Leitsatz (amtlich)

1. Die Beweiskraft einer Postzustellungsurkunde nach dem amtlichen Muster (Anlage 21 zur Postordnung vom 16. Mai 1963) erstreckt sich nicht auf die Erklärung des Postzustellers, die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung sei unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden.

2. Eine gegen die Postordnung verstoßende, im allgemeinen ungewöhnliche Art und Weise der Zustellung kann allenfalls dann als im Sinne des § 182 ZPO "übliche Weise" beurteilt werden, wenn der Empfänger die Zustellungsweise veranlaßt oder wenigstens geduldet hat.

 

Normenkette

ZPO §§ 182, 418 Abs. 1; VwZG § 3 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Der Kläger war Geschäftsführer der S GmbH. Die GmbH führte als persönlich haftende Gesellschafterin die Geschäfte der S GmbH & Co. KG. Beide Gesellschaften hatten ihre Geschäftsräume in dem Gebäude ... straße ... in X. Außer den Geschäftsräumen befanden sich in dem Haus noch zwei Wohnungen. Eine bewohnte der Kläger, die andere Frau S, die Ehefrau des verstorbenen Gesellschafters der KG. Es befanden sich keine Briefkästen im oder am Hause. Die Zustellung der Post an die Gesellschaften erfolgte über ein Postfach beim Postamt in X. Der Kläger und Frau S bezogen ihre private Post ebenfalls über dieses Postfach.

Am 2. Juni 1981 wurde der Konkurs über das Vermögen beider Gesellschaften eröffnet und eine Postsperre verhängt; auch die über das Postfach der Gesellschaften zugestellte private Post des Klägers wurde dem Konkursverwalter ausgehändigt. Etwa eine Woche nach Konkurseröffnung löste der Konkursverwalter das Postfach der Gesellschaften auf. Etwa eine weitere Woche lang nahm er persönlich die für die Bewohner des Grundstücks ... straße bestimmte Post in Empfang. In der gesamten Zeit leitete der Konkursverwalter die Post des Klägers an Frau S weiter. Dann veranlaßte er beim Postamt, daß die Post der Gesellschaften an sein Büro in L geschickt und die Post für den Kläger und Frau S unter deren Anschrift ... straße ausgetragen werden sollte. In einer Übergangszeit wurde noch vereinzelt Post des Klägers - irrtümlich - dem Konkursverwalter zugestellt.

Der Kläger arbeitete ab 22. Juni 1981 in Y, wo er während der Woche regelmäßig übernachtete. An den Wochenenden und gelegentlich im Laufe der Woche benutzte er seine Wohnung in X. Bei Beginn seiner regelmäßigen Abwesenheit von X hatte der Kläger den Konkursverwalter gebeten, für ihn bestimmte Post Frau S zu übergeben. Im übrigen hat er weder mit Frau S noch mit dem Postzusteller die Art und Weise der Postauslieferung an ihn besprochen.

Nachdem das Postfach der Gesellschaften aufgelöst worden war, vereinbarte der Postzusteller K mit Frau S, daß er im Falle ihrer Abwesenheit die Post für sie und den Kläger in der unverschlossenen Garage auf einem Autoreifen ablegen und die Garage danach verschließen solle. Bei der Garage handelte es sich um einen auch von Dritten betretenen Abstellplatz mit wechselndem Bestand an abgestellten Gegenständen. Der Postzusteller legte in der Folgezeit mehrfach Postgut, darunter auch Benachrichtigungen über Zustellungen durch Niederlegung, in der vereinbarten Weise in der Garage ab. Sämtliche Post des Klägers wurde diesem durch Frau S übermittelt.

Am 10. Juli 1981 erließ das Finanzamt zwei Haftungsbescheide gegen den Kläger wegen Steuerrückständen der GmbH und der KG. Die Bescheide wurden in zwei Briefumschlägen mit Postzustellungsurkunden unter der Anschrift des Klägers in X zur Post gegeben. Die Zustellung erfolgte nach der Postzustellungsurkunde vom 14. Juli 1981 durch Niederlegung bei der Postanstalt zu X. In beiden Urkunden wird ausgeführt: "Eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers ist in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden." Nach Aussage des Postzustellers K hat er die beiden Benachrichtigungsscheine auf dem Reifen in der Garage abgelegt.

Die Briefe sind beim Postamt nicht abgeholt und am 15. Oktober 1981 an das Finanzamt zurückgeschickt worden. Mit Schreiben vom 27. Oktober 1981 teilte das Finanzamt dem Kläger die erfolgte Zustellung der Haftungsbescheide mit. Mit Schreiben vom 6. November 1981 erhob der Kläger Einspruch gegen die Haftungsbescheide und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe die Bescheide nicht erhalten. Weder er noch Frau S hätten die Benachrichtigungen über die Niederlegung erhalten.

Das Finanzamt hat die Einsprüche als unzulässig verworfen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht abgewiesen. Die Einsprüche vom 6. November 1981 seien verspätet, da die Haftungsbescheide dem Kläger am 14. Juli 1981 durch Niederlegung bei der Postanstalt wirksam bekanntgegeben worden seien. Der Zusteller habe die Mitteilung über die Niederlegung in der bei - für den Kläger bestimmten - gewöhnlichen Briefen üblichen Weise auf dem Reifen in der Garage abgelegt. Das Finanzamt habe zu Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt. Der Kläger habe gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, weil er keinen Hausbriefkasten bereitgehalten habe. Er habe es weitgehend dem Zufall überlassen, wie er Kenntnis von der für ihn bestimmten Post erhielt. Ihm sei Fahrlässigkeit vorzuwerfen, wenn ihm unter diesen Umständen die an einem zur sicheren Verwahrung ungeeigneten Ort niedergelegte Benachrichtigung nicht zur Kenntnis gelangt sei.

Mit der Revision beantragt der Kläger, das Urteil des Finanzgerichts und die Einspruchsentscheidungen aufzuheben. Er bestreitet die Wirksamkeit der Zustellung. Er sei im Zeitpunkt der Zustellung noch davon ausgegangen, seine Post werde wegen der verhängten Postsperre vom Konkursverwalter in Empfang genommen und an Frau S weitergeleitet. Er habe nichts davon gewußt, daß seine Post unter seiner Anschrift ausgetragen und entweder Frau S ausgehändigt oder gemäß der Absprache zwischen Frau S und dem Zusteller in der Garage abgelegt worden sei. Diese ungewöhnliche und leichtfertige Art der Ablieferung der Post könne ihm gegenüber nicht als ordnungsgemäß angesehen werden.

Das Finanzamt beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Einspruchsentscheidungen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Außerdem war die Unwirksamkeit der Haftungsbescheide auszusprechen.

1. Die Ersatzzustellung von Steuerbescheiden gemäß § 182 der Zivilprozeßordnung (ZPO), § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), § 122 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO 1977) setzt u. a. voraus, daß eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben oder, falls dies nicht tunlich ist, an der Tür der Wohnung befestigt oder einer in der Nachbarschaft wohnenden Person zur Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt wird. Soll die Mitteilung "in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise" abgegeben werden, so bedeutet dies, daß die Mitteilung postalisch so zu behandeln ist wie ein gewöhnlicher Brief. Der Postzusteller muß sie also in derselben Weise ausliefern wie Briefsendungen, für die keine besondere Zustellungsform vorgeschrieben ist. Das Gesetz bezweckt eine möglichst sichere und zuverlässige Benachrichtigung des Empfängers. Dieser soll daher die in seiner Abwesenheit abgegebene Mitteilung der Post auf demselben Wege erhalten oder an demselben Ort vorfinden, wie bzw. wo er seine Post regelmäßig erhält oder vorfindet (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 1980 VI C 2/80, VerwRspr 32, 121).

Ob eine Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen "üblichen Weise" abgegeben worden ist, läßt sich nicht (allein) anhand der im amtlichen Muster der Postzustellungsurkunde (§ 39 Abs. 3 Nr. 2 der Postordnung vom 16. Mai 1963, BGBl I 1963, 341, Anlage 21 zur PostO) vorformulierten Erklärung beurteilen. Als öffentliche Urkunde im Sinne der §§ 415, 418 ZPO begründet die Postzustellungsurkunde zwar vollen Beweis der in ihr bezeugten Tatsachen. Die Worte "übliche Weise" in der vorformulierten Erklärung des Postzustellers geben jedoch keine Tatsache wieder - weil sie nicht beschreiben, was tatsächlich geschehen ist -, sondern enthalten eine Würdigung zugleich tatsächlicher und rechtlicher Art, auf die sich die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nicht erstreckt.

Entscheidend ist daher, ob im Einzelfall die schriftliche Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden ist. Dabei muß zwischen den Fällen der Zustellung an den Empfänger und der Zustellung an einen Ersatzempfänger unterschieden werden. Erhält ein Empfänger seine Post üblicherweise auf dem Wege der Zustellung an einen Ersatzempfänger (§ 51 Abs. 1 PostO), so ergibt sich folgendes: Als (nachrangige) Ersatzempfänger kommen sonstige Hausbewohner und Hausnachbarn in Betracht (§ 51 Abs. 2 Nr. 4 PostO). Zustellung im Sinne dieser Vorschriften bedeutet "Aushändigung", d. h. Übergabe von Hand zu Hand durch den Postzusteller (Florian/Weigert, Kommentar zur Postordnung, Stand 1984, § 50 Anm. 1a, Vor §§ 50, 51 Anm. 2a). Als zugestellt gelten gewöhnliche Briefsendungen auch, wenn sie in einen für den Ersatzempfänger bestimmten Hausbriefkasten eingelegt sind (§ 50 Abs. 4 Satz 1, § 51 PostO). Den Hausbriefkästen ist benutzungsrechtlich ein Wohnungsbriefkasten oder ein Einwurfschlitz in der Wohnungstür gleichgestellt. Ist keine dieser Vorrichtungen vorhanden, wird auch noch das Durchschieben durch einen Spalt der Wohnungstür als ordnungsgemäß angesehen, sofern die Sendung dabei nicht beschädigt wird und der Ersatzempfänger sich dies nicht ausdrücklich verbeten hat (vgl. Florian/Weigert, a. a. O., § 50 Anm. 4; vgl. auch Reichsgericht, Entscheidung vom 16. Juni 1938 IV 51/38, Höchstrichterliche Rechtsprechung 1938, 1361 = Deutsche Justiz 1938, 1425). Wird die Zustellung in anderer Weise bewirkt, kann dies nicht mehr als Zustellung an einen Ersatzempfänger beurteilt und gewürdigt werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß der Ersatzempfänger mit dem Postzusteller vereinbart, die Post des Empfängers an einem Ort außerhalb des Hauses abzulegen.

Im letztgenannten Fall handelt es sich vielmehr um eine Zustellung an den Empfänger. Ob eine solche Zustellung in der "üblichen Weise", in der gewöhnliche Briefe abgegeben werden (§ 182 ZPO), erfolgt ist, richtet sich nicht allein nach postalischen Dienstanweisungen oder dem in der Postordnung niedergelegten Postbenutzungsrecht, sondern ist nach den prozessualen Vorschriften zu beurteilen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juli 1970 5 AZR 166/70, Steuerrechtskartei, VwZG, § 3, R.16 (L) = Der Betrieb 1970, 1792). Demnach kann auch eine nach den Vorschriften der Postordnung nicht ordnungsgemäße Art und Weise der Zustellung zur "üblichen Weise" im Sinne des § 182 ZPO werden. Es mag dahinstehen, ob unter "übliche Weise" allein die konkrete Art und Weise der Zustellung zu verstehen ist, in der ein bestimmter Empfänger seine Post erhält (vgl. Oberlandesgericht Hamm, Beschluß vom 17. September 1980 2 Ss OWi 1920/80, Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen 1981, 68) oder ob eine "übliche Weise" dann nicht mehr gegeben sein kann, wenn es sich um eine im allgemeinen ungewöhnliche Art der Zustellung handelt (vgl. Oberlandesgericht Köln, Beschluß vom 2. Oktober 1978 13 W 17/78, Juristisches Büro 1979, 607). Selbst wenn der auf die konkrete und individuelle Art und Weise abstellenden Ansicht gefolgt wird, kann nach Sinn und Zweck des § 182 ZPO eine gegen die Postordnung verstoßende, im allgemeinen ungewöhnliche Art und Weise der Zustellung nur dann im Sinne des § 182 ZPO als wirksam angesehen werden, wenn der Empfänger die Zustellungsweise veranlaßt oder wenigstens geduldet hat; nur dann ist sie für ihn voraussehbar und berechenbar. Diese normative Einschränkung ergibt sich auch aus dem Tatbestandsmerkmal des § 182 ZPO, wonach die Abgabe der Mitteilung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise "tunlich", d. h. sachgemäß, sein muß. Eine ungewöhnliche, gegen die Postordnung verstoßende Art und Weise der Zustellung kann aber ohne Wissen und Duldung des Empfängers nicht sachgemäß sein.

Da das Urteil des Finanzgerichts mit vorstehenden Erwägungen nicht in Einklang steht, war es aufzuheben.

2. Die Sache ist entscheidungsreif.

Die Zustellung der Haftungsbescheide an den Kläger war fehlerhaft und mangels Heilung (§ 9 VwZG) auch unwirksam.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat der Kläger nichts davon gewußt, daß die für ihn bestimmte Post im Falle der Abwesenheit von Frau S unter Verstoß gegen die Postordnung auf einem Reifen in der Garage abgelegt wurde (sofern dieser Ausnahmefall überhaupt in der Zeit von Ende Juni bis zum 14. Juli 1981 vorgekommen ist). Das Wissen der Frau S kann dem Kläger nicht zugerechnet werden, da Frau S weder Vertreterin noch Postbevollmächtigte im Sinne des § 46 Abs. 1 PostO war und somit keine den Kläger bindende Willenserklärungen, die die Postzustellung betrafen, abgeben konnte. Die Vereinbarung, die Frau S in ihrer Eigenschaft als bloße Ersatzempfängerin im Sinne des § 51 PostO mit dem Postzusteller über die Zustellung der für den Kläger bestimmten Post getroffen hat, kann sich nicht zu Lasten des Klägers auswirken.

Die Einspruchsentscheidungen des Finanzamts vom 12. und 25. Mai 1982 waren demnach aufzuheben. Da die Haftungsbescheide vom 10. Juli 1981 mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden sind, war auch deren Unwirksamkeit zur Beseitigung eines etwa erzeugten Rechtsscheins auszusprechen.

 

Fundstellen

BStBl II 1985, 110

BFHE 1985, 102

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Finance Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge