Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Auch im steuergerichtlichen Verfahren ist das Verschulden eines Bevollmächtigten gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 232 Abs. 2 ZPO dem Vertretenen zuzurechnen, wenngleich der für das steuergerichtliche Verfahren maßgebende § 56 FGO im Gegensatz zu § 86 Abs. 1 Satz 2 AO, der im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren gilt, das nicht ausdrücklich bestimmt.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 155; VwGO §§ 60, 173; ZPO § 232 Abs. 2

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) wies durch das Urteil vom 4. Februar 1966 die Klage des Steuerpflichtigen (Stpfl.) gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts (FA) in der Einkommensteuersache für 1963 als unbegründet zurück. Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Stpfl. am 12. März 1966 zugestellt. Dieser legte am 6. April 1966 Revision ein und beantragte, ihm zur Begründung der Revision die Frist um drei Monate zu verlängern und bat gleichzeitig um Mitteilung, ob die Fristverlängerung auch für die Erhebung von Verfahrensrügen gelte.

Der Vorsitzende des Senats verlängerte die Frist zur Begründung der Revision bis zum 12. August 1966. Im Schreiben vom 19. August 1966 wies er den Bevollmächtigten dann darauf hin, daß die Revisionsbegründung noch nicht eingegangen sei und stellte ihm anheim, innerhalb der Frist des § 56 Abs. 2 FGO einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung zu stellen und die Tatsachen, die den Antrag begründen könnten, glaubhaft zu machen-.

Daraufhin ging am 25. August 1966 die Revisionsbegründungsschrift ein. Zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt der Bevollmächtigte vor, er habe die Frist versäumt, weil er irrtümlich angenommen habe, die Begründungsfrist gelte nur für Verfahrensrügen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision war als unzulässig zu verwerfen. Gemäß § 124 FGO ist die Revision unzulässig, wenn sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet wird. Die Frist zur Begründung der Revision endet nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO zwei Monate nach der Zustellung des angefochtenen Urteils, wie im Urteil des Senats VI R 201/66 vom 20. September 1966 (BFH 86, 813, BStBl III 1967, 4) ausgeführt ist, oder mit Ablauf der Frist, die der Vorsitzende des Senats auf Antrag gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 FGO gewährt hat. Der Bevollmächtigte des Stpfl. hat die Revisionsbegründung verspätet eingereicht, da am 25. August 1966 sowohl die gesetzliche Zweimonatsfrist als auch die vom Senatsvorsitzenden gesetzte Frist abgelaufen waren.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist ist nicht begründet. Ein Irrtum über die prozessuale Rechtslage rechtfertigt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO nur, wenn dieser Irrtum nicht auf einem Verschulden beruht (BFH-Urteile V 50/54 U vom 29. Juli 1954, BFH 59, 212, BStBl III 1954, 290; IV 20/64 vom 20. August 1964, HFR 1965 S. 37; Ziemer-Birkholz, FGO, § 56 Anm. 21). Der Irrtum des Bevollmächtigten über die Bedeutung der Revisionsbegründungsfrist war aber schuldhaft. Ein Steuerbevollmächtigter muß als berufsmäßiger Vertreter die Vorschriften über das Revisionsverfahren kennen, wenn er solche Mandate übernimmt. Es ist nicht Aufgabe der Steuergerichte, Steuerbevollmächtigte auf ihre Bitte über die Bedeutung von Fristverlängerungen aufzuklären.

Das Verschulden seines Bevollmächtigten muß sich der Stpfl. als eigenes Verschulden zurechnen lassen. § 56 FGO, der für das gerichtliche Verfahren gilt, besagt, das zwar ausdrücklich, im Gegensatz zu § 86 Abs. 1 Satz 2 AO, der für das außergerichtliche Rechtsbehelsverfahren eine klare Bestimmung dieser Art enthält. Wie aber der VII. Senat des BFH im Beschluß VII B 19/66 vom 22. November 1966 (BFH 87, 51, BStBl III 1966, 681) zutreffend entschieden hat, gilt dieser Grundsatz auch im gerichtlichen Verfahren. Die Rechtsgrundlage bildet § 155 FGO in Verbindung mit § 232 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO), wie sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte der FGO ableiten läßt. § 86 Satz 2 AO a. F. hatte ausdrücklich festgelegt, daß das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder eines Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des Vertretenen gleichstehe. Im Entwurf zur FGO (§ 55 Abs. 1 Satz 2) hatte die Bundesregierung diese Vorschrift wörtlich übernommen (Deutscher Bundestag IV. Wahlperiode Drucksache IV 1446 Seiten 10 und 49). Der Rechtsausschuß des Bundestages strich den Satz jedoch, "um die Einheitlichkeit mit der VwGO zu wahren", die bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) ebenfalls keine Bestimmung darüber getroffen hatte, wie das Verschulden des Bevollmächtigten zu behandeln sei. Wie der Rechtsausschuß klarstellte, sollte diese Streichung "jedoch keine sachliche änderung der von der Verwaltungsgerichtsrechtsprechung dazu entwickelten Gründe" bedeuten (Deutscher Bundestag IV. Wahlperiode Drucksache IV 1446 Seite 7 zu Drucksache IV 3523). Daraus ist zu entnehmen, daß nach den Vorstellungen der maßgebenden Gremien des Bundestages § 56 FGO hinsichtlich des Verschuldens des Vertreters oder Bevollmächtigten ebenso auszulegen ist, wie die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung den gleichlautenden § 60 VwGO ausgelegt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 232 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten als Verschulden des Vertretenen angesehen. Im Beschluß IV ER 403/61 vom 16. November 1961 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1962 Seite 459) führt es aus, § 60 VwGO sei keine "derart geschlossene Vorschrift, daß eine Ergänzung aus der ZPO auf dem Wege über § 173 VwGO unstatthaft wäre; die Ergänzung aus der ZPO ... (werde) auch nicht durch wesensmäßige Unterschiede beider Verfahrensarten gehindert".

Das gilt auch für die Auslegung des § 56 FGO. Da § 155 FGO - ebenso wie § 173 VwGO - die ergänzende, sinngemäße Anwendung von Vorschriften der ZPO gestattet, bestehen keine Bedenken, auch im steuergerichtlichen Verfahren das Verschulden eines Bevollmächtigten entsprechend § 232 Abs. 2 ZPO dem Vertretenen als eigenes Verschulden zuzurechnen.

Der Bevollmächtigte hat mündliche Verhandlung beantragt. Der Senat hält es für zweckmäßig, gemäß §§ 90 Abs. 1 Satz 2, 121 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412443

BStBl III 1967, 290

BFHE 1967, 106

BFHE 88, 106

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