Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen die Zurückweisung von Richterab lehnungsgesuchen; Anforderungen an Befangenheitsrüge wegen richterlicher Fristsetzung und Meinungsäußerungen

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Richterablehnungsgesuchs; sie kann insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zu Protokoll gegeben und braucht nicht begründet zu werden.

2. Das Rügerecht der Befangenheit wegen einer richterlichen Fristsetzung zur Stellung von Klageanträgen geht verloren, soweit die Partei entsprechend der richter lichen Verfügung Schriftsätze mit Klage anträgen eingereicht hat.

3. Unschlüssige Rüge zu rascher Anberaumung der mündlichen Verhandlung.

4. Rechtsfehler des Richters können nur dann die Besorgnis seiner Befangenheit rechtfertigen, wenn sie auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür beruhen. Davon kann bei einer vertretbaren Rechtsansicht des Richters keine Rede sein.

5. Meinungsäußerungen des Richters sprechen grundsätzlich nicht gegen dessen Objektivität. Das gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für die Anfrage des Richters, ob die Klage zurückgenommen werde, jedenfalls dann, wenn die Anfrage bei objektiver und vernünftiger Betrachtung er kennen läßt, daß sie auf einer lediglich vor läufigen (persönlichen) Meinungsbildung beruht und daß eine anderweitige Entscheidung des Gerichts nicht ausgeschlossen ist.

6. Auch eine freimütige Ausdrucksweise des Richters kann nur dann Anlaß für die Besorgnis seiner Befangenheit sein, wenn er sich dabei einer evident unsachlichen, unangemessenen oder gar beleidigenden Sprache bedient (ständige Rechtsprechung).

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1 S. 1, §§ 56, 62 Abs. 3, § 65 Abs. 1-2, § 73 Abs. 1, § 79 Abs. 1, §§ 121, 128-129, 155; ZPO § 42 Abs. 1-2, §§ 43, 44 Abs. 1, § 46 Abs. 2, § 294

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Grundstücksgemeinschaft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Die Gesellschafter sind außerdem an einer Bauträgergesellschaft, der Firma A-Bau GmbH & Co. KG und an einer weiteren GbR, die ein Baugeschäft in B betreibt, beteiligt. Nach einer Außenprüfung bei der GmbH & Co. KG und weiteren Ermittlungen ergab sich, daß die Klägerin in den Jahren 1977/78 in C zwei Wohnblocks mit 33 Wohnungen hatte errichten lassen. Hiervon wurden zunächst sechs als Eigentumswohnungen verkauft. Der Verkauf weiterer 12 Eigentumswohnungen wurde bei einer Außenprüfung für den Zeitraum 1982 bis 1984 festgestellt. Ein Rechtsbehelfs- und finanzgerichtliches Verfahren gegen die Erweiterung der Außenprüfung und wegen Aussetzung der Vollziehung wurde vom Finanzgericht (FG) am 10. Oktober 1989 rechtskräftig abgeschlossen.

Die Klägerin hatte weder in den Gewinnfeststellungserklärungen für die Streitjahre 1978, 1980 bis 1984 diese Verkäufe erfaßt noch Gewerbesteuererklärungen abgegeben. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen den geschäftsführenden Gesellschafter am 22. April 1991 geänderte Feststellungsbescheide und erstmalige Gewerbesteuermeßbescheide für die Streitjahre. Während dem Einspruch der Klägerin gegen den Gewinnfeststellungsbescheid 1978 zur Höhe teilweise stattgegeben wurde, blieben die Einsprüche gegen die Gewinnfeststellungs bescheide 1980 bis 1984 erfolglos. Gegenüber den Gewerbesteuermeßbescheiden 1978, 1980 bis 1981 hatten die Einsprüche hinsichtlich der Höhe Erfolg. In der Sache selbst hielt das FA einen gewerblichen Grundstückshandel für gegeben. Über den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid 1982 (Vorsteuererstattung von 13 524 DM) wurde mangels Begründung nach Aktenlage negativ entschieden.

Hiergegen hat die Klägerin durch den Ehemann der Prozeßbevollmächtigten am 13. Januar 1994 zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem FG Klage erhoben, wobei lediglich die Einspruchsentscheidungen und vorangegangenen Bescheide angegeben wurden. Für die vom FG nunmehr getrennt angelegten 13 Klageverfahren setzte der Berichterstatter bei dem FG am 17. Januar 1994 der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin gemäß § 79 i. V. m. §§ 62 Abs. 3, 65 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Ausschlußfristen zur Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 FGO) bis zum 20. Februar 1994. Ferner wurde innerhalb dieser Frist um Ergänzung der Klage durch einen konkreten, bezifferten Klageantrag sowie die Begründung der Klage (§ 65 Abs. 1 Satz 2 FGO) unter vollständiger Angabe aller Tatsachen, Vorlage sämtlicher Unterlagen und Bezeichnung aller Beweismittel gebeten. Dabei wurde darauf hingewiesen, daß die Klage in ihrer gegenwärtigen Form unzulässig sei (Hinweis u. a. auf Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99).

Die Klägerin reichte daraufhin von ihren Gesellschaftern unterschriebene Vollmachten für die Prozeßbevollmächtigte und deren Ehemann ein. Mit am 20. Februar 1994 eingegangenem Telefax beantragte sie die ersatzlose Aufhebung der Gewerbesteuermeßbescheide und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidungen sowie der Gewinnfeststellungsbescheide 1978 und 1980 mit dem Zusatz, "da verjährt". Hinsichtlich der Gewinnfeststellung 1982 bis 1983 wurde anstelle des festgestellten Verlustes aus Gewerbebetrieb ein höherer Werbungskostenüberschuß auf Vermietung und Verpachtung beantragt, hinsichtlich der Gewinnfeststellung 1984, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung anzusetzen, und zur Umsatzsteuer 1982, diese auf 0 DM "herabzusetzen". Für die Begründung der Klage wurde aus gegebener Veranlassung um Fristgewährung bis 20. April 1994 gebeten; da ein Gesellschafter den Geschäftssitz in D, der andere in E habe, sei der Klage erhebungsantrag erst am 13. Januar 1994 an den Ehemann der Prozeßbevollmächtigten ergangen. Am 18. Januar 1994 habe ihr das FA 36 Steuerbescheide mit Prüfungsfeststellungen übersandt. Vom 9. bis 30. März 1994 sei ein Urlaub im Ausland gebucht.

Daraufhin teilte der Berichterstatter der Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 22. Februar 1994 mit, daß die Klagen mangels hinreichender Bezeichnung des Gegenstands des Klagebegehrens nicht den Mindestanforderungen an eine zulässige Klage entsprächen. Die zur Heilung dieses Mangels gesetzte Ausschlußfrist sei abgelaufen. Nun wörtlich: "Soll die Klage zur Vermeidung weiterer Kosten zurückgenommen werden? Oder welche sachdienlichen Prozeßerklärungen sollen für die Klägerin abgegeben werden? ... Bei der gegenwärtig gegebenen Verfahrenslage ist Ihr Fristverlängerungsantrag vom 18. Februar 1994 gegenstandslos." Nur vorsorglich werde der Klägerin zur Klagebegründung eine Frist bis 10. April 1994 gesetzt. Nachdem die Prozeßbevollmächtigte per Telefax vom 5. März 1994 erwidert hatte, daß sie sämtliche Fragen beantwortet habe, und erneut um Frist zur Begründung bis 20. April 1994 gebeten hatte, teilte ihr der Berichterstatter am 14. März 1994 schriftlich mit, daß in den bei Abfassung der prozeßleitenden Verfügung vom 22. Februar 1994 vorliegenden Unterlagen der Gegenstand des Klagebegehrens nicht bezeichnet sei. Am 24. März 1994 wurde die Sache auf den 20. April 1994 durch den Vorsitzenden terminiert. Am 30. März 1994 ging die Stellungnahme des FA nebst den Akten beim FG ein.

Mit Telefax vom 15. April 1994 lehnte die Klägerin den Berichterstatter wegen Vermutung der Befangenheit aufgrund der bisherigen Prozeßgestaltung ab; denn der Berichterstatter habe eine unverständliche Eile und Hast bei der Fristsetzung gezeigt und sich im Schreiben vom 22. Februar 1994 zur Rechtslage "mit dem Tenor des Unwiderruflichen" vorzeitig festgelegt, daß er trotz der höheren Kostenbelastung 13 getrennt behandelte Klagen in einer Verhandlung abweisen wolle. Zugleich wurde Auf hebung des Verhandlungstermins und die Gewährung von Akteneinsicht beantragt.

Der Berichterstatter hat zu dem Ablehnungsgesuch Stellung genommen. Nachdem der Senatsvorsitzende schriftlich die Terminsaufhebung abgelehnt hatte, wurde vom FG in der mündlichen Verhandlung vom 20. April 1994 zunächst in Abwesenheit des Berichterstatters der Befangenheitsantrag mit den Beteiligten erörtert und durch sodann verkündeten Beschluß für unbegründet erklärt. Gegen diesen Beschluß hat die Klägerin zu Protokoll Beschwerde erhoben.

Anschließend wurde unter Mitwirkung des Berichterstatters die mündliche Verhandlung mit dem Beschluß fortgesetzt, daß der Antrag auf Terminsaufhebung bzw. -vertagung abgelehnt werde und nur die Frage erörtert, ob der Gegenstand des Klagebegehrens fristgemäß ausreichend bezeichnet worden sei. Sodann stellte die Klägerin die per Telefax angekündigten Klageanträge. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung wurden die Urteile verkündet, daß die Klagen als unzulässig abzuweisen seien.

In seinem Beschluß zur Richterablehnung führt das FG im wesentlichen folgendes aus:

Die Klägerin habe keine Ablehnungsgründe glaubhaft gemacht, die eine Besorgnis der Befangenheit bei dem Berichterstatter rechtfertigen könnten. Er habe von seinen durch das FGO-Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, 2109) eingeführten richterlichen Befugnissen zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung in dem Gesetzeszweck entsprechenden Maße Gebrauch gemacht. Er setze im Rahmen seiner richterlichen Pflichten zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes regelmäßig "in allen vergleichbaren Fällen" Ausschlußfristen.

Die Trennung der einheitlich zu Protokoll gegebenen 13 Klagen in einzelne Verfahren beruhe auf einer Anordnung des Senatsvorsitzenden, da die Verfahren entsprechend einer fernmündlichen Auskunft des FA unterschiedliche rechtliche Probleme aufwiesen.

Die Äußerung seiner Rechtsansicht könne grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund gegen den Berichterstatter darstellen, zumal es sich um eine zutreffende Auffassung handle. Der Richter habe im Rahmen der Prozeßleitung die Klägerin auf den Ablauf der Ausschlußfrist und daß der Antrag auf Fristverlängerung gegenstandslos sei, hinweisen und wegen der Klagerücknahme anfragen müssen.

Die als zu kurz gerügte Ladungsfrist betrage nicht vier, sondern mindestens zwei Wochen. Der Termin zur mündlichen Verhandlung sei im übrigen durch den Vorsitzenden Richter bestimmt worden.

Das FG hat den nicht weiter begründeten Beschwerden nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Der Senat verbindet die Verfahren zu gemeinsamer Entscheidung (§ 73 Abs. 1 Satz 1, § 121 FGO).

Die Beschwerden sind zulässig, jedoch unbegründet.

Die nach § 128 FGO statthaften Beschwerden sind nicht unzulässig, weil die Klägerin im Termin vor dem erfolglos abgelehnten Richter weiter verhandelt sowie Anträge gestellt (BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587, 588) und das FG inzwischen unter Mitwirkung des abgelehnten Richters zur Hauptsache entschieden hat (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des Großen Senats vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Ebensowenig steht der Zulässigkeit entgegen, daß der Senat gleichzeitig über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidet (BFH-Beschluß vom 26. Juli 1989 IV B 106--109/88, BFH/NV 1991, 165, 166).

Die Beschwerden konnten gemäß § 129 FGO auch in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zu Protokoll gegeben werden (BFH-Beschluß vom 10. Juni 1975 VII B 39/75, BFHE 116, 7, BStBl II 1975, 673) und bedurften keiner Begründung (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 129 FGO Tz. 5 m. w. N.); es genügt, daß ihr Ziel -- wie hier -- erkennbar ist (ständige Rechtsprechung, z. B. Beschluß vom 1. Oktober 1993 III B 249--254/92, BFH/NV 1994, 487, 488).

Den Beschwerden muß jedoch der Erfolg versagt bleiben, weil das FG die Ablehnungsgesuche im Ergebnis zutreffend als unbegründet zurückgewiesen hat.

Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfer tigen (§ 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- i. V. m. § 51 Abs. 1 FGO). Dabei kommt es nach ständiger Rechtsprechung darauf an, ob der betroffene Beteiligte von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 51 Rz. 37 m. w. N.).

Das FG ist in dem angefochtenen Beschluß davon ausgegangen, daß sich die Befangenheitsrüge auch auf die Fristsetzung vom 17. Januar 1994 erstreckt. Insoweit hatte die Klägerin jedoch ihr Rügerecht gemäß § 51 FGO i. V. m. § 43 ZPO verloren. Danach kann eine Partei einen Richter nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, auf eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne die Befangenheit zu rügen. Eine solche rügelose Einlassung liegt auch in der Einreichung der Schriftsätze mit der Stellung der Klageanträge durch die Klägerin (BFH-Beschluß vom 12. Juli 1988 IX B 188/87, BFH/NV 1989, 237). Daher kann dahinstehen, ob sich aus der Berichterstatter-Verfügung vom 17. Januar 1994 Befangenheitsgründe entnehmen lassen könnten.

Dasselbe gilt für die ebenfalls verspätete Beanstandung, daß die Klage in 13 Verfahren getrennt worden sei.

Soweit zu rasche Anberaumung der mündlichen Verhandlung bemängelt wird, kommt eine Befangenheit schon deshalb nicht in Betracht, weil es grundsätzlich Sache des FG, insbesondere des Senatsvorsitzenden ist, die Reihenfolge der Behandlung der anhängigen Klageverfahren zu bestimmen (BFH-Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III B 110/92, BFH/NV 1993, 174, und vom 18. Januar 1993 X B 5/92, BFH/NV 1994, 106). Es ist weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, daß die Klägerin durch diese, den gesetzlichen Ladungsfristen entsprechende Terminierung in ihren Rechten verletzt worden sein könnte.

Der Senat tritt dem FG auch darin bei, daß es keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann, wenn ein Richter von ihm kraft Gesetzes zustehenden Befugnissen in dem Gesetzeszweck entsprechendem Maße Gebrauch macht (vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 12. Juli 1991 III B 151/87, BFH/NV 1992, 122, und vom 11. Mai 1993 IX B 167/92, BFH/NV 1994, 378). Diese Frage ist in einem Richterablehnungsverfahren jedoch nicht näher zu prüfen, weil es grundsätzlich nicht gegen unrichtige Rechtsansichten des Richters schützen, sondern allein dazu dienen soll, den Beteiligten vor der Mitwirkung eines Richters zu bewahren, an dessen Unparteilichkeit Zweifel begründet sind (Senatsbeschluß vom 27. Juli 1992 VIII B 100/91, BFH/NV 1993, 113, ständige Rechtsprechung). Rechtsfehler können nur ausnahmsweise, und zwar dann eine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen die ablehnende Partei oder auf Willkür beruht. Dies hat die BFH-Rechtsprechung z. B. bei gravierenden Verstößen oder einer Häufung von Verfahrensfehlern angenommen (vgl. Beschlüsse vom 21. November 1991 VII B 53--54/91, BFH/NV 1992, 526, und vom 29. Oktober 1993 XI B 91/92, BFH/NV 1994, 489).

Von einer solchen Fallgestaltung kann hier keine Rede sein. Die vom abgelehnten Richter im Schreiben vom 22. Februar 1994 geäußerte Rechtsansicht ist mindestens vertretbar. Soweit er die von der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin noch innerhalb der Ausschlußfrist beantragte Fristverlängerung als "gegenstandslos" bezeichnet hat, läßt sich allerdings nicht ausschließen, daß der Berichterstatter eine solche Fristverlängerung möglicherweise rechtsfehlerhaft für ausgeschlossen erachtet hat, obwohl sie grundsätzlich möglich ist (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, § 65 Rz. 63 m. w. N., sowie Bilsdorfer, Betriebs-Berater -- BB -- 1993, 109, 111). Indessen kann der Standpunkt des Berichterstatters jedenfalls im Ergebnis zutreffen, weil im Schrifttum (Gräber/von Groll, a.a.O.) gemäß § 155 FGO i. V. m. § 294 ZPO für eine solche Fristverlängerung erhebliche Gründe wie bei einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) verlangt werden, die hier die Klägerin nicht vorgetragen hatte.

Ein Grund, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, kann ferner nicht daraus hergeleitet werden, daß sich der Richter nach Ablauf der Klageergänzungsfrist eine Meinung über den Verfahrensausgang gebildet und diese geäußert hat. Denn Meinungs äußerungen des Richters sprechen nicht gegen dessen Objektivität (so schon BFH-Beschluß vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, 13, BStBl II 1971, 527, sowie Senatsbeschlüsse vom 30. Juni 1989 VIII B 86/88, BFH/NV 1990, 175, und vom 22. Dezember 1989 VIII B 134/88, BFH/NV 1990, 713, 714). Das gilt nach ständiger Rechtsprechung auch für die Anfrage des Richters, ob die Klage zurückgenommen werde, jedenfalls dann, wenn sie bei objektiver und vernünftiger Betrachtung erkennen läßt, daß sie auf einer lediglich vorläufigen (persönlichen) Meinungsbildung beruht und daß eine anderweitige Entscheidung des Senats nicht ausgeschlossen ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527; vom 15. Juni 1988 IV B 33/87, BFH/NV 1990, 39; vom 1. September 1992 VII B 138/92, BFH/NV 1993, 256, und vom 24. Mai 1993 V B 121/92, BFH/NV 1994, 482). Von letzterem ist hier auszugehen, weil der Berichterstatter nicht nur zugleich die Möglichkeit anderer Prozeßerklärungen als die Klagerücknahme angesprochen, sondern der Prozeßbevollmächtigten auch vorsorglich eine Frist zur weiteren Klagebegründung bis zur mündlichen Verhandlung eingeräumt hat (vgl. einerseits BFH-Beschluß vom 9. Dezember 1987 III B 40/86, BFH/NV 1988, 251; andererseits Senatsbeschluß vom 30. Oktober 1987 VIII B 172/86, BFH/NV 1989, 638, und Beschluß vom 29. April 1988 VI B 47/87, BFH/NV 1988, 794). Eines ausdrücklichen Hinweises darauf, daß es sich um eine lediglich vorläufige (persönliche) Meinungsäußerung handle, bedurfte es nicht (Beschluß in BFH/NV 1993, 256). Im Verhandlungstermin hatte die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift denn auch Gelegenheit, "ausführlich" ihren Standpunkt darzulegen. Danach entfällt eine parteiische vorzeitige Festlegung des Berichterstatters oder gar des ganzen Spruchkörpers auf eine der Klägerin ungünstige Rechtsauffassung.

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß der Berichterstatter seine Rechtsauffassung sehr deutlich und pointiert geäußert hat. Eine freimütige Ausdrucksweise des Richters kann indessen nur dann Anlaß für die Besorgnis seiner Befangenheit sein, wenn er sich dabei einer evident unsachlichen, unangemessenen oder gar beleidigenden Sprache bedient hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 1987 IX B 12/84, BFH/NV 1987, 656; vom 31. August 1987 IV B 101/86, BFH/NV 1989, 169; in BFH/NV 1990, 39; vom 6. Februar 1989 V B 119/88, BFH/NV 1990, 45, und vom 22. Mai 1991 IV B 104/90, BFH/NV 1992, 476). Auch das ist hier nicht der Fall, wenngleich, wie der Senat bemerkt, eine behutsamere Wahl der Worte der Sache besser gedient hätte.

Zudem ist bei solchen Rügen auch die Prozeßgeschichte zu berücksichtigen (BFH- Beschlüsse in BFH/NV 1987, 656, und in BFH/NV 1990, 175; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 52. Aufl., § 42 Anm. 17 "Ausdrucksweise"). Insoweit muß sich die Klägerin ein auf die Absicht zur Prozeßverschleppung hindeutendes, jedenfalls ungewöhnliches Verhalten ihrer Prozeßbevollmächtigten entgegenhalten lassen (vgl. Senatsbeschlüsse in BFH/NV 1990, 175, und in BFH/NV 1993, 112).

Daher kann, selbst wenn -- wie von der Vorinstanz -- die durch die Klägerin beanstandeten Vorgänge in ihrer Gesamtheit beurteilt würden, Befangenheit des Bericht erstatters nicht angenommen werden. Denn auch bei einer "Gesamtschau" seines Verhaltens kann keine Rede davon sein, daß es nicht mehr nachvollziehbar wäre (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 526; vom 18. Januar 1993 X B 5/92, BFH/NV 1994, 106, und vom 1. Oktober 1993 III B 249--254/92, BFH/NV 1994, 487). Es erscheint insbesondere weder willkürlich noch unsachlich, daß der Berichterstatter alsbald nach Klageerhebung der unstreitig unvollständigen Klage zu deren Ergänzung unter Setzung einer Ausschlußfrist aufgefordert hat. Denn auch eine solche Arbeitsweise wird in der Kommentarliteratur empfohlen (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., Rz. 58 am Ende). Ob sich der erkennende Senat dem für den Regelfall anschließen könnte, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1995, 526

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