Entscheidungsstichwort (Thema)

Wechselseitige Vermietung von Arztpraxen als Gestaltungsmißbrauch

 

Leitsatz (NV)

Eine welchselseitige Vermietung von Praxisräumen durch Ärzte kann Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. von § 42 AO sein.

 

Normenkette

AO 1977 § 42; UStG 1980 § 4 Nrn. 12, 14, §§ 9, 15 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute. Sie sind als frei praktizierende Ärzte tätig. Die Klägerin ist Internistin, der Kläger ist Gynäkologe. Im Jahre 1981 schlossen sie einen Vertrag über die Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Bauherrengemeinschaft A.

Die Bauherrengemeinschaft errichtete auf dem den Klägern je zur Hälfte gehörenden Grundstück ein Wohn- und Ärztehaus mit Räumlichkeiten für zwei Arztpraxen und ... Wohnungen. Mit notariellem Vertrag vom 2. November 1982 begründeten die Kläger an den Wohnungen und Arztpraxen sowie einer Garage Sondereigentum in der Weise, daß jeder der Kläger eine Wohnung und eine Arztpraxis zum alleinigen Sondereigentum erhielt und die ... Wohnung im gemeinsamen Wohnungseigentum der Eheleute verblieb; das Teileigentum an der Garage erhielt der Ehemann allein.

Nach der Sachverhaltsdarstellung des FG veräußerte die Bauherrengemeinschaft im Streitjahr (1983) das fertiggestellte Gebäude unter Verzicht auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) an die Anteilseigner. Die Kläger vermieteten sich daraufhin gegenseitig die in ihrem Teileigentum stehenen Arztpraxen unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 UStG 1980. Die Mieten wurden auf ein gemeinsames Konto der Eheleute überwiesen.

Die Klägerin erklärte für das Streitjahr (1983) steuerpflichtige Mietumsätze von ... DM zuzüglich ... DM Umsatzsteuer und ... DM Vorsteuer aus dem Erwerb der vermieteten Arztpraxis. Der Kläger erklärte steuerpflichtige Mietumsätze von ... DM zuzüglich ... DM Umsatzsteuer und ... DM Vorsteuer.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte nach einer Umsatzsteuersonderprüfung den begehrten Vorsteuerabzug wegen Gestaltungsmißbrauchs i.S. von § 42 der Abgabenordnung (AO 1977).

Die Klagen gegen die entsprechenden Umsatzsteuerbescheide hatten insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) zwar nicht die von der Bauherrengemeinschaft in Rechnung gestellte, dafür aber die von den Bauhandwerkern in Rechnung gestellte Steuer, soweit sie auf die vermieteten Arztpraxen entfiel, als Vorsteuer abzog. Einen Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten i.S. von § 42 AO 1977 verneinte das FG, da es jedem Ehegatten überlassen bleibe, sein Eigentum durch Fremdvermietung oder Eigennutzung zu verwerten. Der Wunsch der Eheleute, die Praxisräume nicht im Betriebsvermögen zu haben, sei ein beachtlicher außersteuerlicher Grund für die gewählte Gestaltung.

Gegen die Urteile des FG hatten ursprünglich sowohl die Kläger als auch das FA Revision eingelegt. Die Kläger haben ihre Revision mittlerweile zurückgenommen.

Mit seiner Revision macht das FA geltend, die Vermietung der Arztpraxen an den Ehepartner sei kein Umsatz i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980. Bei der Prüfung, ob bei Leistungen naher Angehöriger ein Leistungsaustausch im Sinne dieser Vorschrift vorliege, sei der Fremdvergleich nicht ausgeschlossen. Im Streitfall scheitere der Leistungsaustausch bereits an der kreuzweisen Vermietung der Praxisräume und der Überweisung der Miete auf das gemeinsame Konto; die Mietzahlungen hätten den Vermögensbereich des Mieters nicht verlassen.

Die kreuzweise Vermietung der Praxisräume sei auch rechtsmißbräuchlich. Ohne die Vermietung hätte den Klägern der begehrte Vorsteuerabzug nicht zugestanden; bei Eigennutzung der Arztpraxen wäre der Vorsteuerabzug nach § 4 Nr. 14, § 15 Abs. 2 UStG 1980 ausgeschlossen gewesen, da die Kläger als Ärzte ausschließlich steuerfreie, den Vorsteuerabzug ausschließende Umsätze tätigten. Daß nach dem Vortrag der Kläger bei Anerkennung der Mietverträge dem Vorteil des Vorsteuerabzugs auch eine Reihe von Nachteilen (z.B. Umsatzbesteuerung der Mietentgelte, Versagung der Investitionszulage, Minderung der Bemessungsgrundlage für die Abschreibung der Praxiseinrichtung, Nachversteuerung des nichtentnommenen Gewinns) gegenüberstehe, sei unerheblich.

Das FA beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klagen abzuweisen.

Die Kläger sind den Revisionen des FA entgegengetreten, die der Senat gemäß § 73 Abs. 1, § 121 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen des FA sind begründet. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO).

Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1980 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1980 ist der Vorsteuerabzug zwar grundsätzlich ausgeschlossen für Leistungen, die der Unternehmer zur steuerfreien Vermietung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1980) oder für steuerfreie Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt (§ 4 Nr. 14 UStG 1980) verwendet. Die Grundstücksvermietung ist jedoch dann nicht vorsteuerabzugsschädlich, wenn der Unternehmer auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 UStG 1980 verzichtet hat.

Die Kläger haben auf die Steuerfreiheit ihrer Vermietungsumsätze verzichtet. Der Senat kann auch im übrigen zugunsten der Kläger unterstellen, daß sie die Tatbestandsmerkmale der genannten Vorschriften für den vom FG gewährten Vorsteuerabzug erfüllt haben. Gleichwohl steht § 42 AO 1977 dem Vorsteuerabzug entgegen.

Nach dieser Vorschrift kann durch Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. Diese Vorschrift gilt auch dann, wenn eine unangemessene Gestaltung für die Verwirklichung des Tatbestands einer begünstigenden Gesetzesvorschrift gewählt wird (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Januar 1992 V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; vom 10. September 1992 V R 104/91, BFHE 169, 258, BStBl II 1993, 253, und vom 22. Oktober 1992 V R 33/90, BStBl II 1993, 210, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1993, 239).

Ein Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist. Das wirtschaftliche Verhalten der Beteiligten darf nicht auf seine Angemessenheit überprüft werden.

Bei der rechtlichen Gestaltung wirtschaftlicher Vorgänge ist der Steuerpflichtige im Rahmen der Gesetze frei. Auch aus steuerrechtlicher Sicht ist grundsätzlich von der gewählten (bürgerlich-)rechtlichen Gestaltung auszugehen. Das Motiv, Steuer zu sparen, macht eine rechtliche Gestaltung noch nicht unangemessen. Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander so zu gestalten, daß sie für sie steuerlich möglichst günstig sind.

Eine Rechtsgestaltung ist unangemessen, wenn verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären. Entscheidend ist, ob der Steuerpflichtige, dessen Steuerschuld zu beurteilen ist, die vom Gesetzgeber bei seiner Regelung vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele nicht gebraucht und hierfür keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe vorliegen, oder ob er vielmehr auf einem ungewöhnlichen Weg einen Erfolg zu erreichen versucht, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Weg nicht erreicht werden soll. Maßgebend sind die gesamten Umstände des Einzelfalls.

Umgangen wird nach § 42 Satz 1 AO 1977 das Steuergesetz. Darunter ist nicht die gesamte Steuerrechtsordnung zu verstehen. Vielmehr ist für jede Steuerart zu fragen, welche steuerlichen Vorteile durch die gewählte rechtliche Gestaltung des Sachverhalts erreicht werden sollen. Häufig wird eine bestimmte Gestaltung nur für eine Steuerart zu Vorteilen führen, während sie für andere Steuerrechtsgebiete zu Nachteilen führt oder ohne Auswirkungen bleibt (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 V R 90/92, BFHE 170, 299).

Nach diesen Grundsätzen kann die Vermietung von Praxisräumen an den Arztehegatten rechtsmißbräuchlich sein, wenn durch sie der Vorsteuerabzug erreicht werden soll, der bei angemessener Gestaltung infolge der steuerfreien Arztumsätze ausgeschlossen gewesen wäre (§ 4 Nr. 14, § 15 Abs. 2 UStG 1980; Senatsurteile in BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; BFHE 169, 259, BStBl II 1993, 253 und DStR 1993, 239).

Im Streitfall liegt die unangemessene Gestaltung darin, daß die Kläger ihr Miteigentum dergestalt beschränkt haben, daß jeder die Arztpraxis des anderen zu Teileigentum erhielt und diesem vermietete. Hierdurch sollte der Vorsteuerabzug erreicht werden, der ausgeschlossen gewesen wäre, wenn die Kläger entweder überhaupt kein Sondereigentum an den Wohnungen und Praxisräumen begründet hätten oder jeder von ihnen Teileigentümer der von ihm als Arzt genutzten Praxisräume geworden wäre. Derjenige, der einen Gebäudeteil für eigene Zwecke benötigt, räumt nicht einem anderen das Sondereigentum daran ein, um ihn anschließend entgeltlich zurückzumieten (ähnlich für Rückmietung nach Nießbrauchsbestellung BFH-Urteil vom 18. Oktober 1990 IV R 36/90, BFHE 162, 321, BStBl II 1991, 205, für Zwischenvermietung eines Hauses unter Rückvermietung der Familienwohnung an den Ehegatten BFH-Urteil vom 15. Dezember 1983 V R 112/76, BFHE 140, 375, BStBl II 1984, 398, für wechselseitige Vermietung von Eigentumswohnungen zur Umgehung der Nutzungswertbesteuerung nach § 21a des Einkommensteuergesetzes BFH-Urteil vom 19. Juni 1991 IX R 134/86, BFHE 164, 498, BStBl II 1991, 904).

Der angebliche Wunsch der Kläger, den eigenen Grundstücksteil aus der Zurechnung zum Betriebsvermögen herauszuhalten, rechtfertigt die gewählte Gestaltung aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht nicht. Auch wenn die Kläger Teileigentümer der von ihnen als Arzt genutzten Praxisräume geworden wären, könnten sie bei Überführung ihrer Einzelpraxen in Praxisgemeinschaften das Teileigentum an den Praxisräumen als Sonderbetriebsvermögen zurückhalten. Dafür, daß die Kläger aus ertragsteuerlichen Gründen die Praxisräume nicht im Betriebsvermögen haben wollten, ergeben sich aus dem Urteil des FG keine Anhaltspunkte. Im übrigen käme es hierauf auch nicht an. Wie dargelegt, ist ausschließlich entscheidend, daß die gewählte Gestaltung aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht unangemessen ist (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 V R 90/92).

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 64

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