebswirtschaftlicher Geltung. Deshalb würde sich die Bfin. die Vorableistung der Eheleute W. im Jahre 1948 für die folgenden 20 Jahre anteilig als Einnahme anzurechnen haben, auch soweit die Wirtschaftlichkeitsberechnung in Betracht kommt, nach der über ihren Erlaßantrag wegen ungünstiger Ertragslage zu entscheiden ist. Wäre die Vorableistung in barem Geld erfolgt, so würde das Vorhergesagte bedeuten, daß sich die Bfin. nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise die Bareinnahme des Jahres 1948 anteilig auch für das hier streitige Kalenderjahr 1952 als Einnahme anrechnen lassen müßte. Die Bfin. könnte sich nicht darauf berufen, daß sie effektiv im Jahre 1952 unmittelbar keine Mieteinnahmen bezogen habe; vielmehr würde man ihr entgegenhalten, daß es ihre Sache war, die im Jahre 1948 empfangene Gesamteinnahme wirtschaftlich auf die einzelnen Jahre, für die sie bestimmt war, zu verteilen.

Die Besonderheit des Falles liegt indessen darin, daß die Bfin. im Jahre 1948 keine Bareinnahmen, sondern Sachwerte (Gebäudewiederherstellung) empfangen hat. Diese Besonderheit des Falles ändert indessen nichts hinsichtlich der Ertragslage der Grundstücke. Zwar hat, wie in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen worden ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 86/53 S vom 25. September 1953 - BStBl 1953 III S. 304, Slg. Bd. 58 S. 33 -) den Bestimmungen über den Erlaß von Umstellungsgrundschulden wegen der Ertragslage der Liquiditätsgedanke zugrunde gelegen. Dies bedeutete, daß nur die tatsächlich angefallenen Mieten als Erträge zu berücksichtigen waren. Aber dieser Grundgedanke der damaligen Vorschriften, die auch für 1952 gelten, wird nicht verletzt, wenn anerkannt wird, daß die Bfin. im Jahre 1948 tatsächlich eine Gesamtleistung für die nachfolgenden 20 Mietjahre empfangen hat. Daß sie diese Gesamtleistung von vornherein in Gestalt einer Sachwertleistung empfangen hat, war das Ergebnis ihrer eigenen Dispositionen; es ergibt sich rechnerisch daraus die anteilige Einnahme für 1952.

Deshalb wird unter dem Gesichtspunkt der Ertragslage der beiden Grundstücke ein Erlaß der streitigen HGA-Leistungen für 1952 nicht ausgesprochen werden können.

Einer gesonderten Betrachtung indessen bedarf die Frage der offenbaren Härte. Hier sind die genannten Einkünfte mit den Pensions- und Rentenbezügen des Jahres 1952 in Höhe von 2.107,68 DM zusammenzurechnen, so daß sich ein Gesamteinkommen von 3.768,42 DM ergibt. Dieser Betrag würde das nach § 9 Abs. 1 und 2 der 7. AbgabenDV-LA berücksichtigte Existenzminimum von monatlich 200 DM jährlich 2.400 DM rechnerisch decken, und so wäre auch unter dem Gesichtspunkte der offenbaren Härte der Erlaßantrag unbegründet wie auch die Vorinstanzen entschieden haben.

Indessen bestimmt § 9 Abs. 4 der 7. AbgabenDV-LA, daß dann, wenn besondere Umstände vorliegen, weitere Beträge dem Existenzminimum hinzuzurechnen sind. Hierbei wird - nach dem Wortlaut der Bestimmung - in erster Linie an den Fall gedacht sein, daß der Antragsteller infolge besonderer Umstände weitere Beträge als das durchschnittliche Existenzminimum verbraucht hat, zum Beispiel wegen schwerer Erkrankung oder Verstümmelung. Da aus den Schreiben der Bfin. immer wieder hervorgeht, daß sie gallenkrank und durch ihr Leiden körperlich stark behindert ist, zum Beispiel den Vorladungen der Behörde regelmäßig nicht zu folgen vermag, wäre schon dieser Gesichtspunkt für die Erhöhung des Existenzminimums wegen besonders erschwerter Lebensführung und erhöhter Ausgaben zu prüfen gewesen; dieser Mangel der sachlichen Aufklärung der Antragsgründe der Bfin. muß durch die Rb. als gerügt angesehen werden. Schon aus diesem Grunde unterliegen das angefochtene Urteil und die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion vom 23. Januar 1959 der Aufhebung.

Es kommt indessen noch folgendes hinzu: Ungeachtet dessen, daß § 9 Abs. 4 der 7. AbgabenDV-LA seinem Wortlaut nach im wesentlichen nur den Fall deckt, daß jemand infolge "besonderer Umstände" mehr als das in § 9 Abs. 1 bis 3 a. a. O. vorgesehene Existenzminimum verbraucht hat, ist bei auf unbillige Härte gestützten Erlaßanträgen grundsätzlich auch die allgemeine Vorschrift des § 131 AO in Betracht zu ziehen.

Deshalb ist im vorliegenden Falle folgendes zu beachten: Die Gesamteinnahme 1948 bestand in nicht selbständig veräußerlichen Sachwerten. Daher war auch die anteilige Jahreseinnahme 1952, die sich aus der Verteilung der Gesamteinnahmen 1948 ergibt, lediglich eine an sich illiquide Sachwertleistung. Die Bfin. vermochte daher aus den wirtschaftlich errechneten Sachwerteinnahmen keinerlei bare Mittel zu entnehmen, mit denen sie die HGA- Leistungen hätte abdecken können. Es ist daher zu prüfen, ob und inwieweit es nicht nach Lage der besonderen Umstände unbillig ist, ihr die Zahlung der HGA-Leistungen ohne solche baren Mittel zuzumuten. Der erkennende Senat bejaht die Grundfrage der unbilligen Härte, muß jedoch die Feststellung des Ausmaßes der unbilligen Härte der Oberfinanzdirektion überlassen, weil hierfür die besonderen tatsächlichen Gesamtumstände des Falles zu berücksichtigen sind. Es trifft zwar zu, daß es auf die Dispositionen der Bfin. zurückzuführen ist, daß sie den Vertrag mit den Eheleuten W. so geschlossen hat, daß sie keinerlei Bareinnahmen von ihnen empfangen hat. Es wird aber für die Frage der unbilligen Härte zu bedenken sein, daß die Bfin. die Beseitigung der Kriegsschäden unter den damaligen Verhältnissen offenbar nicht anders als durch diesen Vertrag erreichen konnte. Hätte sie den Vertrag nicht so, wie geschehen, geschlossen, so wäre ihr mangels eigener Mittel und staatlicher Hilfe die Beseitigung der Kriegsschäden damals nicht geglückt; voraussichtlich hätte sie auch bei dem damaligen katastrophalen Zustande der Baulichkeiten keine zahlungsfähigen Mieter gefunden. Hätte sie also den Vertrag mit dem Ehepaar W. nicht geschlossen, so hätte sie ebenfalls weder bare noch unbare Mittel besessen, um die HGA-Leistungen abzudecken. Ein Verkauf der Grundstücke, die - außer dem Mieter - ihr, dem schwerkriegsbeschädigten Sohne und seiner Familie als Wohnung dienen, ist ihr nach dem Grundsatz der Erhaltung des Besitzes, falls überhaupt möglich, nicht zuzumuten. Die Einzelheiten bedürfen noch der tatsächlichen Feststellung.

Im übrigen ist in einem getrennten Verfahren vorab zu prüfen, ob nicht das gesamte Vorbringen der Bfin. einen Antrag aus § 104 des Lastenausgleichsgesetzes umfaßt, ob ihr die Beschaffung der Belege nicht zuzumuten ist und inwieweit auf Grund von dem 20. Juni 1948 folgenden Wiederherstellungsarbeiten die HGA-Schuld herabzusetzen ist.

Die Sache geht deshalb an die Oberfinanzdirektion zur erneuten Entscheidung zurück.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410401

BStBl III 1962, 277

BFHE 1963, 21

BFHE 75, 21

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge