Entscheidungsstichwort (Thema)

Personelle Verflechtung bei Beherrschungsidentität in Bezug auf „Geschäfte des täglichen Lebens“

 

Leitsatz (NV)

  1. Eine personelle Verflechtung im Sinne der Rechtsprechungsgrundsätze zur Betriebsaufspaltung liegt trotz fehlender Beteiligungsidentität dann vor, wenn der Mehrheitsgesellschafter oder die Mehrheitspersonengruppe in beiden Unternehmen ihren geschäftlichen Willen durchsetzen können (Beherrschungsidentität).
  2. Gilt in einem Unternehmen das Einstimmigkeitsprinzip, steht das der personellen Verflechtung nicht entgegen, wenn Beherrschungsidentität zumindest in Bezug auf die "Geschäfte des täglichen Lebens" besteht.
  3. Ob ein Geschäft zu den "Geschäften des täglichen Lebens" gehört, hängt von der konkreten Tätigkeit des betreffenden Unternehmens ab.
  4. Auch eine reine Vermietungsgesellschaft in der Rechtsform der GbR kann "Geschäfte des täglichen Lebens" und außergewöhnliche Geschäfte haben.
 

Normenkette

EStG § 15

 

Verfahrensgang

FG Nürnberg (Urteil vom 05.12.2001; Aktenzeichen III 116/1999)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die aus der Erbengemeinschaft nach V hervorgegangen ist. Bis zu seinem Tod am 17. Januar 1976 war V Komplementär der X-KG (KG) gewesen, die ihr Gewerbe auf Grundstücken ausübte, die im Alleineigentum von V standen. Erben des V waren die Ehefrau E sowie die drei Kinder L, S und J. Für den Gesellschaftsanteil an der KG trat Sondererbfolge ein, die zur Folge hatte, dass mit dem Erbfall S Komplementär, E Kommanditistin mit einer Einlage von 60 000 DM sowie L und J Kommanditisten mit einer Einlage von je 40 000 DM wurden. Mit Vertrag vom 18. Februar 1977 wurde die KG ―rückwirkend auf den 31. Dezember 1976― in eine GmbH umgewandelt; zu deren Geschäftsführer wurde S bestellt. Später änderten sich die Beteiligungsverhältnisse an der GmbH, so dass in den Streitjahren (1988 bis 1992) nur noch S (97,5 %) und E (2,5 %) beteiligt waren.

Abgesehen von dem Gesellschaftsanteil stand der Nachlass des V der Erbengemeinschaft bestehend aus E zu 1/2 sowie L, S und J zu je 1/6 Anteil zu. Im Jahr 1982 veräußerte L ihren Anteil je zur Hälfte an S und J, so dass diese seither mit je 1/4 beteiligt sind. Zu dem Nachlass gehörten auch die Grundstücke, die der KG von V zur Nutzung überlassen worden waren. Die Nutzung wurde nach dem Tod von V zunächst unverändert fortgesetzt, bis im Zusammenhang mit der Umwandlung der KG in eine GmbH mit Wirkung ab Januar 1977 ein Mietvertrag zwischen der Erbengemeinschaft und der GmbH geschlossen wurde. Der Vertrag sah die Zahlung eines festen Mietzinses vor. Im Januar 1985 wurde als Reaktion auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Betriebsaufspaltung und zum Strukturwandel rückwirkend auf den 1. Januar 1984 vereinbart, dass die Erbengemeinschaft von der GmbH eingebaute Lagervorrichtungen einschließlich der notwendigen Stapelfahrzeuge von dieser erwerben und ihr anschließend wieder vermieten sollte. Im Januar 1988 wurde ein Nachtrag zum Mietvertrag zwischen der Erbengemeinschaft und der GmbH vereinbart, wonach die Miete nun 2 % des Umsatzes betragen sollte. Unterzeichnet war die Vereinbarung von S für die GmbH und von E für die Erbengemeinschaft.

Unter dem 31. August 1982 hatten E, S und J einen Gesellschaftsvertrag über eine GbR geschlossen. Gegenstand sollte die Vermietung des Grundbesitzes mit aufstehenden Gebäuden und Inventar sein. In dem Vertrag heißt es, die Gesellschaft bestehe seit dem Tod des V. Zur allgemeinen Geschäftsführung und Vertretung wurde S bestimmt, der bei Rechtsgeschäften mit der GmbH von der Beschränkung des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) befreit sein sollte. Über "Geschäfte von einiger Bedeutung, Änderung des Mietverhältnisses, Beleihungen etc." hatte er die Zustimmung der Mitgesellschafter einzuholen. Einfache Beschlussmehrheit sollte nicht ausreichen. Der Gewinn sollte nicht nach Erbquoten, sondern nach Köpfen verteilt werden.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ging nach einer Außenprüfung davon aus, dass in den Streitjahren eine Betriebsaufspaltung zwischen der fortbestehenden Erbengemeinschaft und der GmbH vorgelegen habe, und behandelte die Einkünfte aus der Vermietung als solche aus Gewerbebetrieb.

Die Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) teilte die Auffassung, dass eine Betriebsaufspaltung vorliege, allerdings zwischen der GbR und der GmbH. Die von E und S im Rahmen ihres Sonderbetriebsvermögens bezogenen Dividenden der GmbH seien aber nach der neuen Rechtsprechung des BFH nicht phasengleich zu erfassen.

Die Revision ließ das FG nicht zu.

Mit der dagegen erhobenen Beschwerde macht die Klägerin mehrere Revisionszulassungsgründe geltend.

Von einer weiter gehenden Darstellung des Tatbestands wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist nicht begründet und war deshalb zurückzuweisen.

1. Der Senat lässt dahinstehen, inwieweit die erhobenen Rügen den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO an die schlüssige Darlegung eines Revisionszulassungsgrunds i.S. des § 115 Abs. 2 FGO genügen. Denn jedenfalls sind alle erhobenen Rügen unbegründet.

2. a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Eine Rechtssache hat nach ständiger Rechtsprechung des BFH grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Juli 1966 VI B 2/66, BFHE 86, 708, BStBl III 1966, 628; vom 9. Februar 1996 VIII B 1/95, BFH/NV 1996, 617, und vom 17. Oktober 2001 III B 65/01, BFH/NV 2002, 217).

Die von der Klägerin herausgearbeitete Frage nach der Auslegung des Begriffs "Geschäft des täglichen Lebens" ist weder klärungsbedürftig noch im Streitfall klärbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine personelle Verflechtung auch bei fehlender Beteiligungsidentität dann vor, wenn der Mehrheitsgesellschafter oder die Mehrheits-Personengruppe in beiden Unternehmen ihren geschäftlichen Willen durchsetzen können (Beherrschungsidentität). Gilt in einem Unternehmen das Einstimmigkeitsprinzip, steht das der personellen Verflechtung dann nicht entgegen, wenn Beherrschungsidentität zumindest in Bezug auf die Geschäfte des täglichen Lebens besteht (BFH-Urteile vom 12. November 1985 VIII R 240/81, BFHE 145, 401, BStBl II 1986, 296; vom 26. November 1992 IV R 15/91, BFHE 171, 490, BStBl II 1993, 876; vom 21. August 1996 X R 25/93, BFHE 181, 284, BStBl II 1997, 44; vom 21. Januar 1999 IV R 96/96, BFHE 187, 570, BStBl II 2002, 771; vom 7. Dezember 1999 VIII R 50, 51/96, BFH/NV 2000, 601). Dazu kann es aufgrund entsprechender Geschäftsführungsbefugnisse kommen (BFH-Urteil vom 1. Juli 2003 VIII R 24/01, BFHE 202, 535, BStBl II 2003, 757).

Den Begriff des "Geschäfts des täglichen Lebens" hat der BFH zwar nicht mit einer abstrakten Definition erläutert. Dies ist entgegen der Auffassung der Klägerin aber auch nicht erforderlich. Vielmehr handelt es sich um ein Merkmal, das jeweils nach den Umständen des Einzelfalls auszulegen ist. Denn ebenso wie sich ein Handelsgeschäft nur unter Berücksichtigung der konkreten Geschäftstätigkeit einer Handelsgesellschaft als gewöhnliches Geschäft i.S. des § 116 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs (HGB) beurteilen lässt, kommt es auch für die Frage, ob ein Geschäft zu den "Geschäften des täglichen Lebens" im Sinne der BFH-Rechtsprechung gehört, auf die konkrete Tätigkeit des betreffenden Unternehmens an.

Hiervon ist das FG im Streitfall zu Recht ausgegangen und hat untersucht, welche Geschäftstätigkeit die Klägerin entfaltet hat und welche Geschäfte nach der Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag der Geschäftsführer ohne Gesellschafterbeschluss vornehmen konnte. Dabei hat das FG zutreffend angenommen, dass auch eine reine Vermietungsgesellschaft in der Rechtsform einer GbR "Geschäfte des täglichen Lebens" und außergewöhnliche Geschäfte haben kann (ebenso BFH-Urteil in BFHE 202, 535, BStBl II 2003, 757). Da Verstöße gegen Erfahrungssätze oder die Denkgesetze nicht zu erkennen sind, entfalten die getroffenen Feststellungen nach § 118 Abs. 2 FGO Bindungswirkung für den BFH.

b) Das FG ist nicht von den mit der Beschwerde angezogenen Entscheidungen des BFH abgewichen. Deshalb bedarf es keiner Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO.

aa) Soweit die Klägerin eine Abweichung im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs "Geschäft des täglichen Lebens" rügt, ergibt sich die fehlende Begründetheit der Rüge bereits aus den vorstehenden Ausführungen.

bb) Das FG weicht nicht deshalb von dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 8. November 1971 GrS 2/71 (BFHE 103, 440, BStBl II 1972, 63) ab, weil es sich auf die Vermutung stützt, dass die Personen, die die beide Unternehmen beherrschende Personengruppe bilden, gleichgerichtete Interessen verfolgen. Mit dem Beschluss des Großen Senats wurde geklärt, dass für eine personelle Verflechtung eine Beteiligungsidentität nicht zwingend erforderlich ist, sondern dass bei nur teilweise identischen Beteiligten die Beherrschungsidentität ausreicht. Auf der Grundlage dieses Beschlusses wurde die Personengruppentheorie entwickelt, wonach es für das Vorliegen eines einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillens bei beiden Unternehmen nicht darauf ankommt, ob durch besondere Bestimmungen in den Gesellschaftsverträgen oder durch andere besondere Vereinbarungen über Stimmrecht und Geschäftsführung das einheitliche Handeln der hinter den beiden Unternehmen stehenden Personen nachgewiesen ist, sondern vielmehr allein die Identität dieser Personen bei beiden Unternehmen und ihr Anteilsbesitz entscheidend sind (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 2. August 1972 IV 87/65, BFHE 106, 325, BStBl II 1972, 796). Wie die Beteiligungsverhältnisse innerhalb der beherrschenden Personengruppe bei beiden Unternehmen gestaltet sind, ist dabei ohne Bedeutung; sie können auch konträr gestaltet sein (BFH-Urteil vom 24. Februar 2000 IV R 62/98, BFHE 191, 295, BStBl II 2000, 417).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob für "Zufallsgemeinschaften" besondere Kriterien gelten müssen. Denn die Klägerin ist keine Zufallsgemeinschaft, sondern eine im Rahmen der Verwaltung des Nachlasses bewusst geschlossene Personengesellschaft.

cc) Soweit sich die Klägerin auf eine Abweichung vom BFH-Urteil in BFHE 181, 284, BStBl II 1997, 44 beruft, weil nach Auffassung des FG der Beherrschungsidentität nicht entgegenstehe, dass nur ein Gesellschafter der Personengruppe zur Geschäftsführung befugt sei, ist diese Rüge ebenfalls unbegründet. Das ergibt sich schon daraus, dass in jenem Fall nicht über eine beherrschende Personengruppe zu befinden war. Die personelle Verflechtung folgte dort vielmehr daraus, dass der Alleineigentümer der überlassenen Wirtschaftsgüter auch eine Mehrheitsbeteiligung an der Betriebs-GmbH hielt.

c) Die Rüge schwerwiegender Rechtsfehler ist zwar statthaft. Denn schwerwiegende Fehler des FG bei der Anwendung und Auslegung revisiblen Rechts ermöglichen nach der Rechtsprechung des BFH die Zulassung der Revision (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404). Es kann aber dahinstehen, ob die gerügten Fehler von dem erforderlichen Gewicht sind, um eine Zulassung der Revision zu rechtfertigen, denn entweder liegen sie in Wahrheit nicht vor oder sie wären zumindest nicht entscheidungserheblich.

aa) Das FG hat die Interessenidentität innerhalb der herrschenden Personengruppe nicht aus dem Verzicht eines Gesellschafters auf Gewinnanteile entsprechend dem Beteiligungsverhältnis abgeleitet. Vielmehr ergab sich der Schluss auf eine gleichgerichtete Interessenlage ―wie ausgeführt― bereits aus dem Beherrschungsverhältnis.

bb) Der Einwand, das FG habe verkannt, dass der Geschäftsführer der GbR nicht nur das Interesse der Doppelgesellschafter, sondern auch das Interesse des Nur-Besitzgesellschafters habe berücksichtigen müssen, ist nicht nachzuvollziehen. Das FG hat sich auf den Gesellschaftszweck der Besitz-GbR berufen, den alle Besitzgesellschafter zu fördern haben.

cc) Aus der nur zwischen den Doppelgesellschaftern vereinbarten Änderung des Mietvertrags hat das FG nicht auf das Bestehen gleichgerichteter Interessen geschlossen. Es hat lediglich eine Bestätigung der ohnehin geltenden entsprechenden Vermutung darin gesehen. Selbst wenn von einer stillschweigenden Zustimmung des dritten Gesellschafters auszugehen wäre, wie die Klägerin vorträgt, hätte dies für die Geltung der Vermutung keine Bedeutung.

dd) Ausgehend von seinen im Revisionsverfahren bindenden Feststellungen konnte das FG auch zu dem Ergebnis kommen, dass keine Interessengegensätze nachgewiesen sind, die der Vermutung entgegenstehen, die Doppelgesellschafter hätten in Bezug auf die Geschäftstätigkeit beider Unternehmen einen einheitlichen Betätigungswillen entfaltet.

d) Ungeachtet der Frage, ob die Verfahrensrügen ordnungsgemäß erhoben worden sind, haben diese schon deshalb keinen Erfolg, weil sie Feststellungen betreffen, die unter Beachtung der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des FG nicht entscheidungserheblich waren. Weder kam es, wie dargelegt, für die Entscheidung auf die vom Beteiligungsverhältnis abweichende Gewinnverteilung in der GbR an noch auf die Mitwirkung des Nur-Besitzgesellschafters bei dem Zustandekommen des Mietänderungsvertrags.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1129445

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