Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der Festsetzungsfrist bei verschwiegenen Kapitaleinkünften

 

Leitsatz (NV)

Wurde ein Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt, obwohl eine Einkommensteuererklärung hätte abgegeben werden müssen, so beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Entstehung der Einkommensteuerschuld (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977).

 

Normenkette

AO 1977 § 150 Abs. 2-3, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 170 Abs. 1, 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 370 Abs. 1, § 378; FGO § 69 Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) sind die Kinder und Miterben der am 14. April 1990 verstorbenen Erblasserin (E). E hatte für das Streitjahr 1985 am 11. April 1986 bei dem Beklagten, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt -- FA --) einen Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich hinsichtlich ihres Arbeitslohns in Höhe von 19 090 DM gestellt, ohne andere Einkünfte zu erklären. Sie hatte hierfür den amtlichen gemeinsamen Vordruck für Lohnsteuer-Jahresausgleich und Einkommensteuererklärung verwandt und das Kästchen "Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich" ausgefüllt sowie in einem Anschreiben dies Begehren bestätigt. Das FA führte den Lohnsteuer-Jahresausgleich mit Bescheid vom 5. Juni 1986 durch. Nach dem Tod von E wurde in deren Nachlaß ein Kapitalvermögen von insgesamt ... DM festgestellt. Daraufhin erfaßte das FA in dem am 4. Februar 1993 für das Streitjahr erlassenen Einkommensteuerbescheid Einnahmen aus Kapitalvermögen in Höhe von ... DM, was zu einer Einkommensteuerschuld von ... DM führte. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung machten die Kläger geltend, daß die Einkommensteuer-Veranlagung wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr habe durchgeführt werden dürfen. Die nach Ablehnung des Aussetzungsantrags erhobene Beschwerde an die Oberfinanzdirektion (OFD) blieb wie der Einspruch erfolglos. Die Kläger verfolgten ihre Begehren nunmehr beim Finanzgericht (FG) weiter. Während das Klageverfahren noch anhängig ist, wies das FG den Aussetzungsantrag als unbegründet ab. Mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 331 veröffentlichten Beschluß stellte sich das FG auf den Standpunkt, der Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich erfülle die Anforderungen an eine Steuererklärung i. S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zumindest dann nicht, wenn die darin erklärten Besteuerungsgrundlagen keinen Anlaß für eine Einkommensteuer-Veranlagung gäben.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet. Das FG hat zutreffend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids 1985 verneint.

Die für die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen ernstlichen Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung neben für die Rechtsmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Das ist hier nicht der Fall.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, daß dem Erlaß des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr 1985 nicht der Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) entgegensteht. Denn der Einkommensteuerbescheid ist am 4. Februar 1993 noch innerhalb der -- bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre betragenden -- Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977) ergangen. Die Festsetzungsfrist hat nämlich gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, d. h. 1988, nach dem Jahr der Steuerentstehung (1985) begonnen.

Der in § 170 Abs. 1 AO 1977 enthaltene Grundsatz des Beginns der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, wird durch die in den folgenden Absätzen der Vorschrift geregelten Fälle der Anlaufhemmung durchbrochen. Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn kraft Gesetzes eine Steuererklärung einzureichen ist, mit dem Ablauf des Kalenderjahrs ihrer Einreichung, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Entstehungsjahr. Letztere Regelung bezieht sich insbesondere auf die Fälle der Nichtabgabe der vorgeschriebenen Steuererklärung. Geht es um eine Steuer oder Steuervergütung, die nur auf Antrag festgesetzt wird, so beginnt die Frist gemäß § 170 Abs. 3 AO 1977 mit dem Ablauf des Kalenderjahrs der Antragstellung. Diese Vorschrift gilt nach ständiger Rechtsprechung für den antragsabhängigen Lohnsteuer-Jahresausgleich (BFH-Urteil vom 9. März 1990 VI R 87/89, BFHE 160, 202, BStBl II 1990, 608; vgl. auch Urteil vom 28. November 1990 VI R 115/87, BFHE 163, 536, 540, BStBl II 1991, 488). Wurde ein Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gestellt, obwohl eine Einkommensteuererklärung hätte abgegeben werden müssen, ist für den Beginn der Festsetzungsverjährung grundsätzlich die Regelung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 maßgebend, da § 170 Abs. 3 AO 1977 nur die Fälle des antragsabhängigen Lohnsteuer-Jahresausgleichs betrifft.

Die Kläger können sich nicht darauf berufen, daß hier die Festsetzungsfrist nach der ersten Alternative des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 bereits mit Ablauf des Kalenderjahrs 1986 begonnen habe, in dem die "Steuererklärung" eingereicht wurde. Denn E hat für 1985 keine Einkommensteuererklärung abgegeben, vielmehr lediglich den Lohnsteuer-Jahresausgleich beantragt. Daß die Angaben im Rahmen des Antrags auf Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 150 Abs. 2 i. V. m. Abs. 3 AO 1977 wie bei Steuererklärungen zu machen sind (BFH-Urteil vom 10. Oktober 1986 VI R 208/83, BFHE 148, 47, BStBl II 1987, 77), spielt hier keine Rolle. Denn es fehlt an einem Sachzusammenhang zwischen § 150 Abs. 2 bzw. Abs. 3 mit §§ 169, 170 AO 1977 (vgl. auch Senatsurteil vom 18. Juni 1991 VIII R 54/89, BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124, Ziff. 1 der Gründe). Wie auch die Kläger nicht in Abrede stellen, hat E zu Unrecht allein den Lohnsteuer-Jahresausgleich beantragt, obwohl sie wegen ihrer Kapitaleinkünfte zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet gewesen wäre (§ 25 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 52 Abs. 23 a des Einkommensteuergesetzes -- EStG --, § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b bb der Einkommensteuer- Durchführungsverordnung -- EStDV --). Wegen der pflichtwidrig unterlassenen Einkommensteuererklärung begann die Festsetzungsfrist nach der Zweiten Alternative von § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Entstehungsjahr der Einkommensteuer. Die Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist aufgrund der unterlassenen Einkommensteuererklärung bestimmt sich unabhängig vom rechtsfehlerhaft beantragten Lohnsteuer-Jahresausgleich. Denn es kann sich nicht mit einer kürzeren Anlaufhemmung zugunsten von E auswirken, daß sie durch unvollständige Angaben zu ihren Einkünften einen nicht gerechtfertigten Lohnsteuer- Jahresausgleich erreicht hat (vgl. auch Senatsurteil in BFHE 165, 445, BStBl II 1992, 124).

Ferner hat die Vorinstanz rechtsfehlerfrei auf die in der BFH-Rechtsprechung (Beschluß des Großen Senats vom 21. Oktober 1985 GrS 2/84, BFHE 145, 147, BStBl II 1986, 207; vgl. auch schon Senatsurteil vom 21. Juni 1983 VIII R 173/80, BFHE 139, 5, BStBl II 1984, 7) hervorgehobenen Unterschiede zwischen Einkommensteuer- Veranlagung und Lohnsteuer-Jahresausgleich hingewiesen.

Soweit eine i. S. des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 eingereichte Steuererklärung anerkanntermaßen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 170 AO 1977 Tz. 2 b) nicht richtig zu sein braucht, setzt dies die Abgabe einer Einkommensteuererklärung voraus, was hier, wie ausgeführt, gerade nicht geschehen ist.

In der von E pflichtwidrig unterlassenen Erklärung ihrer Kapitaleinkünfte liegt eine Einkommensteuerverkürzung (§ 370 Abs. 1 AO 1977), weil sie das FA über die verschwiegenen Kapitalerträge in Unkenntnis gelassen und dadurch eine Einkommensteuer-Veranlagung verhindert hat. Dies Verhalten war unstreitig jedenfalls leichtfertig (§ 378 AO 1977), so daß die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 fünf Jahre betrug.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419929

BFH/NV 1995, 82

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