Entscheidungsstichwort (Thema)

Organträger und Organgesellschaft gewerbesteuerrechtlich zwei selbständige Unternehmen

 

Leitsatz (NV)

1. Wenn nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 GewStG 1977 im Rahmen einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft die Organgesellschaft als eine Betriebsstätte des Organträgers fingiert wird, so folgt daraus nicht, daß Organgesellschaft und Organträger ein einheitliches Unternehmen bilden. Vielmehr bleibt jedes der beiden Unternehmen nicht nur bürgerlich-rechtlich, sondern auch steuerrechtlich selbständig.

2. Organträger und Organgesellschaft bilanzieren für sich. Der Gewerbeertrag der Organgesellschaft ist so zu ermitteln, als wäre diese Gesellschaft ein selbständiges Steuersubjekt. Erst der selbständig ermittelte Gewerbeertrag der Organgesellschaft ist mit dem für den Organträger selbst ermittelten Gewerbeertrag zusammenzurechnen.

 

Normenkette

GewStG 1977 § 2 Abs. 2 Nr. 2; FGO § 51 Abs. 1, 3; ZPO § 41 Nr. 4, § 42

 

Tatbestand

In der Hauptsache (Körperschaftsteuersache 1977) ist zwischen den Beteiligten die Bildung von Rückstellungen für Gewinnzusagen an Mitarbeiter und für die Kosten des Jahresabschlusses sowie die volle Abschreibung eines aktivierten Mietrechts streitig. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Organgesellschaft des Einzelunternehmens A in X (im folgenden: Einzelunternehmen), für das das Finanzamt (FA) X zuständig ist.

In dem finanzgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin beantragt, den Richter am Finanzgericht Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Dazu hat sie vorgetragen: Dr. S. habe als früherer Leiter der Rechtsbehelfsstelle des FA X an der Schlußbesprechung anläßlich einer Außenprüfung bei dem Einzelunternehmen teilgenommen und sei im Einspruchsverfahren des Einzelunternehmens wegen (u. a.) Gewerbesteuer 1977 bis 1979 tätig gewesen. Wegen der bestehenden Organschaft habe die Gewerbesteuerveranlagung der Klägerin auch für das Einzelunternehmen Bedeutung. Daraus ergebe sich, daß Dr. S. unter Umständen schon früher zu den zwischen den Beteiligten in der Hauptsache strittigen Rechtsfragen habe Stellung nehmen müssen.

Unabhängig von einem möglichen Ausschluß des Dr. S. von der Ausübung seines Richteramtes gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 41 Nr. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) begründeten die vorgetragenen Umstände zumindest die Besorgnis der Befangenheit i. S. des § 51 Abs. 3 FGO i. V. m. § 42 ZPO.

In seiner dienstlichen Äußerung hat Dr. S. die Teilnahme an der Schlußbesprechung bestätigt, wußte aber nicht mehr anzugeben, ob in dem Rechtsbehelfsverfahren ,,zu den strittigen Punkten der anhängigen Verfahren Stellung genommen worden ist".

Das Finanzgericht (FG) hat durch den angefochtenen Beschluß den Antrag der Klägerin als unbegründet abgelehnt. Dr. S. sei weder kraft Gesetzes von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, noch sei die Besorgnis der Befangenheit begründet.

Mit ihrer Beschwerde begründet die Klägerin den Ausschluß des Dr. S. von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 4 ZPO) und die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit i. S. des § 51 Abs. 3 FGO ,,allein mit den gewerbesteuerlichen Zusammenhängen zwischen Organgesellschaft und Organträger". Andere Gründe seien weder vorgebracht worden noch bisher erkennbar. Dr. S. habe vor seiner Übernahme in das Richterverhältnis das FA X ,,in dem Rechtsstreit 1977 bis 1979 des Organträgers A als Leiter der Rechtsbehelfsstelle . . . vertreten". Er habe dabei die ,,gleichen bilanziell strittigen Rechtsfragen zu bearbeiten gehabt, welche in der Körperschaftsteuerstreitsache anhängig" seien. Daß der Gewerbeertrag der Organgesellschaft selbständig zu ermitteln sei, führe weder zu einer gesonderten Besteuerungsgrundlage nach § 179 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) noch zu einer Bindung des FA des Organträgers. In dem Gewerbesteuerbescheid des Organträgers würden die Gewerbeerträge der einzelnen Organschaften nur als unselbständige Besteuerungsgrundlagen zusammengefaßt. Es sei deshalb nicht richtig, daß - wie das FG meine - die ,,Änderung des Körperschaftsteuerbescheids des Organs . . . nur die Festsetzung seines eigenen Gewerbeertrages und nicht auch den des Organträgers" ändert. Bei zutreffender Anwendung des § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) 1977 bei einer Organschaft müsse die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides für das Organ dessen Gewerbeertrag ändern ,,und damit zu einer Änderung des Gewerbesteuermeßbescheids des Organträgers" führen.

Im übrigen sei die Besorgnis der Befangenheit nach § 51 Abs. 3 FGO i. V. m. § 42 ZPO begründet. Im Falle einer Klageabweisung würde der Gewerbeertrag der Klägerin und damit der Gewerbesteuermeßbescheid des Organträgers unverändert fortbestehen. Dagegen würde eine Stattgabe der Klage zu einer Änderung des Gewerbeertrages der Klägerin und des Gewerbesteuermeßbescheides des Organträgers nach § 35b GewStG 1977 führen. Daraus folge, daß die Interessen des FA X berührt würden. Da Dr. S. Vertreter dieser Behörde in dem Besteuerungsverfahren des Einzelunternehmens gewesen sei, sei die Besorgnis der Befangenheit begründet.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt.

Nach § 129 Abs. 1 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Diese Frist lief, da der angefochtene Beschluß der Klägerin am 18. Dezember 1987 zugestellt worden ist, am 4. Januar 1988 ab (§ 54 Abs. 1 FGO, § 54 Abs. 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - sowie § 222 Abs. 2 ZPO). Wie der Stempelaufdruck auf der Beschwerdeschrift ergibt, ging diese am 4. Januar 1988 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Damit war die Frist gewahrt (§ 129 Abs. 2 FGO). Der Zeitpunkt, in dem die Beschwerdeschrift aufgrund der Zusendung durch den BFH unter Hinweis auf § 130 FGO dem FG zugegangen ist (7. Januar 1988), ist für das Einlegen der Beschwerde nicht maßgebend.

Die Beschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Klägerin keinen ausdrücklichen Antrag gestellt hat. Abgesehen davon, daß das Gesetz keinen Mindestinhalt für eine Beschwerde vorsieht, läßt sich das Begehren der Klägerin ihrem Vorbringen eindeutig entnehmen.

Die Beschwerde ist unbegründet. Dr. S. ist - wie das FG im Ergebnis zutreffend angenommen hat - im Streitfall weder kraft Gesetzes von der Ausübung des Amtes als Richter ausgeschlossen noch ist eine Besorgnis der Befangenheit ihm gegenüber begründet.

1. Die gewerbesteuerrechtlichen Zusammenhänge zwischen Organträger und Organgesellschaft in einer steuerlich anerkannten Organschaft rechtfertigen nicht schon für sich allein einen Ausschluß des Dr. S. von der Ausübung seines Richteramtes i. S. von § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 4 ZPO.

a) Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG in der für das Streitjahr der Hauptsache (1977) geltenden Fassung (GewStG 1977) gilt eine Kapitalgesellschaft als Betriebsstätte eines anderen Unternehmens, wenn diese Gesellschaft dessen Willen derart untergeordnet ist, daß sie keinen eigenen Willen i. S. des § 14 Nrn. 1 und 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 hat. Damit wird die Organgesellschaft im Rahmen einer gewerbesteuerlichen Organschaft als eine Betriebsstätte des Organträgers fingiert. Diese Regelung dient dem Zweck, durch eine Art ,,Poolung der Erträge" die am ,,Aufkommen der Gewerbesteuer beteiligten Gemeinden davor zu schützen, daß eng verbundene Unternehmen durch interne Maßnahmen ihren Gewinn willkürlich verlagern" (so BFH-Urteile vom 6. Oktober 1953 I 29/53 U, BFHE 58, 101, BStBl III 1953, 329; vom 5. Mai 1977 IV R 186/72, BFHE 122, 310, BStBl II 1977, 701). Die Fiktion, das Organ sei eine Betriebsstätte des Organträgers, macht deutlich, daß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 GewStG 1977 von zwei rechtlich selbständigen Unternehmen ausgeht. Anders als der Reichsfinanzhof (RFH), der die Organgesellschaft trotz bürgerlich-rechtlicher Selbständigkeit als unselbständigen Teil eines einheitlichen Gesamtunternehmens behandelte (sog. Einheitstheorie; vgl. dazu Urteile vom 12. Dezember 1939 I 205/38, RStBl 1940, 29; vom 23. Januar 1940 I 226/39, RStBl 1940, 436; vom 11. März 1942 VI 36/42, RStBl 1942, 546), hat der BFH die Auffassung von der Einheit eines aus Organgesellschaft und Organträger bestehenden Unternehmens abgelehnt (grundlegend Urteil vom 17. Februar 1972 IV R 17/68, BFHE 105, 383, BStBl II 1972, 582; ständige Rechtsprechung; vgl. BFHE 122, 310, BStBl II 1977, 701; vom 2. März 1983 I R 85/79, BFHE 138, 94, BStBl II 1983, 427; vom 6. November 1985 I R 56/82, BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73). Er hat dementsprechend Organgesellschaft und Organträger nicht nur bürgerlich-rechtlich, sondern auch steuerrechtlich als selbständige Gesellschaften angesehen.

b) Daraus ergeben sich gewerbesteuerliche Folgerungen. Eine einheitliche Ermittlung des Gewerbeertrages der Organgesellschaft und des Organträgers als eines einheitlichen Gesamtunternehmens scheidet von vornherein aus. Organgesellschaft und Organträger bilanzieren jeweils für sich; sie ermitteln ihre Gewinne bis zur Ermittlung des Gewerbeertrags (§ 7 GewStG 1977) voneinander getrennt (vgl. Urteile in BFHE 122, 310, BStBl II 1977, 701; in BFHE 138, 94, BStBl II 1983, 427, und in BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73). Der Gewerbeertrag der Organgesellschaft ist so zu ermitteln, als wäre diese Gesellschaft selbständiges Steuersubjekt. Bei der Ermittlung des Gewerbeertrags jedes der Unternehmen sind die Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften (§§ 8, 9 GewStG 1977) zu beachten. Neben diesen, für den Streitfall bedeutsamen allgemeinen Folgen wird auf weitere gewerbesteuerliche Auswirkungen in besonderen Fällen verwiesen (vgl. die in BFHE 105, 383 [387/388], BStBl II 1972, 582 [unter 3.] genannten Entscheidungen sowie die Ausführungen in BFHE 145, 78 [81 f.], BStBl II 1986, 73); auch sie bestätigen die selbständige gewerbesteuerliche Behandlung der Organgesellschaft und des Organträgers im Rahmen der Organschaft. Erst der selbständig ermittelte Gewerbeertrag der Organgesellschaft ist mit dem für den Organträger selbst ermittelten Gewerbeertrag zusammenzurechnen (Urteil in BFHE 138, 94 (96), BStBl II 1983, 427). Auf diese Weise wird in einem zweiten Akt der Gesamtertrag des Organkreises für die Zwecke der Gewerbesteuer festgestellt (Urteil in BFHE 145, 78, BStBl II 1986, 73). Damit unterliegen die zusammengefaßten Ergebnisse nur einmal der Gewerbesteuer.

c) Aufgrund dieser Rechtslage (oben a und b) sind die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 4 ZPO in der Person des Dr. S. nicht gegeben. Dieser war weder mit der Ermittlung des für ,,die Klägerin" maßgebenden Gewerbeertrags und -kapitals befaßt, noch das FA Y zu vertreten berechtigt.

Dr. S. war grundsätzlich mit der Ermittlung des Gewerbeertrages für die Klägerin als (früherer) Leiter der Rechtsbehelfsstelle des für das Einzelunternehmen (Organträger) zuständigen FA X nicht befaßt. Er war deshalb insoweit auch nicht als Vertreter des FA Y aufzutreten berechtigt (vgl. § 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. § 41 Nr. 4 ZPO). Den Gewerbeertrag für die Klägerin hatte allein und ausschließlich das FA Y zu ermitteln. Dieser Gewerbeertrag wird zwar nicht - wie die Klägerin richtig vorbringt - als gesonderte Besteuerungsgrundlage i. S. des § 179 AO 1977 förmlich festgestellt. Er ist aber entsprechend der Rechtsprechung des BFH und den Verwaltungsanweisungen (vgl. Gewerbesteuer-Richtlinien - GewStR - Abschn. 42) zur gewerbesteuerlichen Behandlung von Organschaften mit dem (für sich) ermittelten Gewerbeertrag des Einzelunternehmens (Organträgers) zusammenzurechnen.

Entsprechendes gilt auch, wenn der Körperschaftsteuerbescheid 1977 der Klägerin aufgehoben oder geändert wird und die Aufhebung oder Änderung den Gewinn aus Gewerbebetrieb berührt. In einem solchen Falle hat das FA Y einen neuen Gewerbeertrag in entsprechender Anwendung des § 35b GewStG 1977 selbständig für die Klägerin (Organgesellschaft) zu ermitteln. Dieser ist mit dem Gewerbeertrag des Einzelunternehmens (Organträger) zusammenzurechnen. Das führt notwendig zu einer entsprechenden Berichtigung des bis dahin geltenden (Gesamt-)Gewerbeertrags des Einzelunternehmens (Organträgers).

Ähnliches gilt - worauf die Klägerin in ihrer Beschwerde nicht eingeht - bezüglich des Gewerbekapitals. Bei Bestehen einer Organschaft werden die Gewerbekapitalien der Organgesellschaft und die des Organträgers getrennt ermittelt. Als Gewerbekapital gilt der Einheitswert des gewerblichen Betriebs i. S. des § 12 GewStG 1977. Die so ermittelten Gewerbekapitalien der Organgesellschaft und des Organträgers werden zusammengerechnet; die Summe bildet (abgerundet) das für die Berechnung der Gewerbesteuer des Organträgers maßgebende Gewerbekapital.

2. Eine Besorgnis der Befangenheit des Dr. S. kann nicht aus § 51 Abs. 3 FGO hergeleitet werden.

Nach dieser Vorschrift ist die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO stets dann begründet, wenn der Richter der Vertretung einer Körperschaft angehört oder angehört hat, deren Interessen durch das Verfahren berührt werden. Mit ,,Vertretung einer Körperschaft" sind in diesem Zusammenhang gemeint z. B. der Vorstand einer Aktiengesellschaft, eine Gemeindevertretung (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12. Aufl., § 51 FGO Tz. 8), nicht aber - entgegen der Ansicht der Klägerin - ein FA. Da die Gewerbesteuer als Gemeindesteuer ausgestaltet ist und die Gemeinden hebeberechtigt sind, können durch eine evtl. Minderung der Gewerbesteuer im Hauptsacheverfahren allein die Interessen der Stadt X berührt werden. Deshalb könnte im Streitfall die Besorgnis der Befangenheit i. S. von § 51 Abs. 3 FGO allenfalls dann begründet sein, wenn Dr. S. früher der Vertretung der Stadt X angehört hätte. Das hat weder die Klägerin behauptet, noch ist ein entsprechender Hinweis aus den Akten erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415792

BFH/NV 1989, 454

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