Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit einer auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO gestützten NZB

 

Leitsatz (NV)

1. § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO greift die Regelung in § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO auf, wonach der Zulassungsgrund der Divergenz die Abweichung gerade von einer BFH-Entscheidung zur Voraussetzung hat, nicht die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Gerichts der Finanzgerichtsbarkeit.

2. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt, wenn den Ausführungen auf Grund vorhandener Widersprüche die erforderliche Schlüssigkeit fehlt.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3

 

Verfahrensgang

FG Düsseldorf

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein eingetragener Verein. Er streitet mit dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt - FA -) insbesondere darüber, ob ihm die Anerkennung der Gemeinnützigkeit zu Recht verweigert wird.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung erließ das FA am 4. Dezember 1980 gegen den Kläger Körperschaftsteuerbescheide 1974 bis 1976, Gewerbesteuermeßbescheide 1974 bis 1976 sowie Umsatzsteuerbescheide 1974 bis 1978. Die Umsatzsteuerbescheide 1977 und 1978 wurden später - während des folgenden Klageverfahrens (siehe unten) - vom FA geändert und aufgrund eines Antrags des Klägers gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) anstelle der beiden ursprünglichen Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens.

Die vom Kläger gegen die angeführten Bescheide erhobene Klage blieb größtenteils erfolglos. Hinsichtlich der umstrittenen Umsatzsteuerfestsetzung 1975 trennte das Finanzgericht (FG) in einem mit dem angefochtenen Urteil verbundenen Beschluß das Verfahren zur gesonderten Entscheidung ab. Bezüglich der Umsatzsteuerfestsetzungen für die übrigen Streitjahre (1974 und 1976 bis 1978) wies das FG die Klage ab, und zwar mit der Begründung, das FA habe die Aufnahme- und die Kursgebühren zu Recht der Umsatzsteuer zum gewöhnlichen Steuersatz unterworfen; dem Kläger stehe insoweit weder Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 22, 23 und 25 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1973) noch der ermäßigte Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 zu. In Beziehung auf die Körperschaftsteuerbescheide und auf die Gewerbesteuermeßbescheide hatte der Kläger hinsichtlich der Streitjahre 1974 und 1975 teilweise Erfolg, während er im übrigen auch insoweit unterlag.

Das Urteil enthält keinen Ausspruch über eine Zulassung der Revision. Es wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 11. Juli 1989 zugestellt.

Namens des Klägers hat dessen Prozeßbevollmächtigter in drei - jeweils eine der drei Steuerarten betreffenden - Schriftsätzen Nichtzulassungsbeschwerde erhoben. Die beiden Beschwerdeschriften, welche die Körperschaftsteuer und die Festsetzungen der Gewerbesteuermeßbeträge zum Gegenstand haben, sind als Fotokopie hergestellt, einschließlich der jeweils letzten Seite mit der Unterschrift durch den Prozeßbevollmächtigten. Lediglich die die Umsatzsteuer (1974 und 1976 bis 1978) betreffende Beschwerdeschrift trägt auf der letzten Seite die Originalunterschrift des Prozeßbevollmächtigten.

Auf einen diesbezüglichen Hinweis der Senatsgeschäftsstelle beim Bundesfinanzhof (BFH) hat der Prozeßbevollmächtigte mit einem am 19. Oktober 1989 beim BFH eingegangenen Schriftsatz vom 16. Oktober 1989 ,,zwei vollständige Sätze" der Beschwerdeschriften ,,ab Seite 2" sowie die ,,Seite 9 zweifach mit Originalunterschrift" eingereicht. Hierzu hat er erklärt, bei Durchsicht seiner Akten habe er festgestellt, daß beim Kopieren möglicherweise manche Seiten doppelt und manche überhaupt nicht erfaßt worden seien. Er bitte, das Versehen zu entschuldigen.

Der Kläger beruft sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO).

Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und wird verworfen. Alle drei Beschwerdeschriften erfüllen nicht die formellen Voraussetzungen für die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).

A. Soweit es an der eigenhändigen Unterzeichnung der Beschwerdeschriften im Original nach Ablauf der Beschwerdeschrift fehlt (betr. Körperschaftsteuerfestsetzung und Festsetzung der Gewerbesteuermeßbeträge), kann dahingestellt bleiben, ob hierdurch der Mangel fehlender Schriftlichkeit vorliegt und dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Nachholung der Unterschrift) zu verweigern ist, so daß bereits hierwegen Unzulässigkeit gegeben ist. Selbst wenn dies verneint werden könnte, wäre die Nichtzulassungsbeschwerde auch hinsichtlich der hier erörterten Bescheide unzulässig, weil ihre Begründung ebenfalls die unter B erörterten Mängel aufweist.

B. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist insoweit unzulässig, als der Kläger sich gegen die die Umsatzsteuer betreffende Klageabweisung wendet.

1. Hinsichtlich der Umsatzsteuer ist das FG zur uneingeschränkten Klageabweisung aufgrund folgender Erwägungen gelangt:

a) Es hat im Umfange der Aufnahme- und der Kursgebühren angenommen, daß der Kläger steuerbare Leistungen erbracht hat, deren Bemessungsgrundlage die erwähnten Gebühren sind. Diese Leistungen hat das FG als steuerpflichtig angesehen. Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 22 UStG 1973 hat das FG mit der Begründung verneint, daß der Kläger keine Einrichtung sei, die gemeinnützigen Zwecken diene. Die Steuerfreiheit aufgrund des § 4 Nr. 23 UStG 1973 ist vom FG mit der Begründung nicht für einschlägig gehalten worden, daß die allein in Betracht kommende Aufnahme für Erziehungszwecke nicht gegeben sei, weil das Erlernen der . . . nicht als ein allgemeines Erziehungsziel angesehen werden könne, das jüngeren Menschen zur eigenverantwortlichen Lebensführung verhelfe. Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 25 UStG 1973 hat das FG im Hinblick darauf verneint, daß der Kläger mangels Anerkennung durch die hierfür zuständige Stelle kein förderungswürdiger Träger der Jugendhilfe sei.

b) Die Unanwendbarkeit des ermäßigten Steuersatzes aufgrund des § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG 1973 hat das FG daraus gefolgert, daß es sich bei den vom Kläger bewirkten Umsätzen nicht um Leistungen einer Körperschaft handele, die ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke verfolge.

c) Die Verweigerung des Vorsteuerabzugs durch das FA hinsichtlich der Honorare der Initiatoren hat das FG mit der Erwägung gebilligt, daß § 5 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) - 1. UStDV - rechtsunwirksam sei und demzufolge keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug ergebe.

2. Der Kläger macht demgegenüber die Zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO). Hierbei hat er die formellen Anforderungen an die Begründung einer auf diese Zulassungsgründe gestützten Nichtzulassungsbeschwerde nicht beachtet.

a) Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. Satz 1 FGO muß im Falle der Berufung auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist (vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Anm. 55) die BFH-Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bedeutet dies, daß in der Beschwerdebegründung abstrakte Rechtssätze aus dem vorinstanzlichen Urteil und aus der Divergenzentscheidung so genau dargelegt und einander gegenübergestellt werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 63).

Soweit der Kläger Divergenz zu einem näher benannten Urteil des FG München geltend macht, ist den Anforderungen aus § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO schon deshalb nicht genügt, weil für die Bezeichnung der Divergenzentscheidung nur die Angabe einer Entscheidung des BFH in Betracht kommt, nicht einer FG-Entscheidung. Insoweit greift die eben zitierte Vorschrift die Regelung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO auf, wonach der Zulassungsgrund der Divergenz die Abweichung gerade von einer BFH-Entscheidung zur Voraussetzung hat, nicht die Abweichung von der Entscheidung irgendeines Gerichts der Finanzgerichtsbarkeit.

Soweit der Kläger sich auf eine Abweichung von BFH-Entscheidungen beruft (BFH-Urteile vom 20. Januar 1972 I R 81/70, BFHE 104, 534, BStBl II 1972, 440; vom 13. Dezember 1978 I R 36/76, BFHE 127, 352, BStBl III 1979, 492; vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482, und vom 14. Dezember 1978 I R 122/76, BFHE 127, 348, BStBl II 1979, 491), wird zwar - jedenfalls zum Teil - deutlich, welche abstrakten Rechtssätze der Kläger den angeführten Urteilen entnimmt. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde läßt jedoch die Darlegung dessen vermissen, welche abstrakten Rechtssätze aus der angefochtenen Vorentscheidung nach der Auffassung des Klägers jeweils dem einem bestimmten BFH-Urteil entnommenen Rechtssatz widersprechen. Der Kläger hat sich statt dessen im wesentlichen bloß damit auseinandergesetzt, daß nach der von ihm angeführten BFH-Rechtsprechung der Klage zur Umsatzsteuer hätte stattgegeben werden müssen und daß er die Vorentscheidung für rechtsfehlerhaft hält. Dies stellt keine Bezeichnung der BFH-Entscheidung, von der das Urteil abweicht, i. S. des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO dar.

b) Im Falle der Berufung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) fordert § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in formeller Hinsicht, daß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt wird. Dies setzt in erster Linie voraus, daß die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eine oder mehrere bestimmte Rechtsfrage(n) herausstellt und auf diese konkret eingeht sowie auf deren Bedeutung für das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 115 Anm. 61 f. i. V. m. Anm. 7 ff.). Dies erfordert u. a., daß für die herausgearbeiteten Rechtsfragen Klärungsbedürftigkeit dargelegt wird.

Diesen Anforderungen wird die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls nicht gerecht. Der Kläger hat entscheidungserhebliche Rechtsfragen nicht ausdrücklich benannt. Eine diesbezügliche Darlegung ließe sich allenfalls aufgrund der Erwägung annehmen, daß in den der grundsätzlichen Bedeutung gewidmeten Ausführungen eine sinngemäße Bezugnahme auf die Darlegungen zur Divergenz enthalten sei, die sich allerdings ausschließlich mit der Frage der Gemeinnützigkeit beschäftigen, nicht mit den übrigen Gründen, auf welche die Klageabweisung zur Umsatzsteuer gestützt ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob bei der Anwendung des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO einer solchen Inbezugnahme überhaupt nachgegangen und hierdurch ermittelt werden darf, welche Rechtsfragen der Kläger als entscheidungserheblich wohl hat ansprechen wollen. Denn auch hierdurch könnte sich keine Zulässigkeit der Beschwerde ergeben, weil es gleichwohl an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit fehlen würde. Sowohl die Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung selbst als auch die zur Divergenz sind darauf abgestellt darzutun, daß die Vorentscheidung aufgrund der seinerzeit bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlerhaft ist und zur Klagestattgabe hätte kommen müssen. Unter diesen Umständen hätte vom Kläger Klärungsbedürftigkeit bestimmter Rechtsfragen allenfalls hilfsweise geltend gemacht werden können, was jedenfalls diesbezügliche ausdrückliche Ausführungen erfordert haben würde.

Die Bemerkung des Klägers, daß die Klageabweisung durch die Vorentscheidung ohne rechtliche Überprüfung seitens des BFH zur Rechtsunsicherheit führen würde, läßt die erforderliche Schlüssigkeit vermissen. Denn sie steht im Widerspruch zum übrigen Vorbringen des Klägers. Ohne ergänzende Erläuterungen, die in der Beschwerdebegründung fehlen, wird nicht einsichtig, weshalb die fehlerhafte Entscheidung eines einzelnen FG trotz bereits bestehender höchstrichterlicher Klärung - so jedenfalls die Sicht des Klägers - zur Rechtsunsicherheit führen könnte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417730

BFH/NV 1992, 744

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