Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum gesetzlichen Richter bei Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter

 

Leitsatz (NV)

Das erkennende Gericht ist vorschriftsmäßig besetzt, wenn in Übereinstimmung mit der senatsinternen Anordnung des Vorsitzenden für den Fall der Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter bei Sachen aus dem Bezirk eines bestimmten FA der Vorsitzende und im übrigen der bisherige Berichterstatter entscheiden.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1; GVG § 21g Abs. 2; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) haben mit Schriftsatz vom 23. April 1993 gegen den Einkommensteuerbescheid 1991 Klage erhoben, um weitere Werbungskosten wegen eines häuslichen Arbeitszimmers berücksichtigt zu bekommen. Mit Beschluß vom 18. April 1995 wurde die Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter übertragen. Dieser wies die Klage mit Urteil vom 9. Juni 1995 nach mündlicher Verhandlung ab.

Mit der Revision machen die Kläger geltend, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei (§ 119 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Gemäß § 4 FGO i. V. m. § 21g Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) verteile der Vorsitzende die Geschäfte auf die Mitglieder. Er bestimme vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirkten. Eine Änderung dieser Anordnung sei nur unter ganz engen Voraussetzungen zulässig (§ 21 g Abs. 2 GVG). Aufgrund der vom Vorsitzenden vorgenommenen Geschäftsverteilung sei das Klageverfahren der Richterin A als Berichterstatterin zugefallen. Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sei aber nicht sie, sondern der Vorsitzende Richter B zuständig gewesen, weil die Geschäftsverteilung in diesem Senat generell so geregelt sei, daß der Vorsitzende alle Einzelrichtersachen an sich ziehe, auch für den Fall, daß andere Senatsmitglieder die Sache als Berichterstatter bereits bearbeitet hätten. Eine solche Regelung sei unzulässig. Denn nur, wenn die einem Berichterstatter zugewiesene Sache ihm auch als Einzelrichter verbleibe, sei gewährleistet, daß die Rechtsuchenden ihrem gesetzlichen Richter unterworfen seien.

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Finanzgericht (FG) hat auf Anfrage mitgeteilt, daß für das Jahr 1995 und damit für den Zeitpunkt des Ergehens des Urteils folgende senatsinterne Geschäftsverteilung gegolten hat: "Soweit Sachen auf den Einzelrichter übertragen werden, ist der jeweilige Berichterstatter als Einzelrichter zuständig, mit Ausnahme der Sachen aus dem Bezirk des FA C mit den Anfangsbuchstaben A bis F, in denen der Vorsitzende zuständig ist." Die Kläger, deren Namen mit dem Anfangsbuchstaben B beginnen, wurden beim FA C zur Einkommensteuer veranlagt. Das angefochtene Urteil ist vom Vorsitzenden des Senats als Einzelrichter ergangen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht zulässig, da keine Tatsachen vorgetragen worden sind, die die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels enthalten.

Entgegen der Auffassung der Kläger ist für die Frage, ob das erkennende Gericht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO), auf die Mitwirkungsanordnung abzustellen, die im Geschäftsjahr des Ergehens der Entscheidung gegolten haben, und nicht auf diejenigen, welche im Jahr des Eingangs der Klage maßgebend waren. Die Kläger haben weder vorgetragen, daß zum maßgebenden Zeitpunkt gemäß § 21 g GVG eine andere Person zur Mitwirkung bestimmt gewesen sei, als der Einzelrichter, der die angefochtene Entscheidung getroffen hat, noch, daß die Mitwirkungsanordnung im Verlaufe des Geschäftsjahres überhaupt oder aus anderen, als den in § 21 g Abs. 2 2. Satzteil GVG genannten Gründen geändert worden sei.

Die Ansicht, daß für den Fall der Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter der Rechtsstreit zwingend dem bisher bestimmten Berichterstatter zuzuweisen sei, läßt sich aus dem Gesetz nicht herleiten. Bei Senaten des FG sind, sofern keine Überbesetzung besteht, die Mitglieder des jeweiligen Senats und im übrigen die vom Vor sitzenden gemäß § 21 g GVG bestimmten Mitglieder die gesetzlichen Richter i. S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Auswahl eines von ihnen zum Berichterstatter, die nach überwiegender Meinung nicht unter § 21 g Abs. 2 GVG fällt (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 4 FGO Tz. 31, m. w. N.; vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 2. Dezember 1992 I R 54/91, BFHE 170, 119, BStBl II 1993, 311), macht nicht einen von ihnen in höherem oder geringerem Maße zum gesetzlichen Richter. Die besondere Funktion des Berichterstatters besteht lediglich darin, Entscheidungen vorzubereiten (BFH-Beschluß vom 18. Februar 1994 X B 35/93, BFH/NV 1995, 120).

Die Übertragung der Entscheidung auf den Einzelrichter hat zur Folge, daß von den bis dahin entscheidungsbefugten drei Berufsrichtern notwendigerweise zwei ausscheiden. Da die bisherigen gesetzlichen Richter, was die Entscheidungsbefugnis betrifft, gleichrangig sind und da das Gesetz nichts Abweichendes vorschreibt, besteht keine Veranlassung zu der Annahme, der Vorsitzende sei im Rahmen der ihm nach § 21 g GVG eingeräumten Anordnungsbefugnis gehalten, einem bestimmten Mitglied des Senats den Vorrang einzuräumen. Ungeachtet dessen ob im Falle der Überbesetzung der Einzelrichter aus dem Kreis der bisher entscheidungsbefugten Richter ausgewählt werden muß, steht jedenfalls der Übertragung auf irgendeinen der bisherigen gesetzlichen Richter grundsätzlich nichts im Wege. Für Fälle, in denen sich der Vorsitzende für die Dauer des Geschäftsjahres selbst zum Einzelrichter bestellt, wird er der Bestimmung des § 21 g Abs. 3 Satz 2 GVG gerecht, die regelt, daß auch der Vorsitzende in angemessenem Umfang als Einzelrichter tätig zu werden hat. Daß bei der Anordnung des Vorsitzenden nach § 21 g GVG, die den hier zu beurteilenden Einzelfall erfaßt, sachwidrige Erwägungen eine Rolle gespielt haben könnten (vgl. hierzu BFH-Beschluß vom 29. Mai 1992 VIII K 1/92, BFH/NV 1992, 538, m. w. N.), ist weder vorgetragen noch gibt es hierfür irgendwelche Anhaltspunkte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421322

BFH/NV 1996, 572

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