Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde; Verfahrensfehler

 

Leitsatz (NV)

1. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO besagt, dass das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung erheben muss und verbietet dem Gericht lediglich, anstelle des erreichbaren unmittelbaren Beweismittels ein bloß mittelbares heranzuziehen.

2. Der Umstand, dass nicht alle erkennenden Richter an einer Zeugenvernehmung teilgenommen haben, führt lediglich dazu, dass bei der Beweiswürdigung der persönliche Eindruck des Zeugen nur berücksichtigt werden darf, wenn er in den Akten festgehalten worden ist und die Beteiligten Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen.

 

Normenkette

FGO § 81 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 1, § 103

 

Verfahrensgang

FG Köln (Urteil vom 12.12.2007; Aktenzeichen 7 K 4305/06)

 

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Rechtssache ist nicht grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

a) Soweit der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) die Frage zur Entscheidung stellt, ob Entschädigungen für entgehende Einnahmen (Verdienstausfall) nicht auch dann (soweit) auf einer selbständigen Grundlage beruhen, als sie in Form einer Anrechnungsvereinbarung erfolgen, zielt dies auf die Vertragsauslegung des Finanzgerichts (FG) im Einzelfall. Mit der Rüge der unzutreffenden Vertragsauslegung wendet sich der Kläger wie mit der --der Revision vorbehaltenen-- Rüge der Verletzung materiellen Rechts gegen die angebliche materielle Unrichtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Die damit geltend gemachte fehlerhafte Rechtsanwendung vermag aber die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. März 2007 X B 146/05, BFH/NV 2007, 1125; vom 27. April 2007 VIII B 250/05, BFH/NV 2007, 1675). Unerheblich ist insoweit, ob der BFH im Revisionsverfahren die fragliche Vertragsauslegung selbst vornehmen könnte. Im Übrigen ist nicht schlüssig dargetan (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO), inwieweit die höchstrichterliche Klärung der gestellten Rechtsfrage über den Einzelfall hinaus für die Allgemeinheit von Interesse wäre. Der bloße Hinweis auf den allgemeinen Einfluss der Rechtsprechung des BFH auf die Vertragsgestaltung genügt dem nicht.

b) Die Frage nach dem Rechtsgrund der Bindungswirkung einer sog. allgemeinen, d.h. jenseits ausdrücklicher Kodifizierung erteilten Zusage mit der Konsequenz einer etwaigen Bindungswirkung auch bei Erteilung durch einen nichtzuständigen Amtsträger ist insoweit nicht entscheidungserheblich, als das FG kumulativ zur fehlenden Entscheidungszuständigkeit des Zeugen W insbesondere darauf abstellt, dass die Bekundungen des Zeugen W jegliche Eindeutigkeit dahingehend haben vermissen lassen, wann, von wem und mit welchem Inhalt eine entsprechende Erklärung abgegeben worden sein soll. Nach den finanzgerichtlichen Feststellungen blieb schon ungeklärt, ob der Zeuge W inhaltlich eine entsprechende Zusage erteilt hat.

Entsprechendes gilt für die weitere vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, auf wessen Willensäußerung es für die Beurteilung der Bindungswirkung von finanzbehördlichen Zusagen ankommt.

c) Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtsache ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die Frage, wie der Begriff der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlungen i.S. von § 103 FGO zu interpretieren ist. Denn diese Frage ist, wie auch der Kläger konstatiert, in der Rechtsprechung des BFH geklärt. Auch nach der neueren Rechtsprechung verlangt § 103 FGO nur, dass das Urteil von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt wird, die an der dem Urteil zugrunde liegenden letzten mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung ist unschädlich, dies auch dann, wenn in dem früheren Verhandlungstermin eine Beweisaufnahme stattgefunden hat (Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 103 FGO Rz 17). Etwas anderes gilt in der Regel lediglich bei einer bloßen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung (BFH-Beschlüsse vom 3. August 2006 V B 27/06, V S 6/06 (PKH), V B 27/06, V S 6/06 (PKH), juris; vom 24. November 2005 II B 46/05, BFH/NV 2006, 587, m.w.N.).

2. Das finanzgerichtliche Urteil ist auch nicht verfahrensfehlerhaft ergangen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

a) Der Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO ist nicht verletzt. Er besagt, dass das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung erheben muss (BFH-Beschluss vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962, m.w.N.) und verbietet dem Gericht lediglich, anstelle des erreichbaren unmittelbaren Beweismittels ein bloß mittelbares heranzuziehen. In der Sache geht es dem Kläger um den Richterwechsel nach der mündlichen Verhandlung vom 5. September 2007. Das Tatbestandsmerkmal "dem Urteil zugrunde liegende Verhandlung", das nach § 103 FGO den gesetzlichen Richter bestimmt, bezieht sich aber nur auf die letzte mündliche Verhandlung, d.h. auf den letzten Verhandlungstag vor Ergehen des Urteils (BFH-Beschluss vom 26. September 2005 VIII B 60/04, juris, m.w.N.).

Soweit der Kläger sich darauf beruft, dass bei einem Richterwechsel nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung vorher erhobene Beweise noch einmal erhoben werden müssten, wenn es auf den persönlichen Eindruck des Zeugen ankomme, ergibt sich daraus im Streitfall kein Verfahrensfehler. Denn zum einen wurde die mündliche Verhandlung nicht unterbrochen. Zum anderen führt der Umstand, dass nicht alle erkennenden Richter an einer Zeugenvernehmung teilgenommen haben, lediglich dazu, dass bei der Beweiswürdigung der persönliche Eindruck des Zeugen nur berücksichtigt werden darf, wenn er in den Akten festgehalten worden ist und die Beteiligten Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (BFH-Beschluss vom 30. April 2003 I B 120/02, BFH/NV 2003, 1587). Im Übrigen hat das FG nicht maßgeblich auf den unmittelbaren Eindruck im Sinne der Glaubwürdigkeit des Zeugen W abgestellt (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Dezember 1997 I R 68/97, BFH/NV 1998, 724). Vielmehr war für das FG entscheidend, dass die Bekundungen des Zeugen wenig eindeutig waren.

b) Aus den genannten Gründen verhilft auch die Besetzungsrüge (§ 119 Nr. 1 FGO) der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg.

c) Weiter sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass das FG sich seines Ermessens zur Vereidigung des Zeugen W nicht bewusst gewesen wäre und insoweit ermessensfehlerhaft gehandelt hätte, indem es den Zeugen W nicht vereidigt hat. Allein deshalb, weil der Gesprächsinhalt einer Vier-Augen-Situation zu beurteilen war und sich ein Bediensteter der Finanzverwaltung typischerweise einem Loyalitätskonflikt gegenübersehen kann, ergibt sich noch nicht, dass sich dem FG die Vereidigung hätte aufdrängen müssen.

Soweit der Kläger darlegt, dass der Zeuge W notwendig hätte vereidigt werden müssen, wendet er sich in der Sache gegen die Würdigung der Zeugenaussage des Zeugen W durch das FG. Dies kann die Revisionszulassung nicht rechtfertigen.

Im Übrigen hat der Kläger hinsichtlich einer etwa notwendigen Vereidigung des Zeugen W sein Rügerecht verloren, indem er in der letzten erfolgten mündlichen Verhandlung die unterlassene Vereidigung nicht gerügt hat. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass nach der Beweisaufnahme kein weiterer mündlicher Termin mehr stattgefunden hat. Jedenfalls in seiner Stellungnahme zur Beweisaufnahme (vom 10. Oktober 2007 und 26. November 2007) hätte der Kläger die fehlende Vereidigung rügen müssen. Im Übrigen hat er in Kenntnis der unterlassenen Vereidigung auf eine erneute mündliche Verhandlung verzichtet.

d) Weiter verhilft die Rüge der Verletzung der finanzgerichtlichen Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 FGO der Beschwerde nicht zum Erfolg.

Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht kann nicht mehr mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn der in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung fachkundig vertretene Beteiligte, dem dies in der mündlichen Verhandlung erkennbar war, den Verfahrensverstoß nicht gerügt und damit auf die Wahrnehmung seiner Rechte verzichtet hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 25. August 2006 VIII B 13/06, BFH/NV 2006, 2122, m.w.N.). Insoweit hätte der Kläger jedenfalls vor dem Verzicht auf eine weitere mündliche Verhandlung, insbesondere im letzten mündlichen Termin, das fehlerhafte Unterlassen einer weiteren Sachaufklärung rügen müssen.

Im Übrigen erfordert eine schlüssige Rüge der Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht durch Übergehen eines Beweisantrags oder vom Amts wegen unter anderem auch Ausführungen dazu, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können bzw. sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (BFH-Beschluss vom 7. September 2006 IX B 199/05, BFH/NV 2007, 75, m.w.N.). Daran fehlt es hier.

e) Schließlich fehlen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das FG nicht den gesamten Akteninhalt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hätte (§ 96 Abs. 1 FGO). § 96 Abs. 1 FGO gebietet nicht, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern. Im Allgemeinen ist davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt und Vortrag in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007 X B 89/07, BFH/NV 2008, 599).

f) Die Revision ist auch nicht wegen eines sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers zuzulassen (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Januar 2006 VIII B 172/05, BFH/NV 2006, 799). Die gerügten Mängel der Beweiswürdigung lassen die finanzgerichtliche Entscheidung jedenfalls nicht als willkürlich erscheinen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2055308

BFH/NV 2008, 2029

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