Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

 

Leitsatz (NV)

,,Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist (z.B. die Revisionsbegründungsfrist) einzuhalten, ist jemand nur dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat.

 

Normenkette

FGO § 56

 

Tatbestand

Das Urteil des FG wurde der Klin. am 2. April 1984 zugestellt. Die Klin. legte Revision ein, begründete sie jedoch nicht fristgerecht. Auf einen entsprechenden Hinweis der Geschäftsstelle des Senats beantragte sie, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Sie habe am 2. Mai 1984 den Steuerberater Dr. A schriftlich bevollmächtigt, sie im Verfahren vor dem BFH zu vertreten. Dieser habe zwar Revision eingelegt, habe es jedoch versäumt, sie fristgerecht zu begründen: Urteil, Revisionseinlegungsfrist und Revisionsbegründungsfrist seien nicht im Fristenkontrollbuch vermerkt gewesen. Aus welchen Gründen dies unterblieben sei, sei nicht mehr aufzuklären. Der Steuerberater Dr. A sei Geschäftsführer der Treuhandgesellschaft T & Partner Steuerberatungsgesellschaft mit beschränkter Haftung, die etwa 80 Mitarbeiter beschäftige. Die Mandatserteilung an Dr. A sei gegenüber dem Steuerberater T vorgenommen worden. Dieser habe fernmündlich (da die Büroräume etwa 500 m voneinander entfernt lägen) den Steuerberater Dr. A unterrichtet. Dieser habe daraufhin Revision eingelegt, ohne daß ihm das Urteil des FG vorgelegen habe. Er sei davon ausgegangen, daß dieses Urteil sich ,,im allgemeinen . . . Organisationsablauf für die Behandlung von Fristensachen" befinde. Die Fristenkontrolle in der Steuerberatungsgesellschaft mbH sei ordnungsmäßig organisiert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klin. ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist (§ 126 Abs. 1, § 124 FGO).

Unzulässig ist die Revision, weil sie nicht fristgerecht begründet worden ist. Die Frist für die Begründung der Revision endete (da der 2. Mai 1984 auf einen Sonnabend fiel) mit Ablauf des 4. Juni 1984; die Revisionsbegründung ist aber erst am 30. Juni 1984, also um nahezu einen Monat zu spät beim BFH eingegangen.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist kann der Klin. nicht gewährt werden, weil die Tatsachen, die sie zur Begründung ihres dahingehenden Antrags angeführt hat, nicht den Schluß rechtfertigen, sie sei ,,ohne Verschulden verhindert" gewesen, die Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 und 2 FGO). ,,Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist (z.B. die Revisionsbegründungsfrist) einzuhalten, ist jemand nur dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Diese Sorgfalt wurde zwar von der Klin. selbst beachtet, denn sie als Beteiligte am Verfahren über die Revision hat einen Steuerberater bevollmächtigt, sie vor dem BFH zu vertreten, wie dies dem Gebot des Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs entsprach. Aber der Steuerberater hat - wie seinen Darlegungen zu entnehmen ist - nicht die gebotene Sorgfalt beachtet: Ihm oblag es aufgrund des übernommenen Auftrags, die Revision bis zum Ablauf des 4. Juni 1984 zu begründen oder vor Ablauf dieser Frist deren Verlängerung zu beantragen (§ 155 FGO, § 675 BGB, § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO). Verletzt hat er diese Pflicht dadurch, daß er darauf vertraute, das angefochtene Urteil werde sich ,,im allgemeinen . . . Organisationsablauf für die Behandlung von Fristensachen" befinden, wie er ihn dargestellt habe für die Steuerberatungsgesellschaft mbH und den er für ordnungsmäßig halte. Er durfte indes nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die Steuerberatungsgesellschaft für ihn den Ablauf der Revisionsbegründungsfrist überwachen werde, denn nicht sie, sondern er war von der Klin. beauftragt und bevollmächtigt worden, sie im Revisionsverfahren vor dem BFH zu vertreten. Sein Verschulden steht dem Verschulden der Klin. gleich (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 414577

BFH/NV 1987, 306

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