Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Anforderungen an die Darlegung von Verfahrensfehlern und einer Divergenzrüge in einer Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (NV)

1. Der Prüfung eines Verfahrensfehlers i.S. des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die materielle Rechtsauffassung des FG im übrigen zugrunde zu legen.

2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß das FG dem Beschwerdeführer einen Hinweis gemäß § 155 FGO i.V. mit § 139 ZPO hätte erteilen müssen, dann muß der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darlegen, was er vorgetragen hätte, wenn der Hinweis erteilt worden wäre.

3. Die Verpflichtung des Finanzgerichts zur Sachverhaltsaufklärung erweitert sich nicht schon deshalb, weil die Beteiligten es ihrerseits unterlassen, Akteneinsicht zu nehmen.

4. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 EStG setzt keinen Gewinn voraus, den die ausschüttende Kapitalgesellschaft erzielt.

 

Normenkette

FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 1 S. 1, § 118 Abs. 2; AO 1977 § 90 Abs. 2; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; ZPO § 139; GG Art. 3, 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG Berlin

 

Tatbestand

Das FG Berlin (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen ESt 1983 und 1984 als unbegründet abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen. Gegen das Urteil legte der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde ein, die auf Verfahrensfehler und Divergenz gestützt ist. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist teils unzureichend begründet und insoweit unzulässig. Im übrigen ist sie unbegründet. Sie war deshalb insgesamt als unbegründet zurückzuweisen (§ 115 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung- FGO -).

1. Verletzung von § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO

Die Rüge greift nicht durch. Dem Finanzgericht (FG) mußte sich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme nicht aufdrängen. Es hat zugunsten des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) unterstellt, daß die notwendige Entwicklungstechnologie nur in den USA vorhanden war und daß der Kläger an den Entwicklungsarbeiten wesentlich mitwirkte. Die X-Deutschland hatte jedoch in den USA keine Betriebsstätte. Schon deshalb konnte die dort vorhandene Entwicklungstechnologie nur der X-USA zugerechnet werden. Dem entspricht es, daß der Kläger selbst vortrug, die X-Deutschland habe sich auf den Vertrieb von Produkten in Deutschland beschränkt, die von der X-USA hergestellt wurden. Folglich spricht der äußere Geschehensablauf dafür, daß der Kläger für die X-USA tätig war und sich für diese Tätigkeit von der X-Deutschland bezahlen ließ. Das FG durfte den äußeren Geschehensablauf nicht zuletzt mit Rücksicht auf § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977), der gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO auch im finanzgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, seiner Tatsachenwürdigung zugrunde legen.

2. Verletzung von § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO

Die Rüge ist unzureichend begründet und deshalb unzulässig. Der Prüfung eines Verfahrensfehlers i.S. des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die materielle Rechtsauffassung des FG im übrigen zugrunde zu legen. Das FG ist in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, daß die vom Kläger in den USA ausgeübte Entwicklungstätigkeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit der X-Deutschland zugerechnet werden könne. An dieser Würdigung konnte sich durch die Vorlage der Flugkarten und der Reisekostenabrechnungen für September 1983 nichts ändern, zumal das FG die Anwesenheit des Klägers in Deutschland am 15. September 1983 nicht in Zweifel gezogen hat. Es ist auch nicht zu erkennen, weshalb die Annahme, der Kläger habe sich selbst damals wieder in das Ausland geschickt, um Entwicklungsarbeiten in den USA auszuüben, zu einer anderen tatsächlichen Würdigung gezwungen hätte. Aus dem Vortrag ergibt sich insbesondere nicht, daß die Entwicklungsarbeiten der X-Deutschland hätten zugerechnet werden müssen.

3. Verletzung von § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und Divergenz zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.Juni 1983 I R 67/83 (BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625) Die Divergenzrüge ist nicht ausreichend begründet und deshalb unzulässig. Die Verfahrensrüge greift nicht durch.

a) In BFHE 138, 464, BStBl II 1983, 625 findet sich der Satz:

,,Eine Ausnahme hat die Rechtsprechung nur zugelassen, wenn die Auslandstätigkeit eines im Ausland wohnenden Geschäftsführers so abgegrenzt ist, daß sie lediglich die im Ausland sich auswirkenden Tätigkeiten umfaßt."

Die Beschwerdebegründung nennt keinen Satz aus der Vorentscheidung, der von dem o.g. Rechtssatz abweichen würde. Dann aber ist eine Divergenz nicht schlüssig dargelegt.

b) Die vom Kläger beanstandete Nichtdurchführung einer Beweisaufnahme war für die vom FG zu treffende Entscheidung unerheblich. Die X-Deutschland hatte dem Kläger ein Gehalt versprochen, weil er die Aufgabe übernommen hatte, die Geschäfte der X-Deutschland allumfassend zu führen und die Gesellschaft zu vertreten. Er trägt jedoch selbst vor, diese Aufgabe nicht wahrgenommen zu haben. Faktisch wurden die Geschäfte der X-Deutschland von den Herren Y und Z geführt. Das FG hat keinen Anhaltspunkt für die Annahme gesehen, daß der Kläger mit der X-Deutschland einen Vertrag hatte, der es ihm erlaubt hätte, statt der Geschäftsführungstätigkeit Entwicklungstechnologie in den USA zu betreiben. Dies war die Sache der X-USA. Da die X-Deutschland sich auf den Vertrieb der Produkte der X-USA beschränkt hatte, erschöpften sich ihre Aufgaben in dem Einkauf der Produkte bei der X-USA und in deren Verkauf an die inländischen Interessenten. Bei dieser Sachlage bestand für das FG kein Grund, die Frage in tatsächlicher Hinsicht weiter aufzuklären, ob die Anwesenheit des Klägers in den USA auch im mittelbaren Interesse der X-Deutschland lag.

4. Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGODer Verstoß gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nicht ausreichend begründet und deshalb unzulässig. Die Rüge eines Verstoßes gegen den Inhalt der Akten greift nicht durch.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß das FG dem Beschwerdeführer einen Hinweis gemäß § 155 FGO i.V.m. § 139 der Zivilprozeßordnung (ZPO) hätte erteilen müssen, dann muß der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darlegen, was er vorgetragen hätte, wenn der Hinweis erteilt worden wäre. Die entsprechende Forderung rechtfertigt sich aus der Überlegung, daß der behauptete Verfahrensfehler nur dann für die angefochtene Entscheidung kausal sein kann, wenn der Beschwerdeführer etwas Entscheidungserhebliches hätte vortragen können. Der Kläger hat jedoch in seiner Beschwerdebegründung nicht dargelegt, zu welchen inländischen Vertriebskunden er von den USA aus Kontakte knüpfte.

Die Rüge, das FG habe den Inhalt der Akten nicht vollständig zur Kenntnis genommen, ist nur eine durch nichts belegte Behauptung des Klägers. Die Tatsache, daß auch die Entwicklung und Herstellung von X-Produkten zum satzungsmäßigen Geschäftsgegenstand der X-Deutschland gehörten, schließt es nicht aus, daß die X-Deutschland ihre tatsächliche Geschäftstätigkeit auf den Vertrieb von X-Produkten beschränkt hatte. Dies ergab sich für das FG aus der Klagebegründung des Klägers vom 13. Dezember 1989, aus dem Schreiben des verstorbenen Rechtsanwalts Z vom 16. März 1989, aus dem Schriftsatz des Klägers vom 17. Januar 1990 und aus dessen Schriftsatz vom 1. August 1991. Damit bestand keine Notwendigkeit für eine weitere Sachaufklärung.

5. Verletzung der §§ 76 Abs. 1 Satz 1 und 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und Divergenz zur BFH-Entscheidung vom 21. Mai 1986 I R 37/83 (BFHE 147, 52, BStBl II 1986, 739)

Die Rügen sind unzureichend begründet und deshalb unzulässig.

Das FG hat es als entscheidend angesehen, daß die Herstellung und die Entwicklung von X-Produkten Aufgabe der X-USA waren und in den USA durchgeführt wurden. Aufgabe der X-Deutschland war danach nur der Vertrieb der X-Produkte in Deutschland. Diese Annahme des FG war schon deshalb möglich, weil sie den unter Nr.4 genannten Unterlagen entsprach. Sie verstieß weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Dann aber enthält die Beschwerdebegründung keine Darlegung eines Anhaltspunktes, weshalb sich dem FG auf der Grundlage seiner Auffassung im übrigen eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Sie enthält ebensowenig die schlüssige Darlegung einer Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO bzw. einer Divergenz gegenüber BFHE 147, 52, BStBl II 1986, 739.

6. Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO

Die Rüge greift nicht durch.

Grundsätzlich erweitert sich die Verpflichtung des FG zur Sachverhaltsaufklärung nicht schon deshalb, weil die Beteiligten es ihrerseits unterlassen, Akteneinsicht zu nehmen. Im Gegenteil bewirkt die Verletzung der Mitwirkungspflichten der Beteiligten eine Begrenzung der Sachaufklärungspflicht des FG und eine Minderung des Beweismaßes (BFH-Urteil vom 15. Februar 1989 X R 16/86, BFHE 156, 38, BStBl II 1989, 462).

Im übrigen stützt der Kläger seine Rüge nur auf Vermutungen. Tatsächlich befindet sich in den Einkommensteuerakten nur der Geschäftsführervertrag vom 15. September 1984. In den Akten ist weder das Schreiben der Y-GmbH vom 30. Januar 1987 noch die weitere Vereinbarung zwischen der X-Deutschland und dem Kläger vom 15. September 1983 abgeheftet. Bei dieser Sachlage konnte das FG die Vereinbarung seiner Entscheidung gar nicht zugrunde legen.

7. Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO

Die Rüge ist nicht schlüssig begründet und deshalb unzulässig.

Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH als Revisionsgericht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Als Revisionsgrund zitiert der Kläger nur § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO. Er legt jedoch nicht dar, welchen Teil der Akten das FG nicht zur Kenntnis genommen haben soll. Dies gilt auch für das Vorbringen im Schriftsatz vom 16. September 1991. Mit diesem Vorbringen werden einerseits Fragen aufgeworfen. Andererseits besteht es aus rechtlichen Überlegungen. Das FG ist jedenfalls in der Vorentscheidung davon ausgegangen, daß die X-Deutschland evtl. Entwicklungsaufträge an die X-USA als Subunternehmer weitergab. Hätte die X-Deutschland die Aufträge in den USA selbst erledigen wollen, dann hätte sie dort eine Betriebsstätte begründen müssen. Dies hat sie jedoch nicht behauptet. Damit war die auf tatsächlichem Gebiet liegende Annahme des FG möglich. Sie verstieß weder gegen die Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Ein Verfahrensfehler in bezug auf die tatsächlichen Feststellungen des FG ist nicht dargelegt.

8. Verletzung des rechtlichen Gehörs, des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und der Art.3 und 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -Die Rügen sind teilweise ungenügend begründet und insoweit unzulässig; teilweise greifen sie nicht durch.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf die Verletzung rechtlichen Gehörs wegen eines unterlassenen richterlichen Hinweises gestützt, dann muß der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung darlegen, was er vorgetragen hätte, wenn der richterliche Hinweis erteilt worden wäre. Daran fehlt es im Streitfall.

Das FG hat seine Entscheidung nicht hilfsweise, sondern alternativ auf § 20 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) gestützt. Es ist auch insoweit von der Möglichkeit ausgegangen, daß die X-Deutschland an den Kläger ein Gehalt für eine Tätigkeit ausbezahlte, die der Kläger für die X-USA ausübte. Insoweit bestand kein Anlaß für einen besonderen rechtlichen Hinweis. Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung war nur die auf der Hand liegende rechtliche Konsequenz des zwischen den Beteiligten streitigen und sich deshalb auch nicht verändernden Sachverhalts. Sie hätte sich für den Kläger sowohl aus der Einspruchsentscheidung vom 7. November 1989 als auch aus dem Schriftsatz des Finanzamts vom 29. August 1991 geradezu aufdrängen müssen.

Die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr.1 Satz 2 EStG setzt keinen Gewinn voraus, den die X-Deutschland erzielte.

Der Vorwurf, das FG habe eine Sachaufklärung pflichtwidrig unterlassen und die Vorentscheidung verstoße gegen Art.3 GG (Willkürverbot) und gegen Art.20 Abs. 3 GG, ist nicht einmal im Ansatz schlüssig begründet. Das FG durfte sich auch insoweit schon wegen § 90 Abs. 2 AO 1977 an dem äußeren Geschehensablauf orientieren. Es konnte davon ausgehen, daß auf der Grundlage aller erkennbaren Umstände der Kläger in den USA eine Tätigkeit ausübte, die der X-USA zuzurechnen war und für die er sich von der X-Deutschland bezahlen ließ.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418700

BFH/NV 1993, 239

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