Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung und Ruhen des Verfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. Die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO erfordert zumindest, daß das andere Verfahren irgendwie für die Entscheidung in dem Sinne erheblich ist, daß es das auszusetzende Verfahren rechtlich beeinflußt.

2. Auch die nur entsprechende Anwendung des § 251 Abs. 1 ZPO im finanzgerichtlichen Verfahren rechtfertigt es nicht, vom Erfordernis beidseitiger Anträge der Beteiligten abzugehen.

 

Normenkette

FGO §§ 74, 128 Abs. 2 S. 2, §§ 129, 132; ZPO § 251 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger zu 1 und Beschwerdeführer (Kläger zu 1) ist Jurist und Steuerberater. Er ist mit Unterbrechungen seit 1985 inhaftiert. Die aufgrund einer erneuten Verurteilung andauernde Strafhaft wird am ... 1994 vollständig verbüßt sein.

Eine Fahndungsprüfung gelangte zu dem Ergebnis, daß zwischen der X-GmbH und dem Kläger zu 1 in den Streitjahren 1979 bis 1984 eine Mitunternehmerschaft in Form der X-GmbH & atypisch stille Gesellschaft bestanden habe, nicht jedoch bereits in den Vorjahren von 1976 bis 1978. Die behauptete Mitunternehmerstellung weiterer Personen, nämlich des Klägers zu 2 und der Beigeladenen, sei hingegen nicht anzuerkennen.

Der Kläger zu 1 erhob bezüglich der Jahre 1976 bis 1984 und der Kläger zu 2 bezüglich der Jahre 1980 bis 1983 gegen die entsprechend geänderten bzw. aufhebenden Feststellungsbescheide Klage. Über die Klage ist bislang noch nicht entschieden worden.

Einen vom Kläger zu 1 gestellten Befangenheitsantrag wies das Finanzgericht (FG) mit rechtskräftig gewordenem Beschluß vom ... zurück.

Den vom Kläger zu 1 beantragten Stillstand des Klageverfahrens wies der nach § 79a Abs. 4, Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuständige Einzelrichter mit Beschluß vom 23. Juli 1993 ab.

Mit am 11. August 1993 beim FG eingegangenem Schriftsatz ließ der anwaltlich vertretene Kläger zu 1 Beschwerde einlegen. Eine weitere Begründung durch den beizuordnenden Steuerberater Y stellte er für den Fall in Aussicht, daß über den Antrag auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH) für dieses Beschwerdeverfahren positiv entschieden worden sei.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Kläger zu 1 verfolge offensichtlich den Zweck, das Verfahren zu verschleppen.

Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1993 haben die weiteren Prozeßbevollmächtigten ihr Mandat niedergelegt.

Durch Beschluß vom heutigen Tage hat der erkennende Senat den Antrag auf PKH abgelehnt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet, und war deshalb durch Beschluß zurückzuweisen (§ 132 FGO).

1. a) Die Beschwerde ist statthaft (§ 128 Abs. 2 Halbsatz 2 FGO). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 129 Abs. 1 FGO). Die Beschwerde unterliegt an sich keinem Begründungszwang. Durch die Bezugnahme auf den Antrag auf Verfahrensstillstand vom 28. Februar 1993 wird das Begehren des Klägers zu 1 auch hinreichend deutlich (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Juli 1992 I B 5/92, BFH/NV 1993, 111).

b) Der für die Einlegung der Beschwerde bestehende Vertretungszwang ist gewahrt (Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -).

Die Beschwerde ist von den Rechtsanwälten ..., die mit Schriftsatz vom 21. Dezember 1993 ihr Mandat niedergelegt haben, erhoben worden. Bereits mit Vollmacht vom 9. August 1993 hat der Kläger zu 1 Steuerberater Y mit der Wahrnehmung seiner Vertretung im Beschwerdeverfahren beauftragt.

c) Der Senat braucht die nur für den Fall der Bewilligung von PKH in Aussicht gestellte weitere Begründung der Beschwerde, für deren Einreichung keine bestimmte gesetzliche Frist besteht, nicht abzuwarten. Er hat mit Beschluß vom gleichen Tag den PKH-Antrag für das Beschwerdeverfahren abgelehnt.

2. Die Beschwerde kann sachlich keinen Erfolg haben. Das FG hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen für einen Verfahrensstillstand verneint.

a) Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, die Aussetzung des Verfahrens anordnen.

Der Senat kann offenlassen (vgl. ebenso der II.Senat des BFH; Beschluß vom 9. Oktober 1991 II B 115/91, BFH/NV 1992, 125), ob es genügt, daß das andere Verfahren irgendeinen rechtlichen Einfluß auf das auszusetzende Verfahren besitzt (so der I.Senat des BFH im Urteil vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986; ferner Beschluß vom 8. Mai 1991 I B 132, 134/90, BFHE 164, 194, BStBl II 1991, 641, 642; neuerdings ebenso der III.Senat des BFH im Beschluß vom 7. Februar 1992 VIII B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408, 409, allerdings ausdrücklich nur für den Fall eines Musterverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht; insgesamt zustimmend Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 74 FGO Tz. 2; Koch/Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 74 Tz. 2, 3) oder ob die Entscheidung in dem anhängigen Verfahren dasselbe Rechtsverhältnis betreffe und kraft Gesetzes oder rechtslogisch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses in dem anderen Verfahren abhängt, also im engeren Sinne vorgreiflich sein muß (so der III.Senat des BFH im Beschluß vom 7. Oktober 1977 III B 8/77, Der Steuerberater - StB - 1979, 38, und der VI.Senat im Beschluß vom 21. August 1986 VI B 91/85, BFH/NV 1987, 43).

Die vom Kläger zu 1 geltend gemachten Gründe sind offensichtlich nicht vorgreiflich in diesem engeren Sinne. Aber selbst wenn die Voraussetzungen des § 74 FGO bereits bei einer Fallgestaltung angenommen werden, bei der das andere Verfahren irgendwie für die Entscheidung erheblich in dem Sinne ist, daß es einen rechtlichen Einfluß auf das auszusetzende Verfahren haben muß, sind sie im Streitfall nicht erfüllt.

Zutreffend hat das FG ausgeführt, daß die Hinweise des Klägers zu 1 auf außersteuerliche Streitverfahren, nämlich die Verfassungsbeschwerde gegen die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts ... und die Rechtsmittel gegen das disziplinar-rechtliche Vorgehen der Justizvollzugsanstalt ... gegen den Kläger zu 1 nach dem Strafvollzugsgesetz sowie die zivil- und strafrechtlichen Bemühungen des Klägers zu 1, angeblich von den Herren A und B vorenthaltene Akten zurückzuerhalten, keinen rechtlichen Einfluß auf das hier zugrunde liegende Klageverfahren über die geänderten Gewinnfeststellungsbescheide haben.

b) Das FG hat bereits deshalb nicht das Ruhen des Klageverfahrens gemäß § 251 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO anordnen können, weil es an einem Antrag beider Parteien, nämlich der Kläger zu 1 und 2 und des FA als Beklagten, fehlt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. November 1991 III R 207/90, BFH/NV 1992, 610; vom 21. Februar 1989 IV B 39/87, BFH/NV 1990, 375, 376; Urteile vom 20. Februar 1981 III R 42, 47/87, BFHE 133, 73, BStBl II 1981, 458, 460 a.E.; vom 1. Dezember 1967, III 205/65, BFHE 91, 261, BStBl II 1968, 302, 303). Auch die nur entsprechende Anwendung des § 251 ZPO rechtfertigt es nicht, von dem Antragserfordernis beider Beteiligter abzugehen (BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 375, 376).

Der Senat kann dahingestellt lassen, ob im Falle einer rechtsmißbräuchlichen Verweigerung die Zustimmung durch das Gericht ersetzt werden könnte (ablehnend BFH-Beschluß in BFH/NV 1990, 375, 376; Tipke/ Kruse, a.a.O., § 74 FGO Tz. 5; offengelassen im Urteil des BFH vom 8. Juni 1990 III R 41/90, BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, 946; zustimmend Koch/Gräber, a.a.O., § 74 Tz. 23, zu Unrecht unter Berufung auf BFH-Urteil in BFHE 161, 1, BStBl II 1990, 944, 946; ferner v.Wedel/Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 74 Tz. 78).

Zutreffend hat das FG angesichts der langen Verfahrensdauer auf das berechtigte Interesse des FA an einer baldigen Herstellung von Rechtsklarheit verwiesen, um so mehr, als die Feststellungsbescheide, soweit sie negative Feststellungen treffen, sich für drei weitere Steuerpflichtige als Grundlagenbescheide auswirken.

Der Senat teilt im übrigen auch die rechtlichen Erwägungen des FG zum Fehlen eines wichtigen Grundes i.S. von § 251 ZPO. Andere Gründe, den Stillstand des Klageverfahrens anzuordnen, bestehen weder von Gesetzes wegen noch nach dem vorgetragenen und erkennbaren Sachverhalt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419713

BFH/NV 1994, 726

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