Entscheidungsstichwort (Thema)

AdV im Verfahren über die NZB; Anwendbarkeit des §160 AO 1977 bei Rückstellungen für Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft ernstlich zweifelhaft

 

Leitsatz (NV)

1. Einem beim BFH gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist nicht bereits deshalb der Erfolg zu versagen, weil das FG nach Ergehen des Urteils, aber vor Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde einen bei ihm gestellten Aussetzungsantrag abgelehnt hat.

2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob §160 AO 1977 auch dann anzuwenden ist, wenn der Steuerpflichtige den streitigen Passivposten zwar gewinnmindernd gebildet hat, mit dieser Gewinnminderung aber keine Gewinnerhöhung beim nicht benannten Gläubiger einhergeht. Die Frage hat auch grundsätzliche Bedeutung.

 

Normenkette

AO 1977 § 160; FGO § 69

 

Tatbestand

Die Antragstellerin ist eine GmbH & Co. KG in Liquidation. Der jetzige Liquidator war bis zum Hinzutreten einer D-AG mit Sitz in A im Jahre 1978 ihr einziger Kommanditist. Er war in den Streitjahren (1979 bis 1981) auch einziger Gesellschafter der Komplementär-GmbH. Die Gesellschaft beschäftigte sich mit Buchhaltungsservice und Unternehmensberatung. Sie unterhielt Geschäftsbeziehungen zu einer Fa. F-AG in Liechtenstein. Anläßlich einer für die Streitjahre durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer, gestützt auf Feststellungen des Bundesamts für Finanzen, die Auffassung, daß es sich bei der F-AG um eine Domizilgesellschaft ohne eigene Geschäftsräume und ohne eigenes Personal handle, die auch keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübe. Aus diesem Grund lehnten der Prüfer und ihm folgend der Antragsgegner (das Finanzamt -- FA --) die steuerliche Berücksichtigung der infolge der Geschäftsbeziehungen zu der F-AG entstandenen Aufwendungen ab.

Im einzelnen erkannte das FA folgende Aufwendungen nicht an:

1. Zinszahlungen

Die Antragstellerin hatte folgende Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben abgesetzt: ...

Nach ihren Angaben betrafen die im Jahre 1979 gezahlten Zinsen ein Darlehen, das die F-AG ihr, der Antragstellerin, gewährt hatte. Die im Jahr 1980 und 1981 gezahlten Zinsen seien -- so die Antragstellerin -- infolge einer Bürgschaft angefallen, die sie für ein Darlehen übernommen habe, das die F- AG einer Fa. R überlassen habe. Bei der Fa. R habe es sich um einen ihrer (der Antragstellerin) Kunden gehandelt. Aufgrund dieser Bürgschaft sei sie von der F-AG in Anspruch genommen worden.

2. Werbungskosten

Es handelt sich um Zahlungen in Höhe von rd. 22 000 DM (1979) und rd. 15 000 DM (1980), die die Antragstellerin an die F-AG als Entgelt für die Übernahme von Werbe- und Marketingaufgaben geleistet hatte.

3. Rückstellungen für die Inanspruchnahme aus Bürgschaften

Die Beteiligten gehen offenbar übereinstimmend davon aus, daß die Antragstellerin für Darlehen gebürgt hat, die die F-AG anderen Firmen gewährt hatte. Es handelt sich um Beträge in folgender Höhe: ...

4. Übernahme des Bilanzverlustes der Komplementär-GmbH in Höhe von 24 285 DM im Jahre 1980

Das FA erließ für die Streitjahre zusammengefaßte Änderungsbescheide, in denen es statt der ursprünglich festgestellten Verluste nunmehr Gewinne feststellte.

Gegen diese Bescheide legte die Antragstellerin Einspruch ein, mit dem sie begehrte, die im Zusammenhang mit der Geschäftsverbindung zur F-AG geltend gemachten Aufwendungen als Betriebsausgaben anzuerkennen.

Sie machte geltend:

1. Die streitigen Zinszahlungen in den Jahren 1980 und 1981 seien nur deshalb angefallen, weil sie wegen eines Versehens des Notars aufgrund der Bürgschaft für den der F-AG von einem Dritten gewährten Darlehensbetrag nebst Zinsen in Anspruch genommen worden sei. Mit der Geschäftsverbindung zwischen ihr und der F-AG hätten sie nichts zu tun.

2. Die F-AG habe bereits vor 1975 für sie, die Antragstellerin, Werbe- und Marketingaufgaben übernommen. In vorausgegangenen Betriebsprüfungen seien die diesbezüglichen Aufwendungen anerkannt worden.

3. Hinsichtlich der Rückstellungen für Bürgschaften gelte das zu 1. und 2. Ausgeführte entsprechend.

4. Die Anteile an der Komplementär-GmbH hätten Sonderbetriebsvermögen des jetzigen Liquidators dargestellt. Wenn er die Schulden der GmbH übernommen habe, so müsse dies zu Sonderbetriebsausgaben führen. Die Notwendigkeit zum Ausgleich der Verluste habe bestanden, weil die GmbH- Anteile mit einem Nießbrauch hätten belastet werden sollen.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Das FA berief sich darauf, daß die wahren Empfänger der streitigen Aufwendungen nicht benannt worden seien (§160 der Abgabenordnung -- AO 1977 --).

Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit der Beschwerde. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung und einen an den Bundesfinanzhof (BFH) gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Der beschließende Senat sah sich an einer Entscheidung über den Aussetzungsantrag gehindert, solange das FG nicht darüber zu entscheiden hatte, ob dem Begehren auf Zulassung der Revision abzuhelfen sei.

Mit Beschluß vom 8. Februar 1997 wies das FG den Antrag auf Tatbestandsberichtigung zurück. Mit einem weiteren Beschluß vom 15. April 1997 lehnte es den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Schließlich beschloß das FG unter dem Datum vom 16. April 1997, daß der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abgeholfen werde.

Nach Ergehen des Nichtabhilfebeschlusses hat die Antragstellerin erneut beim BFH einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Vollziehung der Änderungsbescheide über die gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellung der Jahre 1979 bis 1981 auszusetzen.

Das FA beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag ist zulässig und teilweise begründet.

Entgegen der Auffassung des FA ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nicht deshalb unzulässig, weil das FG über ihn bereits durch unanfechtbaren Beschluß entschieden hat (BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1985 I S 4/84, BFH/NV 1987, 385; vom 26. Februar 1987 IV S 14/86, BFH/NV 1989, 308; offen lassend Beschluß vom 15. Januar 1991 IX S 6/90, BFH/NV 1991, 535). Sobald das FG entschieden hat, der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abzuhelfen, ist der BFH Gericht der Hauptsache und somit auch für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung zuständig (BFH-Beschluß vom 23. Februar 1989 V S 3/88, BFHE 155, 501, BStBl II 1989, 424). Der Senat teilt nicht die Auffassung, daß einer erneuten Entscheidung des BFH über den Aussetzungsantrag die Unanfechtbarkeit des die Aussetzung ablehnenden Beschlusses des FG entgegenstünde (so Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, §69 FGO Tz. 28). Das gilt auch dann, wenn -- wie im Streitfall -- keine veränderten Umstände geltend gemacht werden.

Der Antrag ist auch teilweise begründet.

1. Der Antrag ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil die Nichtzulassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Die Antragstellerin hat im Rahmen ihrer Nichtzulassungsbeschwerde u. a. geltend gemacht, das Urteil des FG weiche vom BFH-Beschluß vom 24. März 1987 I B 156/86 (BFH/NV 1988, 208) ab. Dieses Vorbringen kann bei summarischer Prüfung zwar nicht als Divergenzrüge i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durchdringen, muß aber als Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache Erfolg haben (§115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Der BFH hat in dem von der Antragstellerin herangezogenen Beschluß folgenden Rechtssatz aufgestellt:

"Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§160 AO 1977, 16 AStG erfüllt, weil die Gläubigerin der Darlehensforderungen nicht ausreichend genau bezeichnet ist, so ist damit noch nicht geklärt, ob die Darlehensbeträge dem Gewinn hinzuzurechnen sind."

Demgegenüber lautet der Obersatz der finanzgerichtlichen Urteilsgründe -- soweit hier von Interesse --:

"Das FA hat den gewinnmindernden Abzug der strittigen Aufwendungen als Betriebsausgaben bereits deshalb zu Recht versagt, weil die Klägerin nicht dem Verlangen nachgekommen ist, die hinter der F-AG stehenden Personen zu benennen und damit die ... wirklichen Gläubiger der Darlehen, für die die Bürgschaft übernommen wurde, zu offenbaren."

Die beiden Rechtssätze divergieren deshalb nicht, weil der BHF-Entscheidung ein Fall zugrunde lag, in dem die (angebliche) Darlehensvaluta -- erfolgsneutral -- das Vermögen des Steuerpflichtigen vermehrt hatte. Dagegen waren im Streitfall die Darlehensvaluten Dritten zugeflossen; dementsprechend waren die streitigen Passivposten (Rückstellung wegen drohender Inanspruchnahme aus Bürgschaften) gewinnmindernd gebildet worden. Daß im erstgenannten Fall §160 AO 1977 unanwendbar ist, hat der BFH auch im Urteil vom 16. März 1988 I R 151/85 (BFHE 153, 293, BStBl II 1988, 759) entschieden. Ein dem Streitfall vergleichbarer Sachverhalt war -- soweit ersichtlich -- noch nicht Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Wird die Nichtzulassungsbeschwerde auf Divergenz gestützt, so kann, auch wenn eine solche nicht vorliegt oder nicht in zulässiger Weise gerügt ist, die Revision zugelassen werden, wenn in der Begründung schlüssig eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen wird (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rdnr. 69, m. w. N. aus der Rechtsprechung). Das ist vorliegend der Fall. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wirft nämlich die Frage auf, ob §160 AO 1977 auch dann anwendbar ist, wenn der Steuerpflichtige den streitigen Passivposten zwar gewinnmindernd gebildet hat, mit dieser Gewinnminderung aber keine Gewinnerhöhung beim Gläubiger einhergeht. Die BFH-Entscheidung in BFH/NV 1988, 208 legt -- ebenso wie die in BFHE 153, 293, BStBl II 1988, 759 -- diese Überlegung nahe (vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., §160 AO 1977 Rz. 6; Bauer, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1988, 413).

Ein solcher Fall mangelnder Gewinnauswirkung beim Gläubiger ist vorliegend gegeben; denn die Darlehensgeschäfte führten bei der F-AG bzw. den hinter ihr stehenden Personen auch dann zu keinem Gewinn, wenn die Antragstellerin für die Rückzahlung der Darlehen einzustehen hatte.

2. Aus dem zuvor Ausgeführten folgt zugleich, daß es ernstlich zweifelhaft i. S. des §69 FGO ist, ob das FA den aus der Bildung der streitigen Rückstellungen wegen drohender Inanspruchnahme aus Bürgschaften resultierenden Aufwendungen die Anerkennung versagten durfte.

3. Eine weitergehende Aussetzung der Vollziehung kommt nicht in Betracht.

Hat der BFH nach Ergehen des finanzgerichtlichen Urteils über die Aussetzung der Vollziehung zu befinden, kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Umfang, in dem der BFH das Urteil des FG revisionsrechtlich überprüfen kann, beschränkt ist (vgl. insbesondere §118 Abs. 2 FGO; BFH- Urteil in BFH/NV 1987, 385, unter 2.).

a) Bei summarischer Prüfung ist die Feststellung des FG, daß es sich bei der F-AG um eine Gesellschaft gehandelt hat, deren Eigenheiten die Anwendung des §160 AO 1977 rechtfertigen, nicht zu beanstanden. Es handelt sich im wesentlichen um eine Tatsachenwürdigung, die weder gegen die Denkgesetze, noch gegen die allgemeinen Erfahrungssätze verstößt. Die Antragstellerin hat ihr Aussetzungsbegehren hierauf auch nicht gestützt.

b) Es wird im Verfahren der Hauptsache voraussichtlich nicht zu beanstanden sein, daß FA und FG die Übernahme der Verluste der Komplementär-GmbH nicht gewinnmindernd berücksichtigt haben. Dabei ist der Senat an die Feststellung des FG gebunden, derzufolge die Antragstellerin selbst die Verluste ihrer Komplementär-GmbH übernommen hat. Das entspricht auch der Behandlung im Rechnungswesen der Antragstellerin. Die Verluste der GmbH beruhen jedoch ausschließlich auf der Teilhabe an Verlusten der Antragstellerin. Eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten einer KG bei der Gesellschaft und beim Gesellschafter ist nicht möglich.

Aber selbst wenn man berücksichtigen wollte, daß der Liquidator der Antragstellerin in seiner Eigenschaft als deren Kommanditist und Alleingesellschafter der Komplementär-GmbH, die Verluste der GmbH übernommen habe, könnte dies nicht zu den von ihm geltend gemachten Sonderbetriebsausgaben führen. Die mit der Verlustübernahme zusammenhängenden Aufwendungen müßten vielmehr als nachträgliche Anschaffungskosten der GmbH-Anteile in der Sonderbilanz des Liquidators aktiviert werden.

c) Ob das FA in den angefochtenen Gewinnfeststellungsbescheiden die infolge der Betriebsprüfung erhöhten Umsatzsteuerverbindlichkeiten zutreffend berücksichtigt und ausreichend hohe Gewerbesteuerrückstellungen gebildet hat, könnte im Verfahren der Hauptsache (Revisionsverfahren) nicht geklärt werden. Die Antragstellerin hat hierzu im finanzgerichtlichen Verfahren nichts vorgetragen, das FG dementsprechend keine Feststellungen getroffen. Auf nachträgliches Parteivorbringen kann das Urteil des Revisionsgerichts nicht gestützt werden (§561 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozeßordnung i. V. m. §155 FGO).

d) Erst recht kann die Antragstellerin im Revisionsverfahren nicht erstmalig den Antrag stellen, die vom FA festgestellten Gewinne anderweitig zu verteilen. Die Gewinnverteilung stellt bei einer Klage gegen einen Gewinnfeststellungsbescheid gegenüber der Höhe des Gewinns einen selbständigen Streitgegenstand (Klagebegehren) dar (BFH-Urteile vom 20. Januar 1977 IV R 3/75, BFHE 122, 2, BStBl II 1977, 509; vom 17. März 1987 VIII R 293/82, BFHE 149, 454, BStBl II 1987, 558). Eine Erweiterung des Klagebegehrens ist im Revisionsverfahren indessen nicht zulässig (Senatsurteil vom 21. April 1983 IV R 217/82, BFHE 138, 292, BStBl II 1983, 532; Tipke/Kruse, a.a.O., §123 FGO Tz. 2).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66960

BFH/NV 1998, 561

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