Leitsatz (amtlich)

Wird nach erhobenem Einspruch mit Zustimmung der Behörde rechtzeitig Anfechtungsklage nach § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO erhoben, so liegt darin die Umwandlung des Einspruchs in eine Klage mit der Rechtsfolge, daß nicht im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ein Vorverfahren geschwebt hat.

 

Normenkette

FGO § 45 Abs. 1 Sätze 1-2, § 139 Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Das FG lehnte den Antrag der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, ab, weil die Klägerin zwar gegen den Steueränderungsbescheid des ZA Einspruch, aber bereits 10 Tage danach Sprungklage erhoben habe, ohne eine Einspruchsentscheidung abzuwarten. Es könne dahingestellt bleiben, ob in der Erhebung der Sprungklage die schlüssige Rücknahme des Einspruchs gesehen werden könne. Entscheidend sei lediglich, daß die mit Zustimmung des Beklagten und Beschwerdegegners (HZA) erhobene Sprungklage nicht die Weiterführung des Einspruchsverfahrens darstelle, sondern gerade auf das Erfordernis des Einspruchsverfahrens verzichte, wie § 45 Abs. 1 FGO zeige.

Mit der Beschwerde macht die Klägerin geltend, daß sie das Vorverfahren durch den Einspruch eingeleitet habe. Sie habe diese Klage nicht einfach erhoben, ohne eine Einspruchsentscheidung abzuwarten, sondern mit ausdrücklicher Zustimmung des HZA. Bei dem vom HZA vertretenen Standpunkt hätte die Einspruchsentscheidung nur auf Zurückweisung des Einspruchs lauten können, weshalb sich das HZA ausdrücklich mit der vorzeitigen Beendigung des Vorverfahrens einverstanden erklärt habe. Ausschlaggebend sei nicht die fehlende Einspruchsentscheidung, sondern die Tatsache, daß ein Vorverfahren geschwebt und dieses durch Vereinbarung mit dem HZA beendet worden sei. Diese Tatsache werde nicht durch die vorzeitige Erhebung der Sprungklage ausgeräumt. Im Streitfall sei auch ein Rechtsbehelf nicht nachträglich in eine Sprungklage umgewandelt worden. Neben dem Vorverfahren sei ein Klageverfahren anhängig gemacht worden. Einspruch und Klage seien ordnungsgemäß erhoben und abgeschlossen worden: das Einspruchsverfahren durch die Erklärung des HZA, das Vorverfahren müsse nicht fortgesetzt werden, da es keine Aussicht auf Erfolg habe; das Klageverfahren durch die Erteilung des Steuerberichtigungsbescheids vom 2. Dezember 1971, wonach der frühere Steueränderungsbescheid in vollem Umfang ersatzlos aufgehoben worden sei. In der FGO sei ein Übergang vom Einspruch zur Sprungklage überhaupt nicht vorgesehen. Vor Geltung der FGO sei in all den Fällen der Umwandlung des Einspruchsverfahrens in ein Berufungsverfahren jeweils nur ein Rechtsbehelf anhängig gewesen. Im Streitfall seien aber ausdrücklich zwei Rechtsbehelfe erhoben worden. Im Streitfall habe weder ein Übergang vom Einspruch zur Sprungklage stattgefunden noch sei der Einspruch zurückgenommen worden. Vielmehr habe die Klägerin mit ihrem Schreiben vom 16. Januar 1969 an das HZA ausdrücklich erklärt, daß im Falle der Zustimmung zur Sprungklage der bereits eingelegte Einspruch als erledigt erklärt werde, das anhängige Einspruchsverfahren durch die Erklärung des HZA, der Sprungklage zuzustimmen, erledigt und abgeschlossen sei. Diesen Ausführungen habe das HZA in vollem Umfang zugestimmt, in dem es mitgeteilt habe, daß es einer Sprungklage zustimmen würde. Die Klägerin habe auch nicht gegenüber dem HZA erklärt, es würde vom Einspruch zur Sprungklage übergegangen, so daß ggf. das HZA diese Mitteilung mit der Einspruchsschrift unverzüglich dem FG hätte zuleiten müssen. Vielmehr sei neben dem bereits beim HZA eingelegten Einspruch unmittelbare Klage beim FG erhoben worden. Beide Rechtsmittel seien also voll parallel gelaufen. Im Streitfall sei nicht wie im Fall des Beschlusses des BFH vom 8. Oktober 1971 II B 32/69 (BFHE 103, 399, BStBl II 1972, 92) der zunächst eingelegte Einspruch mit Einwilligung des HZA als Sprungklage behandelt worden. Vielmehr habe die Klägerin neben dem bereits eingelegten Einspruch zu einem späteren Zeitpunkt, nachdem die Erklärungen der Parteien aufgrund der Schriftsätze vom 16. Januar 1969 und 21. Januar 1969 vorlagen, Sprungklage erhoben, ohne daß irgendwann der "Übergang" vom Einspruchsverfahren zum Sprungklageverfahren erklärt oder der Einspruch zurückgenommen worden sei.

Nach Ansicht des HZA bedeutet die nachträgliche Umwandlung eines Rechtsbehelfs in eine Sprungklage nicht die Überführung eines Vorverfahrens in ein gerichtliches Verfahren, sondern lediglich die Änderung des Charakters des zunächst eingelegten Rechtsbehelfs (siehe BFH-Entscheidung vom 16. August 1961 I 267/60 U, BFHE 73, 709, BStBl III 1961, 524). Der ursprüngliche Rechtsbehelf begründe hierbei ebensowenig ein Vorverfahren wie die Zustimmungserklärung des HZA zur Sprungklage. Auch nach der FGO sei ein Übergang vom Einspruch zur Sprungklage möglich, obwohl dies in der FGO nicht vorgesehen sei (siehe FG Nürnberg, EFG 1967, 356, und FG München, EFG 1969, 96). Eine solche Möglichkeit sei auch nicht nach § 261 AO a. F. vorgesehen gewesen, da danach Berufung nur statt des Einspruchs eingelegt habe werden können. Gleichwohl habe der BFH in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß ein Übergang vom außergerichtlichen zum gerichtlichen Verfahren innerhalb der Rechtsbehelfsfrist möglich sei (siehe BFH-Entscheidung vom 22. Mai 1958 V z 92/57 U, BFHE 67, 131, BStBl III 1958, 321). Der Schriftsatz der Klägerin vom 16. Januar 1969 begründe keine Besonderheit, die es rechtfertigen würde, von einem abgeschlossenen Vorverfahren zu sprechen. Für jede Zustimmung des HZA zur Sprungklage sei es selbstverständliche Voraussetzung, daß das HZA keine Möglichkeit sehe, im Einspruchsverfahren die bisher vertretene Rechtsauffassung zu ändern.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Die Gebühren und Auslagen eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sind nur erstattungsfähig, soweit ein solches geschwebt hat und das Gericht die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO). Im Streitfall ist zwar durch den Einspruch der Klägerin gegen den Steueränderungsbescheid des HZA ein Rechtsbehelf anhängig geworden. Ein Übergang vom Einspruch zur Sprungklage ist in der FGO nicht vorgesehen. Zu der Zeit, als Einspruchs- und Berufungsverfahren in der AO geregelt waren, ist nach dem Urteil des BFH V z 92/57 U ein solcher Übergang zulässig gewesen, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt ist. Damit war nicht die Rücknahme des Einspruchs verbunden mit der Einlegung der Berufung, sondern eine Änderung in der Charakterisierung des nur einmal eingelegten Rechtsbehelfs zu sehen (siehe BFH-Entscheidung I 267/60 U). Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, diese Auslegung auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten der FGO zu übernehmen. Denn Zweck des § 45 FGO ist, das Vorverfahren entbehrlich zu machen, wenn von diesem eine Förderung des Verfahrens nicht mehr zu erwarten ist (siehe Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. 1 zu § 45 FGO). Zwar hat sich die Rechtslage gegenüber dem § 261 AO a. F. insofern geändert, als die Zustimmung der Behörde innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber erklärt sein muß. Dies berührt aber nicht die hier streitige Frage, ob der eingelegte Einspruch durch die mit Zustimmung der Behörde eingelegte Sprungklage seinen Charakter geändert hat. Dafür, daß dies der Fall ist, spricht vor allem der Umstand, daß die erhobene Klage bei fehlender oder zu spät erteilter Zustimmung nach § 45 Abs. 1 Satz 2 FGO als Einspruch zu behandeln ist, d. h. die Klage zwar ein anderer Rechtsbehelf als der Einspruch ist, unter der genannten Voraussetzung aber nicht entfällt, sondern das Wesen eines Einspruchs annimmt. Wenn aber eine Klage sich auf diese Weise in einen Einspruch verwandelt, rechtfertigt das die Auslegung, daß auch bei rechtzeitiger Erhebung einer Sprungklage, der die Behörde zustimmt, der zuvor eingelegte Einspruch seine Umwandlung in eine Klage erfährt (vgl. auch BFH-Entscheidung vom 10. Juli 1970 VI B 2/69, BFHE 99, 350, BStBl II 1970, 686; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Anm. 4 und 11 zu § 45 FGO; Mäder-Mittelsteiner, Finanzgerichtsordnung, Anm. I.2 zu § 45). Wird in einem solchen Falle anstatt eines Einspruchsverfahrens das Klageverfahren durchgeführt, hat nicht im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO ein Vorverfahren geschwebt.

Im Streitfall hat die Klägerin durch ihr Schreiben vom 16. Januar 1969 dem HZA gegenüber erklärt, daß sie im Falle der Zustimmung den Einspruch für erledigt erklären und die Anfechtung des Steuerbescheids nur im Klageverfahren betreiben werde. In dem Schriftsatz vom 22. Januar 1969, mit dem die Sprungklage erhoben worden ist, hat sie dem Gericht gegenüber erklärt, daß das HZA ihr gegenüber der Erhebung der Sprungklage zugestimmt habe und daß im Rahmen des Einspruchsverfahrens durch eine evtl. weitere Erörterung des Problems nicht damit zu rechnen sei, daß eine Annäherung der Standpunkte erfolgen werde. Damit hat sie selbst zum Ausdruck gebracht, daß sie den Einspruch in eine Klage umgewandelt haben wolle. Auch aus der kurzen Erklärung des HZA vom 21. Januar 1969 zu dem Schreiben der Klägerin vom 16. Januar 1969, daß es einer Sprungklage zustimmen würde, kann lediglich entnommen werden, daß auch das HZA das Einspruchsverfahren als Klageverfahren behandelt haben wollte. Die Klägerin hat ihren Einspruch auch nicht zurückgenommen. Andererseits sind Einspruch und Klage nicht, wie die Klägerin meint, parallel nebeneinander gelaufen. Vielmehr ist der zunächst eingelegte Einspruch, wie es dem Willen der Beteiligten auch entsprach, zu einer Klage geworden (vgl. auch BFH-Entscheidung vom 8. Oktober 1971 II B 32/69, BFHE 103, 399, BStBl II 1972, 92), über die das FG entschieden hat. Unter diesen Umständen hat im Streitfall nicht im Sinne des § 139 Abs. 3 Satz 2 FGO ein Vorverfahren geschwebt, für das die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt werden könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70210

BStBl II 1973, 852

BFHE 1974, 179

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