Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts bei Änderung des Geschäftsverteilungsplans und bei Abweichung im Einzelfall; notwendige Beiladung bei Streit um Mitunternehmerschaft

 

Leitsatz (NV)

1. Das Finanzgericht ist auch dann vorschriftsmäßig besetzt, wenn der Vorsitzende des Senats wegen zeitweiser Überlastung des nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan zunächst berufenen Richters einen anderen Richter zur Mitwirkung in einer Beschlußsache bestimmt.

2. Wer geltend macht, zusammen mit anderen Personen aufgrund gleichartiger Verträge Mitunternehmer im Rahmen einer atypischen stillen Gesellschaft zu sein und seine Klage zurücknimmt, ist zum Klageverfahren der verbleibenden Kläger notwendig beizuladen.

 

Normenkette

FGO §§ 4, 119 Nr. 1, §§ 48, 60 Abs. 3; GVG § 21g Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zu 2 bis 4 machen geltend, sie seien in den Streitjahren (1978 bis 1982) über die als Treuhänderin zwischengeschaltete M- GmbH atypisch still an der Klägerin zu 1 beteiligt gewesen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erkannte nach einer Fahndungsprüfung bei der Klägerin zu 1 die Mitunternehmerschaft der Kläger zu 2 bis 4 und der in gleicher Weise beteiligten Beigeladenen (Treugeber) nicht an, da es an der gebotenen Gewinnerzielungsabsicht fehle. Unter dem 20. Mai 1985 erließ das FA entsprechend geänderte Bescheide, in deren Anlage mitgeteilt wurde, die Mitunternehmerschaft der -- namentlich aufgeführten -- Kläger könne nicht mehr angenommen werden. Ebenfalls am 20. Mai 1985 erließ das FA getrennte Bescheide gegenüber den Klägern und den Beigeladenen, in denen ebenfalls mitgeteilt wurde, mangels Gewinnerzielungsabsicht könne eine Mitunternehmerschaft nicht anerkannt werden.

Nach erfolglosem Einspruch erhoben die Kläger sowie die Beigeladenen zu 1 bis 3 Klage, mit der in erster Linie beantragt wird, die Bescheide vom 20. Mai 1985 aufzuheben und die Mitunternehmerschaft der Kläger zu 2 bis 4 und der Beigeladenen zu 1 bis 3 festzustellen. Die Beigeladenen zu 1 bis 3 haben die Klage zurückgenommen; damit kamen sie einer Auflage im Zusammenhang mit der Einstellung eines Strafverfahrens nach, das gegen sie im Zusammenhang mit der Beteiligung eingeleitet worden war. Das Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) wurde nach den Klagerücknahmen insoweit durch Beschlüsse des FG eingestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 3. März 1993, an dem der Vorsitzende Richter am Finanzgericht A und die Richter am Finanzgericht B und C beteiligt waren, wurden die Treugeber unter Berufung auf § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigeladen. Nach § 60 Abs. 3 FGO seien, so führt das FG in den Gründen des Beiladungsbeschlusses aus, Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt seien, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen könne, notwendig beizuladen. Klagebefugnis und notwendige Beiladung hingen dergestalt zusammen, daß Klagebefugte, die nicht selbst Klage erhoben hätten, beizuladen seien. Entsprechend der einem Kommanditisten zustehenden Klagebefugnis stehe auch einem angeblich atypisch stillen Gesellschafter eine Klagebefugnis nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FGO zu, wenn streitig sei, ob er überhaupt mitunternehmerisch beteiligt sei. Die bislang noch nicht oder nicht mehr am Verfahren beteiligten Treugeber der GmbH seien deshalb zum Klageverfahren beizuladen.

Gegen die Beiladung wendet sich die Beschwerde der Kläger, mit der die Aufhebung des Beiladungsbeschlusses begehrt wird.

Zur Begründung wird ausgeführt: Die Beigeladenen zu 1 bis 3 hätten ihre Klagen in Erfüllung einer strafgerichtlichen Auflage zurückgenommen. Ob und inwieweit die Beigeladenen zu 4 und 5 ihre Rechtsmittel zurückgenommen haben, sei den Klägern nicht bekannt, könne aber nach den Gesamtumständen angenommen werden. Am angefochtenen Beiladungsbeschluß sei der ursprüngliche Berichterstatter nicht mehr beteiligt gewesen. Dazu hat der Vorsitzende Richter des beschließenden Senats des FG folgende Erklärung zu den Akten gegeben: "Der Vorsitzende des ... Senats hat mit Verfügung vom 3. März 1993 (1. Änderung des GVPl 1993 des ... Senats) neben weiteren Verfahren das bisher RFG D zugewiesene Verfahren ... RFG B zugewiesen, weil dieser das Verfahren in der Abwesenheit von Herrn RFG D weitgehend gefördert hat. RFG D war im vergangenen Jahr ein sechsmonatiger Sonderurlaub bewilligt worden." Daraufhin haben die Kläger erwidert: Ein Vertreter könne als gesetzlicher Richter nur tätig werden, wenn der zu vertretende Richter verhindert sei. Entfalle eine vorübergehende Verhinderung, so sei der ursprüngliche, zunächst vertretene Richter wieder der gesetzliche Richter. Auf arbeitsökonomische Gründe könne es dabei nicht ankommen. Im Schreiben des Vorsitzenden seien keine Zeiträume aufgeführt, in denen die für dieses Verfahren gesetzlichen Richter verhindert gewesen seien. Wenn Richter am Finanzgericht D 1992 ein Sonderurlaub von sechs Monaten bewilligt worden sei, so sei er danach, also auch für den Beschluß vom 3. März 1993 wieder für dieses Verfahren der gesetzliche Richter. Für finanzgerichtliche, dem Steuergeheimnis unterliegende Verfahren bestünden wegen § 30 der Abgabenordnung (AO 1977) auch erhebliche Bedenken, wenn ein Finanzrichter, der nicht der gesetzliche Richter im oben dargelegten Sinne sei, Einblick in die Verfahrensakten einschließlich der dazu gehörenden Nebenakten nehme.

Das FG hat der Beschwerde nicht abge holfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet und wird deshalb zurückgewiesen.

1. Das FG war bei Erlaß des angefochtenen Beschlusses vorschriftsmäßig besetzt.

a) Nach § 119 Nr. 1 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Ein in nicht vorschriftsmäßiger Besetzung ergangenes Urteil ist ohne weitere Sachprüfung aufzuheben. Die gleiche Rechtsfolge tritt ein, wenn ein Beschluß in nicht vorschriftsmäßiger Besetzung ergangen ist. Demzufolge ist auch ein Beschluß eines Kollegialgerichts ohne weitere sachliche Prüfung aufzuheben, wenn der Spruchkörper, der den Beschluß erlassen hat, nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Die Besetzung des Gerichts kann auch deshalb fehlerhaft sein, weil bei der Besetzung der Richterbank die gemäß § 4 FGO i. V. m. den Vorschriften der §§ 21 e bis 21 g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) maßgebenden Grundsätze nicht beachtet wurden oder im Einzelfall gegen den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts oder des Senats verstoßen wurde (Gräber /Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Anm. 4).

b) Gemäß § 21 g Abs. 2 GVG bestimmt der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen (Mitwirkungsgrundsätze) die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; diese Anordnung kann im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn das wegen Überlastung, Wechsel oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird. Im Streitfall ergab sich aus dem vom Vorsitzenden Richter erstellten Geschäftsverteilungsplan 1993 des ... Senats des FG, daß zu den im Streitfall zur Mitwirkung berufenen Richtern der Richter am Finanzgericht D gehörte. An dessen Stelle ist aufgrund der Änderung des Geschäftsverteilungsplans vom 3. März 1993 Richter am Finanzgericht B getreten. Wesentlicher Grund für die Änderung war, wie sich aus der Äußerung des Vorsitzenden des ... Senats des FG ergibt, daß Richter am Finanzgericht D im Jahre 1992 einen sechsmonatigen Sonderurlaub in Anspruch genommen hatte und während dieser Zeit eine Förderung des in tatsäch licher und rechtlicher Hinsicht nicht einfachen Streitfalls durch ihn nicht möglich war. Daraus ergibt sich zugleich, daß Richter am Finanzgeircht D nach Wiederaufnahme der Dienstgeschäfte zumindest vorübergehend überlastet und deshalb die vom Vorsitzenden verfügte Änderung des senatsinternen Geschäftsverteilungsplans rechtens war. Abgesehen davon gilt folgendes: Die Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs (BGH) haben im Beschluß vom 5. Mai 1994 VGS 1--4/93 (Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1994, 1735) ausgeführt: "Die Mitwirkungsgrundsätze müssen ... zwei Ziele in sich vereinigen. Sie sollen gewährleisten, daß die Zusammensetzung der Richterbank ausreichend vorherbestimmt ist, darüber hinaus aber auch die Rechtsprechungstätigkeit des Spruchkörpers reibungslos und effektiv gestalten. Die beiden Ziele sind nicht deckungsgleich und können einander widerstreiten. Indessen werden sich bei zweckentsprechender Gestaltung der Mitwirkungsgrundsätze die Schwierigkeiten in Grenzen halten lassen." Erforderlich und genügend sei deshalb, daß die Mitwirkungsgrundsätze mit abstrakten Merkmalen regeln, welche Richter an der Entscheidung mitzuwirken haben. Sie müßten ... ein System in der Weise ergeben, daß die Besetzung des Spruchkörpers bei der einzelnen Entscheidung aus ihnen ableitbar sei und Ermessensentscheidungen des Vorsitzenden im Regelfall entbehrlich seien. Weiteres fordere das Gesetz nicht. Vielmehr stehe es dem Vorsitzenden im übrigen frei, die nach den Verhältnissen seines Spruchkörpers am geeignetsten erscheinende Methode zur Bewältigung des Geschäftsanfalls zu wählen. Hieraus haben die Vereinigten Großen Senate u. a. hergeleitet, daß im Einzelfall aus einem bestimmten besonderen Grund von den Mitwirkungsgrundsätzen abgewichen werden könne. Das Urteil des 4. Straf senats des BGH vom 13. Dezember 1979 4 StR 632/79 (BGHSt 29, 162), das solche Abweichungen für zulässig halte, wenn dafür ein sachlicher Grund vorliege, werde durch die Entscheidung der Vereinigten Großen Senate nicht berührt. Daß im Streitfall ein sachlicher Grund für die Bestimmung des Richters am Finanzgericht B anstelle des Richters am Finanzgericht D vorgelegen hat, ergibt sich aus dem bereits angeführten besonderen Umstand, daß Richter am Finanzgericht D wegen sechsmonatigen Sonderurlaubs von der Mitwirkung in einem Teil der Sachen, in denen er nach dem Plan mitzuwirken bestimmt war, entbunden werden sollte, um so eine ver zögerte Bearbeitung dieser Sachen zu vermeiden.

2. Der angefochtene Beiladungsbeschluß ist auch in der Sache nicht zu beanstanden.

a) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie gemäß § 60 Abs. 3 FGO beizuladen (notwendige Beiladung), es sei denn, sie sind nach § 48 FGO nicht klagebefugt.

Im Streitfall geht es darum, ob die Kläger zu 2 bis 4 Mitunternehmer der Klägerin zu 1 waren. In gleicher Weise wie die Kläger zu 2 bis 4 und aufgrund übereinstimmender Verträge hatten sich auch die Beigeladenen an der Klägerin zu 1 beteiligt. Die Frage, ob es zu einer Mitunternehmerschaft mit der Klägerin zu 1 gekommen ist, kann daher für die Kläger und die Beigeladenen nur einheitlich beantwortet werden.

b) Die Beigeladenen waren auch nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO klagebefugt. Nach dieser Vorschrift kann, soweit es sich bei der einheitlichen Feststellung von Einkünften aus Gewerbebetrieb darum handelt, wer an dem festgestellten Betrag beteiligt ist, jeder Gesellschafter Klage erheben, der durch die Feststellung hierzu berührt ist. Insbesondere ist deshalb nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO klagebefugt, wer geltend macht, als Mitunternehmer am Gewinn oder Verlust einer Personengesellschaft beteiligt zu sein, im Feststellungsbescheid jedoch nicht als Mitunternehmer berücksichtigt wird. Im Streitfall hat das FA in den angefochtenen Bescheiden vom 20. Mai 1985 die Mitunternehmerschaft der Kläger und der Beigeladenen ausdrücklich verneint und ihnen folglich Anteile am Verlust der KG nicht zugerechnet. Dagegen konnte jeder der Beteiligten Einspruch einlegen und gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung Klage erheben.

c) Die Klagebefugnis der Beigeladenen (wie auch die der Kläger selbst) entfällt im Streitfall nach Lage der Dinge auch nicht, weil die Beigeladenen sich ursprünglich über die M-GmbH als Treuhänderin beteiligt hatten. Allerdings hat dann, wenn sich jemand an einer Personengesellschaft als Treugeber über einen Treuhänder in der Weise beteiligt, daß zivilrechtlich nicht er, sondern der Treuhänder Gesellschafter ist, nur der Treuhänder die Befugnis, Einspruch einzulegen und Klage zu erheben, wenn das FA es ablehnt, den Treugebern Verlustanteile zuzurechnen (vgl. Senatsurteil vom 24. Mai 1977 IV R 47/76, BFHE 122, 400, BStBl II 1977, 737). Im Streitfall ist jedoch davon auszugehen, daß die M- GmbH seit vielen Jahren im Handelsregister gelöscht ist und nicht mehr besteht und daß die Beigeladenen und die Kläger seitdem selbst und unmittelbar in die geltend gemachte Rechtsstellung der GmbH eingerückt sind.

d) Die Notwendigkeit der Beiladung entfällt auch nicht deshalb, weil die Beigeladenen ihre zunächst selbst erhobenen Klagen zurückgenommen haben. Die Klagerücknahme hatte gemäß § 72 Abs. 2 FGO den Verlust der Klagebefugnis für die Beigeladenen zur Folge. Das Klageverfahren mußte insoweit, wie auch geschehen, durch Beschluß des FG eingestellt werden. Davon blieb jedoch das von den Klägern eingeleitete Klageverfahren unberührt. Unberührt blieb auch, daß über die Mitunternehmerschaft der Kläger und der Beigeladenen nur einheitlich entschieden werden kann. Deshalb mußten die jetzigen Beigeladenen nach Rücknahme ihrer eigenen Klagen zum Verfahren der verbliebenen Kläger beigeladen werden (vgl. Senatsurteil vom 7. August 1986 IV R 137/83, BFHE 147, 224, BStBl II 1986, 910).

Danach war die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Der Streit über die Notwendigkeit einer Beiladung ist ein unselbständiges Nebenverfahren. Die Kosten dieses Nebenverfahrens bilden eine Einheit mit den Kosten des Klageverfahrens (Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 4. August 1988 VIII B 82/87, BFH/NV 1989, 249).

 

Fundstellen

Haufe-Index 420125

BFH/NV 1995, 234

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