Leitsatz (amtlich)

Balsam- und Wurzelterpentinöl gehören nicht zu den pflanzlichen Ölen im Sinne der Freiliste 2.

 

Normenkette

UStG § 4 Ziff. 2; FVG § 23 Abs. 1, § 24 Abs. 3; AO § 214 Nr. 1, § 225a Abs. 2, § 235 Nr. 1; Freiliste 2 (Anlage 1 zu § 20 Abs. 2 Ziff. 1 UStDB 1951); Freiliste 2 (Anlage 1 zu § 21 Ziff. 1 UStDB 1951)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Balsam- und Wurzelterpentinöl als rohe pflanzliche Öle im Sinne der Freiliste 2 anzusehen sind und die Lieferung dieser Waren durch die Bgin. nach § 4 Ziff. 2 UStG steuerfrei ist.

Durch § 1 Ziff. 44 der Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Durchführungsbestimmungen zum Umsatzsteuergesetz vom 29. Juni 1951 (BGBl I S. 418, BStBl 1951 I S. 205) wurden in die Freiliste 2 neben den tierischen Ölen auch die pflanzlichen Öle (roh) aufgenommen. Infolge dieser Änderung war die Bgin. der Auffassung, daß auch die von ihr gelieferten Terpentinöle nunmehr steuerfrei seien. Sie behandelte deshalb in den Umsatzsteuererklärungen die Lieferungen dieser Ware als steuerfreie Umsätze nach § 4 Ziff. 2 UStG. Auf Grund einer Betriebsprüfung im Jahre 1957 vertrat das Finanzamt die Auffassung, daß Terpentinöle keine rohen pflanzlichen Öle im Sinne der Freiliste 2 seien. Es berichtigte daher die Umsatzsteuerfestsetzungen 1951 und 1952 durch Bescheide vom 2. Juni 1958.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auf die dagegen eingelegte Berufung hob das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung auf und setzte die Umsatzsteuer anderweitig fest. Das Finanzgericht ging auf Grund eingeholter Sachverständigengutachten davon aus, daß das von der Bgin. gelieferte Terpentinöl als rohes pflanzliches Öl im Sinne der Freiliste 2 anzusehen sei.

In der Rb. ist der Vorsteher des Finanzamts der Auffassung, das Finanzgericht habe den Begriff "Öle, tierische und pflanzliche (roh)" entgegen dem erkennbaren Willen des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers ausgelegt. Bis zum 30. Juni 1951 seien in der Freiliste 2 lediglich "Fette, tierische" und "Öle, tierische" genannt gewesen. Durch die Verordnung vom 29. Juni 1951 a. a. O. sei die bis dahin nur für tierische Fette und Öle geltende Steuervergünstigung auf rohe pflanzliche Fette und Öle ausgedehnt worden. Die Änderung der Freiliste bedeute nach ihrem aus dem gesamten Zusammenhang sich ergebenden Sinn und Zweck nichts anderes, als daß die bestehende Vergünstigung auf die gleichartigen pflanzlichen Fette und Öle ausgedehnt worden sei.

Demgegenüber vertrat die Bgin. in der mündlichen Verhandlung die Auffassung, daß der Begriff "pflanzliche Öle (roh)" drei Kriterien aufweise, die ohne weiteres und aus sich selbst verständlich seien. Es bedürfe nicht der Ermittlung der Verkehrsauffassung. Denn für etwas, was selbstverständlich sei, gebe es keine Verkehrsauffassung. Wann es im übrigen auf die Verkehrsauffa sung ankomme, sei der Standpunkt der beteiligten Wirtschaft maßgebend. Insofern sei die Verkehrsauffassung durch die vom Finanzgericht eingeholten Gutachten zutreffend ermittelt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

I.

1. Der Senat kann dem Finanzgericht darin nicht folgen, daß Balsam- und Wurzelterpentinöl als pflanzliches Öl im Sinne der Freiliste 2 anzusehen ist. Durch die Verordnung vom 29. Juni 1951 a. a. O. wurde die Freiliste 2 in der Weise geändert, daß hinter "Öle, tierische" eingefügt wurde "und pflanzliche (roh)". Damit sind Öle, pflanzliche (roh) zu einem Gesetzes- und Rechtsbegriff geworden. Der Senat stimmt mit dem Finanzgericht darin überein, daß bei der Auslegung eines solchen Gesetzesbegriffes zunächst vom Wortlaut auszugehen ist. Soweit es sich bei solchen Gesetzesbegriffen um wissenschaftliche, technische oder wirtschaftliche Fachausdrücke handelt, können die Gerichte zur Ermittlung des zutreffenden Wortsinns auch den in Wissenschaft, Technik und Verkehr üblichen Sprachgebrauch heranziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Gesetzgeber von diesem Sprachgebrauch abweichen wollte. Zur Ermittlung eincs derartigen Sprachgebrauchs können sich die Gerichte entgegen der Auffassung der Bgin. aller ihnen zugänglichen Hilfsmittel, insbesondere aller einschlägigen wissenschaftlichen Werke bedienen. Auch die Verkehrsauffassung kann in diesem Zusammenhang als Hilfsmittel für die Auslegung berücksichtigt werden, wie auch die Bgin. anerkennt. Die Feststellung der Verkehrsauffassung ist hier jedoch im Gegensatz zu den Fällen, in denen sie Bestandteil des gesetzlichen Tatbestands ist, wie z. B. im § 12 Abs. 1 und § 55 Abs. 6 (früher Abs. 5) UStDB, nicht zwingend vorgeschrieben und nur insoweit erforderlich, als die anderen Auslegungshilfsmittel versagen oder keine sichere Gewähr für das gefundene Ergebnis bieten.

Mit dieser Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung oder zu Grundsatzurteilen im Sinne des § 64 AO anderer Senate. Denn die in Umsatzsteuersachen veröffentlichten Urteile des Senats hatten ausschließlich Fälle zum Gegenstand, in denen die Verkehrsauffassung zum gesetzlichen Tatbestand gehörte. Im übrigen betraf die Rechtsprechung des Senats Warenbegriffe des Zolltarifs (ZT). Bei diesen aber war nach den Allgemeinen Tarifierungsvorschriften Nr. 2 Abs. 2 ZT 1951 in der bis zum Inkrafttreten des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs vom 24. Januar 1956 (BGBl I S. 29) geltenden Fassung in den Fällen, in denen der Tarif keine Begriffsbestimmung enthielt, für die Auslegung des Warenbegriffs allein die Verkehrsanschauung maßgebend. Auch hier ist demnach die Ermittlung der Verkehrsanschauung zwingend vorgeschrieben gewesen. Keiner der angeführten Fälle, in denen die Ermittlung der Verkehrsanschauung zwingend angeordnet ist, liegt im Streitfall vor.

Mit der hier vertretenen Ansicht weicht der Senat auch nicht von der Auffassung des Urteils I 286/56 S vom 16. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 77, Slg. Bd. 68 S. 198) ab. In dieser Entscheidung, bei der es darum ging, ob ein Wirtschaftsgut einer selbständigen Nutzung fähig ist und inwieweit dafür die Verkehrsanschauung heranzuziehen ist, wird darauf hingewiesen, daß die Verkehrsanschauung bei Auslegung von Warenbezeichnungen im ZT eine Rolle spielt. Insoweit befindet sich der Senat nicht in einem Gegensatz zur Auffassung des I. Senats.

Hilfsmittel zur Ermittlung des wissenschaftlichen, technischen usw. Sprachgebrauchs können auch noch vom Bundesfinanzhof herangezogen werden. Denn den zutreffenden Sinn eines Rechtsbegriffs zu ermitteln, hat mit der Feststellung von Tatsachen nichts zu tun. Es handelt sich insoweit vielmehr um eine gerade den Revisionsgerichten obliegende Aufgabe, einen Rechtsbegriff richtig auszulegen. Unter diesen Umständen braucht nicht erörtert zu werden, ob und in welchem Umfang der Senat nach Aufhebung der Vorentscheidung zur tatsächlichen Nachprüfung des Streitfalls befugt ist. Das Urteil des Bundesfinanzhofs IV 413/60 S vom 18. März 1964 (BStBl 1964 III S. 413) wird nicht berührt, weil neues tatsächliches Vorbringen nicht berücksichtigt worden ist.

2. Im Streitfall ist auszulegen der Begriff "Öle, pflanzliche (roh)". Der Senat kann sich insoweit der Auffassung der Bgin. nicht anschließen, dieser Begriff sei aus sich heraus ohne weiteres und leicht verständlich in dem Sinne, daß damit Öl angesprochen sei, das aus Pflanzen, wozu auch Bäume gehörten, herrühre oder gewonnen werde Der Senat ist vielmehr der Meinung, daß der Begriff "pflanzliche Öle" ein chemisch-technischer Begriff ist, der als Gesetzesbegriff auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist. Das Finanzgericht hat versucht, den Begriff mit Hilfe der Verkehrsanschauung auszulegen. Dieser Versuch ist jedoch fehlgeschlagen, weil die drei aus Wirtschaftskreisen gehörten Sachverständigen übereinstimmend ausgesagt haben, eine Verkehrsauffassung in dem Sinne, daß zu den pflanzlichen Ölen auch Balsamund Wurzelterpentinöle zu rechnen seien, sei ihnen nicht bekannt oder eine solche gebe es nicht. Es bleibt unter diesen Umständen nichts anderes übrig, als auf den in Wissenschaft und Technik üblichen Sprachgebrauch zurückzugehen. Dieser geht aber zunächst dahin, daß Fette, die bei gewöhnlicher Temperatur flüssig sind, als Öle bezeichnet werden (vgl. Binz, Chemische Technologie, Berlin 1925, S. 55; Handbuch der Lebensmittelchemie, Berlin 1933, I. Band, S. 255: "Soweit Fette bei der mittleren Temperatur einer Gegend flüssig sind, bezeichnet man sie auch als Öle"). Es ist ferner zu beachten, daß nach dem chemisch-technischen Sprachgebrauch die Fette und Öle eingeteilt werden nach ihrer Herkunft in pflanzliche und tierische Produkte (vgl. Römpp, Chemie-Lexikon, 5. Aufl., Stichwort: Fette und Öle, S. 1597; ähnlich auch Handbuch der Lebensmittelchemie, IV. Bd., S. 388). Die Auffassung von Wissenschaft und Technik geht demnach dahin, daß pflanzliche Öle Fette pflanzlicher Herkunft, aber in flüssigem Zustand, sind. Im Großen Herder, 5. Aufl. 1955, steht neben dem Stichwort "Pflanzenfett" das Stichwort "Pflanzenöl". Die anschließende Erläuterung bezieht sich auf beide Stichworte, so daß offensichtlich zwischen beiden Begriffen ein wesentlicher Unterschied nicht besteht. In Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 3. Aufl., 1956, Bd. 7 S. 454, werden Fette und Öle unabhängig von ihrer Konsistenz unter dem Begriff "Fette" zusammengefaßt, da die Grenze zwischen flüssigen Ölen und festen Fetten nicht eindeutig zu ziehen sei. Von den eben erwähnten Fetten und Ölen werden im chemisch-technischen Sprachgebrauch die in ihrer Konsistenz und Viskosität zwar ähnlichen, aber chemisch mehr oder weniger verschiedenen Stoffgruppen abgetrennt, nämlich die Mineralölfette und -öle, die Harzöle und Teeröle und die ätherischen Öle (vgl. Römpp, a. a. O. S. 1595).

Im chemisch-technischen Sprachgebrauch wird demnach unterschieden zwischen pflanzlichen Ölen = flüssigen Fetten einerseits und anderen Ölen, deren Bezeichnung sich nach bestimmten Eigenschaften oder Bestandteilen richtet. Von dieser Unterscheidung geht auch das vom Finanzgericht angeforderte Gutachten des Prof. N. aus.

3. Nach dem eigenen Vortrag der Bgin. handelt es sich bei Balsamterpentinöl um ein "vegetabilisch-ätherisches" Öl. Unstreitig zählt auch das Wurzelterpentinöl zu den ätherischen Ölen. Es handelt sich also um Öle, die im Gegensatz zu den fetten Ölen, mehr oder weniger schon bei normaler Temperatur flüchtig sind (vgl. Ullmann, a. a. O. Bd. 14 S. 699).

Hätte der Gesetzgeber auch ätherische Öle in der Freiliste 2 erfassen wollen, so hätte er diese als solche ansprechen müssen. Denn mit dem Begriff "pflanzliche Öle" werden jedenfalls nach dem chemisch-technischen Sprachgebrauch die ätherischen Öle nicht bezeichnet. Dies kommt auch in dem Gutachten des Prof. N. zum Ausdruck, wenn dort angeführt ist, daß "logischerweise" nichts dagegen einzuwenden sei, Balsam- und Wurzelterpentinöl unter bestimmten Voraussetzungen als rohe pflanzliche Öle zu bezeichnen. Es fehlt jedoch eine eindeutige Aussage darüber, daß ätherische Öle im chemisch-technischen Sprachgebrauch als pflanzliche Öle bezeichnet werden.

4. Die Entstehungsgeschichte der in Rede stehenden Warenbezeichnung und der Sinnzusammenhang mit anderen Warenbezeichnungen rechtfertigen diese Auffassung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann auf dem Gebiet der Umsatzsteuer auf die Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte nicht verzichtet werden, wenn nicht die Rechtsprechung im luftleeren Raum erfolgen soll (vgl. Gutachten V z D 2/56 S vom 6. November 1956, BStBl 1956 III S. 356, Slg. Bd. 63 S. 409, und die dort zitierte Rechtsprechung und Literatur). Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 30. November 1955 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 4 S. 358 f.) der Entstehungsgeschichte maßgebende Bedeutung beigelegt. Aus der Entstehungsgeschichte der hier in Rede stehenden Warenbezeichnungen ergibt sich, daß in der Freiliste 2 in der bis zum 30. Juni 1951 geltenden Fassung nur tierische Öle aufgeführt waren. In § 1 Ziff. 44 der Verordnung vom 29. Juni 1951 a. a. O. wurde hinter "Öle, tierische" eingefügt "und pflanzliche (roh)". Gleichzeitig wurde die Warenbezeichnung "Fette, tierische" ergänzt durch "und pflanzliche (roh)". Damit waren also tierische und pflanzliche Fette und Öle von der Freiliste erfaßt. Die pflanzlichen Öle sind damit nicht nur in einem sprachlichen, sondern auch in einem Zusammenhang der Art nach mit den tierischen Ölen gebracht. Da es aber unter den tierischen Ölen keine den mehr oder weniger flüchtigen (ätherischen) Ölen ähnliche Arten, sondern nur fette Öle gibt, spricht sonach auch der Sinnzusammenhang dafür, daß unter den pflanzlichen Ölen der Freiliste 2 nur die fetten Öle gemeint sein können.

5. Dieses Ergebnis wird auch durch die zolltarifliche Behandlung bestätigt, die nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs grundsätzlich auch für das Umsatzsteuerrecht von Bedeutung ist (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs V 212/40 vom 16. Mai 1941, RStBl 1941 S. 661), wobei der im Veranlagungszeitraum gültige ZT in Betracht kommt (vgl. Urteil V 211/55 U vom 30. Januar 1958, BStBl 1958 III S. 139, Slg. Bd. 66 S. 364). Das Finanzgericht hat die Anwendung des ZT von 1902 als auch die des ZT 1951 abgelehnt, weil kein Tarif eine dem Begriff rohe pflanzliche Öle vergleichbare Begriffsbezeichnung enthalte. Das Finanzgericht hat aber dabei übersehen, daß der ZT 1951 in Abschn. III nach dessen Überschrift tierische und pflanzliche Fette und Öle behandelt. Nach der Allgemeinen Anmerkung zu Kap. 15 dieses Abschnitts sind von den dort behandelten tierischen und pflanzlichen Fetten und Ölen ausgenommen andere Erzeugnisse des Abschn. VI. In Kap. 33 dieses Abschnitts sind die tierischen Öle, und zwar terpentinfreie und andere, also auch nichtterpentinfreie erfaßt.

Auch der ZT 1902 unterscheidet einerseits fette Öle, die in Abschn. 1 D einzeln nach den verschiedenen Herkunftsarten aufgeführt sind, und andererseits Mineral- und ätherische Öle, die in Abschn. 2 D bzw. 4 D behandelt sind. Terpentinöl ist dabei in der Tarifnr. 353, die "flüchtige (ätherische) Öle" erfaßt, aufgezählt.

Wortauslegung, Entstehungsgeschichte, Sinnzusammenhang und zolltarifliche Einordnung ergeben demnach, daß unter den Warenbegriff pflanzliche Öle in der Freiliste 2 nur fette Öle zu verstehen sind. Es fallen unter diesen Warenbegriff deshalb nicht Balsam- und Wurzelterpentinöle. Der gegenteiligen Auffassung des Finanzgerichts kann daher nicht gefolgt werden. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif ....

 

Fundstellen

Haufe-Index 411374

BStBl III 1964, 631

BFHE 1965, 438

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