Entscheidungsstichwort (Thema)

Kinderlastenausgleich für ein Kind im Jahre 1986

 

Leitsatz (NV)

Gerichtliche Verfahren, in denen es um die Verfassungsmäßigkeit des Kinderlastenausgleichs für Eltern mit einem Kind im Jahre 1986 geht, sind auszusetzen, bis das BVerfG über den Vorlagebeschluß des BFH vom 16. Juli 1993 III R 206/90 (BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755) entschieden hat.

 

Normenkette

FGO § 74; EStG i.d.F. des StSenkG 1986/1988 § 32 Abs. 6

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhoben nach erfolglosem Vorverfahren Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 1986 (Streitjahr). Sie machten geltend, daß der Grundfreibetrag und der für ihr Kind gewährte Kinderfreibetrag sowie der Ausbildungsfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig seien. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der vom FG zugelassenen Revision begehren die Kläger in erster Linie die Berücksichtigung eines höheren Kinderfreibetrages und eines höheren Ausbildungsfreibetrages.

Während des Revisionsverfahrens änderte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) den angefochtenen Bescheid. Der Änderungsbescheid vom 31. März 1993 erging hinsichtlich verschiedener Besteuerungsmerkmale nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig.

Die Kläger erhoben gegen den Änderungsbescheid Einspruch. Der erkennende Senat hat daraufhin das Revisionsverfahren bis zum bestandskräftigen Abschluß des Verfahrens betreffend den Änderungsbescheid vom 31. März 1993 ausgesetzt.

Das FA hob mit Bescheid vom 17. Januar 1995 den Änderungsbescheid ersatzlos auf.

Es beantragt, das Verfahren aufzunehmen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag des FA auf Aufnahme des Verfahrens hat keinen Erfolg.

1. Allerdings ist der Grund entfallen, der zu der Aussetzung des Revisionsverfahrens durch den Senatsbeschluß vom 7. Oktober 1994 geführt hat. Durch die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 31. März 1993 ist der ursprüngliche Bescheid, der Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist, wieder wirksam geworden. Die Fortführung des Revisionsverfahrens wird daher durch den Änderungsbescheid und den dagegen eingelegten Einspruch nicht mehr gehindert.

2. Nunmehr ist jedoch eine Aussetzung des Revisionsverfahrens aus anderen Gründen geboten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann eine Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend der Vorschrift des § 74 der Finanzgerichtsordnung geboten sein, wenn vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, dem FG und dem BFH zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) vorliegen und keiner der Beteiligten des Klageverfahrens ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (s. u. a. die Beschlüsse des BFH vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408; vom 18. September 1992 III B 43/92, BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123, und vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Dem BVerfG liegt unter dem Aktenzeichen 2 BvL 42/93 ein Normenkontrollverfahren vor, dem der Anrufungsbeschluß des erkennenden Senats vom 16. Juli 1993 III R 206/90 (BFHE 171, 534, BStBl II 1993, 755) zugrunde liegt. In diesem Beschluß hält der Senat § 32 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1986 insoweit für verfassungswidrig, als danach Eltern mit einem Kind nur einen Kinderfreibetrag von 2 484 DM beanspruchen können.

Der Beschluß betrifft zwar formell nur den Veranlagungszeitraum 1987. Doch geht es im Streitfall um dieselben Normen und die gleichen Rechtsfragen. Auch im Jahre 1986 betrug der Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 EStG 1986 2 484 DM und belief sich das Kindergeld für das erste oder einzige Kind nur auf 50 DM monatlich (§ 10 Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986). Wie der Senat in seinem Beschluß vom 10. Februar 1995 III B 73/94 (BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415) näher dargelegt hat, wird eine Entscheidung des BVerfG im Verfahren 2 BvL 42/93 über den Kinderlastenausgleich des Jahres 1987 demgemäß zwangsläufig auch Auswirkungen für das Streitjahr 1986 haben.

Der Senat hält dieses Normenkontrollverfahren auch nicht für offensichtlich aussichtslos. Dem FG und dem BFH liegen zahlreiche Parallelverfahren (Massenverfahren) zum Kinderlastenausgleich für Eltern mit einem Kind im Jahre 1986 vor. Es sind ferner keine Gesichtspunkte erkennbar, die ein berechtigtes Interesse der Beteiligten an einer Entscheidung des FG zur Sache begründen könnten, bevor das BVerfG im Verfahren 2 BvL 42/93 entschieden hat.

Der Senat hat daher bereits in seiner Entscheidung in BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415 eine Aussetzung von Verfahren für geboten gehalten, in denen es um die Verfassungsmäßigkeit des Kinderlastenausgleichs für Eltern mit einem Kind im Jahre 1986 geht. Wegen der näheren Begründung wird auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421476

BFH/NV 1997, 23

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