Entscheidungsstichwort (Thema)

Urteilsberichtigung; Lauf der Rechtsmittelfrist

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Urteil ist nach § 107 FGO zu berichtigen - und nicht nach § 109 FGO zu ergänzen - wenn der Zusammenhang des Urteils ergibt, daß das Gericht über das gesamte Klagebegehren entschieden hat, in der Urteilsformel jedoch die teilweise Abweisung der Klage nicht ausgesprochen ist.

2. Durch Zustellung des Berichtigungsbeschlusses wird in einem solchen Fall keine neue Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt.

 

Normenkette

FGO § 107 Abs. 1, §§ 109, 120 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) machte in den Streitjahren 1974 bis 1976 in seinen Umsatz- und Einkommensteuererklärungen Verluste aus seiner Ende 1974 eröffneten . . .praxis geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) folgte dem zunächst und erließ entsprechende Einkommensteuerbescheide, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen. Die vom Kläger errechneten Umsatzsteuererstattungsbeträge wurden ausgezahlt.

Im Jahre 1979 fand beim Kläger eine Betriebsprüfung statt. Der Prüfer stellte Einlagen in Höhe von . . . DM (1974), . . . DM (1975), . . . DM (1976) fest, deren Herkunft er für ungeklärt hielt. Der Kläger gab gegenüber dem Prüfer zur Erklärung an, er habe 1974 den schon seit Jahren in seinem Eigentum befindlichen PKW im Werte von 4 500 DM sowie zwei Geldgeschenke seiner Eltern in Höhe von 12 000 DM sowie 7 000 DM eingelegt. Weitere Einlagen in Höhe von . . . DM stammten aus der Auflösung zweier Wertpapierdepots. Darüber hinausgehende Einlagen ließen sich nicht oder nicht mehr eindeutig zuordnen. Der Kläger vertrat die Auffassung, daß er nicht verpflichtet sei, über die Herkunft von Einlagen Angaben zu machen. Der Prüfer hielt die Herkunft der für die Einlagen verwandten Mittel für nicht hinreichend nachgewiesen. Er erhöhte Umsätze und Gewinne der Streitjahre um die eingelegten Beträge zuzüglich geschätzter Lebenshaltungskosten. Lediglich die Beträge in Höhe von 19 000 DM, von denen der Kläger behauptete, es handle sich um Schenkungen seiner Eltern, zog er von den das Jahr 1974 betreffenden Zuschätzungen vorbehaltlich eines Nachweises ab.

Das FA schloß sich der Auffassung des Prüfers an und erließ unter dem Datum vom 6. März 1981 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Umsatz- und Einkommensteuerbescheide. Die Einsprüche des Klägers führten hinsichtlich des Jahres 1974 zu einer Verböserung. Das FA behandelte, da der Kläger keinen entsprechenden Nachweis erbracht hatte, nunmehr auch die angeblich von den Eltern geschenkten Beträge als Betriebseinnahmen.

Die hiergegen gerichteten Klagen, die das Finanzgericht (- FG -) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden hat, hatten teilweise Erfolg. Das dem Rubrum zufolge ,,wegen Einkommen- und Umsatzsteuer 1974, 1975 und 1976" ergangene Urteil des FG vom 22. Mai 1986 lautete im Tenor zunächst:

,,Unter teilweiser Aufhebung der Einkommensteuer-Bescheide 1974 und 1976, der Umsatzsteuer-Bescheide 1974 und 1976 sowie der Einspruchsentscheidungen vom 1. 2. 1983 wird die Einkommensteuer und die Umsatzsteuer nach Maßgabe der Urteilsgründe festgesetzt. Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt."

In den Urteilsgründen wird ausgeführt, daß die Herkunft der Einlagen für das Jahr 1974 in Höhe von 4 500 DM und für das Jahr 1976 in Höhe von . . . DM geklärt sei. Im ersten Fall handle es sich um die Einlage eines bezahlten PKW, im zweiten Fall rührten die Einlagen aus dem Verkauf von Wertpapieren her. Von beidem gehe nunmehr auch das FA aus. Es sei dagegen nicht zur Überzeugung des Senats dargetan, daß weitere Einlagen auf Schenkungen der Eltern des Klägers in Höhe von 19 000 DM im Jahre 1974 und von 9 000 DM bis 10 000 DM im Jahre 1976 beruhten. Beweismittel für die Richtigkeit seiner Darstellung habe der Kläger zunächst nicht angeboten. Der später als Zeuge benannte Vater sei inzwischen verstorben. Die Feststellungslast für die Nichterweisbarkeit der privaten Veranlassung der erfolgten Betriebsvermögensvermehrung habe der Kläger zu tragen.

Weitere Einlagen habe der Kläger nicht nachgewiesen. Es sei unerheblich, ob seine Eltern - wie behauptet - Kfz-Kosten getragen hätten, da das FA diese Kosten nicht gewinnerhöhend berücksichtigt habe. Die für die Jahre 1975 und 1976 geltend gemachten Spenden könnten mangels Nachweises nicht berücksichtigt werden.

Das Urteil wurde dem Kläger am 16. Juli 1986 zugestellt. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde sowie die ebenfalls eingelegte Revision nahm der Kläger nach einem Hinweis der Geschäftsstelle des Senats auf den Ablauf der Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1986 zurück.

Mit Schriftsatz vom 24. Juli 1987 beantragte der Kläger beim FG, ,,dem Verfahren Fortgang zu geben". Er vertrat den Standpunkt, das Gericht habe im Urteil vom 22. Mai 1986 über die Klage nicht vollständig entschieden. Es fehle noch eine Entscheidung über seinen Antrag, die angefochtenen Bescheide für die Jahre 1974 und 1976 nicht nur zum Teil, sondern vollständig aufzuheben. Für das Jahr 1975 sei überhaupt noch keine Entscheidung getroffen worden. Das FG erließ daraufhin am 14. Januar 1988 einen Berichtigungsbeschluß, mit dem es den Tenor des Urteils vom 22. Mai 1986 um den Satz ,,im übrigen wird die Klage abgewiesen" ergänzte.

Der Berichtigungsbeschluß wurde dem Kläger am 7. März 1988 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 18. März 1988 legte der Kläger gegen das Urteil vom 22. Mai 1986 erneut Revision ein. Er macht geltend, die Urteilsgründe ließen entgegen der im angefochtenen Beschluß geäußerten Auffassung nicht erkennen, daß das FG die Klage habe teilweise abweisen wollen. Das Urteil vom 22. Mai 1986 sei daher nicht mit Gründen versehen.

Der Kläger vertritt unter Hinweis auf den Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 23. April 1955 VI ZB 4/55 (BGHZ 17, 149) die Auffassung, daß die Rechtsmittel gegen das finanzgerichtliche Urteil rechtzeitig eingelegt worden seien. Vorsorglich beantragt er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen, hilfsweise, unter Aufhebung des Urteils vom 22. Mai 1986 die angefochtenen Bescheide des FA ersatzlos aufzuheben.

Das FA ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Durch den Einkommensteuerbescheid 1976 ist der Kläger nach der Änderung durch das finanzgerichtliche Urteil nicht mehr beschwert, da die Steuer - wie die Berechnung des FA vom 25. September 1986 zeigt - vom FG auf 0 DM herabgesetzt wurde (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 24. Januar 1975 VI R 148/72, BFHE 115, 9, BStBl II 1975, 382). Aber auch gegen die anderen Bescheide ist ein zulässiges Rechtsmittel nicht mehr gegeben. Sie sind aufgrund des Urteils des FG vom 22. Mai 1986 bestandskräftig geworden. Die gegen dieses Urteil zunächst eingelegten Rechtsbehelfe hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1986 zurückgenommen. Die vom 18. März 1988 datierende Revision ist unzulässig, weil sie verspätet eingelegt wurde. Die Revisionsfrist beträgt nach § 120 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Monat. Sie lief im Streitfall am 18. August 1986 ab.

1. Der Senat kann dem Kläger nicht darin folgen, daß das FG im Urteil vom 22. Mai 1986 über die Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1975 vom 6. März 1981 nicht entschieden habe. Ebensowenig ist feststellbar, daß das genannte Urteil hinsichtlich der Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide 1974 und 1976 vom 6. März 1981 nur eine Teilentscheidung getroffen hätte.

Allerdings enthielt der Tenor ursprünglich nicht den Satz, daß die weitergehende Klage abgewiesen werde. Der Urteilstenor kann jedoch - ebenso wie andere Teile des Urteils - nach § 107 Abs. 1 FGO wegen Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlicher offenbarer Unrichtigkeiten berichtigt werden (BFH-Beschluß vom 6. Juli 1972 VIII B 11/68, BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 107 FGO Tz. 1; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 107 Tz. 3, jeweils m. w. N.). Das gilt jedenfalls dann, wenn die Unrichtigkeit unmittelbar aus den übrigen Teilen des Urteils (Rubrum, Tatbestand oder Entscheidungsgründen) hervorgeht (BGH-Urteil vom 9. Dezember 1983 V ZR 21/63, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1984, 349; Gräber/von Groll, a. a. O.; noch weitergehend die Rechtsprechung des BFH, z. B. BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954; Beschluß vom 4. September 1984 VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834). Die offenbare Unrichtigkeit kann auch in einer Auslassung bestehen (BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954). Demzufolge ist ein Urteil nach § 107 FGO zu berichtigen - und nicht nach § 109 FGO zu ergänzen -, wenn der Zusammenhang des Urteils ergibt, daß das Gericht über das gesamte Klagebegehren entschieden hat, in der Urteilsformel jedoch die teilweise Abweisung der Klage nicht ausgesprochen ist (Oberlandesgericht - OLG - Stuttgart, Beschluß vom 13. Januar 1984 15 UF 251/83 u. a., Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - 1984, 402). Denn in einem solchen Fall liegt es auf der Hand, daß die Auslassung auf einem mechanischen Fehler beruht, der einem Schreib- oder Rechenfehler ähnelt.

Im Streitfall lassen Rubrum, Tatbestand und Entscheidungsgründe zweifelsfrei erkennen, daß das FG die Klage abweisen wollte, soweit es ihr nicht stattgegeben hat. Das folgt in erster Linie daraus, daß das Urteil nicht als Teilurteil bezeichnet ist. Das FG hat auch nicht einen Teil des Verfahrens abgetrennt. Es hat vielmehr die Umsatz- und die Einkommensteuersache in der mündlichen Verhandlung vom 22. Mai 1986 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden. Dementsprechend heißt es auch im Rubrum, daß das Urteil ,,wegen Einkommensteuer und Umsatzsteuer 1974, 1975 und 1976" ergangen sei. Die Darstellung des Sach- und Streitstandes betrifft alle drei Streitjahre und gibt alle substantiiert erhobenen Einwendungen des Klägers wieder. Auch die Urteilsgründe sprechen dafür, daß eine Teilabweisung gewollt war. Hinsichtlich der Jahre 1974 und 1976 heißt es auf Seite 6 des Urteils, daß der Kläger die Feststellungslast dafür trage, daß er die behaupteten Schenkungen seiner Eltern nicht habe nachweisen können. Hinsichtlich des Jahres 1975 geht die Teilabweisung daraus hervor, daß das FG im vorletzten Absatz der Entscheidung feststellt, daß die für dieses Jahr geltend gemachte Spende nicht nachgewiesen sei. Demgegenüber ist es nicht von entscheidender Bedeutung, daß die Kostenentscheidung lediglich auf § 137 FGO und nicht zusätzlich auf § 136 Abs. 1 FGO gestützt ist. Die Bezugnahme auf § 137 FGO zeigt jedenfalls mit ausreichender Deutlichkeit, von welcher Erwägung das FG bei der Beantwortung der Frage ausgegangen ist, wer die Kosten insoweit zu tragen hat, als der Kläger obsiegt hat. Allenfalls diese Frage bedurfte eingehender Überlegung. Dagegen ist es in der Regel unproblematisch, daß eine Partei die Kosten des Rechtsstreits trägt, soweit sie unterlegen ist.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers wurde durch die Zustellung des Berichtigungsbeschlusses vom 14. Januar 1988 keine neue Rechtsmittelfrist in Lauf gesetzt. Die Berichtigung eines Urteils gemäß § 107 FGO hat nach ständiger Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte grundsätzlich keinen Einfluß auf Beginn und Lauf der Rechtsmittelfrist. Der Berichtigungsbeschluß wirkt auf die Zeit der Verkündung des Urteils zurück. Dessen neue Fassung gilt als die ursprüngliche. Gegen das berichtigte Urteil findet daher nur das gegen das ursprüngliche Urteil zulässige Rechtsmittel statt, und die Frist zu seiner Einlegung läuft (schon) von der Zustellung der unberichtigten Urteilsfassung an (BGHZ 17, 149; BGH-Urteil vom 9. Dezember 1983 V ZR 21/83, Neue Juristische Wochenschrift 1984, 1041; BFH-Beschluß vom 9. August 1974 V B 29/74, BFHE 113, 179, BStBl II 1974, 760; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 1966 IV B 165.65, Recht der Landwirtschaft 1966, 251; Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Mai 1955 9 RV 308/54, Sozialrecht Nr. 1 zu § 138 SGG). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die berichtigte Entscheidung nicht klar genug gewesen ist, um Grundlage des weiteren Verhaltens der Partei und des Rechtsmittelgerichts zu bilden, insbesondere dann, wenn erst die berichtigte Fassung des Urteils erkennen läßt, ob die Partei beschwert ist (BGH-Urteil vom 10. März 1981 VI ZR 236/79, Versicherungsrecht 1981, 548). Ein derartiger Ausnahmefall liegt dagegen nicht vor, wenn aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils hinreichend deutlich hervorgeht, daß die Klage zum Teil abgewiesen worden ist, die Abweisung der weitergehenden Klage jedoch nicht in den Tenor aufgenommen wurde. In diesem Sinne hat der BGH in seinem Urteil vom 26. Oktober 1976 VI ZR 249/75 (BGHZ 67, 284) für den Fall entschieden, daß der Satz ,,Im übrigen wird die Klage abgewiesen" zwar in der Urteilsurschrift, nicht jedoch in der der Partei zugestellten Ausfertigung enthalten war. Der BGH hat jedoch den von ihm entschiedenen Fall hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Urteilszustellung ausdrücklich ebenso beurteilt, wie wenn der Mangel bereits in der Urteilsurschrift enthalten gewesen wäre (a. a. O., S. 290; ebenso OLG Stuttgart in FamRZ 1984, 402; E. Schneider, Monatsschrift für Deutsches Recht, 1986, 377).

Im Streitfall wurde aus dem Zusammenhang des Urteils vom 22. Mai 1986 ausreichend deutlich, daß die weitergehende Klage abgewiesen worden war. Das ergibt sich aus dem unter 1. a) Ausgeführten.

Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416599

BFH/NV 1990, 306

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