Leitsatz (amtlich)

1. Ein finanzgerichtliches Urteil wird einem Beteiligten bei Urlaubsabwesenheit auch dann durch Niederlegung bei der Postanstalt wirksam zugestellt, wenn der Beteiligte zuvor das FG unter Hinweis auf den Reiseantritt um Zustellung an die Büroanschrift gebeten hatte.

2. Hat der Beteiligte in solchem Falle die Revisionsfrist versäumt, so kann ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden, falls er nach Erhalt des Urteils genügend Zeit zur rechtzeitigen Einlegung der Revision gehabt hätte.

 

Normenkette

FGO § 56; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO § 182; GG Art. 103

 

Tatbestand

Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage wurde vom FG abgewiesen. Dessen Urteil wurde dem Kläger durch Niederlegung beim Postamt N am 11. August 1973 zugestellt und nach einer amtlichen Auskunft des Postamts am 28. August 1973 ausgehändigt. Die Revision des Klägers gegen diese Entscheidung ging am 21. September 1973 beim FG ein. Auf den Hinweis des Vorsitzenden des erkennenden Senats, daß die Revision verspätet eingelegt worden sei und die Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand anheimgegeben werde, beantragte der Kläger Wiedereinsetzung mit der Begründung, er habe das FG mit Schreiben vom 31. Juli 1973 wegen seines bevorstehenden Jahresurlaubs gebeten, das Urteil an seine Büroadresse zu senden. Da dem nicht entsprochen worden sei, treffe ihn, den Kläger, kein Verschulden am verspäteten Eingang der Revision. Es sei alles vorbereitet gewesen, die dem FG mit dem Schreiben vom 31. Juli 1973 bereits angekündigte Revision rechtzeitig in die Wege zu leiten. Da sein Steuerberater im September 1973 verreist gewesen sei, habe er, der Kläger, in Bonn und Frankfurt Sachverständige zu Rate ziehen und Bibliotheken aufsuchen müssen. Dies sei wegen der erstmaligen Abweichung der Vorentscheidung von der üblichen Rechtsauffassung dringend erforderlich gewesen. Aufgrund seiner starken beruflichen Beanspruchung habe er die Revision nicht in kürzerer Zeit als drei Wochen fertigen können.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Nach § 124 FGO hat der BFH zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Im vorliegenden Fall ist die Revision am 21. September 1973 verspätet eingegangen. Die Zustellung des Urteils der Vorinstanz durch Niederlegung beim Postamt am 11. August 1974 war wirksam, da der Kläger in seiner Wohnung nicht angetroffen worden war (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 21. Dezember 1967 VI R 210/67, BFHE 91, 218, BStBl II 1968, 295, und das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juli 1973 VIII R 104/72, BFHE 110, 174, BStBl II 1973, 877). Daß die Bitte des Klägers um Zustellung an seine Büroanschrift vom FG unbeachtet blieb, ändert an der Wirksamkeit der Zustellung nichts.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) kann dem Kläger nicht gewährt werden. Denn er war nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten. Verschuldet ist die Säumnis, wenn die gebotene und nach den gesamten Umständen zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen wurde (v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO, Anm. 4).

Zwar muß nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl. Beschluß vom 20. Juni 1973 2 BvR 675/72, StRK, Grundgesetz, Art. 103 Abs. 1, Rechtsspruch 130, mit weiteren Nachweisen) jeder Staatsbürger mit Wiedereinsetzung rechnen können, falls ihm während seiner Urlaubsabwesenheit durch Niederlegung bei der Post zugestellt wird und er deshalb, z. B. aus Unkenntnis dieser Ersatzustellung, die Rechtsmittelfrist versäumt. Doch darf den Betroffenen, wie auch das BVerfG hervorhebt, kein anderweitiges Verschulden an dem Fristversäumnis, z. B. wegen Vernachlässigung der Pflicht zur Abholung des Urteils, zur Last fallen (ebenso der BFH-Beschluß vom 21. August 1974 I R 78/74, BFHE 113, 270, BStBl II 1975, 18). Im vorliegenden Fall reicht die Tatsache, daß der Kläger das FG erfolglos um Zustellung des Urteils an eine von der Wohnungsanschrift abweichende Adresse gebeten hat, allein nicht aus, um die verspätete Abgabe der Revision hinreichend zu entschuldigen. Nach Auffassung des Senats wäre dem Kläger die rechtzeitige Revisionseinlegung nach Abholung des Urteils am 28. August 1973 zuzumuten gewesen. Denn innerhalb des ihm verbleibenden Zeitraums von zwei Wochen hätte die Revision gemäß § 120 Abs. 1 und 2 FGO in Form eines knappen Schreibens oder Telegramms eingelegt und die Revisionsbegründung - auf Antrag mit Fristverlängerung - nachgereicht werden können (vgl. hierzu auch BFH-Entscheidung vom 6. Dezember 1960 I 257/60, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 92), zumal der Kläger die Einlegung des Rechtsmittels, wie er selbst angibt, mit dem Schreiben vom 31. Juli 1974 bereits vor Kenntnisnahme der Vorentscheidung dem FG angekündigt hatte.

Ob der Steuerberater des Klägers verreist war, ist unerheblich (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 6. Aufl., § 86 AO, Rdnr. 9, unter Hinweis auf Urteil des RFH vom 10. Januar 1923 VI A 228/22, Steuer und Wirtschaft 1923 Nr. 259 [2.]). Auch die vom Kläger geltend gemachte Arbeitsüberlastung rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung die Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht (vgl. BFH-Urteile vom 22. Februar 1968 V R 130/67, BFHE 91, 303, BStBl II 1968, 312, und vom 20. Juni 1968 II R 8/68, BFHE 93, 30, BStBl II 1968, 659).

Im übrigen hat der Kläger nicht dargetan, daß und ggf. auf welche Weise bei Zustellung des Urteils an seine Büroanschrift die Revisionsfrist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gewahrt worden wäre.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71082

BStBl II 1975, 213

BFHE 1975, 423

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