Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzamt Nachsicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt, so unterliegt diese Entscheidung der Nachprüfung des Finanzgerichtes.

Zweifel über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels und Unkenntnis des materiellen Steuerrechtes rechtfertigen keine Gewährung von Nachsicht.

Die Vorschrift des § 73a BewG in seiner derzeitigen Fassung erstreckt sich nicht auf Betriebsgrundstücke. Eine etwa vom Gesetzgeber für die Zukunft in Aussicht genommene Erweiterung und Ausdehnung dieser Vorschrift auf Betriebsgrundstücke kann auf den Währungsstichtag nicht zurückbezogen werden und deshalb auch die Auslegung des § 25 LAG nicht beeinflussen.

 

Normenkette

AO §§ 86, 96; BewG §§ 73a, 115; LAG § 25

 

Tatbestand

I. Bescheid

Streitig ist, ob ein unter Denkmalschutz stehendes ehemaliges Schlößchen, das als Cafe zum Betriebsvermögen der Bfin. gehört, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 25 LAG in Verbindung mit § 73a Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) erfüllt.

Die Bfin. ist mit dem vollen Werte ihres Betriebsvermögens in Höhe von 28.100 DM, in dem der gesamte Einheitswert des Betriebsgrundstückes von 26.000 DM enthalten ist, zur Vermögensabgabe herangezogen worden. Aber erst, nachdem der Vermögensabgabebescheid vom 28. September / 14. Oktober 1955 bereits rechtskräftig geworden war, hat sie unter dem 22. März 1956 Einspruch eingelegt mit dem Antrage, gemäß § 73a BewG und § 25 LAG den Einheitswert des Gebäudes nur mit 40 v. H. der Vermögensabgabe zu unterwerfen. Gleichzeitig hat sie um Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist gebeten und dies damit begründet, daß ihr 1952 verstorbener Ehemann als der ursprünglich Abgabepflichtige weder zu den Hinterbliebenen noch zu den Steuerbevollmächtigten der Eheleute je etwas über das Bestehen eines Denkmalschutzes geäußert habe, so daß sie erst durch die am 8. März 1956 an sie ergangene Mitteilung über die endgültige Eintragung des zuvor nur in die Vormerkliste aufgenommenen Gebäudes in das Denkmalbuch von dem bestehenden Denkmalschutz Kenntnis erlangt habe.

Das Finanzamt hat in seiner Einspruchsentscheidung zwar dem Antrag auf Nachsichtgewährung entsprochen, den Einspruch aber in der Sache selbst als unbegründet zurückgewiesen, weil Betriebsgrundstücke nicht zu den nach § 73a BewG begünstigten Grundstücken zählten, und weil § 26a GrStG nicht zur Begründung des Antrages der Bfin. herangezogen werden könne, da er auf anderen Voraussetzungen beruhe.

Die Berufung, in der die Bfin. ergänzend noch darauf hinwies, daß das Finanzamt ihr zunächst in einer mündlichen Besprechung angedeutet habe, es werde der Entscheidung der Gemeinde in Grundsteuersachen folgen, und daß es nach den Grundsätzen von Treu und Glauben an diese Zusage gebunden sei, blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht schloß sich in der Sache selbst der Begründung des Finanzamts in der Einspruchsentscheidung an und vertrat im übrigen den Standpunkt, daß das Finanzamt zu Unrecht Nachsicht wegen Versäumung der Einspruchsfrist gewährt habe, daß aber die Bfin. durch die sachliche Zurückweisung ihres Rechtsmittels an Stelle der an sich gebotenen Verwertung des Einspruches als unzulässig nicht beschwert sei.

In der Rb. wendet sich die Bfin. unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Rechtsstandpunktes insbesondere gegen die überprüfung der ihr günstigen Nachsichtsentscheidung des Finanzamts durch die Vorinstanz.

Sie hat mündliche Verhandlung beantragt. Es erschien dem Senat jedoch angezeigt, zunächst ohne eine solche durch Bescheid gemäß § 294 Abs. 2 AO über die Rb. zu entscheiden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist unbegründet.

Die Bfin. hat in ihrer Rb. zum Verfahren der Vorinstanz beanstandet, daß das Finanzgericht abweichend von der Einspruchsentscheidung des Finanzamts das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung verneint hat. Sie ist der Auffassung, daß eine Nachprüfung der die Nachsicht gewährenden Entscheidung des Finanzamts insoweit überhaupt unzulässig sei. Diese Auffassung ist in der Tat in einer älteren Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI A 496, 497/29 vom 1. Mai 1929 - veröffentlicht in Steuer und Wirtschaft II 1929 Nr. 617 - vertreten worden, zu der sich Becker in Steuer und Wirtschaft I 1929 Sp. 778 zustimmend geäußert hat. Sie geht davon aus, daß es sich bei der Entscheidung über die Gewährung von Nachsicht um eine das Verfahren berührende besondere Verfügung der Rechtsmittelbehörde handle, die eine Bewilligung im Sinne des § 78, jetzt des § 96 AO darstelle. Die Entscheidung nimmt somit an, daß es sich bei der Nachsichtgewährung um eine Ermessensentscheidung des Finanzamts handle, die den Schutz des § 96 AO genieße und deshalb vom Finanzgericht nicht nachzuprüfen sei. In der neueren Rechtsprechung, der auch das Schrifttum weitgehend gefolgt ist, wird jedoch ganz überwiegend die Auffassung vertreten, daß es sich bei der Entscheidung über die Nachsichtgewährung nicht um eine Ermessensentscheidung handle, sondern um eine Rechtsentscheidung (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 591/36 vom 6. November 1936, Slg. Bd. 40 S. 214). Dieser Auffassung ist beizupflichten. Denn die Rechtsmittelbehörde ist verpflichtet, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen, Nachsicht zu gewähren. Um derartige Rechtsentscheidungen handelt es sich aber bei den Verfügungen im Sinne des § 96 AO im allgemeinen nicht. Aus dem Charakter der Nachsichtsentscheidung als einer reinen Rechtsentscheidung ist zu folgern, daß sie deshalb auch der Nachprüfung im Rechtsmittelverfahren unterliegt (vgl. hierzu Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 2 zu § 86).

Das Finanzgericht war somit auch insoweit zur Nachprüfung der Einspruchsentscheidung berechtigt, bei der es zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die Voraussetzungen für eine Nachsichtgewährung nicht erfüllt seien. Diesen Ausführungen des Finanzgerichts ist beizupflichten; denn die Bfin. hat sich nicht etwa über die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung oder über den Ablauf der Rechtsmittelfrist geirrt; sie war auch sonst an der rechtzeitigen Rechtsmitteleinlegung in keiner Weise gehindert. Sie hat vielmehr von der Möglichkeit zur fristgerechten Einlegung des Rechtsmittels zunächst nur deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil ihr damals gewisse Tatsachen unbekannt waren, die ihr späterhin die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels günstig erscheinen ließen. Die Unkenntnis eines Abgabepflichtigen über solche Tatsachen rechtfertigt es nicht, Nachsicht zu gewähren.

Im übrigen ist der Entscheidung der Vorinstanzen auch in der Sache selbst zuzustimmen. Betriebsgrundstücke gehören nicht zu den Grundstücken, die nach § 73a BewG oder § 25 LAG begünstigt sind.

Da im übrigen in einem gegen die Veranlagung selbst gerichteten Rechtsmittelverfahren reine Billigkeitserwägungen keine Berücksichtigung finden können, war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.

II. Urteil Die Bfin. hat erneut Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

In dieser hat der Vertreter der Bfin. nochmals besonders geltend gemacht, daß das Finanzamt an die durch den zuständigen Beamten erteilte Auskunft gebunden sei. Die von der Entscheidung der Grundsteuerbehörden abweichende Behandlung der Bfin. bei der Veranlagung der Vermögensabgabe verstoße daher gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Zur Frage der Nachsichtgewährung wurde ergänzend darauf hingewiesen, daß bei der Bfin. selbst auch ein unverschuldeter Rechtsirrtum vorliege. Denn sie habe zunächst überhaupt keine Kenntnis davon gehabt, daß es gesetzliche Vergünstigungen für unter Denkmalschutz stehende Gebäude gebe. Im übrigen sei die Auslegung des § 25 LAG in Verbindung mit § 73a BewG unzutreffend. Das Finanzamt habe zudem auch Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsanordnungen über eine entsprechende Anwendung des § 73a BewG in der vom Gesetzgeber geplanten Neufassung dieser Bestimmung nicht beachtet.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes im übrigen wird auf den Bescheid vom 28. April 1961 Bezug genommen.

Auch die Ausführungen des Vertreters der Bfin. in der mündlichen Verhandlung vom 1. September 1961 geben dem Senat keine Veranlassung, von der im Bescheide vertretenen Auffassung abzuweichen. Was die der Bfin. erteilte Auskunft des Finanzamtes anlangt, so handelt es sich dabei um die mündliche Erklärung eines Beamten, in der dieser lediglich zum Ausdruck brachte, daß die Stellungnahme des Finanzamtes von der Entscheidung des Bürgermeisteramtes abhängen werde, die damals noch nicht vorlag. Eine solche unverbindliche äußerung zur Rechtslage, die keinen unmittelbaren Ausspruch über die endgültige rechtliche Behandlung der Vermögensabgabe und noch weniger über deren Höhe enthielt, bewirkt auch unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben keine Bindung der Veranlagungs- und Rechtsmittelbehörden. Im übrigen könnte die Berufung auf eine fehlerhafte Auskunftserteilung an der etwa schon eingetretenen Rechtskraft der Veranlagung als solcher nichts ändern.

Sie würde deshalb im Streitfalle nur zu beachten sein, wenn der Bfin. Nachsicht wegen Versäumung der Rechtsmittelfrist zu erteilen wäre. In dieser Beziehung hält aber der Senat an der im Bescheide vertretenen Auffassung, daß die Nachsichtgewährung der Nachprüfung durch die Steuergerichte unterliegt, auch weiterhin fest, weil es sich insoweit um eine Rechtsentscheidung handelt. Diese Nachprüfung muß aber im Streitfalle dazu führen, die Bfin. die Nachsicht zu versagen. Auch wenn die Bfin. keine Kenntnis davon gehabt haben sollte, daß unter Denkmalschutz stehende Gebäude gewisse steuerliche Vorteile genießen, würde diese Unkenntnis nur die materielle Rechtslage berühren. Keinesfalls aber bedeutet sie einen Irrtum über die Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung oder über den Ablauf der Rechtsmittelfrist, der allein die Gewährung von Nachsicht rechtfertigen könnte.

Im übrigen ist die Entscheidung der Vorinstanz auch in der Sache nicht zu beanstanden, da nach ständiger Rechtsprechung Betriebsgrundstücke nicht zu den gemäß § 25 LAG in Verbindung mit § 73a BewG begünstigten Grundstücken gehören. Eine in dieser Richtung vom Gesetzgeber geplante zukünftige Erweiterung des § 73a BewG mit dem Ziele einer Begünstigung auch der betrieblich genutzten Gebäude kann auf den Währungsstichtag nicht zurückbezogen werden. Darüber hinaus sind aber Verwaltungsanordnungen und Erlasse, die auf dem Wege der Billigkeit eine diesbezügliche rückwirkende Regelung vorsehen würden, im Rechtsmittelverfahren gegen die Veranlagung der Vermögensabgabe nicht zu berücksichtigen. Es muß daher bei dem Bescheide vom 28. April 1961 verbleiben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410215

BStBl III 1962, 45

BFHE 1962, 122

BFHE 74, 120

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